Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 07.08.2006
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Jeanette Goddar

Grün war nur die Hoffnung der Bundesregierung

Die deutsche Greencard - nur wenige "ComputerInder" sind geblieben

Prasanna Tuladhar wollte schon immer mehr sehen als nur die Gipfel des Himalajas. Als kleiner Junge stapfte er jeden Morgen tapfer durch die staubigen Straßen von Nepals Hauptstadt Kathmandu zu seiner weit entfernten Schule und lernte, was das Zeug hielt. Nach dem Ende seiner Schulzeit kaufte er sich ein Ticket für einen Überlandbus, der ihn in drei Tagen und drei Nächten in den Süden Indiens fuhr. In der Nähe von Bangalore im Bundesstaat Tamil Nadu lernte er an einer der IT-Kaderschmieden des Subkontinents - einem "Indian Institute of Technology" - das Entwickeln und Implementieren komplexer Computerprogramme. Danach kehrte er zurück an den Fuß des Himalajas - aber nur für eine ganz kurze Zeit.

Bei einem zufälligen Ausflug in die deutsche Botschaft stieß er auf ein Stellenangebot aus Berlin. Absender war ein Dotcom-Unternehmen namens Ovivo, das sich in der Boomzeit der virtuellen Ökonomie in den Kopf gesetzt hatte, mit einer Internet-Plattform für "Bestjahrer", also für Menschen ab 45, zu Geld zu kommen. Gesucht wurde ein Programmierer, "highly skilled". Per E-Mail bewarb sich Prasanna; per E-Mail kam die Zusage. Wenig später landete der damals 26-Jährige samt seiner Frau als einer der ersten Greencardler und, nicht zuletzt, als erster "Computer-Nepalese" in Berlin.

Das war Ende 2000. Ein halbes Jahr zuvor hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Eröffnung der Computermesse Cebit angekündigt, nach dem Vorbild der US-amerikanischen Greencard Arbeitskräfte anwerben zu wollen. Mit der Karte, hatte Schröder gesagt, wolle auch Deutschland "von den Fähigkeiten anderer profitieren".

Anlass dafür war ein dramatischer Mangel an Fachkräften in der IT-Industrie. Nach Schätzungen der Branche hätten von heute auf morgen 75.000 offene Stellen besetzt werden können. Als die Regelung in Kraft trat, öffnete Deutschland nach Jahren der Abschottung auf einen Schlag das Tor für 20.000 hoch qualifizierte IT-Fachkräfte - und damit auch sich selbst für eine neue und kontroverse Debatte über Zuwanderung, die nach jahrelangem Hin und Her schließlich zur Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes führte.

Prasanna Tuladhar bezog seine erste Berliner Wohnung und trat frohgemut seine Stelle an. Schnell blieb jedoch auch ein gewisser Ärger nicht aus: darüber, dass ihm niemand gesagt hatte, dass seine Frau, eine Telekommunikations-Ingenieurin, zwei Jahre lang nicht würde arbeiten dürfen. Über den Papierkram, "the typical German bureaucracy". Und vor allem darüber, dass die Greencard unwiderruflich auf fünf Jahre befristet sein sollte. "Wenn man Leute lockt, ihre produktivsten Lebensjahre weit weg von ihrer Familie zu verbringen, muss man denen etwas bieten", sagte Tuladhar schon wenige Wochen nach der Ankunft. "Dafür, finde ich, bietet Deutschland ziemlich wenig."

Auch statistisch ließ die Attraktivität der Greencard schnell nach. Reisten innerhalb des ersten Jahres 8.600 Computer-Experten ein, waren es im zweiten lediglich noch 3.000. Und auch "Computer-Inder", wie die Greencard-Kandidaten im Volksmund wegen der dort boomenden IT-Branche genannt wurden, waren längst nicht alle: Zwar stellten Inder und Pakistanis die größte Gruppe. Zusammengenommen aber war die Gruppe der Osteuropäer immer größer. Dass nicht so viele kamen wie erwartet, mag damit zu tun haben, dass die USA-Karte immer das interessantere Pendant war. Grund war aber auch, dass bald nicht nur Interessenten, sondern auch Jobs fehlten.

Mit dem Zusammenbruch der New Economy mussten die Greeencard-Besitzer unter Beweis stellen, dass sie ihrem Ruf als moderne Arbeitsnomaden auch innerhalb Deutschlands gerecht werden können, und sich neu bewerben - wie alle anderen auch. Viel Zeit, eine neue Stelle zu finden, hatten die "High Potentials" dabei nicht. Wer arbeitslos wurde, musste je nach Bundesland binnen sechs Wochen bis drei Monaten etwas Neues gefunden haben, um nicht seine Aufenthaltserlaubnis zu verlieren.

