Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 49 - 50 / 05.12.2005
Helmut Merschmann

Mit einem Klick im Orient

Ein virtuelles Museum versammelt die Schätze islamischer Kunst

Vieles, was mit dem Islam zusammenhängt, stößt hierzulande auf Ressentiments. Nicht erst seit dem 11. September 2001 werden der Islam und seine Kultur kritisch beäugt und manchmal voreilig mit Islamismus gleichgesetzt. Dem europäischen Blick gilt der Orient traditionell als das Fremde und Andersartige. Dabei gibt es eine lange Tradition des kulturellen Austauschs, die bis in die Antike reicht, wo die Wurzeln auch der europäischen Kultur zu finden sind. Islamische Kunst und Architektur haben die europäischen Künste nachhaltig beeinflusst. Rund um das Mittelmeer, sind die vom Orient geprägten Kulturschätze noch heute zu bewundern.

Inzwischen muss man aber nicht mehr weit reisen: Ab Freitag dieser Woche lädt ein Online-Museum mit dem etwas sperrigen Namen "Discover Islamic Art" (www.discoverislamicart.org) dazu ein, die Vielfältigkeit der islamischen Kunst zu entdecken. Ein Zusammenschluss von 17 koordinierenden Museen aus 14 Ländern Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens hat dieses virtuelle Museum ermöglicht. Da-runter befinden sich das Islamische Museum in Kairo, das syrische Nationalmuseum in Damaskus, das spanische Museo Arquelógico Nacional in Madrid und das Museum für Islamische Kunst im Berliner Pergamonmuseum. 25 weitere Museen stellen Materialien zur Verfügung. Eine beachtliche Sammlung von über 850 Kunstwerken und 385 Bauwerken ist bislang in einer ständigen Sammlung zusammengetragen und im Internet verfügbar gemacht worden. Kulturschätze aus der Zeit der syrischen Kalifen (ab 661) bis zum Ende des Osmanischen Reiches (1922) finden sich dort.

Neun so genannte Ausstellungsstraßen führen durch einzelne Regionen und machen mit den dort vorhandenen Kunstschätzen vertraut. Wählt man beispielsweise "Islamische Kunst im Mittelmeergebiet" lassen sich die Sammlungen einzelner Nationalmuseen betrachten, die verlinkt sind mit vergleichbaren Kunstwerken anderer Regionen. Texte liegen in der jeweiligen Nationalsprache des Landes sowie auf Englisch, Französisch und Arabisch vor. Freilich sind die Ausstellungsstücke nur als Fotografien zu betrachten. Wählt man jedoch die höhere Auflösung, wird in der Vergrößerung ein erstaunlicher Detailreichtum erzielt. "Die virtuelle Realität gibt Details zu erkennen", zeigt sich Projektleiterin Eva Schubert überzeugt, "die in der Realität nicht zu sehen sind."

Eine weitere Besonderheit von "Discover Islamic Art" liegt in der Form der Zusammenarbeit. Als "internationale Kooperation in Augenhöhe", bezeichnet Günther Schauerte, stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, die Teamarbeit von 120 Beteiligten, die seit einem Jahr an diesem Projekt arbeiten. Dass die Kunstwerke aus der jeweiligen Länderperspektive gezeigt und in der Nationalsprache vorgestellt werden, könnte als Impuls der Wiedergutmachung verstanden werden. Denn viele Schätze islamischer Kunst sind in europäischen Museen anzutreffen, wohin sie aufgrund eines bisweilen kolonialistisch auftretenden Forschungsinteresses gegen Ende des 18. Jahrhunderts gelangten.

"Discover Islamic Art", von der Initiative "Museum ohne Grenzen" ins Leben gerufen und realisiert, achtet peinlich genau auf darauf, jeglichen Anschein von Subordination zu vermeiden. Es herrscht eine "Gleichwertigkeit der beteiligten Museen", wie Projektleiterin Schubert sagt. Das virtuelle Museum gilt weltweit als die erste internationale Museumskooperation dieser Größenordnung. Seine Projektkosten von rund 3,15 Millionen Euro sind zum überwiegenden Teil vom Euromed Heritage Fond der Europäischen Union aufgebracht worden sowie von weiteren Sponsoren. Für Hans-Günter Gnodtke vom Auswärtigen Amt verbindet sich mit dem weltweit zugänglichen Online-Museum die Chance eines einmaligen Kulturdialogs mit dem Islam.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.