Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
Tobias von Heymann

"Ohne Anreiz macht das doch keiner"

Umfrage unter Jugendlichen zu Wehrpflicht und sozialen Diensten

Wehrpflicht, Zivildienst - oder Freiwilliges Soziales Jahr: Für viele Jugendliche und junge Erwachsene ist das Thema angesichts von Arbeitslosigkeit, der Suche nach dem richtigen Ausbildungs- oder Studienplatz von hoher Aktualität. Doch fragen sie sich oft auch sehr kritisch: Was bringt mir das eigentlich? Oder: Wie viel sollte der oder die Einzelne zum eigenen Gemeinwesen beitragen - beziehungsweise, wo kann künftig die Grenze auf dem schmalen Grad zwischen hergebrachten gesellschaftlichen Pflichten sowie freiwilligem Engagement liegen?

Nur eins ist fast allen jungen Menschen gemeinsam: In ihrer Mehrheit lehnen sie Konzepte ab, denen das Image von verordneten "Zwangsdiensten" anhaftet. Ein aktuelles Stimmungsbild vom Berliner Alexanderplatz gibt einige der subjektiven Meinungen und Ansichten der Jugendlichen in diesem Land wieder.

"Ich finde, Wehrpflicht und Zivildienst sollten bleiben. Viele Jugendliche finden keine Lehrstelle, sitzen zu Hause, wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen", meint Chris Ericht, Schüler aus Pankow. "Dann tun sie wenigstens etwas. Allerdings sollte das alles noch lockerer gehandhabt werden als bisher. Beispielsweise, wenn man bereits einen Ausbildungsplatz nachweisen kann oder schon studiert." Für den Schüler ist aber auch klar, dass er selbst "etwas zur Landesverteidigung beitragen" will. "Allerdings lieber freiwillig", sagt er. Sein Vorschlag für die Zukunft sieht daher so aus: "Die Bundeswehr sollte Praktika anbieten, bei denen man einmal wenige Wochen lang die einzelnen Bereiche wie Luftwaffe oder Marine kennen lernen kann." Dann könne man weitersehen und sich besser entscheiden.

Sein Schulfreund Leoroy Nesch fragt eher nach dem praktischen Nutzen der Dienstpflicht. "Na ja, neun Monate reichen schon völlig aus. Aber wenn ich dort den Führerschein machen kann oder auf einem Auslandseinsatz in der Welt herumkomme, das wäre interessant", sagt der junge Mann, der gerne Mechatroniker werden würde. Eine Ausbildung, die er sich allerdings lieber auf eigene Faust beschaffen will, selbst wenn sie auch von den Streitkräften angeboten würde.

Auch Mädchen machen sich Gedanken, was sie beispielsweise von einem mehr oder weniger obligatorischen sozialen Jahr halten, wenn auch sie das ableisten müssten. Die meisten halten das zwar nicht für aktuell, beobachten aber die Diskussion darüber genau. "Also ein halbes Jahr lang würde ich das notfalls schon machen, das fände ich nicht so schlimm", sagt Schülerin Jenny Ullrich aus dem Bezirk Mitte. "Da sammelt man Lebenserfahrung, lernt etwas und sieht, wie es wirklich im Leben zugeht." Sie selbst würde so einen Dienst im Krankenhaus oder einer Arztpraxis verrichten wollen. "Ich möchte sowieso Masseurin oder Zahnarzthelferin werden, da könnte ich dann das alles vorher testen."

Tom Lau hat seinen Zivildienst bereits hinter sich - und ist klar dafür, alle staatlichen Pflichtdienste abzuschaffen. "Zwar finde ich gut, was ich dort gelernt habe, aber mich stört, dass ich dazu gezwungen wurde, dass ich nur die Wahl zwischen Bund oder Verweigern hatte. Das ist nicht korrekt." Erst vor wenigen Jahren hat er als "Zivi" zunächst in einem Krankenhaus in der Chirurgie gearbeitet. "Das war aber nichts für mich. Aber ich wollte auch nicht in ein Altersheim gehen. Daher wechselte ich nach zwei Monaten in einen Schülerhort, habe dort Kinder betreut. Das war richtig klasse", sagt er. Er habe danach sogar überlegt, einen pädagogischen Beruf zu wählen oder Lehrer zu werden. "Doch ich blieb dann lieber beim Biologie-Studium", sagt er. Er vermutet, dass die Wehrpflicht in Deutschland wegen des starken sozialen Wandels über kurz oder lang sowieso abgeschafft wird. "Die Frage ist nur, wie motiviert man Jugendliche dazu, solche Dienste künftig dann freiwillig zu leisten? Da müsste man denen schon etwas Gutes bieten, um Ihnen das richtig schmackhaft zu machen. Wichtig ist nur: Ohne Zwang", sagt der 24-Jährige.

Das Für und Wider beschäftigt auch Franziska Lange (20) aus Pankow. Die ausgebildete Arzthelferin macht gerade ihr Abitur nach, weil sie beruflich weiterkommen möchte. "Also, ich fände das nicht so gut, wenn der Wehrdienst für die Jungs abgeschafft wird. Sie wissen, dass die neun Monate auf sie zukommen, das gibt ihnen auch eine Perspektive und Orientierung. Außerdem können sie dort auch studieren." Dass aber auch Frauen heute die Möglichkeit haben, bei den Streitkräften zu dienen und Leistungen wie die Männer bringen müssen, hält sie für selbstverständlich.

Einen Pflichtdienst auch für Frauen könnte sie sich zwar vorstellen, aber nur für etwa "ein halbes Jahr und als zweite Anlaufstelle samt Unterbringung, wenn man keinen Job hat. "Pflegekräfte werden ja gesucht. Und ich halte nichts davon, wenn Jugendliche lieber nichts tun und rumhängen. Hier sollte der Staat auf jeden Fall etwas tun, auch als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit", sagt sie. "Auch wenn man da vielleicht nicht viel Geld bekommt, das macht sich besser im Lebenslauf, man hat bessere Chancen." Dass das allerdings auch ganz auf freiwilliger Basis funktionieren könnte, glaubt sie weniger. "Freiwillig und ohne Anreiz macht das doch keiner. Das sieht man ja an den jetzigen Zahlen. Kaum jemand nimmt ein Freiwilliges Soziales Jahr in Anspruch."

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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