Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 18 - 19 / 02.05.2005
Bernd Stöver

Frostige Zeiten zwischen Ost und West

Der Kalte Krieg: Ein langer Frieden oder doch nur ein Krieg anderer Art?
Was eigentlich der Kalte Krieg war, der mit dem Zerwürfnis der Alliierten des Zweiten Weltkrieges nach dem Sieg über Hitler begann, ist trotz tausender Buchtitel ein kontroverses Thema geblieben. War er "ein Krieg anderer Art", wie es häufig hieß, oder war er "ein langer Frieden", wie der US-Historiker John Lewis Gaddis annahm?

Gräbt man nach der Herkunft des Begriffs, zeigt sich, dass die dahinter stehende Idee von Anfang an eng mit der Waffenentwicklung zu tun hatte. Die Atombombe veränderte - auch wenn man 1945 noch weit von der Gefahr eines Nuklearkrieges entfernt blieb - alle bisherigen Vorstellungen von Krieg und Frieden. Herbert Swope, Mitarbeiter Bernard Baruchs bei den Atomkontrollgesprächen 1946/47 und mutmaßlicher "Erfinder" des Begriffs "Kalter Krieg" rückte jedenfalls die Vorstellung in den Mittelpunkt, die Beziehungen der Westmächte zur Sowjetunion glichen eher Krieg als Diplomatie. Es waren die 1946 begonnenen Verhandlungen, die Swope letztendlich zu der Vorstellung führten, dies sei "der Kalte Krieg", der sich von einem "heißen Krieg" nur darin unterscheide, dass noch nicht geschossen werde.

Seine Vorstellung, die Ost-West-Beziehungen befänden sich in einem "Quasi-Krieg", stieß auf breite Zustimmung, vor allem nachdem im Herbst 1947 die Broschüre des Journalisten Walter Lippmann mit dem Titel "The Cold War" erschienen war. Sie kann als eigentliche öffentliche Einführung des Begriffs gelten, wenngleich der Terminus in Lippmanns Buch überhaupt keine Rolle spielte. Aber auch Lippmann, der sich mit Swope über Jahre um das Urheberrecht des Begriffs stritt, hielt die Atombombe und ihre umfassenden Folgen für das eigentliche Merkmal des Kalten Krieges.

Trotz seiner Unklarheiten macht es also durchaus Sinn, den Begriff des Kalten Krieges zu verwenden und ihn als spezifische und radikalste Phase des Ost-West-Konflikts seit 1917 zu verstehen. Der Kalte Krieg war - wie sich in den folgenden Jahren zeigte - im Gegensatz zum Ost-West-Konflikt ein permanenter und aktiv betriebener "Nicht-Frieden", in dem nahezu alles das eingesetzt wurde, was man bisher nur aus der militärischen Auseinandersetzung kannte. Durch die Atombombe kam etwas hinzu, was bisher gänzlich unbekannt war: Dieser "Nicht-Frieden" konnte schließlich binnen Stunden zu einem unbegrenzten Nuklearkrieg werden und einen Großteil der Menschheit vernichten. Der Kalte Krieg war eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte. Nur in der Dritten Welt wurde der Kalte Krieg schließlich auch als konventionelle militärische Auseinandersetzung geführt. Die Nichtvereinbarkeit der beiden Lager führte zudem in den einzelnen Gesellschaften zu Polarisierungen, die deutlich machten, dass der Kalte Krieg eigentlich nur Kombattanten kannte. Dass die Öffentlichkeit ebenso wie die wissenschaftliche Literatur im Anschluss an den Kollaps des sowjetischen Systems und seiner Satelliten die Frage nach dem Gewinner der Auseinandersetzung stellte, zeigt, wie selbst noch in der Retrospektive der Kalte Krieg als Kampf um Sieg oder Niederlage verstanden wurde.

Viel ist über die Ursachen des Kalten Krieges geschrieben worden. Der Kalte Krieg war letztendlich ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und der Unmöglichkeit angesichts unterschiedlicher Wertesysteme und politischer Machtansprüche, vor allem aber angesichts eines schon traditionellen Misstrauens zwischen "dem Westen" und "dem Osten" eine gemeinsame neue Weltordnung zu entwickeln. Die offiziellen "Kriegserklärungen" für den Kalten Krieg folgten zwei Jahre nach Kriegsende: Im März 1947 legten sich die USA und ihre Verbündeten mit der "Truman-Doktrin" auf eine aktiv betriebene Eindämmung des Kommunismus fest, die wenig später durch eine "Befreiungspolitik" ergänzt wurde. Die Antwort Moskaus erfolgte ein halbes Jahr später. Am 30. September 1947 präsentierte der Kominform-Vorsitzende Andrej Shdanow die so genannte "Zwei-Lager-Theorie", mit der es den von der UdSSR geführten Staaten sowie allen Kommunisten zur Aufgabe gemacht wurde, sich für den Kampf gegen "den Imperialismus" bereit zu halten.

