Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 41 / 10.10.2005
Simone Wisotzki

Auf dem Altar der Kompromisse

Die Rolle der Frau in patriarchalischen Gesellschaften

Frauen sind verlässliche Partnerinnen, auf die Entwicklungshilfeorganisationen beim Nation-Building gerne zurückgreifen. Doch stößt die Einflussnahme von außen in den betroffenen Staaten häufig auf männlichen Widerstand. Die weibliche Teil- habe an der Macht beinhaltet auch, überkommene Geschlechtervorstellungen zu überdenken. Bevor innerstaatliche Konflikte gewaltsam eskalieren, bedienen sich die Kriegsparteien Geschlechterstereotype, die Frauen auf das Private reduzieren und vom politischen Leben ausschließen. Die amerikanische Wissenschaftlerin Jean Bethke Elshtain hat gezeigt, dass in Kriegen Männer häufig als "gerechte Krieger" und Frauen als die "schöne Seele" stereotypisiert werden. Wenn Friedensarbeit und Nation-Building erfolgreich sein sollen, muss es gelingen, eine Bandbreite an Geschlechterrollen herzustellen, die es Frauen ermöglicht, ihre Vorstellungen vom Wiederaufbau von Staat und Nation gleichberechtigt zu verwirklichen.

Von diesem anspruchsvollen Konzept geschlechtersensibler Konfliktbearbeitung sind die beiden jüngsten Beispiele - Afghanistan und Irak - weit entfernt. Obwohl beide Fälle in ihrer Vorgeschichte und dem Konfliktgeschehen deutliche Unterschiede aufweisen, lassen sich aus der Genderperspektive eine Reihe von Gemeinsamkeiten identifizieren, die symptomatisch sind für die Versäumnisse, die in der Realisierung geschlechtersensibler Friedenspolitik zu beklagen sind. Dabei sind die Grundlagen und Konzepte einer solchen Politik bis hin auf die Ebene des UN-Sicherheitsrats ausbuchstabiert worden. Mit der UN-Resolution 1325 "Frauen, Frieden, Sicherheit" ist es der internationalen Frauenfriedensbewegung gelungen, konkrete Maßnahmen einer geschlechtersensiblen Konfliktnachsorge im Bewusstsein der Weltgemeinschaft zu verankern. Darin heißt es unter anderem, dass Frauen im Implementierungsprozess der Friedensabkommen beteiligt werden sollen und Frauenrechte auch im Neuentwurf von Verfassung, bei Rechtsreformen, im Wahlsystem sowie dem Aufbau von Polizei und Armee berück-sichtigt werden. Gendersensiblem Nation-Building fehlt es nicht an normierten Grundlagen und guten Programmen, es mangelt jedoch auf internationaler wie nationaler Ebene an politischem Willen, Entschlusskraft und Nachhaltigkeit, diese Vorgaben umzusetzen. Die Genderperspektive stößt immer dann auf Widerstand, wenn es um die Teilhabe an der politischen Macht oder um die Revision tradierter Geschlechtervorstellungen geht. Besonders kritisch wird der Umgang mit den Frauenrechten, wenn ihre Realisierung auf religiöse Vorbehalte trifft. Die rechtliche Situation muslimischer Frauen in Konfliktgebieten hängt entscheidend von der gewählten Rechtsgrundlage ab - die Scharia gilt dabei allgemein als besonders problematisch.

Für Männer wie Frauen in Afghanistan war das Leben unter der Herrschaft der Taliban kaum zu ertragen. Frauen waren jedoch in besonderer Weise betroffen, weil sie unter anderem vom Erwerbsleben, von der Schulbildung und auch sonst vom öffentlichen Leben systematisch ausgeschlossen wurden. Doch auch nach ihrer Befreiung von der Schreckensherrschaft bleibt ihre Situation problematisch. Zwar waren einige wenige Frauen an den Friedensverhandlungen in Bonn und an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt, doch blieb ihr Anteil und ihr Einfluss deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die neue Verfassung, die die verfassungsgebende Versammlung im Dezember 2003 beschlossen hat, knüpft immerhin an die alte Verfassung von 1964 an: Schon damals war den Frauen Gleichberechtigung zugesagt worden und ihnen das Recht zugestanden, sich politisch zu engagieren und Funktionen in Regierung und Parlament zu übernehmen. Die verfassungsmäßig garantierte Gleichheit erhält allerdings einen Interpretationspielraum durch Artikel 3, der die Bedeutung des Islams als Grundlage der Rechtssprechung betont. Menschenrechtsexperten befürchten, dass das noch zu entwickelnde Rechtssystem und die Rechtsetzung zu Ungunsten von Frauen ausfallen und das diskriminierende Sharia-Recht doch noch Anwendung findet.

