Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 07.08.2006
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Sabine Quenot

Auch umstrittene Ideen werden verwirklicht

Kunst im Bundestag (I): Mehr als nur Dekoration

Der Bundestag ist Kunstsammler, Mäzen und Ausstellungsmacher zugleich - und mit seinem Kunstkonzept wohl einmalig in der Welt. In dieser Ausgabe startet unsere Serie über Kunst im Deutschen Bundestag, in der wir eine Auswahl dieser Werke in loser Folge vorstellen.

Die Kunst ist frei. Die Väter des Grundgesetzes haben es so festgeschrieben, und der Staat nimmt sich selber in die Pflicht, indem er das Grundrecht auf Freiheit in Artikel 5 würdigt und sich der Förderung von Kunst und Kultur widmet. Der Deutsche Bundestag ist spätestens seit seinem Umzug nach Berlin auch für Kunstfreunde ein Begriff geworden. Als Glücksfall erwies sich dabei eine Regelung, wonach ein bestimmter Prozentsatz der Bausumme von öffentlichen Gebäuden der Kunst gewidmet werden muss. Für die neuen Parlamentsbauten im Spreebogen stellte der Bundestag 2 Prozent, für das Reichstagsgebäude sogar 3 Prozent der anrechenbaren Bausummen für Kunst zur Verfügung. Unter Vorsitz der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth entwickelte der Kunstbeirat des Bundestages gerade für das Reichstagsgebäude ein Kunstkonzept, das auf die Architektur abgestimmt ist und die wechselvolle deutsche Geschichte aufgreift, für die das symbolträchtige Gebäude steht. Dass auch durchaus umstrittene künstlerische Ideen verwirklicht wurden, liegt in der Natur der Freiheit der Kunst. Kunst ist nicht gefällig. Und wenn sich Politik von der Muse küssen lässt, kann das Spannungen erzeugen. So hat die Installation "Der Bevölkerung" von Hans Haacke eine der heftigsten Kontroversen um Kunst der Nachkriegszeit entfacht. Mit knapper Mehrheit setzten sich im Bundestag die Befürworter der Installation Haackes durch. Im nördlichen Lichthof des Reichstages liegt sein großes Beet mit Erde aus den Wahlkreisen der Abgeordneten, die von jedem einzelnen persönlich mitgebracht wurden. Grünes wuchert nun um und zwischen den Buchstaben des umstrittenen Schriftzugs.

Kunst hat im Bundestag keine dekorative Funktion. Hier, im Forum der Nation kommt ihr Charakterzug, identitätsstiftend zu sein, zum Tragen. Der Kurator der parlamentarischen Kunstsammlung, Andreas Kaernbach, hält zeitgenössische Kunst im Arbeits- und Lebensalltag eines Parlamentes für unabdingbar, sie schaffe ein "geistiges Reizklima". Volksvertreter und Kunstschaffende gehen einen nicht immer reibungslosen Dialog ein.

Durch die Kunst öffnet sich das Parlament auch seinen Besuchern auf ganz neue Weise: Im September 2005 wurde der Kunst-Raum eröffnet. Damit hat der Bundestag eine eigene Ausstellungshalle, einen ständig für die Öffentlichkeit zugänglich Ort, an dem sich Politik auf Kunst einlässt (und umgekehrt). Der Bundestag ist zum Akteur im quirligen, kulturellen Leben Berlins geworden. Im Kunst-Raum können Teile der Kunstsammlung oder Werke mit parlamentarischen Bezug ausgestellt werden. Inzwischen fragen sogar andere Ausstellungsmacher nach Leihgaben. 1969 begann der Bundestag mit seiner Sammlung, sie umfasst inzwischen etwa 4.000 Kunstwerke von deutschen Künstlern oder solchen, die in Deutschland arbeiten. Dieses Auswahlkriterium betrifft aber nicht die Kunst-am-Bau-Werke. Die Nationalität der Künstler spielte lediglich beim Kunstkonzept des Reichstagsgebäudes eine Rolle, denn hier sollten auch Künstler der ehemaligen vier alliierten Staaten vertreten sein.

Der Kunstbeirat aus insgesamt neun Abgeordneten aller Fraktionen unter Vorsitz des Bundestagspräsidenten berät und entscheidet darüber, welche Werke zeitgenössischer Künstler der Bundestag für seine Kunstsammlung ankauft. Dafür stehen dem Kunstbeirat jährlich 175.000 Euro zur Verfügung, eine Summe, mit der man auf dem Kunstmarkt gewiss keine Großeinkäufe machen kann. Kaernbach, der im Kunstbeirat keine Stimme hat, aber Vorschläge macht und berät, geht deshalb mit seinem Ansatz "möglichst kostengünstig" auf die Suche. Nach dem Motto Kunst ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, liegt der Fokus auf Werken jüngerer Künstler und Grafiken. Der Grundsatz der Künstlerförderung, für die öffentliche Mittel verwendet werden, war bisher kein Anlass für Auseinandersetzungen, so Kaernbach. Eher schon die intensive Diskussion über ein Kunstwerk oder Künstler selber. Der 48-Jährige ist seit 1989 beim Bundestag, anfangs bei den Wissenschaftlichen Diens

ten, dann ergaben sich aus seiner Tätigkeit als Berater des Kunstbeirates die nächsten Aufgaben. Im Jahr 2000 wurde er Kurator der Kunstsammlung und leitet heute das Referat für Kunst im Bundestag. Persönliche Vorlieben für bestimmte Künstler oder Richtungen möchte er gar nicht erst pflegen, sondern sich "Offenheit bewahren und von solchen Festlegungen fernhalten", sagt Kaernbach. Fünf Ausstellungen hat er bereits im Kunst-Raum realisiert. Bis zum 3. September 2006 sind dort die Fotografien von Jens Liebchen von Künstlern mit ihren Werken, die sie für die Parlamentsbauten geschaffen haben, zu sehen. Gerade in diesen Bildern ist die spannende und spannungsvolle Begegnung von Politik und Kunst zu spüren.

Am Kunst-am-Bau-Programm des Bundestages waren 111 Künstler beteiligt. Ihre Kunstwerke sind heute ein selbstverständlicher Teil der Parlamentsbauten und gehören zum Selbstverständnis des Bundestages. Und Berlin hat ein lebendiges Museum öffentlicher und Architektur bezogener Kunst, mit internationalen wie deutschen Künstlern, Prominenz und Nachwuchstalenten erhalten.

Der Besucherdienst bietet regelmäßig Kunst- und Architekturführungen durch das Reichstagsgebäude und die anderen Parlamentsbauten an. Anmelden kann man sich per Fax unter 0 30/22 73 00 27 oder per Mail an besucherdienst@bundestag.de. Der Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Zutritt über die Spree-Promenade, ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos, eine Voranmeldung ist nicht erforderlich.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.