Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 09 / 23.02.2004
Hartmut Hausmann

Sammlungspolitik im rechten Spektrum erzeugt Spannungen

Entsteht eine neue "europäische Mitte"?
Martin Schulz, Spitzenkandidat der deutschen SPD bei der Europawahl im Juni, witterte bereits Morgenluft für die bis 1999 führenden, aber beim letzten Urnengang klar zur zweitstärksten Kraft hinter der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) zurückgefallenen europäischen Sozialdemokraten (SPE) im Europäischen Parlament. Mit markigen Worten, wie "Rechtsruck der EVP-Fraktion" und "der politischen Bauchladen fliegt auseinander", kommentierte er eine Sondersitzung der EVP-Fraktion und Meldungen über Abspaltungen.

Dieses Frohlocken war sicherlich voreilig. Richtig ist aber, bei der Positionierung für die nächste fünfjährige Wahlperiode bis 2009, bei der alle sieben politischen Gruppierungen in Straßburg auf zusätzliche Verstärkung aus den neuen Beitrittsländern hoffen, hat EVP-Fraktionsvorsitzender Hans-Gert Pöttering einen deutlichen Prestigeverlust hinnehmen müssen. Durch die Aufnahme von sehr unterschiedlichen nationalen Abgeordneten und Gruppen aus dem rechtskonservativen Spektrum, von denen nicht wenige Integrationsgegner sind, hatte Pöttering versucht, eine politische Kraft zu schmieden, gegen deren Willen in Straßburg kaum etwas durchzusetzen sein sollte. Dieses Sammelbecken umfasste neben dem eigentlichen, föderalistisch proeuropäischen Kern auch die britischen Konservativen, einen Teil der französischen Gaullisten sowie Berlusconis Forza-Abgeordnete und die der spanischen Partido Popular. Diese Bandbreite politischer Grundeinstellungen aber ist wohl zu groß, als dass sie auf Dauer Bestand haben könnte, weil die Plattform der gemeinsamen Überzeugungen immer kleiner wurde.

Zum Ausbruch kam der länger angestaute Unmut, als Pöttering auf einer Fraktionssitzung eher beiläufig über ein neues Fraktionsstatut abstimmen lassen wollte. Dieses sollte den Konservativen, über ihr erneut bestätigtes Recht hinaus, in institutionellen Fragen auch gegen die Fraktionsmehrheit agieren zu dürfen, mehr eigenes Personal und per Satzung das Recht auf einen Fraktionsvizepräsidenten zugestehen. Damit sollte den von dem Abgeordneten Roger Helmer aus dem Wahlkreis East Midlands immer wieder neu forcierten Bestrebungen bei den Briten entgegengewirkt werden, sich von der EVP zu trennen und wie früher eine eigenständige Fraktion zu bilden. Dieses Entgegenkommen Pötterings könnte, so fürchten alte Fraktionsmitglieder, zu fortgesetzten Erpressungsversuchen durch die Briten führen, denn auf den besten Plätzen in England sind zur Europawahl fast ausschließlich ausgemachte Europagegener nominiert.

Zwar wurde in einer Fraktionssondersitzung zwei Tage später dem Weiterbestehen der Fraktionsgemeinschaft grundsätzlich und mit großer Mehrheit zugestimmt, aber über das einzustellende Personal sollen die Briten auch in ihrem Bereich nicht eigenständig entscheiden, verlangte die Niederländerin Ria Oomen-Ruijten. Einzelheiten des Abkommens sollen bis Ende März erarbeitet werden. Das Ja zum weiteren Zusammengehen von EVP und ED wurde, auch durch eine sehr schwache Präsenz erzeugt. Hartmut Nassauer, der Obmann der deutschen Christdemokraten, hatte seine Schäfchen mobilisiert, während seine französische Kollegin Margie Sudre ihre Abgeordneten zum Teil erst gar nicht über Pötterings Pläne informiert hatte, weil einige schon auf dem Absprung sind und die meisten anderen ohnehin dagegen gewesen wären.

Dem Anspruch der EVP als stärkste Kraft im Europaparlament wird nach Auffassung des französischen Föderalisten Jean-Louis Bourlanges der europäische Gestaltungsanspruch weitgehend geopfert. Mit anderen Fraktionskollegen der UdF, die erst vor etwa einem Jahrzehnt unter Giscard d'Estaing wegen dessen persönlicher Ambitionen von den Liberalen zur EVP gewechselt waren, legt Bourlanges den Rückwärtsgang ein und will Ende des Monats zusammen mit dem liberalen Fraktionsführer Graham Watson, linken Christdemokraten Italiens sowie belgischen Kollegen eine neue europäische Kraft der Mitte bilden.

Mögen auch führende EVP-Politiker den möglichen Absprung der UdF-Kollegen als Manöver der französischen Innenpolitik abtun, ungefährlich ist er nicht. UdF-Parteichef Francois Bayrou soll bereits zusammen mit dem früheren italienischen Spitzenkandidaten der Liberalen, Francesco Rutelli, ein Konzept für ein neues europäisches Integrationsverständnis ausgearbeitet ha-ben, das einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge zudem die ideelle und aktive Unterstützung von Kommissionspräsident Romano Prodi haben soll. Sollte eine mit einem glaubwürdigen Anspruch auftretende "Neue Europäische Mitte" tatsäch-lich konkrete Formen annehmen, könnte sie durchaus attraktiv für andere Gruppen werden, die entweder noch in bei der EVP oder bei den Grünen beheimatet sind oder wie schon bisher die katalanische CDC bei den Liberalen eine politische Heimat gefunden haben. Bis klar ist, ob aus diesen Plänen etwas wird, kann die EVP die Ereignisse noch mit einem einfachen "Managementfehler" ihres Vorsitzenden abtun.


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