Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Josef-Thomas Göller

"Gefährlich und verstockt"

Guantanamo Bay: Der US-Stützpunkt auf Kuba

Guantanamo - ein Ort, der an den musikalischen Hit "Guajira Guantanamera" erinnert. Zu Recht, bezeichnet "guajira" auf Kubanisch doch nichts anderes als ein Tanzlied, sodass der berühmteste Song Lateinamerikas demnach bedeutet: die "guajira" aus der Stadt Guantanamo. Diese liegt im Südosten der Zuckerinsel, zwölf Kilometer nördlich der gleichnamigen Bay, und döst seit eh und je den Schlaf der Gerechten, der "sincereos", wie es in dem Lied heißt.

Erst der islamistische Terroranschlag vom 11. September 2001 rückte den kaum wahrgenommenen Fleck dieser Erde in das internationale Interesse: Guantanamo Bay, den amerikanischen Marinestützpunkt auf Kuba. Als Antwort auf den Terroranschlag hatten die USA in einem Blitzkrieg im Oktober und November 2001 das Taliban-Regime in Afghanistan beseitigt, das dem islamistischen Netzwerk Al-Qaida Zuflucht gewährt hatte. Dabei nahmen die Soldaten nach amerikanischen Angaben rund 650 so genannte "Härtefälle" aus 42 Ländern fest. Bei diesen internationalen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern soll es sich um "besonders verstockte und gefährliche" Terroristen handeln. Sie wurden von den übrigen Gefangenen ausgesondert und auf den Marinestützpunkt Guantanamo gebracht.

Die Maßnahme ist juristisch umstritten. Begründet hat sie die Bush-Regierung wie folgt: Auf dem amerikanischen Stützpunkt treffe für die Gefangenen weder das Völkerrecht noch das amerikanische Recht zu, so das Weiße Haus. Präsident Bush erklärte per Dekret die Gefangenen zu "Detainees", das sind Personen in Beuge- oder Schutzhaft. Damit trifft auf sie formal das Völkerrecht für Kriegsgefangene nicht zu. Den Rechten der amerikanischen Verfassung unterliegen sie ebenfalls nicht, da sie sich in Guantanamo auf fremdem Boden, nämlich auf Kuba, befinden - so argumentieren bis heute die Regierungsjuristen in Washington.

Verpachtet seit 1903

Doch die 116 Quadratkilometer große Marinebasis steht in Wirklichkeit unter amerikanischem Recht, zumindest unter militärischem. Denn ein Teil der weit ins Land hinein reichenden Bucht von Guantanamo wurde im Jahr 1903 von Kuba an die USA "auf 99 Jahre", wie es im damaligen Vertrag hieß, als Marinestützpunkt verpachtet. Es war eine Freundschaftsgeste des ersten frei gewählten Präsidenten Kubas, Tomas Estrada Palma, der neben der kubanischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß. Er bedankte sich damit für die Hilfe Amerikas im Unabhängigkeitskampf Kubas gegen Spanien im Jahr 1898 und spekulierte sogar auf einen Anschluss an die USA. Diesen Wunsch hegten seit 1840 viele Kubaner, da sie den wirtschaftlichen Aufschwung in den benachbarten Vereinigten Staaten sahen, während sie selbst als letzte spanische Kolonie in der Neuen Welt immer stärker zurückfielen.

Doch auch umgekehrt hatten Geldmagnaten in den USA Interesse an Kuba als Plantageninsel und versuchten bis 1897 den Spaniern die Insel abzukaufen. Nach der Vertreibung der Spanier mittels massiver amerikanischer Militärhilfe besetzten die USA die Bucht von Guantanamo, da sich dort ein hurrikansicherer Hafen befindet. Kuba erlangte zwar formal seine Unabhängigkeit, doch die Vereinigten Staaten übten bis Mai 1902 die Kontrolle über das Land aus.

Unter solchen Bedingungen verwundert es nicht, dass die von den USA abhängige erste "freie" Regierung Kubas ungewöhnliche vertragliche Bindungen mit dem großen Nachbarn einging. Kuba verpachtete den US-Streitkräften das heutige Gebiet des Guantanamo-Bay-Stützpunktes bis 2002, sowie einen weiteren Hafen, der aber schon 1912 wieder an Kuba zurück-gegeben wurde. Vor allem aber gewährte es den Vereinigten Staaten, jederzeit die "Unabhängigkeit Kubas zu schützen und eine stabile Regierung zu gewährleisten".

Mit diesem Freibrief für Interventionen griffen die USA bereits 1906 von Guantanamo aus in den Aufstand der Liberalen unter José Miguel ein. Sie schützten die Interessen amerikanischer Besitzer von Zu-ckerrohrplantagen und Bergwerken und verwalteten sogar für drei Jahre die Insel wie eine Kolonie. Das gleiche geschah 1917.

