Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 33-34 / 09.08.2004
Hans-Martin Schönherr-Mann

Wieweit reicht die Solidarität ?

Vorschläge zum Generationenvertrag

Wir leben in der unvollendeten Moderne - eine Diagnose, die nicht wenige teilen. Was fehlt noch zu ihrer Vollendung? Es fehlt die politische Gleichheit, - so Kurt-Peter Merk, Rechtsanwalt und Privatdozent für Politische Wissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München in einer engagierten Studie zum Generationenvertrag. Wird Gleichheit in der westlichen Welt nicht weitgehend realisiert? Im Gegenteil, so Merk: "Die rassistische und geschlechtliche Diskriminierung des Menschen wurde aufgehoben, nicht aber seine Altersdiskriminierung."

Merkwürdigerweise vertritt Merk dann aber seine daraus resultierende Forderung nach einem Wahlrecht für Kinder nicht um ihrer selbst willen. Sie dient ihm vielmehr als Hebel zur Rettung des Generationenvertrages, wenn sich die Alterspyramide umkehrt - auch deshalb, weil Kinder heute ein Armutsrisiko bedeuten. Umgekehrt, so Merk, profitieren die heutigen Rentner wie keine Generation vor und nach ihnen von der Altersversorgung. Da diese Gruppe immer größer wird, wächst ihr politischer Einfluss. Keine Partei wird es riskieren, den Rentnern einen Beitrag abzuverlangen, der die jüngeren Generationen wieder entlastet, will sie nicht eine große Gruppe von Wählern verprellen.

Der Generationenvertrag steht vor seinem Scheitern. Das muß in der Tat nicht verwundern; seine Gründung beruht auf einem Geburtsfehler. 1955 legte der Ökonom und Mathematiker Wilfried Schreiber ein Gutachten zur Reform der Sozialsysteme vor. An Stelle einer kapitalgedeckten Rente empfahl er einen Generationenvertrag, der allerdings anders als der dann realisierte drei Generationen miteinander verbinden wollte. Schreiber betonte den Gedanken eines Versorgungsanspruches von Kindern auch vor dem Hintergrund von kinderreichen und kinderarmen Familien. Für ihn gehörten drei Generationen zu einem Generationenvertrag, die Generation der Rentner, der Berufstätigen und die der Kinder. Doch Adenauer kappte den Generationenvertrag um die letzte Gruppe mit den überlieferten Worten: "Kinder kriegen sie sowieso."

Wie kann man dem Zusammenbruch des verkürzten Generationenvertrages begegnen? Für Merk kann die Antwort nur heißen, die Generation der Kinder, also die dritte Generation, in den Vertrag einzubeziehen, und zwar derart, dass Rentner und Kinderlose stärker belastet und Kinder ins soziale Versorgungssys-tem aufgenommen werden. Werden sich aber Rentner wie Kinderlose derartigen Reformbemühungen nicht erfolgreich widersetzen?

Wie kann man die Gruppe der Berufstätigen mit Kindern politisch stärken? Hier entdeckt Merk nun besagte Lücke im demokratischen System: Auch Kindern steht, so Merk, von Geburt an das Wahlrecht zu, von dem Augenblick an wo sie eigenständige Träger von Rechten werden können. Realisieren möchte Merk diese Idee einerseits durch Senkung des Wahlalters, andererseits sollen die Eltern ihre kleineren Kinder bei der Wahl vertreten.

Am Prinzip der einen Stimme pro Person als aufklärerischem Gleichheitsgrundsatz möchte er festhalten. Ja, durch das Kinderwahlrecht vollendet sich überhaupt erst das allgemeine gleiche Wahlrecht, also die politische Gleichheit. Der Rückgriff auf die Tradition entwickelt ein Grundrecht, dem sich die Rentnergeneration und die Gruppe der Kinderlosen argumentativ nicht widersetzen können - so der Merksche Hintergedanke, der ihn dann auch zu Worten greifen lässt, die in seinem Sinne zwar verständlich klingen, deren Pathos aber ziemlich schräg tönt: "Am Demokratiebegriff orientiert, führt die Aufhebung der Altersdiskriminierung zur Verwirklichung der von der Aufklärung geforderten politischen Gleichheit der Menschen. Die Moderne wäre vollendet."

Merk überbetont das Politische im Begriff der Moderne und setzt zu große Hoffnungen auf die Politik. Sicherlich spricht angesichts einer alternden Gesellschaft nichts dagegen, das politische Gewicht der jüngeren Generationen zu stärken.

Aber eine Änderung des Generationenvertrages wird wahrscheinlich aus ökonomischer Dringlichkeit eingeleitet, und dann eher durch die Einschränkung desselben, kaum durch die Ausweitung des Sozialstaates. Nicht allein dass Merks Vorschlag sich dem neoliberalen Geist der Zeit entzieht. Das wäre ehrenwert. Doch Ausweitung ökonomischer Staatstätigkeit löst selten die Probleme, um die es dabei geht.

Hans-Martin Schönherr-Mann

Kurt-Peter Merk

Die Dritte Generation.

Generationenvertrag und Demokratie -

Mythos und Begriff.

Shaker Verlag, Aachen 2003; 190 S., 28,- Euro


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