Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
Andreas Elter

Medikamentensucht: Geschäft und Kosten

Kurz notiert

Im Jahr 2002 wurden in Deutschland 1,65 Milliarden Arzneimittelpackungen über die Apotheken verkauft, etwa 37 Prozent davon ohne Rezept. Der Gesamtumsatz der pharmazeutischen Hersteller betrug etwa 18,63 Milliarden Euro, 2,21 Milliarden entfielen auf den Bereich der Selbstmedikation. Wie viel verschreibungsfreie Medikamente aus dem Ausland mitgebracht oder eingeschmuggelt wurden, lässt sich nicht abschätzen.

Der Pro-Kopf-Umsatz lag in Deutschland bei etwa 19,6 Packungen. Umgerechnet in einzelne Dosierungseinheiten entfallen etwa 1.200 Tabletten, Kapseln, Zäpfchen oder andere Dosierungen auf jeden Einwohner. Selbstredend ist der Verbrauch stark altersabhängig, aber auch geschlechterspezifisch: Ältere Menschen und Frauen verbrauchen etwa zwei bis dreimal mehr Arzneimittel als der Durchschnitt. Wie hoch der Missbrauch und die Suchtgefahr dabei ist, steht aber auf einem anderen Blatt. Denn bei der Selbstmedikation ist schwer zu ermitteln, wer was genau einnimmt.

Bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten sieht das schon etwas anders aus: Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) schätzt, dass etwa sechs Prozent der verordneten Arzneimittel ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential besitzen, darunter vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel. Aber auch Mittel mit Kodein - zum Beispiel Hustensäfte, die zudem auch noch Alkohol enthalten - können zu Suchtverhalten führen. Die DHS hat errechnet, dass es etwa 1,1 Millionen Abhängige von dieser Art von Medikamenten gibt. Hinzu kommen aber noch die Analgetika. Dabei werden auch noch immer Kombinationspräparate mit Koffein angeboten, die ein eigenes Missbrauchspotential haben. Nimmt man all dies zusammen, so ergibt sich eine Schätzzahl von 1,4 bis 1,5 Millionen Medikamenten-Abhängigen in Deutschland.

Die Art der Abhängigkeit kann dabei aber nicht berücksichtigt werden. Vereinfacht ausgedrückt: Es ist schwer nachzuvollziehen, ob zum Beispiel ein Schmerzpatient, die Medikamente regelmäßig einnimmt, weil sein Schmerz anderweitig gar nicht mehr zu lindern wäre oder ob er bereits dem Suchtpotential der Mittel zum Opfer gefallen ist. Neben körperlichen Abhängigkeiten spielen psychische Zwänge, die durch andere Faktoren als das Medikament verursacht werden, natürlich auch eine starke Rolle.

Bei der Ermittlung der volkswirtschaftlichen Schäden der Medikamenten-Sucht tauchen also mindestens gleich vier Probleme gleichzeitig auf. Erstens greifen viele Patienten inzwischen zur rezeptfreien Medikamenten. Deren Suchtpotential ist sehr umstritten. Offiziell dürfen abhängigmachende Substanzen nicht freiverkäuflich auf dem Markt. Das verbieten die Medikamentenzulassung und das Betäubungsmittelgesetz. Das zweite Problem besteht darin, dass ein Großteil der suchtfördernden Tabletten, Kapseln oder Säfte von Ärzten verschrieben wird. Es ist also nicht auszuschließen, dass sie tatsächlich zur Bekämpfung einer anderen Krankheit absolut notwendig sind. Dies müsste gegengerechnet werden. Zum dritten tritt Medikamentensucht häufig in Kombination mit anderen Süchten auf, zum Beispiel mit Alkohol. Eine Differenzierung ist spätestens dann nicht mehr möglich, wenn ein Alkoholabhängiger Hustensaft statt Likör trinkt. Und viertens kann medikamentenabhängiger seine Sucht wesentlich besser verbergen, als ein Raucher oder ein Trinker.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.