Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005

"Wir sind ein merkwürdiges Volk"

Im Gespräch: Nino Burdschanadse, Georgiens Parlamentspräsidentin
Nino Burdschanadse gehörte zu den Führungspersönlichkeiten der demokratischen Opposition in Georgien, die Präsident Eduard Schewardnadse wegen Wahlbetrug bei der Parlamentswahl am 22. November 2003 zum Rücktritt zwangen. Seit Januar 2004 ist sie Parlamentspräsidentin.

Das Parlament: Welche Fortschritte gibt es in Georgien ein Jahr nach der "Rosen-Revolution"?

Nino Burdschanadse: Wir können eine ganze Liste mit Erfolgen vorweisen. Allerdings wissen wir auch, dass wir in einer so kurzen Zeit nicht alle Probleme, die wir von unseren Vorgängern geerbt haben, lösen können. Immerhin stand Georgien an der Grenze zur Katastrophe. Unser wichtigster Erfolg ist, dass die Georgier jetzt endlich spüren, dass Menschen an der Macht sind, die alles tun, um sie nicht zu enttäuschen. Wir führen einen harten Kampf gegen die Korruption, die früher das ganze Land lähmte. Wir haben angefangen, grundlegende Reformen in allen Bereichen durchzuführen. Konsequent versuchen wir, die staatlichen Institutionen zu festigen.

Das Parlament: Wie steht es um die Stabilität der georgischen Institutionen?

Nino Burdschanadse: Faktisch herrschte ein gewaltiges Korruptionssystem, das unsere nationale Sicherheit gefährdete. Gleichzeitig funktionierten die staatlichen Institutionen nicht. Alles hing von einer bestimmten Person ab. Es war gefährlich für unseren Staat, dass alles von einem Mann abhing.

Das Parlament: Meinen Sie Präsident Eduard Schewardnadse?

Nino Burdschanadse: An der Spitze ja.Auf jeder weiteren Stufe waren es natürlich andere. Jetzt versuchen wir, einen wirklichen demokratischen Staat aufzubauen, so wie Deutschland. Einen solchen Rechtsstaat wollen wir auch bei uns etablieren.

Das Parlament: Man hört aus Georgien, dass die korrupten Politiker zwar festgenommen werden, nach Entschädigungszahlungen aber schon bald wieder frei kommen.

Nino Burdschanadse: Wir haben dazu ein Gesetz verabschiedet. Wie in den USA wird derjenige wieder auf freien Fuß gesetzt, der das entwendete Geld zurückgibt. Wir haben nicht die Absicht, alle korrupten Georgier ins Gefängnis zu stecken. Wenn man in Georgien alle, die am Korruptionssystem beteiligt waren, inhaftieren wollte, müsste man fast die Hälfte der Beamten und Politiker einsperren. Das wollen und können wir nicht.

Das Parlament: Wie reagieren die Menschen darauf?

Nino Burdschanadse: Wir Georgier sind ein merkwürdiges Volk. Vor der Wahl waren alle sauer, dass Schewardnadse die Korruption nicht bekämpft und niemanden verhaftet hat. Als wir an die Macht kamen und begannen, die Verbrecher festzunehmen, wurden wir deswegen kritisiert. Jetzt reden wir nicht mehr allzu laut darüber. Sicher ist jedoch, dass wir der Korruption einen tödlichen Schlag versetzt haben.

Das Parlament: Welche Rolle soll das Parlament spielen?

Nino Burdschanadse: Ich habe es abgelehnt, die Stelle des Ministerpräsidenten zu übernehmen, weil ich es enorm wichtig finde, das Parlament zu stärken. Seit der Revolution stellen wir die Regierung und verfügen über eine klare Mehrheit im Parlament. Genau das ist aber eine Gefahr für uns. Wir alle kommen aus derselben Mannschaft, der Präsident, die Parlamentspräsidentin, die Regierungsmitglieder. Wenn wir nicht selbstkritisch unsere eigene Politik betrachten, wird der Staat darunter leiden. Das Parlament ist am besten geeignet, eine gewisse Distanz zur Regierung zu wahren, als Kontrollinstanz zu fungieren. Präsident Saakaschwili unterstützt mich dabei.

