Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 48 / 22.11.2004
Cordula Tutt

"Wir werden viele sein, die von wenigen etwas wollen"

Der Ton zwischen den Generationen wird rauer - der wahre Konflikt aber wird künftig zwischen Arm und Reich ausgetragen

Viele Ältere hören nicht gern, was Hanne Schweitzer fordert. "Es muss doch möglich sein, dass sich jemand mit 80 Jahren an die Kinokasse setzt, um Geld zu verdienen", sagt die Kölnerin. Was für viele nach Arbeitszwang statt Ruhestand klingt, ist für die Leiterin des "Büros gegen Alterdiskriminierung" etwas Positives. Ihr Verein beklagt zwar, dass der Ton zwischen Jung und Alt rau geworden ist, dass Ältere kaum noch Chancen am Arbeitsmarkt haben und von manchen sogar als Last betrachtet werden. Schweitzer und ihre Mitstreiter wollen deshalb aber Regeln abschaffen, die viele als Schutz empfinden. Schweitzer argumentiert, Extra-Regeln für Ältere hätten sich inzwischen zu unüberwindbaren Hürden für sie entwickelt.

Zum Beispiel die Bezahlung nach Lebensalter: Die schade Älteren auf Jobsuche, weil sie Arbeitgebern zu teuer wären. "In Deutschland wird man im öffentlichen Dienst ja teils fürs Sesselpupen bezahlt, und nach drei Jahren gibt es die Gehaltserhöhung", sagt Aktivistin Schweitzer. "Wir brauchen eine Bezahlung nach Leistung." Niemand solle auch das Arbeiten verwehrt bleiben, wenn die Rente künftig nicht mehr reicht oder es einfach Spaß macht. Auch Politiker verstünden oft noch nicht, was Älteren nütze, meint die Frau, die ihr eigenes Alter nicht preisgibt. Sie schürten den Kampf zwischen den Generationen. "Sie helfen dabei, die Alten zu Sündenböcken zu machen. Alte sind an allem schuld: Es sind so viele, und dann leben die auch noch so unverschämt lange."

Die Wirtschaft in Deutschland lahmt, die Sozialkassen sind marode. Das Volk altert und schrumpft. Die Alten leben länger, es werden weniger Junge geboren. Da wird der Ton schärfer, weil viele glauben, nicht mehr den gerechten Anteil an Chancen und Sicherheit zu bekommen. Besonders umstritten ist der Generationenvertrag der Sozialversicherungen für Rente, Gesundheit und Pflege, nach dem Jüngere die Älteren über ihre Beiträge mit finanzieren.

Wer ist schuld? Die Alten, sagen Junge - Deutschland sei auf dem Weg zur Altersdiktatur. Die Jungen, sagen Alte - mit dem Jugendwahn müsse Schluss sein. Manche sprechen schon von Sozialdarwinismus, jenem kruden Gesellschaftsverständnis, wonach das Dasein ein Kampf ist und der Stärkere überlebt.

Der Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, fordert im Buch "Das Methusalem-Komplott", seine Generation 40+ solle sich zusammenrotten und den neuen Rassismus, den Jugendwahn, bekämpfen. Der heute 25 Jahre alte Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder,brachte sich wirksam ins Gespräch, als er forderte, nicht jeder 85-Jährige brauche ein Hüftgelenk auf Kosten der Sozialkassen. Junge klagen, sie zahlten zuviel, nämlich mehr als ein Drittel ihres Gehalts und die Ökosteuer in die Renten- und Krankenkassen. Die britische Lobby-Gruppe "Age Concern" beklagt, auf der Insel hätten Ältere Probleme, einen Kredit zu bekommen, und sie würden durch die Wartelisten-Medizin benachteiligt. Der Moderator Max Schautzer verlor seinen ARD-Vertrag und fühlt sich wegen seiner 63 Jahre abgestempelt. Kommunen streiten mit Kindern um Pflegekosten für deren Eltern, Gerichte setzen den Generationenvertrag zwangsweise ein.

Das Gewicht der Alten in der Gesellschaft steigt. Das macht manchen Angst. Ob das mehr Macht oder eher mehr erzwungene Abstriche bedeutet, ist aber noch nicht ausgemacht. Nach der mittleren Prognose des Statistischen Bundesamtes (Destatis) wird 2050 die Hälfte der Bevölkerung älter als 48 Jahre alt sein, ein Drittel sogar über 60 Jahre. Schon bald nach dem Jahr 2010 wird sich der Anteil der Alten - und damit der von Rentenzahlungen Abhängigen - stark vergrößern. Schon seit Jahren werden mit statistisch gesehen 1,4 Kindern je Frau weniger Menschen geboren als sterben. Zurzeit ist noch ein Fünftel der Menschen im Land jünger als 20, sie werden in 45 Jahren aber nur noch ein Sechstel der Bevölkerung ausmachen.

Schon jetzt spielt das Argument der Masse eine Rolle - in der Demokratie hilft es ja eigentlich, viele zu sein. Zur letzten Bundestagswahl drohte der Präsident des Sozialverbandes VdK, Walter Hirrlinger, wegen der Rentenreform indirekt mit Boykott gegen Rot-Grün: "Ich kann den 20 Millionen Rentnern nur raten, sich ihre Stimmzettel genau anzusehen." Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ludolf von Wartenberg, argumentierte umgekehrt: "Schon heute hängen die Hälfte der Wähler von Sozialtransfers ab. Reformen werden da in Zukunft noch schwerer durchzusetzen sein."

