Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005
Igal Avidan

Das wirtschaftliche Interesse des syrischen Geheimdienstes am Libanon

Die Zukunft Libanons bleibt in den aktuellen Auseinandersetzungen ungeklärt
Wie heißt der libanesische Botschafter in Syrien? Die Frage mag etwas merkwürdig klingen, aber trotz der sehr engen Beziehungen zwischen beiden Nachbarstaaten amtiert kein libanesischer Botschafter in Damaskus. Vielleicht gerade deswegen. Weil Damaskus den von Frankreich 1920 geschaffenen Libanon nicht anerkennt, gibt es bis heute auch keine syrische Botschaft in Beirut. Die anti-syrischen Demonstrationen in Beirut könnten den Traum von Großsyrien, dem in Damaskus immer noch nachgehangen wird, endlich begraben.

Wenn dies der Fall sein wird, könnten Historiker immerhin den Anfang vom Ende der syrischen Besatzung des Libanon genau datieren. Am 14. Februar wurde im Herzen Beiruts der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri bei einem Bombenanschlag auf seine Fahrzeugkolonne ermordet.

"Hariri war der libanesische Nachkriegspolitiker", sagt der Islamwissenschaftler und Politologe Bernhard Hillenkamp, der in Beirut als Berater für internationale NGOs arbeitet. "Nicht nur war er seit 1992 zehn Jahre lang Ministerpräsident, sondern auch der Architekt des Nachkriegs-Libanons. Das kann man im Libanon nur sein, wenn man Politiker und reicher Unternehmer ist. Hariri war beides und konnte daher mit seinen Geschäftskontakten - vor allem in Saudi-Arabien und Frankreich - den Wiederaufbau des Landes unterstützen. Für die Sunniten stellte Hariri das Symbol und den Garanten dieser selbstbewussten religiösen Gruppe im fragilen Staat Libanon dar."

Der Syrien-freundliche Präsident Lahoud konnte im September 2004 sein abgelaufenes Mandat um drei Jahre verlängern lassen, indem Syrien eine Verfassungsänderung im libanesischen Parlament erzwang. Aus Protest trat Hariri als Regierungschef zurück, und Marwan Hamada verließ das Kabinett. "Seitdem wurden wir durch die Geheimdienste verfolgt", sagte Hamada. "Sie wollen die libanesische Opposition brechen, wohl wissend, dass wir gute Chancen auf einen Sieg bei den Parlamentswahlen im Mai haben." Im Oktober 2004 wurde auf Hamada ein Anschlag verübt, der jedoch scheiterte. Die Ermittlungen zu diesem Attentat verliefen dermaßen schleppend, dass Hamada nun lautstark eine internationale Untersuchung des Hariri-Anschlags fordert.

Gleichzeitig wuchs im September 2004 der internationale Druck auf Syrien durch die Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats. In seltener Übereinstimmung setzten die USA und Frankreich die internationale Aufforderung an Syrien durch, alle Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Je mehr das Land versuchte, seine Kontrolle über den Libanon zu manifestieren, desto häufiger musste Damaskus dafür Manipulationen und Gewalt anwenden. "In der Zeit vor dem Attentat wurde viel von den Verrätern in der Opposition geredet", erinnert sich Hillenkamp. "Die anti-syrische Opposition trat mit Hariri sehr geschlossen auf und brachte die libanesische Regierung in Bedrängnis."

Wenn Syrien darauf spekulierte, dass gerade aufgrund der instabilen Verhältnisse im Libanon die Dis-kussion um einen Abzug seiner 15.000 Soldaten in Keim erstickt würde, dann wurde es enttäuscht. Zwar fehlte der Opposition nun die Galionsfigur Hariri, dafür verständigten sich unerwartet Christen, Sunniten und Drusen und forderten ein Ende der syrischen Besatzung im Libanon. Der überraschende Rücktritt des sunnitischen Ministerpräsidenten Omar Karame am 1. März 2005 stärkte die Opposition. "Wahrscheinlich trat Karame unter dem Druck der libanesischen Armee und nach Beratung mit seinen syrischen Freunden zurück", vermutet der libanesische Herausgeber und Filmemacher Lokman Slim, ein aktiver Oppositionelle. "Karame wollte dadurch eine Zuspitzung der Situation und eine Debatte über das pro-syrische Regime im Libanon verhindern. Die pro-syrischen Kräfte haben weiterhin die Mehrheit im Parlament, und daher wird auch der neue Ministerpräsident, der vom Präsidenten nominiert wird, pro-syrisch sein."

