Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Günter Pursch

Ohne Vielfalt gibt es kein lebenswertes Deutschland

Angela Merkels erster Auftritt vor der Länderkammer
Für einen starken Föderalismus hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Antrittsrede vor dem Bundesrat am 21. Dezember eingesetzt. Sie versprach, vertrauensvoll mit der Länderkammer zusammenzuarbeiten. Mit verlässlicher Politik sei es gemeinsam möglich, Deutschland in zehn Jahren wieder unter die ersten drei Staaten in Europa zu führen.

Die neue Bundesregierung werde nach den Worten Merkel alles tun, den "historisch gewachsenen Charakter unseres Landes" lebendig zu erhalten. Man wolle starke Länder und Kommunen mit eigenen Entscheidungsräumen und stabilen finanziellen Verhältnissen. "Ohne Vielfalt gibt es kein lebenswertes Deutschland", unterstrich die Kanzlerin. Wie schon in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag warb sie auch im Bundesrat dafür, "mehr Freiheit" zu wagen. Dies sei der beste Weg, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich bestehen zu können. Dafür werde Kreatitivät gebraucht, die sich aus der Vielfalt entwickle, ebenso wie praxisgerechte Lösungen der Länder und Kommunen, die näher an den Problemen der Menschen seien.

Im Mittelpunkt der Politik der schwarz-roten Koalition im Bund stehen nach den Ausführungen der Kanzlerin Maßnahmen, die die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung verbessern, "bei Arbeitsmarkt, Steuern, Bürokratieabbau, Innovation und Forschung und den sozialen Sicherungssystemen". Sie wies darauf hin, dass sich die Bundesregierung vorgenommen habe, diese verbesserten Rahmenbedinungen zu schaffen, indem sie auf den Dreiklang "Sanieren - Investieren - Reformieren" setze. Dies könne aber nur gelingen, wenn die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Politik fassen würden.

So würden die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer eingesetzt, um die Lohnnebenkosten deutlich zu senken. Die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung sei ein ganz wichtiger Impuls für mehr Beschäftigung.

Neben einer beschäftigungsfördernden Lockerung des Kündigungsschutzes trete der verbesserte Einsatz von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik hinzu. Die Bundesregierung werde die arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Prüftstand stellen und die aktive Arbeitsmarktpolitik grundlegend neu ausrichten. Das besondere Augenmerk richte sich dabei auf die Eingliederung junger Menschen und die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer.

Der Arbeitsmarkt im Niedriglohnbereich soll stärker belebt werden. Das Thema Kombilöhne werde deshalb 2006 auf die Tagesordnung gesetzt.

Der Schritt, Arbeitslosen- und Sozialhilfe für erwerbstätige Menschen zusammenzuführen, sei unverändert richtig gewesen, betonte Merkel. Das Anlaufjahr 2005 habe jedoch gezeigt, dass in verschiedenen Bereichen Anpassungen vorgenommen werden müssten. Dazu gehöre die Angleichung des Arbeitslosengeldes II Ost an West, aber auch eine Korrektur bei der allzu großzügigen Anerkennung von Bedarfsgemeinschaften. In diesem Zusammenhang erklärte sie, dass sich die Bundesregierung an die Zusage halten werde, die Kommunen im Zuge der Einführung des Arbeitslosengeldes II insgesamt um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten.

Die Bedingungen im Investitionsstandort Deutschland müssten verbessert werden. Dazu sei eine rechtsform- und finanzierungsneutrale Reform der Unternehmensbesteuerung mit international wettbewerbsfähigen Steuersätzen erforderlich. Die Bundesregierung wolle 2006 mit der Erarbeitung beginnen. Die Reform soll 2008 in Kraft treten. Zur Lösung des Gewerbesteuerproblems werde man gemeinsam mit den Kommunen ein Konzept erarbeiten.

Mit ihren Grundsatzbeschlüssen zur Rentenversicherung ist nach den Worten Merkels die Große Koalition bereit, weitreichende Anpassungen an die demografischen Veränderungen der kommenden Jahrzehnte vorzunehmen. Auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege habe man sich vorgenommen, langfristig zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Erst dann erhalte der Leitsatz von der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit volle Geltung. Gerade Gesundheit und Pflege hätten viele Auswirkungen auf die Krankenhauslandschaft und Pflegesituation in den Ländern. Dies werde bei der Konzeption der Reformen berücksichtigt.

Die Kanzlerin wies darauf hin, dass es wohl seit langem keinen Koalitionsvertrag mehr gegeben habe, der so eindeutig auf den Abbau von Bürokratie, auf mehr Freiräume und schlankere Verfahren setze. Das gleiche gelte für die Innovationsfreundlichkeit und die Förderung von Zukunftstechnologien.

Beim Aufbau Ost sei die reine Unterscheidung Ost-West bei den Förderinstrumenten nicht mehr zukunftsträchtig. Man wolle zukünftig stärker auf die tatsächliche Förderwürdigkeit achten. So solle die Investitionszulage zu einem gesamtdeutschen Förderinstrument werden.

Schwerpunkte will Merkel bei Bildung, Ausbildung und Wissenschaft setzen. Mit der Föderalismusreform sollen die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in der Bildung und Forschung neu und besser verteilt werden. Dabei sollen die Länder klarere Kompetenzen in der Schulpolitik und mehr Autonomie bei den Hochschulen erhalten.

Sinkende Geburtenzahlen in Deutschland lasse die Bundesregierung nicht ruhen. Deshalb werde man sich intensiv um die Familien kümmern. Eltern sollen noch mehr als bisher bei der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit unterstützt werden. Deswegen sollen mit dem Elterngeld und den Modellprojekten für Mehrgenerationenhäuser sowie Steuererleichterungen für Kinderbetreuung und haushaltsnahe Dienstleistungen neue Wege gegangen werden.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.