Wirtschaftsforscher warnen vor schärferen Verteilungskämpfen. Das ohnehin schwache deutsche Wirtschaftswachstum werde langfristig kläglich ausfallen, wenn künftig weniger Menschen arbeiten. Alle reden vom lebenslangen Lernen, aber kaum einer investiert in die Fortbildung von Mitarbeitern, damit die auch mit über 50 oder 60 noch innovativ und motiviert sind. Die rot-grüne Regierung propagiert das Prinzip der Nachhaltigkeit, tut aber wenig, die nächste Generation von der erdrückenden Staatsschuld zu befreien, die rund 1,4 Billionen Euro ausmacht. Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen hat dazu noch die implizite Verschuldung draufgeschlagen, also zum Beispiel auch Ansprüche an die Solidarsysteme, die noch nicht bezahlt sind. Er kommt auf das Fünffache und spricht von "Zechprellerei auf Kosten unserer Kinder".

Das wirkt erdrückend. Einiges geht aber beim Streit um Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt auch durcheinander. Die, die jetzt meinen, man müsse besser auf Seiten der Jungen stehen, gehören wahrscheinlich zu den ersten Alten, die wirklich bangen müssen um ihre Rente, ihre Dritten Zähne und die Pflege. Trotz gängiger Argumente haben nicht die heutigen Alten "Schuld". Sie haben ja meist ihren Teil des Generationenvertrags erfüllt: Auch wenn sie früh in Rente geschickt wurden, haben sie jahrzehntelang in die Kassen eingezahlt und sie haben Kinder bekommen. Die, die heute im mittleren Alter sind, stehen anders da.

"Das sind die größten Verlierer der Sozialreformen, aber sie können auf hohem Niveau jammern", sagt Finanzwissenschaftler Raffelhüschen. "Die heute 30- bis 50-Jährigen haben eigentlich kein Problem, sie sind das Problem. Nur manche haben ihre Bringschuld erbracht: die Kinder." Im Grunde geht es darum, dass Kinder haben teuer ist. Darauf verzichten viele. Keine Kinder zu haben, wird für die Gesellschaft in Zukunft teuer. Raffelhüschen, der in der Rürup-Kommission der Bundesregierung saß, sieht den Generationenkonflikt erst noch kommen. "Wir werden viele sein, die von wenigen was wollen." Ist dann Sozialdarwinismus in Sicht? "Das wird vielleicht zum Unwort des Jahres 2012 erklärt", sagt er.

Wenn das Sozialsystem nicht mehr so viel leistet, wenn Lebensläufe unterschiedlicher werden, ist auch naheliegend, dass ein anderer Gegensatz wichtiger wird. Es deutet einiges darauf hin, dass der Konflikt zwischen Arm und Reich härter ausgefochten wird. Kinderlose haben mehr Geld als Familien. Wer erbt, steht besser da, als der, in dessen Familie kein Geld übrig ist. Die Alten werden bis zum Jahr 2010 in Deutschland schätzungsweise 2,2 Billionen Euro vererben. Und statistisch gesehen verschenken Großeltern im Monat etwa 300 Euro an Kinder und Enkel, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet. Nur fallen solche Wohltaten sehr unterschiedlich aus.

Wenn der Staat sich zurückzieht und Unterschiede wachsen, wird es auch wichtiger sich zu wehren. Deshalb setzen viele Hoffnung auf ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das die rot-grüne Regierung seit langem versprochen hat. In den USA gibt es schon seit 1967 ein Gesetz speziell zum Schutz vor Altersdiskriminierung. Jobsuchende geben im Lebenslauf ihr Alter nicht an, auf Fotos wird verzichtet, selbst die Beschäftigungsdauer in einzelnen Firmen ist tabu. Das könnte auch in Deutschland langsam kommen. Ältere werden dann künftig weniger als bisher nach dem Senioritätsprinzip die besser bezahlten Posten bekommen. Sie werden aber eher als heute überhaupt einen Job finden - auch wenn die Rente nicht mehr reicht.

In den USA ist Arbeit bis ins hohe Alter schon heute nicht ungewöhnlich. 67-Jährige suchen Teilzeitjobs, geschiedene Frauen machen sich mit 63 selbstständig, wenn die Rente nicht reicht.

Hanne Schweitzer hält deshalb Regeln zum Schutz vor Diskriminierung für wesentlich: "So ein Gesetz ist ganz wichtig, um den gesellschaftlichen Frieden aufrecht zu erhalten." Es sei aber nicht nur gut für Ältere. "Das wird ja umso wichtiger für die Jungen, wenn die mal in der Minderheit sind." Die Kölnerin aus einer deutsch-amerikanischen Familie hofft zudem auf Einfallsreichtum und Optimismus unter den neuen Alten. Ältere hätten bisher noch kaum Vorbilder, meint sie. Die künftigen Alten hätten sich schon früher anders engagiert und könnten das fortsetzen. "Die sind bürgerbewegt." Schweitzer hat vor Jahren, als 20-Jährige, aber bereits ein Bild für selbstbewusstes Altern in Kalifornien gefunden. "Da fuhren Motorradfahrer auf Harley-Davidsons heran - und als sie die Helme abnahmen, hatten sie weiße Haare. Ich war die einzige unter all diesen Amerikanern, die das verblüffend fand."

Die Autorin ist Redakteurin bei der "Financial Times Deutschland" und lebt in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.