Dass Karames Nachfolger ebenfalls ein Sunnit sein muss, ist im libanesischen Proporzsystem aus dem Jahre 1942 fest verankert. Der Staatspräsident ist immer ein Christ, der Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim und der Parlamentspräsident ein Schiit. Die Regierung besteht zur Hälfte aus Christen und Muslimen, ebenso wie das 128-köpfige Parlament. Könnte Hariris Schwester seine Nachfolge antreten und erste Premierministerin eines arabischen Staates werden? Mit einer bewegenden Forderung nach Karames Demission hatte sie die Parlamentsdebatte eröffnet, in deren Verlauf der Ministerpräsident zurücktrat. "Aber erstens ist die Familie Hariri noch in der 40-tägigen Trauerzeit, und zweitens käme eine solche Nominierung für viele verfrüht", sagt Hillenkamp. "Bei den letzten Parlamentswahlen hing man zum Beispiel in konservativen Wahlkreisen nicht ihr Plakat auf, sondern das ihres Bruders."

Für zusätzliche Spannungen im Land sorgte die Ankündigung, der zurückgetretene libanesische Ministerpräsident Omar Karame werde möglicherweise sein Amt wieder übernehmen. Einer solchen "neutralen" Regierung stimmt Staatspräsident Lahoud zu. Der oppositionelle Drusenführer Walid Dschumblat erklärte bereits, dass eine erneute Kandidatur Karames "wie ein weiterer Mord an Hariri" wäre. Seine Forderungen an die Regierung sind klar: Die Umstände von Hariris Todes müssen untersucht werden; die Chefs der libanesischen Geheimdienste müssen zurücktreten; Syrien muss einen Zeitplan für den Rück-zug vorlegen.

Wann wird Lahoud, der Vasall Syriens, gehen müssen? Syrien will eine Neuwahl des Staatspräsidenten, wie es die UN-Resolution 1559 fordert, verhindern. Auch die Forderung nach einer Auflösung aller Milizen, die sich auf die schiitische Hisbollah bezieht, lehnt Syrien ab. Während die EU den militärischen Arm der Hisbollah als Terrororganisation auflistet, setzt Syrien je nach Bedarf diese Organisation gegen Israel ein, ohne eine direkte militärische Konfrontation zu riskieren. Da Iran Hisbollah-Pate ist, könnte Syrien seine Truppen im Libanon durch iranische Revolutionsgardisten ersetzen, die in der Hisbollah Dienst tun. Aus diesem Grund nannte Baschar Assad in seiner Rede eine andere Grundlage für den syrischen Rückzug: Nicht die UN-Resolution, sondern der Taif-Vertrag von 1989, der den libanesischen Bürgerkrieg beendet hatte, soll demnächst als Basis für den Rückzug dienen. Im Abkommen ist die Rede von einer einvernehmlichen Einigung zwischen Syrien und dem Libanon, nicht von einem internationalen Ultimatum. Außerdem ist in Taif festgelegt, dass Syrien seine Soldaten nur bis in die ost-libanesische Bekaa-Ebene zurückziehen wird. Dort sind ohnehin bereits zwei Drittel der syrischen Truppen im Libanon stationiert. Ob die Truppen bis zu den Parlamentswahlen aus dem Libanon vollständig abgezogen werden, ist unwahrscheinlich.

