Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Gaby Weber

Millionen im Piraten-Nest

Die Cayman-Inseln: Das Finanz- und Steuerparadies
Nahe der Karibikinsel Gran Cayman ist ein Kreuzer mit 2.000 Passagieren vor Anker gegangen. Ein überdachtes, bunt bemaltes Boot bringt die Touristen in den Hafen von Georgetown. Dort stehen junge Männer Spalier, in der Mehrzahl Schwarze, die für ein paar Dollars eine Inselrundfahrt anbieten: Zur Schildkrötenfarm, zum Sieben-Meilen-Strand, zum Muschelhaus, zur Rumfabrik und zur Hölle, einer zwölf bis 15 Millionen Jahre alten Gesteinsformation. Doch es ist wie immer: Das Geschäft läuft mäßig, die Passagiere kaufen vor Reiseantritt das ganze Paket - Essen, Getränke und Sightseeingtour - und bei ihrem Ausflug auf der Insel lediglich eine Postkarte.

In einem Aspekt unterscheidet sich die Ankunftsszene in diesen Tagen allerdings von allen anderen im Jahr: Die Gaststätten haben Flaggen gehisst: Einen weißen Totenkopf auf schwarzem Grund. Wie jedes Jahr wird die "Piratenwoche" gefeiert. Denn die Caymans waren früher eine Seeräuberinsel. "Sir Henry Morgan hat von hier aus Kuba angegriffen, das damals zu Spanien gehörte", verrät Peter, einer der jungen Männer am Kai, "von hier aus organisierte er die Invasion Panamas."

Geschäft bleibt Geschäft - auch heute ist Cayman wieder eine Festung für Piraten, für moderne Piraten. Dank moderner Telekommunikation, der Steuerfreiheit, der Diskretion und der Abwesenheit von Gewerkschaften und Streiks ist die britische Kronkolonie wichtigstes Offshore-Zentrum der Welt geworden. Offshore bedeutet: jenseits der Küste, im Ausland - dort, wo Geldgeschäfte aller Art frei von Kontrolle und Steuern getätigt werden können. Dort gedeiht die verborgene Ökonomie des "schwarzen Lochs", die Kapital anlockt, wäscht und wieder investiert. Ein Drittel aller Weltfinanzströme wird über Offshore-Zentren abgewickelt.

Auch wenn seriöse Angaben über die gesamten Einlagen und die Herkunft fehlen, Kenner der Szene wissen, dass der größte Teil der Gelder nicht aus dem Drogen- oder Waffenhandel, sondern von multinationalen Unternehmen und Banken stammt, die sich im Offshore-Paradies dem Einfluss nationaler Regierungen und Währungsbehörden entziehen. Von dort aus können sie schnell auf kurzfristige Zinsschwankungen, gesetzliche Veränderungen oder politische Ereignisse reagieren und Handelsembargos umschiffen. Multinationale Unternehmen übertragen die von ihnen - oft mit Steuermitteln - entwickelten Patente, Schutzmarken und Herstellungsverfahren oft an eine Firma, die ihren Sitz in einem Steuerparadies hat. So werden in Deutschland Verluste gemacht und Subventionen abgegriffen, während die Gewinne Offshore gehen.

Offshore-Trusts

Eine Spezialität der modernen Piraten sind Trusts. Darunter werden nicht nur die anderenorts verbotenen Monopolbildungen von Unternehmen verstanden, sondern auch private Treuhandgesellschaften. Ein solcher Treuhänder kann beispielsweise hilfreich sein, wenn eine Erbschaft verteilt wird. Ein typischer Fall: "Herr von Krösus" überträgt seine Ländereien oder seine Fabrik einer von ihm gegründeten Aktiengesellschaft, die ihren Sitz in Cayman hat und deren Gewinne dort versteuert, das heißt nicht versteuert werden. Zugleich weist er einen privaten Treuhänder an, im Falle seines Ablebens die Inhaber-Aktien seinem Lieblingssohn auszuhändigen. Auf diese Weise schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er prellt seine Tochter, das schwarze Schaf der Familie, um ihren Pflichtteil und spart die Erbschaftssteuer.

Die Regierung in Georgetown rechtfertigt die Methode in einem ihrer Prospekte so: "Der Offshore-Trust wird längst nicht nur als Technik zur Vermeidung von Steuern angesehen, sondern zunehmend als Mittel, Reichtum zu erhalten und zu vermehren."

