Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005
Geneviève Hesse

Ein Leben nach der Arbeit?

Das Stück "Eldorado" skizziert das Doppelleben eines Arbeitslosen

Mitten in der Hartz-IV-Zeit zeigt eine Aufführung an der Schaubühne Berlin, dass das Leben nach dem beruflichen Absturz auferstehen kann - und vielleicht erst dann richtig aufblüht. In "Eldorado" greifen Autor Marius von Mayenburg und Regisseur Thomas Ostermeier den widersprüchlichen Zeitgeist zum Thema Arbeitslosigkeit subtil auf. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, Anton, wird arbeitslos. Es ist keine freiwillig gewählte, kreative Pause - Anton wird gefeuert, er hat schwerwiegende Fehler begangen. Selber schuld. Jetzt tut er, als nichts wäre. Seine Frau darf es nicht erfahren. Jeden Tag verlässt er das Haus - doch Anton hat kein Büro mehr. Sein Schicksal endet mit Selbstmord, so real, wie man es sich in Zeiten von Hartz IV vorstellen kann. Anton stirbt, weil sein Selbstwertgefühl im Privatleben nicht tief genug verankert ist, um den Super-GAU im Beruf zu überleben. Doch auf der Bühne geht sein Leben weiter, der Verstorbene tritt wieder auf und kann reden. Nach dem Filter des Todes fallen die Mas-ken ab. Die Kommunikation von Anton mit seiner Frau Thekla fängt endlich wirklich an. Sie reden nicht mehr aneinander vorbei.

Anton muss durch den Tod, um wieder zum Leben zu kommen. Er ist auf der Suche nach einer anderen Dimension, in der er sich hingeben kann. Die Sehnsucht nach dem Land mit Gold - Eldorado. Es geht hier um das Streben nach dem alles verheißenden Glück. Doch davon hat jeder eine andere Vorstellung. Antons Chef Aschenbrenner wirft Bomben, baut Häuser, und sehnt sich nach einer neuen, durch die Menschen künstlich erbauten Landschaft. Er verkörpert die kriegerische, konsumorientierte Gesellschaft. Die sexgeile Mutter von Thekla strebt nach immer mehr Macht. Dank ihres Vermögens kann sie alles kaufen und manipulieren. Erst am Ende verliert die selbstverliebte Mutter. Sie schafft es nicht, ihre verwitwete Tochter ins eigene Haus zurückzulocken. Sie gehört zur alten, überholten Generation, deren Werte in Zeiten der arbeitslosen Gesellschaft keine Zukunft mehr haben.

Das ist der Wendepunkt von Eldorado: Wie gehen Frauen mit dem wirtschaftlich entwerteten Mann um? Thekla bricht mit der herrschsüchtigen Haltung ihrer Mutter. Dadurch wird sie zur zentralen Figur der Geschichte. Stephanie Eidt in der Rolle von Thekla verkörpert durch ihre erdgebundene Art die aufbrechende Generation. Sie steht auch da für die Erbengeneration, die sich dagegen wehrt, seelisch gekauft zu werden. "Was du willst", verspricht ihr die Mutter verführerisch. "Nein. Was du willst", schreit Thekla zurück und entlarvt die mütterliche Dominanz. Mit ihrem etwas naiven Spiel übernimmt Stefanie Eidt die Rolle einer modernen Madonna. "Wir werden das Haus verlieren, aber mich verlierst du nicht", flüstert sie am Ende ihrem Mann zu. Schade nur, dass er sterben musste, damit sie endlich die richtigen Worte findet. Am Anfang schwärmte sie hauptsächlich von der Pergola im neuen Haus. Zwar freute sie sich auch auf das in ihrem Bauch wachsende Kind als die "funktionierende" Perspektive ihres gemeinsamen Lebens. Aber die meiste Zeit beklagte sie sich über den Verfall ihrer beruflichen Identität als Pianistin.

Dank Theklas späterer Umkehr gibt es noch eine Chance für Anton - trotz des Todes. Optimismus war bisher nicht gerade die Stärke des Autors von "Eldorado". Doch in der letzten Szene steckt viel Hoffnung. Thekla hält Anton zärtlich in ihren Armen. Ihre letzten Worte wirken beruhigend und zuversichtlich: "Du musst jetzt schlafen, alles andere kommt später." Sanft umschlungen ist das Ehepaar auch am Anfang des Stückes eingeschlafen, lagen allerdings hilflos auf dem Boden. Nun stehen sie kraftvoll da, die beiden Figuren, die bisher als therapiebedürftig abgestempelt waren. Raffiniert läutet "Eldorado" eine moderne Auffassung von beruflichem und privatem Glück ein. Es entwirft erste Schritte aus der Arbeits- und Liebesmisere. Sicher ist es ein Luxus der neuen Wohlstandsgeneration, nicht mehr in kriegerischen Begriffen denken zu müssen. Sei es im Beruf oder in der Ehe. Aber vielleicht ist es auch richtige Avantgarde.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.