Auch Prasanna Tuladhar wurde nicht verschont. Schon nach wenigen Monaten schloss sein "Bestjahrer"-Anbieter wieder das Portal. Der junge Nepalese wechselte zu einem anderen Dotcom-Anbieter. Auch der ging pleite. Danach, erzählt er, folgte eine der schwersten Zeiten seines Lebens. Die Ausländerbehörde drohte prompt, ihm die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen, wenn er nicht schleunigst einen neuen Arbeitgeber vorweisen könne. Er schrieb Bewerbungen in die ganze Republik. "Erst wurden Leute wie ich händeringend gesucht", sagt er, "dann waren wir alle gleichzeitig auf Jobsuche."

Schließlich stellte ihn ein Schweizer Unternehmen in München ein. Auch dort richtete er sich schnell ein. "Wer aus Nepal gekommen ist", sagt er, "für den ist es von Berlin nach München doch nur ein kleiner Schritt."

Wie viele Greencard-Besitzer sich damals anders entschieden und Deutschland schnell wieder verließen, hat niemand gezählt. "Einige dürften schon im ersten Jahr in den USA etwas Besseres gefunden haben", vermutet ein Sprecher des Landesarbeitsamtes in Berlin. Greencardler seien "äußerst mobil" gewesen, konstatiert auch Klaus Schuldes, ehemaliger Leiter des Greencard-Bereiches der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Bonn. Die erste Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, die am Beispiel München die statistisch nicht eigens erfasste Arbeitslosigkeit von Greencard-Inhabern beleuchtete, machte aber auch deutlich, dass die IT-Krise durchaus auch die High Potentials erreichte. Sieben Prozent der 1.532 in München registrierten Greencardler waren Ende 2002 arbeitslos gemeldet. Das aber, so die Autoren, sei eine "Untergrenze", weil viele sich aus Unwissenheit oder aus Angst um ihren Aufenthaltsstatus nicht beim Arbeitsamt meldeten.

Am 1. Januar 2005 ging die Ära der ersten und bisher einzigen deutschen Greencard zu Ende, ohne dass die angepeilten 20.000 Fachkräfte jemals die Bundesrepublik erreicht hätten. Es wurden nur 18.000. Abgelöst wurde die Ausnahmekarte für IT-Experten durch das Zuwanderungsgesetz, das ein Tor für Hoch- und Höchstqualifizierte aus allen Berufen offen hält. Das Kleingedruckte in den Bestimmungen hat es allerdings in sich: Als willkommener Dauer-Einwanderer gilt nur, wer mehr als 84.000 Euro im Jahr verdient, eine Million Euro im Koffer hat oder mindestens zehn Arbeitsplätze schafft.

Das, zeigt ein Blick auf die bisherige Statistik, sind nicht viele - und noch weniger, als mit einer Greencard ins Land kamen. Im letzten Jahr ihres Bestehens wanderten immerhin noch 2.200 Fachkräfte ein, im ersten Jahr des Zuwanderungsgesetzes waren es nur 900. Und im ersten Quartal diesen Jahres reisten gar nur noch 138 ein - was hochgerechnet auf den Jahresabschluss 2006 auf magere 550 neue Hochqualifizierte hinauslaufen könnte.

Einer von denen, die nach wie vor im Dienst der deutschen Wirtschaft stehen, ist der Computerexperte aus Kathmandu. Anstatt das Land nach fünf Jahren wieder zu verlassen, hat Prasanna Tuladhar eine Niederlassungserlaubnis beantragt. Er lebt immer noch in München, und zwar inzwischen zu dritt: Vor mehr als drei Jahren brachte seine Frau den ersten Sohn zur Welt.

Und aus dem Greencard-Neuling von einst ist ein selbstbewusster High Potential geworden, der Land und Leute kennt und mahnt, es sei allerhöchste Zeit, dass Deutschland sich stärker öffne. "Wenn Deutschland international wettbewerbsfähig sein will, muss es viel attraktiver werden", sagt Tuladhar. Auch er ist entschlossen, das Land wieder zu verlassen - und zwar spätestens dann, wenn sein Sohn die ersten Jahre in der Schule hinter sich hat. "Das deutsche Schulsystem ist in einem erbarmungswürdigen Zustand", sagt er. Und: "Das sagen doch sogar die Deutschen."

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.