Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005
Martin Peter

Koalitionskrise beigelegt

Brandenburg: Weniger Einwohner

Wo liegt in Brandenburg die Zukunft - im Gürtel um Berlin oder in der gleichmäßigen Förderung aller 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte? Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hat mit einem Strategiepapier in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als SPD-Landesvorsitzender einen handfesten Krach mit dem Koalitionspartner CDU ausgelöst, der aber inzwischen beigelegt worden ist. Platzeck spricht sich für eine Förderpolitik aus, die sich auf die Regionen um Berlin konzentrieren, auch Speckgürtel genannt. Damit gibt er das in den 90er-Jahren von seinem Vorgänger Manfred Stolpe propagierte Konzept der dezentralen Förderung auf, die eine gleichmäßige Entwicklung des 2,59 Millionen Einwohner zählenden Flächenlandes garantieren soll und die noch geltendes Gesetz ist.

Die CDU ist nicht generell dagegen, zumal eine Überarbeitung der dezentralen Förderung im SPD/CDU-Koalitionsvertrag von 2004 festgehalten worden ist. Bis Mitte dieses Jahres muss Infrastrukturminister Frank Szymanski (SPD) einen Landesentwicklungsplan zur Neuausweisung zentraler Orte vorlegen. Nur fühlte sich die CDU von dem SPD-Papier des Ministerpräsidenten zur Förderung der so genannten Metropolenregion überfahren. CDU-Fraktionschef Thomas Lunacek und CDU-Generalsekretär Sven Petke: Platzeck redet einer "Entsiedelung" der Randregionen das Wort und lässt damit zwei Drittel der Brandenburger im Stich. Auch die Vorsitzende der PDS-Fraktion im Potsdamer Landtag, Dagmar Enkelmann, ist überzeugt, dass Platzeck die ländlichen Regionen "abhängen" will.

Von Abhängen kann keine Rede sein, setzt sich der Regierungschef zur Wehr, der das Thema bereits auf die Tagesordnung des Kabinetts gesetzt hat und in den kommenden Wochen eine ausführliche Diskussion unter allen Ministern wünscht. Allerdings werde man sich in den dünn besiedelten ländlichen Regionen wie der Uckermark im Nordosten oder der Prignitz im Notwesten des Landes auf andere Lebensqualitäten einstellen. Vor allem Versorgung, Infrastruktur und Dienstleistungen müssten in den Städten dieser Regionen konzentriert werden. Um die Mobilität zu garantieren, seien etwa auch im öffentlichen Nahverkehr neue Möglichkeiten auszuprobieren - etwa der nach Bedarf fahrende und von Ehrenamtlichen gesteuerte Bürgerbus.

Auf die Ängste aus den Randregionen hat der Regierungschef inzwischen reagiert. Keinesfalls werde man die von Berlin weit entfernten Gebiete vernachlässigen. Für Landwirtschaft und Tourismus würden weiterhin fast 250 Millionen Euro dem ländlichen Raum zur Verfügung gestellt.

Hintergrund der Debatte ist folgender: Auf der einen Seite hat sich die dezentrale industrielle Förderpolitik (Chipfabrik in Frankfurt/Oder, Cargo-Luftschiffe in Brand oder Lausitzring) nicht ausgezahlt. Viele Millionen Euro öffentlicher Gelder wurden buchstäblich in den märkischen Sand gesetzt.Doch das größte Problem ist die negative Bevölkerungsentwicklung. Schätzungen zufolge wird das Berliner Umland leicht an Bevölkerung zunehmen, Berlin ferne Regionen in Brandenburg aber bis zum Jahr 2020 etwa 240.000 Einwohner verlieren. Das führt nicht nur zu einem großen Wohnungsleerstand, sondern auch zu einem Abwandern von Arztpraxen, Geschäften und anderen Dienstleistungsangeboten. Durch die Abwanderung vor allem junger Menschen werden die Dörfer außerdem völlig überaltern.

Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerungszahl Brandenburgs insgesamt von 2,59 auf 2,41 Millionen Menschen im Jahr 2020 sinken wird. Dabei wird sie im Speckgürtel um 6,6 Prozent steigen, aber in den Randregionen um 14,9 Prozent sinken. Schon jetzt stehen 165.000 der insgesamt 1,3 Millionen Wohnungen leer. So wird der vom Bund geförderte Stadtumbau viel Geld kosten, nämlich 430 Millionen Euro. Davon entfallen 170 Millionen Euro auf den Abriss von 50.000 Wohnungen und 170 Millionen Euro für Sanierung und Umbau in insgesamt 26 Städten. Für den der Dörfer, der ebenfalls dringend notwendig wäre, reicht freilich nicht das Geld.

Finanzminister Rainer Speer hat nun auch noch eine neue Kreisreform - die letzte erfolgte vor zehn Jahren - ins Spiel gebracht. Allerdings sieht der Koalitionsvertrag vor, dass es eine solche bis zum Jahr 2009, also bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode nicht geben wird. Nach den Vorstellungen von Speer, einem der engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten, könnten aus den bislang 14 Landkreisen nur noch sechs werden und von den vier kreisfreien Städten Potsdam, Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt/Oder würden nur die beiden ersten übrig bleiben. Dadurch würden sehr große Landkreise mit bis zu 400.000 Einwohnern entstehen. Landräte und Bürgermeister befürchten dann ein Ende der gewohnten kommunalen Verwaltung. Vor allem für die Menschen in den Berlin fernen Regionen würden sehr weite Wege in die zuständige Kreisstadt entstehen.

Alle diese Vorschläge machen deutlich, wie ernst die Entwicklung in Brandenburg eingeschätzt wird. Dabei wird weder von der SPD noch von der CDU oder der PDS bestritten, dass eine Förderung der Regionen des Landes um Berlin mehr bringt als das bisherige Gießkannenprinzip - wobei Ministerpräsident Platzeck davon ausgeht, dass eine solche Förderung auf das ganze Land ausstrahlt. Im Klartext bedeutet dies, dass der Ministerpräsident die bislang 40 und mehr Förderschwerpunkte stark zusammenstreichen will.

Allerdings sollen auch die Städte in den Randregionen nicht zu kurz kommen - etwa Neuruppin, Schwedt oder Eberswalde. Aber er ist eben davon überzeugt, dass der Speckgürtel der "Kraftspender" für das Land ist und deshalb besonders gefördert werden muss. Allerdings ist dadurch nicht auszuschließen, dass noch mehr Menschen aus den Randregionen in eben den Speckgürtel ziehen, der bislang vor allem vom Zuzug aus Berlin profitiert hat.


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