Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 29-30 / 12.07.2004
Christian Hauck

Amtierende Legende versus Stimmungskanone

Schleswig-Holstein: Das Duell zwischen zwei populären Spitzenkandidaten im Landtagswahlkampf verspricht Spannung - und Unterhaltung

Nur auf den ersten Blick ist es wie in jedem Jahr. Unmittelbar nach dem Ende der Kieler Woche ist zwar Ruhe eingezogen im frisch renovierten Landeshaus an der Förde, dem Sitz von Parlament und Staatskanzlei in Schleswig-Holstein. Doch es knistert überall. Im zweiten Stock, auf dem Flur der CDU-Fraktion, herrscht unter den Daheimgebliebenen fröhliche Stimmung: "Die Beamten grüßen uns schon wieder." Und beim Glas Wein in einer der Strandbars im Kieler Vorort Strande macht sich zu abendlicher Stunde auch schon mal ein leitender Beamter aus der Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) Luft: "Im Februar ist hier doch alles vorbei." Und tatsächlich: Acht Monate vor der Landtagswahl stehen nach 16 Jahren sozialdemokratischer Regierung im nördlichsten Bundesland die Signale auf Wechsel. Und dem Urnengang im Norden kommt diese Mal eine besondere Bedeutung zu: In Kiel steht eine rot-grüne Regierung nur drei Monate vor der möglicherweise alles entscheidenden Wahl in Nordrhein-Westfalen auf dem Prüfstand.

Auf Wechsel standen die Signale zwischen Nord- und Ostsee bereits vor fünf Jahren. Damals war Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe für die CDU angetreten, um Heide Simonis abzulösen, als ihm in letzter Minute die Spendenaffäre den sicher geglaubten Sieg verhagelte und der rot-grünen Koalition fünf weitere Regierungsjahre bescherte.

Nach dem Import Rühe versucht es die CDU jetzt mit einem Eigengewächs, ihrem Landesvorsitzenden Peter Harry Carstensen. Seit 21 Jahren vertritt der

56-jährige Agrarfachmann seine nordfriesische Heimat im Bundestag. Carstensens Pfund sind Volkstümlichkeit und Mutterwitz. Ob Seniorenveranstaltung im Kurhaus oder beim Anschnitt des Ochsen auf einem Dorffest - nach nur wenigen Minuten hat der Zwei-Meter-Hüne jede Veranstaltung im Griff, bringt mit einfachen Formeln den Saal zum Johlen. Dabei bereitet Carstensens offene, bisweilen auch unbedarfte Art den Strategen in der Parteizentrale inzwischen schon Kopfzerbrechen. Als der verwitwete Spitzenkandidat kürzlich der "Bild"-Zeitung in einer Home-Story seine private Einsamkeit offenbarte, entglitt die Angelegenheit, wurde zur mehrtägigen öffentlichen Brautschau und geriet zu einem Ärgernis für viele Parteifreunde.

Einzelne Sozialdemokraten dagegen frohlockten, dass solche Fehler des CDU-Spitzenmannes das Schicksal noch zu Gunsten von Heide Simonis wenden könnten. Bei Anhängern wie Gegnern unbestritten ist nämlich die Popularität der Regierungschefin, die gemeinsam mit ihrer Landespartei alles unternimmt, um sich vom Negativtrend der Bundes-SPD abzusetzen und sich in der laufenden Reformdiskussion mit einem eigenen Profil als "soziales Gewissen" zu positionieren. Ergänzt wird dies durch finanzpolitische Vorstöße, die Simonis immer wieder auf Gegenkurs zum Bundeskanzler bringen. Jüngstes Beispiel ist ein Konzept für eine Steuerreform "Made in Kiel", das unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Neuordnung der Erbschaftssteuer vorsieht.

Trotz manch programmatischer Duftmarken ist aber absehbar, dass der Wahlkampf nicht von Themen, sondern durch zwei Spitzenkandidaten "zum Anfassen" dominiert wird. Hier Ministerpräsidentin Heide Simonis, als erste Regierungschefin Deutschlands schon zu Amtszeiten eine Legende; dort der stets fröhliche Carstensen, der alles besser machen will.

Vieles deutet heute darauf hin, dass er mit diesem Versprechen im Februar 2005 beim Wähler ankommen wird. Unter den westlichen Bundesländern ist Schleswig-Holstein von der miserable Wirtschaftslage besonders heftig gebeutelt. Massenentlassungen in vielen Betrieben und eine durch leere Kassen zur Hilflosigkeit verdammte Politik kennzeichnen die Situation und bieten der Opposition Angriffsflächen.

Die Hoffungslosigkeit der Menschen in der überall spürbaren Wirtschaftsflaute lässt die Aktivitäten der Regierung zunehmend hektischer erscheinen. "Zukunft Meer" heißt ein Anfang des Jahres lanciertes Projekt, das die Bedeutung der Meerestechnologie für Schleswig-Holstein hervorheben soll. Bezeichnend ist auch eine kürzlich vom sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Bernd Rohwer gestartete Imagekampagne, die mit dem Schlagwort "Frischköppe" für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein wirbt. Unter der Überschrift "Glanz, Gloria und heiße Luft" kommentierte das "Flensburger Tageblatt", dass das Problem des nördlichsten Bundeslandes nicht fehlende Beispiele für Innovationskraft und Attraktivität, sondern "ein nicht mehr stimmiges Gesamtbild ist".

Kleine Parteien fest verwurzelt

FDP und Grüne haben ihre festen Plätze im Machtgefüge an der Kieler Förde. Die Liberalen sind traditionell stark in Schleswig-Holstein. Nach den Prognosen ist ihnen der Wiedereinzug in den Landtag sicher. Insgeheim fürchtet die FDP jedoch, für den Regierungswechsel nicht gebraucht zu werden. Folgerichtig betont Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki dann auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die konservative Union unbedingt ein liberales Korrektiv bedarf und liefert gleich einen entsprechenden Forderungskatalog für künftige Koalitionsverhandlungen mit ab.

Bezeichnend für die Gemütsverfassung der Grünen war der Abend der Europawahl. Mit gedämpfter Stimmung verfolgten die beiden Grünen-Minister Anne Lütkes (Justiz) und Klaus Müller (Umwelt) im Büro der Fraktions-Pressesprecherin die Hochrechnungen. Freude kam nicht auf. Zwar stellen sich die Grünen in Schleswig-Holstein auf deutliche Zugewinne ein, sehen ihre Regierungsmacht an der Seite der SPD aber schwinden. Auch wenn im Rathaus der Landeshauptstadt seit einem Jahr erfolgreich eine schwarz-grüne Koalition regiert, ist das Modell auf Landesebene keine Thema - zumindest offiziell. Und offiziell (noch) kein Thema ist auch die Frage, wie sich der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) bei einem komplexen Wahlergebnis verhalten wird. Als Partei der dänischen Minderheit ist der SSW von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und profitiert bei niedriger Wahlbeteiligung. Unvergessen ist bis heute die Wahlnacht 1979, als der Fortbestand der Regierung Stoltenberg bis in die frühen Morgenstunden vom Abschneiden des SSW abhing und bereits Telefonate zwischen Kiel, Bonn und Kopenhagen geführt wurden. Christian Hauck


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