Die Sicherheitslage der Frauen in einer äußerst fragilen Nachkriegssituation bleibt beklagenswert. In Afghanistan kommt die prekäre Lage zudem in einem starken Stadt-Land-Gefälle zum Ausdruck. Während sich die rechtliche Situation und das Alltagsleben von Frauen in der Hauptstadt Kabul verbessert hat, herrscht im Hinterland weiterhin Anarchie. Vor allem dort sind Frauen und Mädchen weiterhin von der Willkürherrschaft ihrer Männer und Väter abhängig, leiden unter häuslicher Gewalt und sehen oftmals den einzigen Ausweg, sich aus ihrer Zwangsehe zu befreien, in ihrem Tod. Definiert man Sicherheit aus der Perspektive der "menschlichen Sicherheit" so fehlt es Frauen und ihren Familien an grundlegender medizinischer Versorgung, Möglichkeiten der Existenssicherung und Schulbildung. Natürlich sind Männer ebenfalls von den defizitären Verhältnissen betroffen, doch trifft es Frauen, die sich traditionell um Familie und Kinder sorgen, umso härter.

Zwar ist den Frauen Afghanistans in der Verfassung eine Quote von 25 Prozent der Parlamentssitze zugesichert worden, doch folgten bislang nur zwei bis sieben Prozent der Frauen in den ländlichen Bezirken den Wahlaufrufen. Hier fehlt es an Informationen und Aufklärung, denn die Mehrheit glaubt, sich nur von ihren Männern politisch vertreten lassen zu dürfen. Frauenrechte bleiben in Afghanistan von männlicher Willkür abhängig. Mit dem Ministerium für Frauenangelegenheiten ist in der Tat eine wichtige Anlaufstelle für die Stärkung von Frauenrechten geschaffen worden, die auch Einfluss auf die Entwicklung geschlechtersensibler Programme in den Ministerien haben soll. In der Praxis wurde jedoch die erlassene Schulpflicht für Mädchen vom neuen Erziehungsminister sofort wieder eingeschränkt. Sie gilt fortan nicht mehr für die Verheirateten unter ihnen - die meisten Mädchen sind bei ihrer Eheschließung nicht einmal 14 Jahre alt.

Im Irak war die Ausgangslage für Frauen eine andere. Der irakische Diktator Saddam Hussein schuf einen säkulären Staat, in dem die Integration von Frauen ins öffentliche Leben zum Reformprogramm seiner Baath-Partei gehörte. Nach dem Golfkrieg von 1991 und der Verhängung von Wirtschaftssanktionen nutzte Hussein verstärkt den Islam, um seine Legitimität sicherzustellen und nahm hin, dass Frauen Einschränkungen im öffentlichen Leben erfuhren. Dennoch war es ihnen möglich, Schulen und Universitäten zu besuchen und ihrer Arbeit nachzugehen.

Auch wenn vor allem die soziale Sicherheit in den Jahren der Wirtschaftssanktionen prekär war, hat sich die Sicherheitssituation insbesondere für Frauen und Mädchen mit dem Sturz des Diktators drastisch verschlimmert. Allein aus Bagdad berichten Menschenrechtsorganisationen von Verschleppung und systematischer Vergewaltigung junger Mädchen und Frauen. Die politische Lage des Landes bleibt durch den Terror und den stärker werdenden Konflikt zwischen den Schiiten, Sunniten und Kurden angespannt. Der Streit dreht sich vor allem um die Frage der Vormachtstellung der Religion im Rechtssystem und die föderale politische Organisation des Landes - die Frage der Gleichberechtigung der Frauen tritt dabei in den Hintergrund und wird auch von der amerikanischen Übergangsregierung auf dem Altar der Kompromisse zwischen den Konfliktparteien allzu bereitwillig geopfert. Dies zeigte sich sehr deutlich im kürzlich abgeschlossenen Verfassungsprozess: Zwar waren Frauen durch Quotierung daran beteiligt, doch dem Druck von außen, die Verfassung schnell abzuschließen, fielen die Frauenrechte zum Opfer. Immerhin ist es der wiedererstarkten irakischen Frauenbewegung gelungen, zu verhindern, dass die Scharia zur Grundlage des neuen Familienrechts wird - in der Verfassung finden sich zwar Hinweise auf die Bedeutung des Islams als Quelle der Rechtssprechung, aber immerhin keine Referenz zur Scharia.

Der Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft kann nicht gelingen, wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung vom Erwerbsleben und politischer Mitarbeit ausgeschlossen wird. Untersuchungen heben die sozioökonomische Bedeutung berufstätiger Frauen hervor, aber auch ihre Aufgabe in der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. In der praktischen Friedensarbeit gelingt es Frauengruppen häufiger, ethnische Differenzen zu überwinden. Ihr Engagement trifft immer dann auf kulturelle und religiöse Vorbehalte, wenn es um die Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse oder gar um die Teilhabe an der politischen Macht geht. Frauen muss deshalb die Chance auf Mitsprache eingeräumt werden, die Quotierung beim Wiederaufbau politischer Institutionen ist hierfür ein erster Schritt.

Dr. Simone Wisotzki arbeitet bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konflikforschung in Frankfurt am Main.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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