Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 07.08.2006
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Claudia Heine

Die Revolution bin ich

Die wahre Autobiografie Castros

Fast hätte es schon einmal eine Autobiografie von Fidel Castro gegeben. Das Projekt, mit dem der kubanische Staatschef einen seiner Minister beauftragte, wurde Mitte der 70er-Jahre aus unbekannten Gründen jedoch abgebrochen. Zu jener Zeit umfasste die Sammlung bereits etwa 40 Bände. Sie wurden nie publiziert, und so eröffnete sich dem Schriftsteller Norberto Fuentes 30 Jahre später eine einmalige Chance: nämlich die "einzig wahre Autobiografie" Castros zu schreiben. So charakterisiert zumindest der Autor, der 1994 von Kuba in die USA emigrierte, sein kürzlich erschienenes Buch.

Aber auch Fuentes' Werk ist nur eine Schein-Autobiografie - geschrieben von einem Ich-Erzähler, der vorgibt Fidel Castro zu sein. Man muss es ihm glauben, und das fällt mal mehr und mal weniger leicht. Fuentes begründet seine Methode damit, auf diese Weise Motive und Ziele Fidel Castros besser beschreiben zu können. Hier beginnt das Vermessene seines Vorhabens. Denn er beansprucht, allein durch Beobachtungen, wenn auch aus nächster Nähe, Zugang zu einem Bereich zu haben, "der vollkommen abgeschirmt ist und unter seiner (Castros) absoluten Kontrolle steht": dem Gehirn Castros. Deswegen sei auch einzig die Perspektive der ersten Person fiktiv an der über 700 Seiten starken Autobiografie. Und weiter: Ihre "höchst vertrauliche Sichtweise" könne noch nicht einmal von Fidel Castro selbst übertroffen werden. Fuentes beherrscht die Gedankenwelt des kubanischen Revolutionsführers besser als dieser selbst? So entsteht der Eindruck, er hätte seinen Roman vor allem für Castro geschrieben. Worin sonst könnte die "Faszination" liegen, "einem Zeitgenossen - und das zu seinen Lebzeiten - die vertraulichsten Enthüllungen seiner eigenen Geschichte zu rauben"? Oder liegt darin die Aufforderung an Castro zum Dialog?

Ein solcher existierte - bis 1989. Norberto Fuentes unterstützte die kubanische Revolution nicht nur als Berichterstatter, er war zugleich aktiver Mitkämpfer, fasziniert vom Abenteuer und seiner Brutalität und glücklich, es miterleben zu dürfen. Er hatte wie kaum ein anderer Schriftsteller Zugang zu den Zirkeln der Macht, erhielt Auszeichnungen, war Offizier der kubanischen Staatssicherheit und genoss zahlreiche Privilegien. Doch dann kam der Bruch, als Kuba 1989 ein internationaler Skandal wegen der Verwicklung in Drogengeschäfte drohte. Beweise dafür hatten die USA gesammelt. Kuba reagierte mit Schauprozessen gegen führende Militärs und Spitzenbeamte: Vier von ihnen wurden hingerichtet, zwei davon waren enge Freunde Fuentes'. Sein geäußertes Entsetzen darüber bezahlte er mit einem Publikations- und Reiseverbot und öffentlichem Totschweigen.

Die Erwartung, sein neuestes Werk sei deshalb als Abrechnung mit Fidel Castro angelegt, liegt nahe. Aber sie erfüllt sich nicht. Die Legende wird nicht vom Sockel gestoßen: "Ich bin immer noch derselbe. Ich kann meine Vergangenheit nicht mit dieser Leichtigkeit über Bord werfen, wie es andere tun." Es ist nicht überraschend, solche Sätze von jemandem zu lesen, der stets behauptet: "Die Revolution bin ich." Castro erscheint also keineswegs als Figur, die einer Verblendung erlegen ist, sondern als eine aufrechte, siegreiche, sich immer noch zu ihren Zielen bekennende. So etwas fasziniert - auch Norberto Fuentes erliegt noch immer diesem Charme des kompromisslosen Kämpfers. Weshalb er ihn auch nicht entzaubern kann.

Zu dieser Kompromisslosigkeit, die mittlerweile zum Absurden tendiert, gehören aber auch die Unterdrü-ckung jeglicher Opposition im Land und das sture Festhalten an der Macht. Aber Castro interessiert das nicht: "Ich erfreue mich an meiner stoischen Sicht. Ich bin derjenige, der bestimmt, bis wohin gegangen werden darf. Selbstverständlich macht mich das zu einem noch einsameren Menschen. Aber was kann ich tun, wenn niemand mich begleiten will?" Um Fidel Castro solche Sätze des Größenwahns sagen zu lassen, benötigt es keine speziellen Einblicke.

Und sein Todfeind, die USA? Natürlich spielen die "Yankees" eine Hauptrolle in "seiner" Autobiografie. Obwohl er keinen Zweifel an dieser Feindschaft aufkommen lässt, dominiert doch die fast entspannte Haltung desjenigen, der sich absolut überlegen fühlt. Kein Wunder - immerhin hält er sich trotz dieser für Kuba stets gefährlichen Konfrontation seit 1959 an der Macht. "Sie haben sich die Beschimpfungen auf ihre Fahnen geschrieben. Darin erschöpft sich die ganze Tragweite und Effizienz ihrer Methode. Und natürlich merken sie dabei nicht, dass all ihre Schmähungen und Lügen mich immun gemacht und mit einem schützenden Panzer umgeben haben. Und was noch bedenklicher ist, sie lehrten mich, die Augen zu schließen und nie etwas zu bereuen."

All dies sind keine überraschenden Bekenntnisse. Aber wäre es glaubwürdiger gewesen, Castro hätte sich und seine Gedankenwelt demontiert? Wohl kaum. Obwohl es Fiktion, so Fuentes, in diesem Buch nicht gibt, vermutet man sie dennoch oft genug. Fidel Castro bleibt auch nach dem Lesen eine rästelhafte Erscheinung. Das dürfte ganz nach seinem Geschmack sein. 

Norberto Fuentes: Die Autobiographie des Fidel Castro. Aus dem Spanischen übertragen von Thomas Schultz. Verlag C. H. Beck, München 2006; 757 S., 26 Abb., 29,90 Euro.


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