Auch auf der internationalen Bühne haben Offshore-Paradiese ihren anrüchigen Ruf längst verloren. Sie gelten als modern und effizient. In der Tat laufen auf der Insel keine finsteren Gestalten mit verspiegelter Sonnenbrille und verdächtigen Koffern herum. Das Geld wird online überwiesen und sofort weiter transferiert. Ein freiwilliger Verhaltenskodex des Banken-Verbandes verpflichtet seine Mitglieder, kein Bargeld über 10.000 Dollar anzunehmen. Aber von den 575 registrierten Banken sind nur die wenigsten Mitglied in diesem Verband. Und der Kodex ist, wie gesagt, freiwillig. Dass durch die fehlende Regulierung Finanzkrisen heraufbeschworen werden können - diese Gefahr gibt kaum jemand zu. Und wer in der Vergangenheit dort Geld verloren hat, hängt dies nicht an die große Glocke. Das heimische Finanzamt soll davon ja nichts erfahren.

Auf Cayman sind Wörter wie Geldwäsche oder Steuerhinterziehung tabu. Man redet von "Steuervermeidung", "Steuerplanung" und "Gewinnglättung". Und damit ihre Kunden das schwarz erwirtschaftete Geld wieder ganz legal ausgeben können, haben sich die Banker auch etwas einfallen lassen. Beliebt ist die Verbindung zwischen Einlage und Krediten. Wenn ein Glückspilz in Berlin oder New York seiner Finanzbehörde die Herkunft des Kapitals nachweisen muss, nimmt er bei einer Bank im Offshore-Paradies einen Kredit auf, mit günstigem Zinssatz, versteht sich. So verfügt er ganz legal über Finanzmittel. Dass er bei der selben Bank auch Erspartes liegen hat, verrät er dem Finanzamt natürlich nicht. Er zahlt nicht einmal den vollen Zinssatz, sondern nur die Differenz zwischen Zinsen für sein Guthaben und die Zinsen für den Kredit.

Finanzplätze wie die Cayman-Inseln bescheren der Europäischen Union Milliarden-Verluste durch Steuerausfall. Doch sie genießen offensichtlich politischen Schutz, der dem big business diese Art Freigehege erlaubt. Die Europäische Union versucht seit Jahren, einheitliche Bankaufsichtsregeln für Europa zu schaffen und einige Staaten, wie Luxemburg und vielleicht auch bald die Schweiz, kooperieren zunehmend. Aber an die Cayman-Inseln hat sich bisher niemand herangetraut.

Natürlich gibt es in Cayman eine irgendwie geartete Bankenaufsicht. Die Bank von England schickt Beamte in ihre Kronkolonie. Ein Rechtshilfeabkommen mit den USA sieht vor, dass der US-Generalstaatsanwalt die Aufhebung des Bankgeheimnisses einklagen kann. Aber er bekommt die Information erst nach Vorlage eines Gerichtsurteils.

Rechtshilfeersuchen haben in aller Regel Erfolg, wenn es um überführte Drogenhändler geht. Verweigert wird die Auskunft grundsätzlich in Sachen Steuerhinterziehung, und fast immer bei Betrugs- und Korruptionsverdacht.

Gegen den früheren peruanischen Präsidenten Alan Garcia zum Beispiel hatte ein Richter in Lima Haftbefehl erlassen. Ein italienischer Geschäftsmann hatte, um den Auftrag für den Bau einer elektrischen Eisenbahn zu bekommen, 840.000 Dollar auf ein Konto Garcias bei der Barclay-Bank in Cayman überwiesen. Das peruanische Parlament beantragte auf dem mühseligen diplomatischen Weg die Bestätigung der Überweisung. Ohne Erfolg. Der Gerichtshof in Georgetown schmetterte das Begehren ab. Zitat aus dem Urteil: "Bei dem Untersuchungsausschuss (des Kongresses) handelt es sich nicht um ein Gericht. (...) Daher ist nicht eindeutig, dass (gegen Herrn Garcia) ein Ermittlungsverfahren anhängig ist."

Aber auch wenn die Banken von Cayman-Island ausländischen Behörden Einsicht gewähren müssen, hilft dies den Ermittlern oft nur wenig: Die vorgelegten Bilanzen sind unvollständig und beziehen sich immer nur auf einen bestimmten Moment. Was vorher über die Computer gejagt wurde, geht aus ihnen nicht hervor. Die Banken müssen, anders als in den meisten anderen Staaten, keine Mindestreserven halten. Kredite werden dadurch billiger. Es werden keine Steuern auf die Zinsen erhoben und das Wichtigste: Kein Finanzamt fragt nach der Herkunft des Geldes und verlangt Einkommensteuer oder Vermögensteuer.

