Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 33-34 / 09.08.2004
Nicole Alexander

Kein Beruf ohne Schule

Damals ... vor 35 Jahren am 14. August 1969: Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Berufsbildungsgesetz

Kein junger Mensch, der heute in die Arbeitswelt eintritt, kann noch damit rechnen, dass er das Rüstzeug einer relativ kurzen Ausbildung lebenslang anwenden kann. Das bedeutet keineswegs eine Abwertung der Ausbildung; ihr kommt aber jetzt und in Zukunft eine ganz andere Rolle zu. Sie muss eine breite funktionale Grundlage für den ganzen weiteren Berufsweg bilden. Die Fragen der Fortbildung und beruflichen Neuorientierung werden in Zukunft gleichrangig neben der erstmaligen beruflichen Ausbildung stehen." Diese Sätze stammen nicht etwa aus der aktuellen Debatte über die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen im Zeitalter der Globalisierung. Gesagt wurden sie 1969 - vom Minister für Arbeit und Sozialordnung Hans Katzer (CDU) bei den Beratungen über das Berufsbildungsgesetz.

Mit diesem wurde ein Meilenstein in der Geschichte der beruflichen Bildung gesetzt. Denn nicht nur lag dem Gesetz ein neues Bildungsverständnis zugrunde, das lebenslanges Lernen, Flexibilität und Mobilität der Arbeitnehmer als Voraussetzungen erkannte, um in der modernen Arbeitswelt zu bestehen. Vor allem wurde mit ihm erstmals der betriebliche Teil der auf dem "Dualen System" beruhenden Lehrlingsausbildung bundeseinheitlich geregelt.

Das Duale Ausbildungssystem, in dem der Betrieb für die praktische Ausbildung des Lehrlings verantwortlich ist und die Schule für die theoretische, hat in Deutschland eine lange Tradition. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Berufsschulen, deren Besuch für alle Lehrlinge Pflicht war. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das Duale System zum Erfolgsmodell. Eine bundesweite gesetzliche Regelung der betrieblichen Ausbildung - für die Berufsschulen sind die Länder zuständig - scheiterte immer wieder an den unterschiedlichen Interessen von Regierungen, Wirtschaft und Gewerkschaften.

Daher galten bis 1969 für die bundesdeutschen Lehrlinge teilweise völlig veraltete Gesetze. Vertragsrecht und öffentlich-rechtliches Berufsbildungsrecht waren nur lückenhaft geregelt. Der Bericht des Deutschen Bildungsrates zur Verbesserung der Lehrlingsausbildung, der Ende März 1969 veröffentlicht wurde, machte auf weitere Missstände aufmerksam.

Die Kommission kritisierte, dass die Ausbildung der fast 1,4 Millionen Lehrlinge als Selbstverwaltungsaufgabe der Wirtschaft verstanden und betrieblichen Interessen oftmals untergeordnet werde. Außerdem bemängelte sie, dass die Kontrolle der Ausbildungsqualität Sache der Kammern sei, deren Mitglieder eben die Betriebe seien, die kontrolliert werden sollten. Der Bildungsrat schlug daher vor, in die zur Überprüfung bestimmten Gremien auch Vertreter der Arbeitnehmer, Berufsschullehrer und Lehrlinge aufzunehmen. Schließlich monierte er, dass viele Lehrlinge im Betrieb unzureichend ausgebildet würden, weil das Arbeitsprogramm der Lehrfirma einseitig sei.

Den Bericht des Bildungsrates wiesen Spitzenverbände der Wirtschaft empört zurück. Einstimmig erklärten sie, den Urteilen der Kommission lägen Tatsachenfeststellungen "auch nicht andeutungsweise zugrunde". Der Bundestagsausschuss für Arbeit hingegen, der mit der Ausarbeitung des Berufsbildungsgesetzes beauftragt worden war, bemühte sich, die Kritik der Kommission in dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen.

Dieser legte bundesweit einheitliche Qualitätskriterien für Ausbilder und Ausbildungsstätten fest. Der Prüfungsausschuss der Kammern, vor dem die Auszubildenden ihre Abschlussprüfungen ablegen, sollte in Zukunft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt werden. Auch jene Lehrer, die an berufsbildenden Schulen unterrichteten, sollten in ihm vertreten sein.

Außerdem sah der Entwurf eine stärkere staatliche Kontrolle der Lehrlingsausbildung vor - garantiert durch zahlreiche Ausschüsse auf Bundes- und Landesebene.

Einigen Jugendverbänden ging der Gesetzentwurf nicht weit genug. Sie protestierten dagegen, dass das geplante Gesetz die Berufsausbildung nicht als öffentliche Aufgabe anerkenne und die gemeinsame Finanzierung der Berufsausbildung durch alle Betriebe nicht vorsehe. Ungeachtet dieser Proteste wurde der Gesetzentwurf am 14. August 1969 vom Bundestag verabschiedet. Die öffentliche Diskussion um das Duale Ausbildungssystem war damit allerdings noch längst nicht beendet. Nicole Alexander


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