Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 07.08.2006
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Bert Schulz

Wahres Märchen vom Stahlkönig

Lakshmi Mittal

Lakshmi Mittals Lebensweg als märchenhaft zu beschreiben, ist eigentlich untertrieben, und der viel gerühmte US-amerikanische Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" klingt gegen seine Karriere eher belanglos. Mittal, vor 56 Jahren im nordwestindischen Bundesstaat Rajasthan geboren, in bescheidenen Verhältnissen ohne fließend Wasser und Strom, ist heute einer der fünf reichsten Menschen der Welt und Chef des größten Stahlunternehmens. Dieser Platz auf dem Thron dürfte ihm in näherer Zukunft auch nicht zu nehmen sein: Mit der Anfang 2006 angekündigten und Ende Juni nach erbitterter Abwehrschlacht akzeptierten feindlichen Übernahme des zweitgrößten Stahlproduzenten Arcelor wächst sein Unternehmen Mittal Steel zu einem Konzern, der drei Mal größer ist als der nächste Rivale und der rund zehn Prozent der weltweiten Stahlproduktion erzeugt.

Mittal ist zugleich der erste Industrielle aus einem Schwellenland, der es zum Herrscher über ein weltweites Firmenimperium gebracht hat. Vielleicht hat sein Vater diese Karriere ja vorausgeahnt, als er seinem Sohn den Namen Lakshmi gab - sie ist die Hindu-Göttin, die für Reichtum, Wohlstand und Weisheit steht.

Sein Vater war es auch, der ihm nach einem Wirtschaftsstudium in Kalkutta den Einstieg in die Stahlbranche ermöglicht: In dessen Stahlkocherei lernt Lakshmi Mittal die Grundlagen des Handwerks. 1976 macht er sich selbstständig, übernimmt ein marodes Stahlwerk in Indonesien und saniert es mit moderns-ter Technik. Das ist der Beginn einer beispiellosen Einkaufstour in der weltweit kriselnden Stahlbranche, die von vielen Experten bereits als unprofitabel abgeschrieben wird.

Mittal konzentriert sich auf unprofitable, meist staatliche Stahlunternehmen, die er für wenig Geld bekommt, und saniert sie. Seine Grundprinzipien dabei: Er lässt nur höherwertiges Eisen einschmelzen und setzt auf kleine Fabriken statt auf große Werke. In der Branche bekannt wird Mittal durch die Übernahme eines Werks in Trinidad und Tobago, das fast eine Million Euro Verlust einfährt - pro Tag. Innerhalb von drei Monaten verdoppelt der Inder die Produktion, ein Jahr später schreibt man schwarze Zahlen.

Mittal investiert unter anderem in Mexiko, Kanada, Irland, Kasachstan, Südafrika und China. In Deutschland übernimmt er 1995 die Hamburger Stahlwerke. Durch die Fusion seines inzwischen weltumspannenden Unternehmens Ispat - Sanskrit für "Stahl" - mit der US-amerikanischen International Steel Group schmiedet Mittal 2004 die weltweite Nummer eins im Stahlgeschäft. Laut den Geschäftszahlen für 2005 machte das Unternehmen über 28 Milliarden US-Dollar Umsatz, der Gewinn betrug 3,4 Milliarden. 227.000 Menschen arbeiteten in jenem Jahr bei Mittal Steel. Um sein Firmenimperium zu leiten, legt Mittal jedes Jahr mehr als 350.000 Flugmeilen zurück.

Nicht alle Übernahmen waren unumstritten: 2002 gerät Mittal, der seit Mitte der 90er-Jahre in London lebt, kurzzeitig unter Bestechungsverdacht. Er hatte Tony Blairs Labour-Party mit einer 125.000-Pfund-Spende bedacht; kurz davor hatte sich der britische Premier persönlich dafür eingesetzt, dass das größte Stahlwerk Rumäniens an Mittal verkauft wurde.

Das Vermögen des 56-Jährigen wird auf rund 20 Milliarden Euro geschätzt, Mittal gilt als reichster Mann Großbritanniens. Auch im Privatleben liebt er große Einkäufe: 2004 erwirbt der Vater zweier erwachsener Kinder für über 100 Millionen Euro von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone ein standesgemäßes Anwesen im Londoner Nobelstadtteil Kensington mit zwölf Schlafzimmern und einer Garage mit Platz für 20 Autos. Für die Hochzeit seiner damals 23-jährigen Tochter Vanisha in selben Jahr mietet Mittal ein Schloss in Frankreich und bucht Popsängerin Kylie Minogue für ein Privatkonzert. Kostenpunkt: ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. Im allgemeinen scheut der 56-Jährige jedoch die Öffentlichkeit; nur selten gibt er Interviews. Bekannt ist immerhin, dass er sich mit Yoga und vegetarischem Essen fit hält und zahlreiche soziale Projekte unterstützt.

In Indien wird Lakshmi Mittal als Held verehrt; als einer, der es von ganz unten nach ganz oben geschafft hat. Und auch in seinem Heimatland investiert er. Wenige Wochen nachdem die Fusion mit Arcelor unter Dach und Fach war, kündigt Mittal an, bis zu 6,8 Milliarden Euro in den Bau eines Stahlwerks im strukturschwachen Osten Indiens investieren. Das Werk in Orissa solle nach Fertigstellung jährlich zwölf Millionen Tonnen Stahl produzieren, erklärt der Großindus-trielle bei einem Besuch in dem Bundesstaat.

Die indischen Politiker loben Mittal, der auch britischer Staatsbürger ist. Nach der Übernahme von Arcelor erklärte etwa der Handelsminister Kamal Nath, andere Länder müssten nun erkennen, dass Indien "in der neuen globalen Architektur" zu einem wichtigen Akteur werde. Finanzminister Palaniappan Chidambaram sagte: "Wir sind froh und stolz, dass ein indisch-stämmiger Unternehmer der größte Stahlfabrikant der Welt ist."

Dies wird wohl auch nach der Ära Lakshmi Mittal so bleiben: Wie es sich für ein Märchen gehört, gibt es in Mittals Lebensgeschichte auch einen Prinzen und eine Prinzessin. Er hat seinen Sohn systematisch als Nachfolger aufgebaut; derzeit ist Aditya Mittal für die Finanzen des Konzerns zuständig. Und Tochter Vanisha arbeitet als Direktorin im Konzern. Am fusionierten Unternehmen Arcelor Mittal wird die Familie voraussichtlich 43,4 Prozent halten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.