Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005

Ungemütliche Schule bringt nichts

Interview mit Elvira Surrmann, Referentin für Suchtprophylaxe in Berlin
Was kann die Schule, was können Lehrer tun, um Schüler vor einer Drogenkarriere zu bewahren? Können hier Defizite, die im familiären Umfeld liegen, ausgeglichen werden? "Das Parlament" sprach mit Elvira Surrmann, Referentin für Suchtprophylaxe der Berliner Senatverwaltung für Bildung, Jugend und Sport.

Das Parlament:

Was kann die Institution Schule im Bereich der Drogenprävention leisten?

Elvira Surrmann: Wenn die Schule im Bereich der Prophylaxe gut ist, dann sorgt sie dafür, dass die Faktoren, die zur Sucht führen, in der Schule möglichst nicht vorkommen. Dass die Kinder nicht zu sehr unter Druck stehen, dass sie nicht vernachlässigt werden, also in den Lehrern Ansprechpartner haben. Dazu gehört auch, dass die Lehrer ein Auge auf die Schüler haben, die ihnen auffallen. Die Lehrer haben den Auftrag, sich diese Schüler im Sinne einer suchtgefährdenden Diagnostik genauer anzuschauen.

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Sind Lehrer denn dafür qualifiziert?

Elvira Surrmann: Nein, eigentlich nicht. Aber wir hier in Berlin haben uns diese Qualifikation selber entwickelt. Seit ungefähr 18 Jahren müssen alle jungen Lehrer, die hier ihr zweites Staatsexamen machen, ein mindestens zweitägiges Seminar zur Einführung in die Suchtprophylaxe machen. Außerdem gibt es an jeder Schule Kontaktlehrer, die weitere Seminare zum Thema belegen und sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch treffen. Darüber hinaus haben wir in jedem Bezirk je nach Größe zwei bis drei Koordinatoren, die die Arbeitskreise der Kontaktlehrer leiten und in enger Zusammenarbeit mit mir und den Kontaktlehrern das Berliner Prophylaxesystem entwickeln. Dazu gehört auch eine Website, auf der aktuelle Untersuchungen zu Suchtverhalten von Jugendlichen abrufbar sind, die über Veranstaltungen informiert und eine Kontaktplattform bietet.

Das Parlament:

Welche Rolle spielen denn klassische Informationsveranstaltungen zur Suchtprävention?

Elvira Surrmann: Es gibt immer noch Informationsveranstaltungen an Schulen, aber das halten wir nicht für sinnvoll, wenn sie nicht in ein umfassendes Konzept eingebettet sind. Wir wissen, dass Sucht eine Krankheit ist. Kennen Sie jemanden, der aufgehört hat zu rauchen, weil er wusste, dass das Zeug gefährlich ist?

Das Parlament:

Die Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat aber gezeigt, dass die Angst um die Gesundheit viele Jugendliche davon abhält, Drogen zu nehmen.

Elvira Surrmann: Ich denke, das funktioniert bei gefährdeten Kindern und Jugendlichen nicht in der schlichten Abfolge, dass auf Aufklärung Suchtfreiheit folgt. Es funktioniert vielleicht bei Kindern, die mit Drogen erst gar nicht experimentieren oder es auch wieder lassen können. Zum anderen fallen die Informationsveranstaltungen in den Bereich Abschreckung, die erzeugt wiederum Angst und ist vom pädagogischen Standpunkt aus ungeeignet, etwas zu vermitteln, weil Angst das Lernen blockiert. Wenn sie Kindern Raucherbeine zeigen, dann sagen die: Ich rauche nie. Aber das ist nicht langfristig, denn es wird nicht gelernt.

Das Parlament:

Hat die Schule denn überhaupt Einflussmöglichkeiten auf die Einstellung der Jugendlichen?

Elvira Surrmann: Das hat sie dann, wenn die Lehrer die Jugendlichen als Menschen fordern und eine tragende Beziehung aufbauen können. Wichtig ist, dass jemand da ist, wenn ein Schüler Hilfe braucht. Wenn das Klima gut ist, gibt es auch weniger Probleme mit Drogen. Das heißt nicht, dass es keine gibt, die Probleme werden ja auch von außen herangetragen. Aber die Schulen können darauf angemessener reagieren.

Das Parlament:

Kann es nicht sein, dass Schulen mit einem positiveren Klima in weniger problematischen Bezirken liegen, wo die Schüler nicht so rauschmittelanfällig sind?

Elvira Surrmann: Wir haben in den 90er-Jahren eine Untersuchung an Zehlendorfer Gymnasien gemacht, die gezeigt haben, dass diese Schüler ein bis eineinhalb Jahre früher beginnen, Drogen zu konsumieren, als vergleichbare Schüler in anderen Bundesländern. Reiche Eltern bereiten ihren Kindern keine bessere Jugend als arme.