"Die Diskussion um den Abzug ist nur ein Nebenschauplatz", meint Hillenkamp. "Die syrischen Geheimdienste haben große wirtschaftliche Interessen im Libanon. Durch ihren Druck wurden syrische Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen, vor allem im Baubereich, und von Lizenzen bevorzugt. Auch am Menschenschmuggel waren sie beteiligt. Jüngst wurde ein Ring entdeckt, der Kurden aus Syrien nach Italien eingeschleust hatte." Nicht von ungefähr verlor Assad in seiner Rede kein Wort über seine Geheimdienste, die in Syrien viel Macht besitzen. Deren ehemaliger Chef im Libanon, Ghazi Kanaan, ist syrischer Innenminister.

Die Wirtschaftsinteressen der Geheimdienstoffiziere liegen nicht zuletzt im Drogenhandel mit einem Umsatz von einer Milliarde Dollar jährlich. Auf Druck der Amerikaner wurde vor zehn Jahren der Cannabisanbau in der Bekaa-Ebene reduziert, dafür der Heroin- und Kokainhandel verstärkt. Ein Rückzug aus dem Libanon würde den Verlust der Gewinne aus den Drogengeschäften bedeuten. Experten warnen bereits, dass ein Rückzug aus dem Libanon einen finanziellen Kollaps Syriens auslösen könnte. Paradoxerweise würde eine syrische Militärpräsenz im Libanon die gleichen Folgen haben. Fast der gesamte Geldverkehr Syriens läuft über die libanesischen Banken. Daher könnten UN-Sanktionen den Geldfluss von und nach Syrien unterbrechen.

Kein Wunder also, dass die Ermittlungen im Fall Hariri nur schleppend verlaufen. Der internationale Druck bleibt jedoch nicht ohne Folgen. Sogar die Hisbollah stimmt inzwischen einer internationalen "fact finding mission" zu. Diese soll lediglich die Frage beantworten, wie der Mord möglich wurde und nicht, wer die Mörder oder Auftraggeber waren. Steht zu befürchten, dass unter Druck geratene Geheimdienste wieder zurückschlagen? "Dass die Augen der Welt auf den Libanon gerichtet sind, könnte das verhindern", meint Hillenkamp. "Am meisten ist zur Zeit Drusenführer Dschumblat gefährdet, der immer wieder auf die Verstrickung der Geheimdienste hingewiesen hat. Der radikale Politiker, der sich erst vor kurzem von Damaskus abgewandt hat, meidet in diesen Tagen nicht nur sein dortiges Haus, sondern auch Beirut und verschanzt sich in seinem Schloss in den Schuf-Bergen.

"Im Libanon herrscht Konsens gegen die Entwaffnung der Hisbollah, weil sie die Option eines bewaffneten Widerstandes gegen Israel repräsentiert", sagt Hillenkamp. Die militanten Schiiten, die Waffen aus dem Iran über Syrien erhalten, genießen immer noch den Ruhm als "die Vertreiber der Israelis aus dem Südlibanon". Die Hisbollah wiederum hat absolut kein Interesse an einem Abzug der syrischen Truppen. Durch eine pro-syrische Demonstration zeigten die Milizionäre ihre Macht nach innen. Die Schiiten bilden nicht nur die größte Minderheit (ein Drittel der Bevölkerung), sondern sind auch die treuesten Anhänger Syriens. Durch den Kampf gegen Israel und das soziale Engagement unter allen Volksgruppen konnte die Hisbollah viel Sympathie gewinnen. Mehrere tausend Hisbollah-Anhänger protestieren in Beirut gegen die "ausländische Einmischung" in die libanesische Politik und die UN-Resolution 1559. Manche hielten Bilder des syrischen Präsidenten Assad in der Hand, große libanesische Fahnen und Plakate mit der Aufschrift "Danke Syrien" oder "Nein zu ausländischer Einmischung."

Solche Bilder braucht Assad zurzeit, umso mehr, da der internationale Druck auf ihn wächst und seine Isolierung innerhalb der arabischen Welt zunimmt. "Der nächste Putsch könnte in Damaskus stattfinden", sagt Slim. Der internationale Druck auf Assad könnte seinen Sturz durch die eigene Armee herbeiführen. Damit wäre er nicht der erste ausländische Politiker, der im libanesischen Sumpf seine Karriere begraben musste.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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