Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Matthias Reiche

Hoffnungsträger und Hassfigur

Porträt: Jean Bertrand Aristide

1983 zum Priester geweiht, begann Jean Bertrand Aristide in Elendsvierteln gegen die Gewaltherrschaft des Duvalierclans zu predigen. Der charismatische Redner, der anders als viele Politiker meistens seine kreolische Muttersprache benutzte, fand immer mehr Anhänger. Sie sahen in Aristide, den sie nur liebevoll Tidid nannten, eine Art schwarzen Messias, der ihren Traum von einem Leben in Würde und weniger Armut endlich erfüllen würde. Als dann am 6. Februar 1986 ein Volksaufstand Jean-Claude Duvalier aus seinem schneeweißen Präsidentenpalast vertrieb, gehörte der damals 33-jährige Armenpriester zu den Anführern. Fünf Jahre später konnte er sich die Präsidentenschärpe überstreifen. Mit fast 70 Prozent der Stimmen hatte der schmächtige Mann mit der großen Brille die seit Jahrzehnten ersten vergleichsweise freien Wahlen gewonnen.

"Die Steine im Wasser werden nun das Leiden der Steine in der Sonne kennen lernen": Dieses kreolische Sprachbild, das Aristide in seiner ersten Rede benutzte, ließ für die Zukunft wenig Gutes ahnen. Der aufgebrachte Mob ging immer gewalttätiger gegen die Mittel- und Oberschicht vor, und Aristide heizte die Stimmung noch weiter an: "Wenn ihr hungrig seid, schaut zu denen, die satt sind, gebt ihnen, was sie verdienen", rief der Präsident seinen zumeist in großer Armut lebenden Anhängern zu. Hunderte Menschen, von denen viele mit ihrer sozialdemokratischen, christlichen oder liberalen Haltung schon dem Duvalierclan verhasst waren, starben mit brennenden Autoreifen um den Hals.

Sieben Monate nach seiner Amtsübernahme wurde der Radikalpopulist allerdings Opfer eines Militärputsches. International brachte ihm dies den Ruf ein, Vertreter einer demokratischen Entwicklung zu sein. Er floh nach Venezuela und später in die USA. Deren Soldaten waren es auch, die ihn 1994 mit einer Invasion wieder in sein Amt zurück-brachten. Die verfassungsmäßige Ordnung sollte wieder hergestellt werden, lautete die Begründung. Doch Washington brauchte vor allem ein Argument, die immer stärker werdende Flüchtlingsbewegung Richtung USA zu stoppen.

Für ein Jahr kehrte Jean Bertrand Aristide an die Spitze des Staates zurück. Bei den Wahlen 1995 konnte Aristide dann nicht mehr antreten, denn die Verfassung lässt eine zweite Amtszeit in Folge nicht zu. Aristide trat ab, dirigierte von seinem Anwesen in Tabarre, nahe der Hauptstadt Port-au-Prince, aber weiter die Geschicke des Landes. Sein Glanz war inzwischen jedoch verblasst.

Auch wenn er weiter über einigen Rückhalt vor allem in den Armenvierteln verfügte, hatten ihm viele ehemalige Mitkämpfer die Gefolgschaft aufgekündigt. Verständlich, denn inzwischen gehörte der von den ungeliebten US-Amerikanern zurückgebrachte Aristide zu den reichsten Männern der Republik. Er war Mitbesitzer zweier Banken und hatte zahlreiche Betriebe an Familienangehörige übereignet. So erhielt seine Frau das Monopol für die Vergabe von Lizenzen für Funktelefone. Dass Aristide 1995 die aus einer der reichsten Familien stammende Mulattin Mildred Trouillot geheiratet hatte, verübelten ihm viele seiner schwarzen Landsleute darüber hinaus. Die haitianische Bevölkerung besteht zu 95 Prozent aus direkten Nachfahren schwarzer Sklaven und in ihrer Vorstellungswelt kommt alles Schlechte von den Weißen und den Mulatten.

Im Jahr 2000 konnte Aristide, als er wieder für das höchste Staatsamt kandidieren durfte, die Wahlen nur noch mit massiver Manipulation und Einschüchterung gewinnen. Die Beteiligung bei der von der Opposition boykottierten Präsidentschaftswahl lag unter zehn Prozent und die "Chimères", die in den Armenvierteln rekrutierten Sturmabteilungen, wurden zur Hauptstütze des Präsidenten.

Gleichzeitig verschlechterte sich die soziale Lage weiter. Haiti wurde zu einem permanenten Katastrophenfall. Mit seiner "Fanmi Lavalas", hatte Aristide eine nur auf sich ausgerichtete Partei gegründet und wurde mit seiner Art sich in eine mystische Vision zu kleiden, als großer Magier darzustellen, dem einstigen Diktator Duvalier immer ähnlicher. Mit diesem teilte er auch die Art, keine Gleichberechtigten neben sich zu dulden sowie die ausgeprägte Abneigung gegen alle demokratischen Institutionen wie Parlament oder unabhängige Gerichte.

Das Eingreifen der USA und Frankreichs verhinderten am 29. Februar 2004 die Rückkehr zu einer totalen Gewaltdiktatur. Nach monatelangen Protesten und Unruhen zwangen sie Jean Bertrand Aristide zurück-zutreten und ließen ihn in die Zentralafrikanische Republik ausfliegen.

Zwei unabhängige Untersuchungskommissionen befassen sich derzeit in Haiti mit Aristides zweiter Regierungszeit, in der die Republik zur Drehscheibe für den Drogenhandel wurde, und Korruption sowie Amtsmißbrauch auch für Haiti ein nur schwer vorstellbares Ausmaß annahmen. So wurden Schecks an fiktive Firmen ausgestellt, beispielsweise für den Kauf von Lebensmitteln für 500.000 Dollar. Insgesamt, so belegen die ersten Ermittlungsergebnisse, seien 40 Millionen US Dollar veruntreut worden.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.