Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 16 / 18.04.2005
Barbara Minderjahn

OSZE in der Krise

Finanzen und Menschenrechte

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist eine der wichtigsten sicherheitspolitischen Institutionen Europas. Sie versucht, das Entstehen bewaffneter Konflikte zu verhindern und dort, wo der Bürgerkrieg schon ausgebrochen ist, die Auseinandersetzungen zu beenden. Dazu stellt die von 55 Ländern getragene Organisation unabhängige Beobachter zu Wahlen und in Krisengebiete ab. Sie vermittelt zwischen Konfliktparteien, kontrolliert Abrüstungsverträge, sorgt dafür, dass die Bevölkerung ihre Waffen abgibt, und entwickelt Maßnahmen gegen Menschenhandel, Waffenhandel und Drogenschmuggel.

Seit Anfang dieses Jahres kann die Institution ihren Aufgaben jedoch nur noch mit Schwierigkeiten nachgehen. Russland, eines der wichtigsten Mitglieder der in Wien ansässigen Organisation, hat die Zustimmung zum Budgetentwurf verweigert. Der Pressesprecher der OSZE, Richard Murphy, erklärt die Konsequenzen: "Im Wesentlichen heißt es, dass wir keine neuen Aktivitäten durchführen können, die nicht im Budget von 2004 eingeplant sind. Die normale tägliche Arbeit der meisten Missionen und die bestehenden Aktivitäten gehen weiter. Aber neue Aktivitäten oder neue Einstellungen von Personal sind nicht möglich, bis wir ein Budget für 2005 haben." Das Problem ist schwerwiegender, als es die Offiziellen darstellen mögen. Sämtliche Missionen arbeiten derzeit auf der Basis eines so genannten Notbudgets. Im ersten Quartal durfte die OSZE ein Viertel des Vorjahresbudgets ausgeben. Seit April gibt es ein Monatsbudget. Das Ausgabenlimit beträgt ein Zwölftel des Vorjahresbudgets und muss monatlich vom gesamten Gremium verlängert werden. Die Verantwortlichen können weder langfristig planen noch auf neue Bedrohungen oder Konflikte reagieren.

Der Hintergrund der Krise ist ein Streit über die Ausrichtung und die Prioritätensetzung innerhalb der Organisation. Die Arbeit der OSZE wird traditionell in drei Bereiche eingeteilt: Das ist erstens die so genannte militärische Komponente. Dann gibt es den Bereich Wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz. Die dort anfallenden Maßnahmen sollen helfen, das Entstehen von Konflikten zu verhindern. Die Mitarbeiter im dritten Bereich beschäftigen sich mit Menschenrechten und Demokratieentwicklung. In diese Kategorie fällt auch die Wahlbeobachtung der OSZE.

Pressefreiheit eingeschränkt

Vor allem mit dem dritten Bereich haben die Regierung in Moskau und einige andere Regierungen von GUS-Staaten ein Problem. Viele dieser Staaten sind nicht wirklich demokratisch. Folter, Korruption und die Missachtung von Freiheits- und Menschenrechten sind gang und gäbe. In Russland ist beispielsweise die Pressefreiheit stark eingeschränkt.

Die Wahlen in der Ukraine, Georgien und Kirgisien haben Moskau vor Augen geführt, wie schnell Oppositionspolitiker nicht zuletzt mit Hilfe der OSZE-Wahlbeobachtung die autoritären, russlandtreuen Regierung in Zentralasien und anderen GUS-Staaten stürzen können. Und schon jetzt haben die so genannten Demokratisierer angekündigt, ihre Bewegung auch auf Russland auszuweiten. Die russische Regierung fordert daher mehr Zurückhaltung bei der Wahlbeobachtung und insgesamt weniger Aktivitäten im Bereich der Menschenrechte. Die Organisation solle sich in Zukunft mehr um die militärischen und wirtschaftlichen Fragen kümmern. Der Bereich Menschenrechte, der vor allem in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen hat, soll dahinter zurücktreten. Darüber hinaus will Russland über die Finanzierung der Organisation neu verhandeln. Der Beitrag, solle sich danach richten, wie viel die Mitgliedsstaaten zahlen können, und nicht mehr nach dem 1992 in Helsinki festgelegten Finanzierungsschlüssel. Der Beitrag zur UN beispielsweise richte sich nach dem von der OECD festgelegten Länderranking. Wenn die OSZE die Finanzierung auf diesen Modus umstellen würde, würde sich der Beitrag Russlands reduzieren. Die anderen Staaten, allen voran die USA, müssten den Fehlbetrag kompensieren. Doch gerade die USA wollen auf keinen Fall Einschnitte bei den Menschrechtsaktivitäten der OSZE akzeptieren.

Seit Monaten wird hinter den Kulissen nach einer möglichen Lösung der Krise gesucht. Der deutsche OSZE-Botschafter Dieter Boden: "Ich glaube man soll da keine schematischen Lösungen suchen. Man muss sich einfach über die Dringlichkeit der Probleme, wie die Dinge entstehen, einigen, und sie dann angehen. Das kann mal sehr stark im Bereich der dritten Dimension liegen. Das muss aber nicht so bleiben. Es können andere Themenbereiche nach vorne kommen. Wir haben ja eine zweite Dimension, die wirtschaftliche Maßnahmen umfasst." Deutschland wäre bereit, bis zu einem gewissen Grad die Prioritäten zu verschieben. Bei der Finanzierung gibt es Zugeständnisse: "Wir haben ein Modell erörtert, bei dem Deutschland nach langem Prüfen bereit gewesen wäre zuzulegen", erklärt Boden. Die Menschenrechte seien nicht verhandelbar, unterstreicht die Mitgliedermehrheit.

Jetzt scheinen sich die Positionen aufeinander zu zu bewegen. Vertreter der USA und Russland haben am 6. April in Moskau vereinbart, die Probleme gemeinsam zu lösen. Es habe Gespräche über die Budgetfrage, die OSZE-Wahlbeobachtung und andere strittige Fragen gegeben, heißt es aus offiziellen US-Kreisen. Man habe sich darauf geeinigt, "an einem Vorschlag zu arbeiten, der für alle OSZE-Mitglieder vertretbar ist", sagte ein US-Vertreter. Diplomaten gehen davon aus, dass Moskau für dieses Jahr noch dem Budget in geplanter Form zustimmen wird, unter dem Vorbehalt, dass man sich bis Ende 2005 auf Reformen in allen Bereichen einigt.

Im Klartext: Ab 2006 gibt es weniger Geld aus Moskau für Menschenrechte und Demokratisierung. Möglicherweise wird der Bereich, den die meisten als einen der wichtigsten betrachten, bei der OSZE eingeschränkt. Ansonsten steht die Organisation in neun Monaten wieder ohne Budget da. Die Frage, wie sich Europa zu Menschenrechten und Demokratie stellt, ist nicht gelöst.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.