Cayman verdankt seinen Aufstieg zum Finanzparadies seiner Kolonialmacht Großbritannien. Die Inselgruppe - bestehend aus Gran Cayman, Cayman Brac und Little Cayman - liegt 240 Kilometer nordwestlich von Jamaika. 1503 wird sie von Kolumbus entdeckt, 1670 fällt sie an England. Zunächst lassen sich nur Piraten auf dem unwirtlichen Eiland nieder. Erst 60 Jahre später kommen die ersten Einwanderer aus England. Als Jamaika 1962 seine Unabhängigkeit erklärt, verbleibt Cayman unter der Obhut des Empire, das die Landesverteidigung bis heute garantiert und die Insel auf diplomatischem Parkett vertritt. Die kommunale Verwaltung und das Finanzwesen bestimmt Georgetown in Eigenregie.

London dankt die Treue zur Krone und hilft mit Know How und Kapital. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Insel bitter arm, Tourismus gibt es praktisch nicht. Bis auf einen sieben Meilen langen Sandstrand ist sie von Riffen und Felsen umgeben. Und der Hauptfeind hat Flügel: Moskitos. London lässt Cayman einnebeln, die Moskitos werden ausgerottet.

An Massentourismus ist auf der Insel mit ihren 300 Quadratkilometern nicht zu denken. So werden ein paar Luxus-Hotels am Sieben-Meilen-Strand errichtet, wo gediegene englische Gemütlichkeit angeboten wird, keine rauschenden, tropischen Feste. Top-less am Strand steht unter derselben Strafandrohung wie die Verletzung des Bankgeheimnisses. Die Bars schließen um Mitternacht, und Touristen, die billigen Sex suchen, müssen sich auf anderen Inseln umsehen.

Dieser biedere Tourismus alleine hätte nicht ausgereicht, die Inselbewohner zu ernähren. Deshalb wurde 1963 das Bankengesetz erlassen und die Insel machte sich auf den Weg zum Offshore-Zentrum - ohne Finanzamt, ohne Zentralbank.

Heute sind dort praktisch alle großen Geschäftsbanken der Welt vertreten, die meisten mit einem "lokalen Agenten", wie es in der Branche heißt. Das bedeutet: Jemand leert den Briefkasten. In der Stadt Georgetown mit ihren knapp 10.000 Einwohnern, sind 575 Banken registriert, aber weniger als ein Fünftel von ihnen unterhalten auch ein Büro. Angeboten wird die ganze Palette der normalen Dienstleistungen einer privaten Bank: Überweisungen, Abhebungen, Investitionen in Fonds, Kreditkarten und alles online.

Seit dem Boom des Finanzwesens hat sich ein wahrer Geldregen über das Eiland ergossen. Kellner und Barkeeper verdienen Vermögen, Trinkgelder inbegriffen! Und alles steuerfrei. Gewerkschaften sind unattraktiv.

Das örtliche Telefonbuch liest sich wie ein Anzeigenblatt, in dem Profis Beihilfe zur Steuerhinterziehung annoncieren. "Tax planners" offerieren ihre Dienste, "Steuerplaner", spezialisiert auf die Vermeidung von "US-Einkommensteuer", "Körperschaftssteuer" und so weiter. Die Banken nehmen acht Seiten in Beschlag, Versicherungen 13, Trusts fünf. 20.000 Unternehmen sind in Cayman registriert, fast soviele Firmen wie Einwohner. Dazu gesellen sich hunderte Versicherungsgesellschaften sowie eine ganze Flotte, die unter der Flagge des Union Jack, versehen mit dem Cayman-Wappen, über die Weltmeere schippert. Bei der Hafenbehörde in Georgetown sind doppelt soviel Luxus-Yachten mit einer Länge von über 30 Metern eingetragen wie in Liberia und Panama zusammen.

Doch der erhoffte volkswirtschaftliche und langanhaltende Fortschritt lässt auf sich warten. Zwar schwimmen die Leute im Geld, produziert wird aber nichts. Vom Mineralwasser bis zur Wurst wird alles importiert. Das einzige produktive Unternehmen sollte die Schildkrötenfarm werden. Doch seitdem der Artenschutz den Export verbietet, beliefert die Farm nur noch eine Handvoll Restaurants der Insel. Und da sich der Staat durch Einfuhrzölle finanziert und praktisch alles importiert wird, ist das Leben sündhaft teuer. Doch an dem Modell wird nicht gezweifelt. Auf Cayman fehlen wirtschaftliche Alternativen und es fehlt der Wille der restlichen Welt, dieses Finanzparadies zur Einhaltung internationale Regulationen zu bewegen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.