Das Parlament:

Was halten Sie denn von Projektwochen mit Drogeneinrichtungen, in denen sich Jugendliche das Wissen selber erarbeiten?

Elvira Surrmann: Projekte sind besser als Aufklärung und können auch greifen. Die Informationen die man dann gibt, werden nicht einseitig vom Lehrer an die Schüler weiter gegeben, sondern kommuniziert durch Frage und Antwort. Da kann bei den Drogen konsumierenden Jugendlichen das hergestellt werden, was ihnen normalerweise fehlt, nämlich die Kommunikation mit Erwachsenen.

Das Parlament:

Wird das Thema Drogen in der Berliner Drogenprävention gar nicht angesprochen?

Elvira Surrmann: Doch. Zum Beispiel Alkohol steht auf dem Stundenplan, und im Moment sind die Projekte stark auf das Rauchen ausgerichtet. Wir haben die Nichtraucherschule, in der eine ganze Schule ein Konzept entwickelt, wie sie eine rauchfreie Schule sein kann. Wir haben einen Wettbewerb, in dem eine ganze Klasse sich verpflichtet, ein halbes Jahr nicht zu rauchen. Wir haben die Raucherecken an den Schulen abgeschafft. Aber so etwas darf aber nicht alleine stehen. Wenn eine Schule Sucht fördernd ist, also ein ungemütliches Klima hat und Lehrer, die sich nicht um die Schüler kümmern, dann bringt das alles nichts.

Das Parlament:

Projekte und Unterrichtsaufklärung sind also ihrer Einschätzung nach weniger effektiv, als Lehrer suchtpädagogisch zu schulen und ein gutes Verhältnis zu den Schülern zu entwickeln ?

Elvira Surrmann: Ja, das würde ich so einschätzen. Wichtig für uns ist, dass die Lehrer Suchtprobleme erkennen und dann auch mit den Eltern ins Gespräch kommen, denn sie können den Kindern nichts gegen die Familienregeln vermitteln. Auf Elternabenden sagen Mütter oft: Mir ist es lieber, mein Zwölfjähriger raucht zuhause als heimlich auf der Straße.

Das Parlament:

Wie gehen Eltern am besten mit kiffenden oder rauchenden Jugendlichen um?

Elvira Surrmann: Wenn Jugendliche anfangen, sich Verboten zu widersetzen als Mittel der Ablösung von den Eltern, ist das in Maßen auch in Ordnung, also gelegentliches heimliches Rauchen. Wenn Kinder aber beispielsweise regelmäßig Alkohol trinken, sollten Eltern sich als erstes überlegen, was sie selber dazu beigetragen haben. In der Regel haben solche Kinder keine Ansprechpartner zuhause. In jedem Fall tun die Erwachsenen den Kindern keinen Gefallen, wenn sie ihnen Freiräume für Erwachsene zugestehen.

Das Parlament:

Ist das auch der Gedanke, der hinter der Abschaffung der Raucherecken an den Berliner Schulen steckt.

Elvira Surrmann: Ja. Die Kinder rauchen natürlich woanders. Aber sie lernen, dass es einen Ort gibt, an dem rauchen nicht erlaubt ist. Das heißt die Vorstellung, dass rauchen zum Leben gehört wie essen und trinken, wird gebrochen. Wir haben auch viele positive Rückmeldungen von den Schülern bekommen.

Das Parlament:

Sind Zigaretten deshalb so wichtig, weil sie die erste Einstiegsdroge ist?

Elvira Surrmann: Das sind sie erst einmal, weil sie so leicht verfügbar ist. Und dann enthält Nikotin Substanzen, die auf Stimmungstiefs einwirken, die heutzutage recht häufig vorkommen. Es gibt Kinder, die mit dem Rauchen nicht aufhören können, weil sie süchtig sind, deshalb müssen wir ihnen etwas anbieten, das dem Krankheitscharakter der Sucht gerecht wird. Wir haben Lehrer ausgebildet, die Ausstiegskurse für rauchende Schüler anbieten. Unser Ziel ist es, an jeder Schule so einen Lehrer zu haben. Den Schülern, die es dann immer noch nicht schaffen, bieten wir dann eine psychologische Betreuung an - in Kooperation mit den Eltern.

Das Parlament:

Was heißt Suchtprophylaxe in der Schule in Zukunft?

Elvira Surrmann: Viele Kinder kommen schon mit Entzugserscheinungen auf die Welt, weil die Mütter zuviel geraucht oder Kaffee getrunken haben. Wir müssen also unsere Elternarbeit erheblich ausbauen und auch früher ansetzen. Wir bieten ein Projekt zur Suchtprophylaxe in der Kita und Grundschule an, das auf der Basis von Psychomotorik Suchtprophylaxe für junge Kinder ermöglicht. Eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und in der Folge eine ausgedehnte Fernseh- und Computernutzung sind sichere Schritte auf dem Weg in eine Suchtgefährdung.

Das Interview führte Susanne Balthasar.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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