Das Parlament: Wie kann der Konflikt mit Südossetien gelöst werden?

Nino Burdschanadse: Das Volk und die Regierung Georgiens wollen diesen Konflikt friedlich beilegen. Präsident Saakaschwili hat Südossetien eine Autonomie-Lösung angeboten. So sollen die Osseten in der Schule in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. Außerdem bieten wir ihnen nicht nur auf der regionalen Ebene eine Teilhabe an der Macht an, sondern auch auf der zentralen Ebene.

Das Parlament: Soll es bestimmte Quoten geben?

Nino Burdschanadse: Nein. Ich bin grundsätzlich gegen Quoten. Ich wäre ungern Parlamentspräsidentin nur weil ich eine Frau bin. Wir wollen die Minderheiten schützen und mit ihnen die Macht teilen. Wir wollen aber keine Gegenreaktionen der Mehrheitsbevölkerung provozieren, sondern die Sicherheit der südossetischen Minderheit durch eine internationale Garantielösung gewährleisten. Wir wollen den Dialog. Aber wir sind nicht bereit, ewig zu warten, bis eine Handvoll Separatisten bereit ist, mit uns zu verhandeln. Deshalb bitten wir die internationalen Organisationen um Unterstützung. Wir sollten den Separatisten klar machen, dass es für sie keine andere Lösung als auf dem Verhandlungsweg gibt.

Das Parlament: Wie ist die russische Haltung zu Südossetien

Nino Burdschanadse: Wir haben die internationalen Organisationen - also UNO, EU, OSZE, NATO und den Europarat - gebeten, auf Russland Druck auszuüben. Zwar stellt es sich offiziell als Vermittlerstaat dar, in Wirklichkeit aber betreibt es eine doppelgleisige Politik. Einerseits erkennt Moskau die territoriale Integrität Georgiens an, andererseits unterstützt es offen die Separatisten.

Das Parlament: Gilt das auch für den Abchasien-Konflikt?

Nino Burdschanadse: Hier ist das Problem komplizierter als in Südossetien. Denn die Osseten sind stärker in die georgische Gesellschaft integriert als die Abchasen. Sicher ist jedoch, dass wir auch mit Abchasien eine gemeinsame Regelung finden können. Die Abchasen erhalten von uns die höchste Stufe der Autonomie mit allen internationalen Garantien.

Das Parlament: Wie stehen die Abchasen zu diesem Angebot?

Nino Burdschanadse: Sie sagen immer dasselbe, dass sie den Krieg gewonnen hätten und ihre Unabhängigkeit international anerkannt sei. Es gibt keine Bereitschaft zum Dialog mit uns.

Das Parlament: Die Beziehungen zu Russland gelten als gespannt. Wie ist die Lage heute?

Nino Burdschanadse: Unsere Beziehungen waren kompliziert. Nach der Revolution hofften wir, dass sie sich verbessern würden. Wir haben Anstrengungen in dieser Richtung unternommen, Russland kam uns entgegen. So haben sich die Russen während des demokratischen Machtwechsels in Adscharien nicht eingemischt. Allerdings beschwert uns die Existenz russischer Militärstützpunkte auf georgischem Staatsgebiet. Moskau führt mit uns bislang keine ernsthaften Verhandlungen über den Truppenabzug.

Das Parlament: Hat Russland Bedingungen für den Truppenabzug präsentiert?

Nino Burdschanadse: Russland beunruhigen unsere engen Beziehungen zur NATO. Deshalb hat uns Moskau ein Ultimatum gestellt. Bevor die russischen Truppen Georgien verlassen, müssen wir verbindlich festschreiben, dass keine andere Armee Stützpunkte bei uns errichten darf. In einer solchen Erklärung sehen wir kein besonderes Problem, da wir selbst großes Interesse daran haben, dass in Georgien keine fremden Truppen stationiert sind. Aber das ist keine Angelegenheit zwischen Georgien und Russland. Ich schließe nicht aus, dass wir ein Gesetz verabschieden, in dem wir die Stationierung fremder Truppen auf unserem Territorium ausschließen. Aber das ist abhängig von der weiteren Entwicklung unserer Beziehungen zu Moskau.

