Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Bert Hoffmann

Surfen unter Aufsicht - der digitale Dauerspagat

Kuba und das Internet

Internet, so feierte das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, sei "wie der Buchdruck für das Mittelalter". Das war im Dezember 1997, als die Parteizeitung "Granma" ihre erste Online-Ausgabe ins World Wide Web stellte (www.granma.cubaweb. cu). Wenn es um anderes geht als die Selbstdarstellung der Revolution, fällt die Begeisterung über die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien jedoch verhaltener aus. Das Internet stellt die Regierung in Havanna vor ein politisches Dilemma, schließlich ist das staatliche Medienmonopol ein Grundbaustein des Systems. Artikel 53 der Verfassung besagt: "Den Bürgern wird die Freiheit des Wortes und der Presse gemäß den Zielen der sozialistischen Gesellschaft zuerkannt. Die materiellen Voraussetzungen für ihre Ausübung sind dadurch gegeben, dass Presse, Radio, Fernsehen, Kino und andere Massenkommunikationsmittel in staatlichem oder gesellschaftlichem Eigentum sind und in keinem Falle Gegenstand privaten Eigentums sein können." Wie aber soll dies im Fall des Internet funktionieren?

Zunächst versuchte der Staat, das Problem durch Ignoranz zu lösen. Kuba war das letzte Land Lateinamerikas, das dem Internet beitrat. Noch 1999 gab es auf der Insel bei einer Bevölkerung von über elf Millionen Menschen ganze 2.000 Computer, die über einen Zugang zum World Wide Web verfügten - fast ausnahmslos in den Händen zentraler staatlicher Institutionen oder ausländischer Geschäftsleute. Selbst im nationalen Internetzentrum CENIAI durften Abteilungsleiter nur unter Aufsicht surfen. Sie mussten protokollieren, welche Seiten sie aufriefen, und hatten zu begründen, warum dies nötig war.

Doch auch für die Regierung Castro wurde mit der Zeit deutlich, dass ein derart restriktiver Umgang zwar die politischen Gefahren des Internets minimieren mag, dem Land aber seine Entwicklungschancen verbaut. Eine Öffnung zu den neuen Technologien ist für die Modernisierung der Wirtschaft genauso unverzichtbar wie für den Bildungs- und Gesundheitssektor, die großen sozialen Errungenschaften der Revolution.

Ein öffentliches Signal für den Kurswechsel war die Gründung des neuen, nach chinesischem Vorbild gestrickten Ministeriums für Informatik und Kommunikation (MIC) Anfang des Jahres 2000. Bis dahin war das Kommunikationsministerium immer von Militärs geführt worden. Nun stand ihm erstmals ein Zivilist vor, Ignacio González Planas, zuvor Minister für Metallverarbeitung und Elektronik. Die neuen Technologien, so die Botschaft, sind nicht nur eine zu bewältigende Bedrohung, sie sind auch unverzichtbar für die Entwicklung des Landes. Gleichwohl bleibt die Sorge um Sicherheit und politische Kontrolle bis heute oberstes Gebot: Der Staat behält ein Monopol über Internet-Provider-Dienste, so dass er über eine breite Palette technischer Kontroll- und Filtermöglichkeiten verfügt.

Seit Gründung des Ministeriums hat der Staat ehrgeizige Pläne zum Ausbau der neuen Technologien und zur "Informatisierung der Gesellschaft" - so der offizielle Begriff - formuliert. Erhebliche finanzielle Ressourcen fließen zurzeit in die Digitalisierung des Telefonnetzes und in die Modernisierung von Verwaltung, Schulen und Staatsunternehmen. Fidel Castro persönlich hat den Jugend-Computer-Clubs des Kommunistischen Jugendverbands Containerladungen chinesischer Computer übergeben.

Auf der größten Militäranlage, die die Sowjetunion in Kuba unterhielt, hat man nach dem Abzug der Verbündeten eine Informatik-Universität eingerichtet. "Infomed", das Netzwerk des kubanischen Gesundheitssystems, hat internationale Preise erhalten. Es bietet den Ärzten der Insel Datenbanken und Gesundheitsstatistiken, Online-Fortbildungen und Zugang zu digitalen Fachbibliotheken, auf die die öffentlichen Gesundheitssystem vieler anderer Staaten der Region nur neidisch sein können. Die Kehrseite ist, dass die kubanischen Mediziner aber auch nur das lesen können, was ihnen "Infomed" aus der Weiten des Netzes filtert. Wenn sie online gehen, dann surfen sie nicht im weltweiten Netz, sondern in einem rein innerkubanischen, das wie ein großes betriebliches Intranet arbeitet.