Konflikt der Weltanschauungen

Im Kern blieb der Kalte Krieg zwischen 1947 und 1991 eine Auseinandersetzung zwischen den beiden unvereinbar erscheinenden Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen. Bis weit in die 80er-Jahre wurde der Kalte Krieg als Systemkonflikt zwischen dem kommunistischen Modell der staatssozialistischen "Volksdemokratie" auf der einen und dem westlichen Modell der liberalkapitalistischen parlamentarischen Demokratie auf der anderen Seite aktiv geführt. Prinzipiell beharrten beide Seiten bis zum Ende auf universaler Anwendung und globaler Gültigkeit. In der Konfrontation zwischen den Führungsmächten Sowjetunion und USA ordnete sich ein Großteil der anderen Staaten den jeweiligen Blöcken zu. Die Ausnahme bildeten China und die Gruppe der so genannten Blockfreien, die ohne (Vertrags-) Bindung an den Westen und den Osten größtmögliche politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit ihrer Länderbewahren wollten. Strukturell ging die ursprünglich bipolare Auseinandersetzung schon wenige Jahre nach ihrem Beginn in eine multipolare Konfrontation über.

Im Rückblick betrachtet, prägten den global ausgetragenen bipolaren Grundkonflikt, der mit wechselnden geographischen Schwerpunkten ausgetragen wurde, sechs sich überlagernde Eskalations- und Entspannungsphasen, die deutlich machen, dass der Kalte Krieg eine Einheit bildete - eine Epoche des Kalten Krieges: Formierung des Konflikts zwischen 1945 und 1947, Blockbildung (1947/48 - 1955), Eskalation und Stilllegung in Europa (1953 - 1961), Verlagerung in die Dritte Welt (seit 1961), Entspannung (1953 - 1979/80), Rückkehr zur Konfrontation (1979/80 - 1989), Auflösung des Ostblocks (1985 - 1991). Trotz des in Entspannungsphasen immer wieder verkündeten Endes der Auseinandersetzung markierte erst die Auflösung der Sowjetunion den Ausgang dieses fast genau 45 Jahre dauernden "anderen Krieges", die von den Entspannungs- und Eskalationsphasen verändert, aber nicht beendet wurde. Ein "langer Friede" wurde es nur für das hochgerüstete Europa, in dem jede gewaltsame Veränderung die Gefahr eines globalen Atomkrieges heraufbeschwor. Den Preis zahlte die "Dritte Welt", in der die konventionellen Konflikte der Blöcke seit 1945 ausgetragen wurden: Lateinamerika, Asien, Afrika.

Eine Kriegsschuldfrage ist natürlich auch in Bezug auf den Kalten Krieg gestellt worden. Drei Versionen wurden im Verlauf der Auseinandersetzung vorgelegt. 1. Nach der traditionellen Vorstellung, der frühesten Erklärung, war für die Entstehung und Forcierung des Kalten Krieges die marxistisch-leninistische Ideologie mit ihrem Anspruch auf die Weltrevolution verantwortlich. 2. Die revisionistische Erklärung betonte seit den 60er-Jahren die amerikanische Verantwortung für die Entstehung des Kalten Krieges. Die Sowjetunion sei aus dem Zweiten Weltkrieg geschwächt hervorgegangen und habe dem Westen nahezu hilflos gegenübergestanden. Stalins Politik sei weniger von imperialen Vorstellungen ausgegangen als von der Bewahrung und Sicherung des bestehenden Staates. Die Ursache des Konfliktes müsse man daher vielmehr in der politisch-wirtschaftlichen Struktur der Vereinigten Staaten sehen, die auf permanente Erschließung neuer Absatz- und Rohstoffmärkte ausgerichtet sei. 3. Beide Positionen haben sich seit den 70er-Jahren in der postrevisonistischen Interpretation des Kalten Krieges angenähert: Sie geht davon aus, dass das festgefahrene Feindbilder und die daraus (Fehl-)Interpretationen beider Seiten für die rasante Entstehung und bedrohliche Entwicklung der Auseinandersetzung maßgeblich waren. Kontinuierlich hätten eingefahrene Wahrnehmungsmuster wiederum Entscheidungen produziert, die den Konflikt weiter angeheizt hätten.

Der Beginn und der Verlauf des Kalten Krieges zeigten nachdrücklich, wie die Wahrnehmung des Gegners tatsächliche Bedrohungen noch einmal um ein Vielfaches steigerten. Dies bedeutet nicht, dass der Kalte Krieg ein Missverständnis war. In vielem war er ein klassischer Machtkonflikt zweier Staatenblöcke. Gerade aber auch seine Endphase zeigte deutlich, wie stark die Überwindung von eingefahrenen Perzeptionsmustern zur Beendigung des Kalten Krieges beitrug. Gorbatschows innen- und außenpolitische Reformen, sein Wille, diese fortzusetzen, als sich unerwünschte Folgen zeigten und die Bereitschaft des Westens, ihm schließlich einen Vertrauensbonus einzuräumen, trugen dazu bei, den Kalten Krieg zu beenden.


Dr. Bernd Stöver arbeitet als Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam.


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