Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005
Tobias Asmuth

Jaffa: Neue Zukunft für eine uralte Stadt

Die Palästinenser in Israel gewinnen ein wachsendes Selbstbewusstsein

Durch die Altstadt von Jaffa verläuft ein unsichtbare Frontlinie, die zäh umkämpft wird und die ihren Verlauf fast täglich ändert. Mamud Eid hat seine Bäckerei geschlossen, weil er von den jüdischen Nachbarn boykottiert wurde. In ein altes arabisches Stadthaus in Ajami, dem hippen Viertel Jaffas, ist ein Architekturbüro aus Ramat Gan eingezogen. Und im Erdgeschoss einer Villa in den engen Gassen will eine Galerie jüdisches Kunsthandwerk verkaufen. Niemand sonst kann die teure Miete zahlen.

In der geteilten Stadt Jaffa leben 22.000 Juden und knapp 20.000 Araber. Beide sind Bürger Israels, sie haben seinen blauen Pass, sie leben in denselben Straßen, und manchmal auch in denselben mit hellen Sandsteinen verkleideten alten Häusern. Aber die einen, das sind die Sieger, die anderen, das sind die Besiegten. Die einen bestimmen im Stadtrat, wann welches Haus renoviert wird und wo in welchem Viertel eine neue Kanalisation verlegt wird. Die anderen fühlen sich als Einwohner zweiter Klasse, sie nennen die Entscheidungen der Politiker Apartheid. Die einen ziehen aus der lauten Party-Metropole Tel Aviv in die aufwendig renovierten Altstadt-Wohnungen: Blick auf den malerischen Hafen inklusive. Die anderen werden aus der Mitte vertrieben, in neue Wohnblocks nach Batyam, am Stadtrand.

Am Rand von Jaffa hat auch Abed Satel gelebt. Im fünften Stock eines Mietshauses. Sein Exil hatte einen Fahrstuhl, eine neue Klimaanlage, sogar zwei Balkone. Doch er hat es gehasst. Der Krankenpfleger Abed Satel gründete Mitte der 90er-Jahre "Die Liga für die Araber von Jaffa". Seitdem befindet er sich im Widerstand gegen das jüdische Yafo. Die Liga ist Hilfsorganisation und Genossenschaft, Kulturverein und politische Bewegung. Sie hat inzwischen fast 500 Mitglieder. Abed lebt heute wieder in einem alten arabischen Haus in der Nazla-Gasse.

Angefangen hat alles damit, dass Abed Satel mit einem dutzend Gleichgesinnter den Müll auf den Straßen der heruntergekommenen arabischen Viertel einsammelte. Besonders schlimm war es in Pardes Daka. Im ärmsten Teil Jaffas lebten hunderte palästinensische Familien in zusammenfallenden Häusern, die im Winter der Regen überschwemmte. Abed Satel organisierte billiges Baumaterial, sammelte Spenden und vermittelte günstige Kredite. Noch immer ist das Viertel ein trostloser Ort, es gibt dort kaputte Straßen und hässliche Wellblechhütten, aber die Ruinen und auch die Schutthalden sind verschwunden: Pardes Daka soll unbedingt gehalten werden. Es ist Teil der Strategie von Abed Satel, Jaffa wieder zu einer arabischen Stadt zu machen. Die Zeit des Rückzugs ist vorbei.

Das Kulturzentrum der Liga liegt in der größten und wichtigsten Straße Jaffas: der Yeffet Street in einer alten renovierten Villa. Es gibt dort eine kleine Bibliothek und einen Veranstaltungssaal, in dem Theaterstücke und Konzerte gespielt werden. Im Zentrum hat Abed Satel ein winziges Büro. Seine Wände sind mit Regalen zugestellt. Auf den Ordner nsteht: Hausprojekte oder Wohlfahrtsorganisationen, Knesset oder Botschaften.

Abed Satel ist ein kleiner Mann. Er hat ein rundes Gesicht, kurze graue Haare, trägt eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt, das sich über dem Bauch spannt. Er redet leise, aber sehr betont. Während er über die historischen Aufnahmen Jaffas auf seinem Schreibtisch spricht, nimmt er das größte Foto in die Hand. Es zeigt das Kulturzentrum im Jahr 1950. Vor der Villa verläuft ein Zaun aus Stacheldraht auf der Straße. Nach der Staatsgründung Israels flohen fast 100.000 Araber aus Jaffa. Die, die blieben, lebten für drei Jahre in einer Art Getto. Das Bild, sagt Abed Satel, wird einmal in einem Museum zur palästinensichen Geschichte in Tel Aviv hängen.

Wann das geschehen soll? Wenn Israel nicht nur ein jüdischer, sondern auch ein arabischer Staat ist. In seiner Stimme liegt kein Zweifel. Dann klingelt das Handy: Alles ist jetzt bereit, wir können losfahren.

Er steuert seinen alten Toyota schnell durch die engen Straßen, zeigt ständig mit den Händen nach rechts oder links und berichtet von den Fortschritten: Hier renoviert eine arabische Familie ihr Haus, dort hat ein Schuster einen neuen Laden eröffnet. Tatsächlich galt Jaffa lange als der "Slum von Tel Aviv", nachdem es 1950 von der großen Stadt eingemeindet worden war. Noch immer leben fast 50 Prozent der Einwohner von der Sozialhilfe - vor allem Araber und religiöse Juden. Die Stadt hat eine hohe Kriminalitätsrate. Dabei war Jaffa einmal eine reiche und vornehme Stadt, außerdem das kulturelle Zentrum der Palästinenser. In den Kaffeehäusern spielten arabische Musiker, in den Gärten der Villen trugen Dichter ihre Verse vor. Jaffa heißt übersetzt "die Schöne".

"Früher hatten wir nur die Erinnerung an unsere Geschichte", sagt Abed. "Heute haben wir auch eine Zukunft." Er glaubt an Zahlen: Heute leben knapp fünf Millionen Juden in Israel und nur 1,3 Millionen Araber, aber die palästinensische wächst schneller als die jüdische Bevölkerung - trotz der jüdischen Einwanderung, der Alija. In zehn Jahren werden von sieben Millionen Einwohnern Israels zwei Millionen Araber sein. "Wir sind ein junges Volk", sagt Abed. Erst der Friedensprozess, der Fortschritte macht, dann wird "Israel irgendwann ein Staat für alle Bürger sein."

Abeds Kampf ist ein zähes Ringen, in der Druckerei der Liga baut Nasim Assali eine alte Heidelberg-Druck-maschine auf. Bald wird die Liga ihre kleine Zeitung auf der eigenen Maschine produzieren. Nasim Assali will auch die Heftchen anderer arabischer Vereine aus Tiberias, Akko oder Kfar Kana über die Walzen laufen lassen. Man sei mit den Formaten sehr variabel, man könne auch kleine Plakate drucken, wirft Abed ein, als das Handy wieder klingelt - jetzt erkennt man die Melodie: der Triumphmarsch aus Aida.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.