Im Grunde genommen fand die eigentliche Unabhängigkeit Kubas erst mit der kommunistischen Revolution unter Fidel Castro und Ché Guevara zum Beginn des Jahres 1960 statt, da bis dahin kein Machthaber in Kuba ohne Zustimmung der USA regieren konnte, standen doch die amerikanischen Marines in Guantanamo Bay stets "Gewehr bei Fuß". Erst seit der Machtübernahme Castros ist der amerikanische Stützpunkt hermetisch vom Staat Kuba abgeriegelt.

Nutzung auf unbestimmte Zeit

Warum aber gibt es diesen Anachronismus einer amerikanischen Militärbasis auf Kuba bis heute? Zunächst kann festgestellt werden, dass die USA stets die vertraglich vereinbarte Pacht für das Gebiet bezahlt haben. Im Jahr 1934 wurde sie von 2.000 Dollar pro Jahr auf 4.085 Dollar pro Jahr verdoppelt - für das gesamte Gebiet versteht sich. Außerdem setzten die Amerikaner im gleichen Jahr bei der kubanischen Marionettenregierung eine weitere Vertragsänderung durch: Das Recht der Nutzung von Guantanamo auf "unbestimmte Zeit".

Seit seiner Machtergreifung fordert der kubanische Diktator Fidel Castro zwar Jahr für Jahr den Abzug der "Yankee-Imperialisten" aus Guantanamo und die Rückgabe des Stützpunktes an Kuba, hat aber nie versucht, dieser Forderung politischen oder militärischen Nachdruck zu verleihen. Selbst auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise blieb der amerikanische Stützpunkt von den kubanischen Revolutionären unangetastet - vielleicht weil der spektakulär gescheiterte Versuch der Exilkubaner, Castro und Co. zu stürzen, in der "Schweinebucht" stattfand, nicht von Guantanamo aus. In Washington vermutet man ein anderes Motiv: Die, so wie es heißt, nie unterbrochenen Pachtzahlungen der USA in harten Dollars fließen seit 1960 hemmungslos in die Taschen Castros - in beiderseitigem Einvernehmen.

Aus amerikanischer Sicht wird mit Stolz darauf verwiesen, dass Guantanamo Bay die älteste US-Basis in Übersee darstellt und zudem die einzige in einem Land ist, mit dem die USA keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums dient Guantanamo Bay als "Eckstein" der militärischen Operationen der USA in der Karibik und unterstützt von dort aus auch die amerikanische Küstenwache im Süden der Vereinigten Staaten. Die Marinebasis Guantanamo Bay spiele eine "Schüsselrolle an der Front im Kampf um die Sicherheit der Region", erklärt die US-Navy. Darunter wird die Bekämpfung des Drogenschmuggels aus Lateinamerika in die USA verstanden, sowie allgemein die Bekämpfung von Terrorismus. Konkret heißt dies indes: Der Militärstützpunkt ist hauptsächlich ein riesiges Gefängnis für Personen, die von den USA als "hochgefährliche Terroristen" eingestuft werden.

Außerdem, so sagt die Navy, schütze die Base "jene, die auf seeuntüchtigen Gefährten im Meer treiben". Mit anderen Worten: Die amerikanische Base rettet Kubaner, die versuchen, übers Meer in die USA zu fliehen. Genau hier hakt die kubanische Regierung gelegentlich juristisch ein: Wenn schon der Vertrag eingehalten werde, dann solle auch darauf geachtet werden, dass er eine rein militärische Nutzung vorschreibe. Die Aufnahme von Flüchtlingen oder gar der Gefängnisbetrieb für Terroristen stelle einen Vertragsbruch dar, lamentiert Kuba vor der UNO.

Guantanamo Bay steht heute mit seinen Gefängnissen, in die immer neue "Härtefälle" aus Afghanistan und seit 2003 auch aus dem Irak eingeliefert werden, in erster Linie als Synonym für die Rechtswillkür des Stärkeren. Es steht auch als Synonym für das gegenseitige Unverständnis auf beiden Seiten des Atlantiks. Während die USA aus dem 11. September für sich abgeleitet haben, dass sie die Völkerrechte bei einer "internationalen Bande von Terroristen" nicht mehr zu berücksichtigen brauchen, ringt Europa - zumindest offiziell - mit der Weltmacht darum, diese auf den internationalen Rechtsboden zurückzuholen. Guantanamo spielt dabei tatsächlich, wie von der US-Navy erklärt, eine "Schlüsselrolle" - aber eine politische, nicht eine militärische. Josef-Thomas Göller Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin. In den vergangenen Jahren berichtete er für "Das Parlament" aus den USA.


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