Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 26 / 21.06.2004
Claus-Peter Hutter

Geschmackssinn verkümmert

Zusatzstoffe im Essen

Es ist unbestritten: Deutschland hat mit die intensivsten Lebensmittelüberwachungen weltweit. Dennoch leben die Deutschen nicht gerade gesund. Dass viele Bürger zu viele Zuckerstoffe, zu viele Fette und zu viele Kohlehydrate zu sich nehmen, ist eine Seite. Die andere Seite ist die Tatsache, dass unser Geschmack regelrecht verkümmert.

Schuld daran, so Ernst-Ulrich Schassberger, Präsident der Vereinigung der Spitzenköche Europas (Eurotoques), sind die vielen Geschmacks- und anderen Zusatzstoffe in den Fertigprodukten, die uns zunehmend feilgeboten werden. Längst haben sich die Gewichte verschoben. In den Supermärkten überwiegen heute Fertig- und Halbfertigprodukte. So manches Fertiggericht hält bei fachgerechter Lagerung zwei bis drei Jahre, und im Tiefkühlregal gibt es nahezu alles fertig zu kaufen. Gäbe es die vielen Zusatzstoffe, die die Haltbarkeit solcher Produkte ermöglichen, nicht, könnten die meisten Supermärkte gleich morgen dicht machen, so der Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Hans-Ulrich Grimm. Er kritisiert, worüber sich viel zu wenige Gedanken machen: dass Produkte nach etwas schmecken, was gar nicht drin ist. So kann die Hühnersuppe von Knorr etwa, so Grimm, mit zwei Gramm Trockenhuhn, was sieben Gramm Naturhuhn entspricht, natürlich nur den Anschein von Hühnersuppe erwecken, wenn man Aroma dazugibt.

Doch die Menschen nehmen auch infolge der Aromastoffe immer mehr zu. Gesundheitsprobleme wie Diabetes sind die Folge, und dies wird langfristig für die Sozialkassen ziemlich teuer. Laut Schätzungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) machen die Folgen der ernährungsbedingten Krankheiten in Deutschland rund 40 Milliarden Euro im Jahr aus. Würden bereits Kinder und Jugendliche in Kindergärten und Schulen zu mehr Bewegung angehalten, und würden sich die Menschen gesünder ernähren und letztlich nur zehn Prozent der Gesundheitskosten durch Übergewicht eingespart, so wäre das Reformprogramm von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) locker zu finanzieren und weder politisch noch ökonomisch ein Thema.

Geprägt durch Fertigprodukte

Doch davon sind wir noch weit entfernt. Denn viele Zusatzstoffe in den Nahrungsmitteln, wie Ge-schmacksstoffe und Geschmacksverstärker, führen dazu, dass die mit solchen Produkten erwachsen gewordenen Menschen den natürlichen Geschmack einer frischen Erdbeere, einer Pflaume oder eines Apfels einer alten Streuobstwiesen-Sorte gar nicht mehr mögen. Wer von Fertigprodukten geprägt wird, hat es schwer, davon wieder wegzukommen, da ihm das Ganze ja schmeckt und er glaubt, dies sei alles auch gut. Wir verdrängen, dass Fertignahrung tendenziell zu fett ist und zu viel Zucker enthält. Von diesen Mechanismen weiß die Nahrungsmittelindustrie. Sie baut Produkt- und Werbestrategien darauf auf. So enthalten viele Fastfood-Produkte zu viel Fett, tierisches Eiweiß und Zucker und zu wenig frische Vitamine.

Hinzu kommen andere Schadstoffe, die durch die Massenproduktion in die Nahrung gelangen können. So wunderte man sich vor nicht allzu langer Zeit darüber, dass in der Milch von Kühen plötzlich schädliche Dioxine enthalten waren. Der Ursache auf den Grund gegangen, ergab, dass die Kühe mit fertigem Tierfutter aus südamerikanischen Zitruspellets gefüttert wurden, die unsachgemäß gelagert waren. Doch fragt man sich, warum müssen unsere heimischen Kühe Zitruspellets aus Südamerika fressen, während die heimischen Wiesen zunehmend verbuschen und die Bauern nicht mehr wissen, wohin sie mit dem Gras sollen. Es sind die regionalen, überschaubaren Kreisläufe, die wir vielfach verlassen haben; auch, weil daran viel Geld zu verdienen ist. Auf der Strecke bleibt unser Geschmack, bleibt die Gesundheit vieler Bürger und bleibt die biologische Vielfalt in der Landschaft.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.