Das Parlament: Bietet Georgien im Pankisi Tal Al-Kaida-Terroristen Unterschlupf?

Nino Burdschanadse: Russland will mit diesem Thema Georgien in ein schlechtes Licht rücken. Dabei hat es die Entsendung einer OSZE-Beobachter-Mission in die Region verhindert. Sie hätte objektiv über die Lage vor Ort berichten können. Daran hat Russland aber kein Interesse. Stattdessen will es Georgien eine Zusammenarbeit mit Terroristen andichten, um uns so international zu brandmarken. Gleichwohl haben sich Geheimdienste aus den USA, aus Russland und Georgien gemeinsam davon überzeugen können, dass im Pankisi Tal keine Terroristenlager existieren.

Das Parlament: Wird Georgien auf Moskauer Druck auf die NATO-Mitgliedschaft verzichten?

Nino Burdschanadse: Auf keinen Fall. Die Mitgliedschaft Georgiens in NATO und EU ist und bleibt das Hauptziel unserer Außenpolitik. Wir respektieren, dass Russland seine südlichen Grenzen gesichert sehen will. Aber wir sind ein souveränes Land und entscheiden selbst, mit wem wir freundschaftliche Beziehungen unterhalten. Die Mitgliedschaft in der NATO hat für uns Priorität. Es geht dabei nicht nur um Sicherheit, sondern auch um gemeinsame Werte. Georgien ist ein Teil Europas, kulturell und politisch. Im Unterschied zu Russland wollen wir die Demokratie nicht an die eigenen nationalen Traditionen anpassen. Unserer Meinung nach sind die demokratischen Werte universell. Es ist realistisch, dass wir ab 2006 die NATO-Beitrittsprogramme erfüllen können. Zudem hoffe ich, dass wir bis 2007 oder 2008 assoziiertes EU-Mitglied sind.

Das Parlament: Die georgische "Rosen-Revolution" hat die zweite Welle des demokratischen Umbruches im postsowjetischen Raum eingeleitet. Warum erst jetzt?

Nino Burdschanadse: Unsere Völker sind sehr geduldig. Nach dem Zerfall der UdSSR wollten sie keinen neuen Umsturz, da die Menschen Angst von weiteren Destabilisierungen, Krisen und Blutvergießen hatten. Aber jede Geduld hat Grenzen.

Das Parlament: Wieso hat ein erfahrener Politiker wie Eduard Schewardnadse es so weit kommen lassen?

Nino Burdschanadse: Er hatte jedes Gefühl für die Realität verloren. Deshalb schätzte er die Situation falsch ein und bekam das, was er verdiente. Ich habe gehofft, dass die ukrainische Regierung die Fehler Schewardnadses nicht wiederholen würde. Schließlich hatten sie unser Beispiel vor Augen. Die Georgier und die Ukrainer können selbst entscheiden, wer ihr Präsident sein soll.

Das Parlament: Via Fernsehen konnte die ganze Welt die Entmachtung Schewardnadses verfolgen. Er hatte den Ausnahmezustand ausgerufen.

Nino Burdschanadse: Mir war bewusst, was das Volk von mir erwartete. Hunderttausende standen hinter uns, ich durfte sie nicht enttäuschen. Angst hatte ich nicht um mich, sondern um die Menschen vor dem Parlamentsgebäude, darunter auch mein Sohn, der sein Studium in England unterbrochen hatte und nach Georgien gekommen war. Er sagte: Die anderen Kinder stehen auf der Straße, dein Sohn hat kein Recht, nicht dabei zu sein. Ich war stolz auf ihn.

Das Interview führte Aschot Manutscharjan


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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