Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
K. Rüdiger Durth

Berlin erhält nur eine Mini-U-Bahn

Schildbürgerstreich "Kanzlerlinie"

Für die einen ist sie schlicht ein Schildbürgerstreich, für die anderen zu teuer, für alle aber eigentlich überflüssig - die U 5 vom künftigen Hauptbahnhof, der im Jahr 2006 in Betrieb genommen werden soll, bis zum Alexanderplatz. Im Volksmund heißt dieses U-Bahn-Stück denn auch "Kanzlerlinie" - doch nicht nach dem jetzigen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), sondern seinem Vorgänger Helmut Kohl (CDU). Als feststand, dass Berlin wieder Hauptstadt und Regierungssitz werden würde, wollten die Planer auch den künftigen Hauptbahnhof mit dem Kanzleramt sowie dem Reichstag als Sitz des Deutschen Bundestages sowie dem Zentrum von Berlin-Mitte, dem Alexanderplatz verbinden. Gedacht, geplant und gebaut.

Als der unterirdische Rohbau 2001 bis zum Brandenburger Tor fertig war, wurde der Weiterbau gestoppt. Vor allem deshalb, weil der Berliner Senat kein Geld für solche aufwändigen Bauprojekte mehr hatte. Aber auch, weil niemand einsah, warum man ausgerechnet für die kurze Strecke vom künftigen Hauptbahnhof bis zum Brandenburger Tor eine U-Bahn benötigte, schließlich kann man diese Strecke in wenigen Minuten zu Fuß zurücklegen. Freilich, diese neue U-Bahn-Linie sollte in erster Linie den neuen Hauptbahnhof mit dem Alexanderplatz verbinden, obwohl das binnen weniger Minuten mit zahlreichen S-Bahn-Linien möglich ist, die der Bevölkerung vertraut sind und die jetzt schon unter der Glaskuppel des künftigen Hauptbahnhofs halten.

Doch es gab noch einen anderen Grund für den Baustopp dieser überflüssigen U-Bahn-Linie: Hätte man sie weiter gebaut, wären nicht nur die meisten der mehr als 300 Linden eben "Unter den Linden" in Gefahr gewesen, sondern hätten sich Geschäftsleute und Bürger mit einer jahrelangen Baustelle im Zentrum der Bundeshauptstadt abfinden müssen. Für die Touristen alles andere als attraktiv. Also legte man kurzerhand den Weiterbau der U 5 zu den Akten. Aus dem Bundeskanzleramt kam auch kein Protest. Zunächst jedenfalls nicht. Schließlich hieß der Hausherr dort auch nicht mehr Kohl, sondern Schröder.

Nun war guter Rat teuer, was man mit der U-Bahn-Röhre im fertiggestellten Rohbau machen sollte? Die einen schlugen vor, dort unter Kanzleramt und Reichstag Pilze zu züchten. Die anderen luden zur Angie-Oper (die das Leben der Oppositionsführerin Angela Merkel zum Inhalt hat). Dritte wiederum nutzten den U-Bahn-Schacht für Werbeveranstaltungen. Doch das alles machte die Bundesregierung hellhörig, Selbstverständlich auch den Bundesrechnungshof. Das Ergebnis war für den seit langem knapp bei Kasse befindlichen Berliner Senat niederschmetternd: Auch der Deutsche Bundestag forderte den Bundeszuschuss von 147 Millionen Euro zurück.

Plötzlich kam wieder Bewegung in die Sache mit dem ruhenden U-Bahn-Schacht: Bund und Land Berlin einigten sich, dass der U-Bahn-Betrieb im Jahr 2006 auf dem fertiggestellten kleinen Teilstück aufgenommen wird. Damit das auch möglich ist, wird gegenwärtig auf dem Pariser Platz auf der östlichen Seite des Brandenburger Tors ein U-Bahn-Zugang gebaut. Dann rollt brav eine U-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor hin und her. Das setzen lohnt sich erst gar nicht.

Doch damit allein gab sich der Bund selbstverständlich auch nicht zufrieden. Ist die kurze Strecke erst einmal in Betrieb, muss sie bis zum Alexanderplatz verlängert werden. Doch nicht schon ab 2007, wie ursprünglich mit dem Bund als Kompromiss ausgehandelt, sondern wohl erst 2010 oder später. Der Senat hat für die überflüssige U-Bahn kein Geld, denn die Verlängerung vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz wird schätzungsweise 475 Millionen Euro kosten. Nach dem gegenwärtigen Stand. In fünf oder noch mehr Jahren sind es mit Sicherheit eine halbe Milliarde und mehr Euro. Übrigens: Die Bauzeit soll um die sieben Jahre betragen.

Schon heute ist sicher, dass die U 5 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor zu einer Touristenattraktion wird. Je nachdem, in welchem Takt die Bahnen fahren, sind die im Hauptbahnhof ankommenden Touristen schneller zu Fuß in der Reichstagskuppel als mit der Kanzlerlinie. Hartmut Mehdorn, der DB-Chef, hat freilich auch noch mit einer anderen Anbindung seines Hauptbahnhofes Probleme. Und das verhält sich so: Der Hauptbahnhof, der an der Stelle des alten Lehrter Stadtbahnhofs errichtet wird (und deshalb mit vollem Namen "Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof" heißt), ist nicht in den Nordosten der Hauptstadt angebunden; sieht man von Buslinien einmal ab.

Und so kam der Senat der DB entgegen - mit dem Bau einer Straßenbahnlinie, in Berlin schlicht Tram genannt. Sie sollte vom künftigen Hauptbahnhof, der im ehemaligen Grenzgebiet liegt, bis zum Nordbahnhof (einer S-Bahn-Stadtion) führen. Das wäre zugleich der Versuch gewesen, aus dem Ostteil der Stadt die Straßenbahn (wo sie durch die DDR erhalten blieb) in den Westteil weiterzuführen (wo man sie zu Gunsten der U-Bahn und einem dichten Busnetz abgeschafft hatte) - wenn auch nur für 200 Meter. Doch auch hier fehlt dem Senat das notwendige Geld (gleiches gilt für eine Straßenbahn durch die Leipziger Straße zum Bundesrat und weiter zum Potsdamer Platz).

Außerdem machen die Bewohner zwischen künftigem Haupt- und Nordbahnhof mobil gegen einen geplanten Stadtbahnring mit Straßenbahn. Sie wollen noch mehr Lärm verhindern. Und noch mehr Verkehr. Doch dieser wird automatisch durch den Hauptbahnhof entstehen, der künftig nicht nur die Ost-West-Verkehre aufnimmt (wie der Bahnhof Zoo), sondern auch die Nord-Süd-Verkehre. Wie auch immer: Der neue Hauptbahnhof der Bundeshauptstadt wird (vorerst) nicht mit einer Straßenbahn an den innerstädtischen Verkehr angebunden, dafür mit einer Mini-U-Bahn. Und einem Hafen für Wassertaxis. Mit diesen kann man freilich schnell zumindest bis an den Rand des Alexanderplatzes gelangen. Allemal ins Nikolai-Viertel und zum Roten Rathaus.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.