Carlos Lage, der Wirtschaftsbevollmächtigte des Politbüros, formulierte den Spagat der Regierung in einer programmatischen Rede so: "In Kuba arbeiten wir daran, die Informatisierung in bewusster und geordneter Form voranzutreiben, sodass wir ihre außergewöhnlichen Vorteile nutzen und ihre negativen Effekte verhindern." Die Regierung forciert die Vernetzung der offiziellen Einrichtungen, solange die staatliche Kontrolle über die Nutzung gewährleistet ist. Privater, individueller Zugang zum Internet wird jedoch nach wie vor verhindert. Schon Telefonanschlüsse sind in Kuba nicht allein für Geld plus Wartezeit zu erhalten, sondern werden nach "mérito", nach "gesellschaftlichem Verdienst", vergeben. Private Computer sind denkbar dünn gesät. Denn selbst wer einen PC, Telefon und die Dollars für die monatlichen Anschlussgebühren hätte, darf keinen privaten Internetanschluss beantragen. Dies bleibt allein Ausländern und staatlichen Institutionen vorbehalten. Wie für alles in Kuba, gibt es zwar auch für Modems und den Internetzugang einen Schwarzmarkt, aber die Regierung hat die Kontrollen und Restriktionen in den letzten Jahren massiv verschärft.

Doch in der Einstellung zum Internet in Kuba hat sich ein Wandel vollzogen. Vor sechs Jahren führte eine Studentin an der Literatur-Fakultät der Universität Havanna in ihrer Diplomarbeit auch Internetquellen in ihrer Literaturliste an. Der Fall wurde zum Politikum, denn es gab schließlich keine Stelle, wo sie legitimerweise nach den in der Arbeit genannten Websites zum "Lateinamerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts" hätte recherchieren können.

Erst nach langen Diskussionen und Rücksprache mit der Universitätsleitung wurde die Arbeit überhaupt angenommen, die "übertriebene" Bibliografie jedoch als Malus angemerkt. Inzwischen ist in der gleichen Fakultät ein Saal mit 20 Computern mit Internetzugang eingerichtet, an denen die Studenten surfen können - unter Aufsicht, aber immerhin. Das Aufrufen der Seiten wie "El País" oder CNN sorgt hier normalerweise nicht für großes Aufsehen. Unausgesprochen ist die Grenze des Tolerierten klar: Websites von oppositionellen Gruppen oder regimekritischen Journalisten (www.cubanet.org) oder die von dem Schriftsteller Jesús Díaz im Madrider Exil begründete Internetzeitung "www.cubaencuentro.com" wird hier kaum jemand auf den Bildschirm holen.

Druck zur Selbstzensur

Auch in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen sind Netzzugänge für die Mitarbeiter eingerichtet worden. Selbst in einigen Postämtern stehen inzwischen Terminals. Doch die Preise sind hoch, die Zeittakte kurz. Surfen kann man zumeist in den innerkubanischen Netzen, doch E-Mails können ins Ausland verschickt und empfangen werden. Doch in dem Maße, in dem durch den beschränkten Zugang das immense Informationspotenzial der neuen Technologien für den Einzelnen erahnbar wird, werden auch die Beschränkungen als bedrückender empfunden. Gerade dort, wo es Zugang zum Internet gibt, wie im Beispiel der Literaturfakultät, sind alle erdenklichen Websites nur den berühmten Mausklick weit entfernt - was man sich aufzurufen traut und was nicht, hat jeder Einzelne zu entscheiden. Dieser Druck zur Selbstzensur ist viel spürbarer und unangenehmer als bei traditionellen Medien - man erhält und empfängt ohnehin keine anderen als die staatlich zugelassenen Zeitungen und TV-Kanäle.

Dem Internet ist oft in euphorischen Tönen systemverändernde Kraft zugesprochen worden. "Das Internet wird Castro stürzen!", hatte etwa Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Vorsitzender und davor Chef von IBM Deutschland, nach einem Besuch auf der Insel prophezeit. Doch bislang funktioniert die Strategie einer schrittweisen Ausweitung unter Beibehaltung der staatlichen Kontrolle - ein Massenmedium ist das Internet auf Kuba noch lange nicht. Die Kontrollbedürfnisse des Staates lassen die kubanische Gesellschaft die neuen Technologien nur mit gebremster Kraft für die erwünschte nationale Entwicklung nutzen. Für das Regime bleibt dies ein Spagat - eine auf Dauer anstrengende Haltung.


Dr. Bert Hoffmann ist Politikwissenschaftler am Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg und Autor der Studie "Internet und Politik in Lateinamerika: Kuba".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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