Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 29-30 / 12.07.2004
Bernward Janzing

Deutschland ist Windweltmeister

Ökoenergie genießt in der Bundesrepublik einen vergleichsweise hohen Stellenwert

Selbst Optimisten wurden von der Realität längst überholt. Als Greenpeace im Herbst 1991 ein Energiekonzept für Deutschland vorstellte, schien das "Öko-Szenario" geradezu visionär: Im Jahr 2010, so hatten seinerzeit die Umweltschützer vorgerechnet, könnten Windkraftwerke in Deutschland 30 Milliarden Kilowattstunden erzeugen. Heute ist diese Perspektive längst Makulatur - sie war zu pessimistisch. Schon viel früher, vermutlich im kommenden Jahr, wird das Ziel von 30 Milliarden Kilowattstunden Windstrom in Deutschland erreicht sein.

Denn es ahnte damals niemand, wie schnell Deutschland sich als "Windweltmeister" profilieren würde. Die Zahlen sind beachtlich: Zum Jahresende 2003 waren in Deutschland gut 14.600 Megawatt installiert. Damit erreicht der Anteil des Windstroms in Deutschland in einem mittleren Windjahr inzwischen fast die Sechs-Prozent-Marke. In Schleswig-Holstein liegt er bereits bei mehr als einem Drittel, in guten Monaten gar bei über der Hälfte. Und spätestens wenn in wenigen Jahren die Offshore-Windkraft vor den deutschen Küsten startet, wird Schleswig-Holstein alleine durch die Windkraft zum Strom-Exporteur mutieren.

Steigende Leistungen der Anlagen sind eine Ursache für den Erfolg der Windkraft. 1992 leistete jede in Deutschland neu installierte Turbine im Mittel etwa 160 Kilowatt, im Jahr 2000 waren es bereits gut 650 Kilowatt und im vergangenen Jahr bereits fast 1,6 Megawatt. Heute werden Serienanlagen mit 2,5 und 3,6 Megawatt Leistung ausgeliefert und sogar schon Prototypen mit 4,5 und fünf Megawatt gebaut.

International steht Deutschland bei der Windkraft mit Abstand an der Spitze - rund 40 Prozent der globalen Windkraftleistung sind heute in Deutschland installiert. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Spanien und die USA, an vierter Stelle Dänemark. Pro Kopf, oder auch je Quadratmeter des Landes kalkuliert, liegt allerdings Dänemark noch in Führung. Und auch andere Länder haben sich viel vorgenommen: Großbritannien etwa möchte massiv die Offshore-Windkraft voranbringen. Drei Viertel der weltweiten Windkraftleistung ist heute in Europa installiert.

Auch beim Solarstrom steht die Bundesrepublik an der Spitze - zusammen mit Japan. Zwar bewegt sich selbst in Deutschland der Sonnenstrom mit 300 Millionen Kilowattstunden pro Jahr (2003) im Vergleich zum Verbrauch noch auf niedrigem Niveau - der Solarstrom deckt noch nicht einmal 0,1 Prozent des nationalen Verbrauchs. Doch das Wachstum ist enorm; seit 1990 ist die Menge des Solarstroms im deutschen Netz um mehr als das Hundertfache gestiegen. Und mit den verbesserten Einspeisekonditionen nach dem novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz wird das Jahr 2004 den Solarboom nochmals beschleunigen.

Mit bis zu 200 Megawatt neu installierter Kraftwerksleistung rechnet die Branche für das laufende Jahr in Deutschland, nachdem es im vergangenen Jahr rund 120 Megawatt waren. Die Entwicklung ist rasant: Mitte der 90er-Jahre lagen die jährlichen Installationszahlen hierzulande noch im einstelligen Megawatt-Bereich. Damit wird Deutschland seine vordere Position im internationalen Vergleich weiter festigen.

Auch die Wachstumsraten des solaren Wärmemarktes sind beachtlich. Zwischen Oder und Rhein hat sich die Fläche der Solarkollektoren zur Warmwassergewinnung in den Jahren 1990 bis 2003 um das Zwölffache erhöht. Mit derzeit rund fünf Millionen installierten Quadratmetern erzielt Deutschland auch in dieser Sparte eine internationale Führungsposition.

Ebenso hat die Bioenergie in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung erfahren. Binnen fünf Jahren wurde die Stromerzeugung aus Biomasse verfünffacht; mit über fünf Milliarden Kilowattstunden deckt Biomasse heute etwa ein Prozent des Stromverbrauchs. Zehnfach höher liegt die Energiemenge, die jährlich an Biowärme bereitgestellt wird. Und auch die Nutzung von Biodiesel wurde in den vergangenen sieben Jahren verzehnfacht.

Im europäischen Vergleich gehört Deutschland bei der Bioenergie inzwischen zu den führenden Ländern. Frankreich führt allerdings mit deutlichem Abstand, etwa gleichauf folgen neben der Bundesrepublik Schweden, Italien und Finnland, die in absoluten Werten jährlich auf gut 60 Milliarden Kilowattstunden genutzter Biomasseenergie kommen.

Recht weit hinten liegt der Windweltmeister im internationalen Vergleich indes bei der Wasserkraft - denn manches andere Land der Erde hat schlicht und einfach mehr Potenzial zu bieten. In Deutschland werden heute je nach Niederschlagsmenge jährlich zwischen 20 und 25 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, was etwa vier bis fünf Prozent des nationalen Stromverbrauchs entspricht. Weltweit werden dagegen heute 19 Prozent des Strombedarfs mit Wasserkraft gedeckt. Damit ist die Wasserkraft weltweit auch die derzeit meistgenutzte regenerative Energie im Stromsektor.

In jüngster Zeit hat Deutschland begonnen, seine Defizite auf dem Sektor der Erdwärme aufzuholen. Bis 2003 war Stromerzeugung aus Erdwärme in Deutschland ein Fremdwort. Dann ging in Ostdeutschland das erste einschlägige Kraftwerk ans Netz. So ist die Bundesrepublik aus internationaler Sicht bei der Erdwärmenutzung derzeit alles andere als führend. Weltweit werden heute bereits 8.000 Megawatt Strom (das entspricht der Produktion von etwa acht Atomkraftwerken) und 15.000 Megawatt Wärme aus Geothermie genutzt. Im Wärmemarkt führt Europa mit knapp 6.000 Megawatt, im Strommarkt sind Amerika und Asien führend.

Doch seit das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 in Deutschland erstmals auch für Strom aus Erdwärme eine Mindestvergütung festgelegt hat, entwickelt das Thema hierzulande wieder eine starke Dynamik. Der Vorteil der Geothermie: Die Kraftwerke können rund um die Uhr mit konstanter Leistung laufen. Ihre Erzeugung ist nicht vom Wetter abhängig - die Anlagen sind daher ein wichtiger Baustein im erneuerbaren Energiemix. Bernward Janzing


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.