Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
Hans-Ulrich Dillmann

"Wir hatten ein Imageproblem"

Die Dominikanische Republik galt lange als der Ballermann der Karibik

Die Sonne ist wie ein Stein in Minutenschnelle am Rande der Bucht von Sosúa verschwunden. In der Hauptstraße des Ferienzentrums an der Nordküste der Dominikanischen Republik leuchten schon bunt die Reklametafeln der Bars und Restaurants. Im "Club 59" langweilen sich drei dunkelhäutige junge Frauen in Tops und kurzen Röcken. In einem Nebenraum der Bar, die gewöhnlich bis in die frühen Morgenstunden geöffnet hat, probt eine Gruppe Frauen für einen "Bikiniwettbewerb".

In der benachbarten Sports-Bar lümmeln sich zwei männliche Touristen in Bermudashorts. Auf der anderen Straßenseite in einem britischen Pub schmauchen zwei gesetztere Herren in den 50ern dicke Zigarren zum Importbier. Sie haben schon weibliche Begleitung gefunden. Ansonsten geht es in der dominikanischen Kleinstadt gemächlich zu, und das obwohl Hochsaison ist. Im Viertelstundentakt landen am Nachmittag auf dem nahegelegenen Luperón-Flughafen die Maschinen aus Kanada, den Vereinigten Staaten und aus dem knapp elf Flugstunden entfernt gelegenen Europa. Manche bringen sich sogar den Plastiktannenbaum aus Deutschland mit - Weihnachten in der Karibik.

"Es ist ruhiger geworden", erzählt Hermann-Josef Fragemann, der vor zwölf Jahren seine niederrheinische Heimatstadt Velen verließ, um in dem Sonnenparadies heimisch zu werden. "Vor ein paar Jahren ging hier noch die Post ab", weiß der 54 Jahre alte Inhaber der Eckkneipe "Zum dicken Hermann". Zu ihm kommen inzwischen vor allem die in Sosúa ansässigen Deutschen auf ein Feierabendbier. Bei einer Zigarre wird dann über den Alltag gequatscht oder an die "guten alten Zeiten gedacht". Schätzungsweise 25.000 Deutsche leben in dem Karibikland, das sich mit Haiti die zweitgrößte Insel der Antillen (Hispaniola, Kleinspanien genannt) teilt.

Scharen von männlichen Touristen machten noch vor knapp fünf Jahren in Sosúa die Nacht zum Tag. Und die erlebnishungrigen Männer aus Alemania zogen aus den umliegenden Dörfern und Ortschaften viele Frauen an, die mit dem angeschafften Geld hofften, sich aus der Tristesse ihres Armutsalltages befreien zu können. Schnell hatte die heute etwa 12.000 Einwohner zählende Stadt ihren Namen weg: "Ballermann der Karibik". Sosúa stand über Jahre hinweg für dröhnende Lautsprecher vor Freiluftdiskotheken und Kampftrinkerposen deutscher Urlauber. Ein bayerischer Biergarten lockte mit Stelltafeln zu "deutschen Bieren und karibischen Drinks", ein "Alt-Deutschland"-Restaurant versprach in Runenlettern "deutsche Hausmannskost". Und am lang gezogenen Strand von Sosúa buhlten Budenkneipen wie "Ballermann 6" und "Tom's Beach Bar" um die trinkfeste Kundschaft.

"Es war unerträglich", erinnert sich Martin Katz des touristischen Remmidemmis. Viele der in die Jahre gekommenen Alteingesessenen dachten ans Fortziehen. Der 87-jährige Katz gehört zur Gründergeneration von Sosúa. Anfang der 40er-Jahre kam er mit 700 anderen jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich in die Karibik. Die Dominikanische Republik hatte den Naziverfolgten Zuflucht und ein Stück Land angeboten. Aus dem Brachland wurde schnell ein europäisches Städtchen mit karibischem Flair. Katz blieb, heiratete eine Dominikanerin und baute mit anderen Siedlern eine der ersten Milch- und Wurstwarenfabriken des Landes auf. "In Sosúa wurde Deutsch, manchmal mit Wiener Akzent, gesprochen", erzählt Claus Bienen, ein Düsseldorfer Fleischtechniker, der Anfang der 60er-Jahre ins Land kam. Auch das machte die Stadt für deutsche Urlauber so attraktiv.

Zuerst kamen Sonnenhungrige aus Kanada und den USA in die Stadt. Dann entdeckten deutsche Aussteiger, die in dem Land einen gemütlichen Platz unter der Sonne suchten, die palmengesäumten Strände. Aber erst der Massentourismus der 80er-und 90er-Jahre machte aus Sosúa ein Zentrum deutscher Urlauber. Schnell wuchsen Hotel- und All-Inklusive-Ferienanlagen wie Pilze aus dem Boden und machten die Region zwischen Sosúa und der Nordhafenstadt Puerto Plata zu einer Boomtown des Tourismus.

"Natürlich sind auch schräge Vögel gekommen und geblieben", sagt ein österreichischer Restaurantbesitzer, mit der Bitte, seinen Namen nicht zu veröffentlichen. Die Zeitungs- und Fernsehberichte über das wilde Leben am "karibischen Ballermann" versetzten dem Ruf der ehemals jüdischen Siedlung beinahe den Todesstoß. "Als ob jemand Hamburg nach der Reeperbahn beurteilen würde", ärgert sich Luis Hess. Nach ihm ist heute die von Juden gegründete Schule des Ortes genannt. Wenn Katz von den "deutschen Kampftrinkern" erzählt, redet er sich immer wieder in Rage. "Wir mussten vor den Deutschen hierher fliehen, dann kamen sie in Massen", sagt Katz, "und manche von ihnen wären besser zu Hause geblieben."

"Wir hatten ein massives Imageprobleme", sagt ein Restaurantbesitzer, der seit Jahren in Sosúa Wiener Schnitzel und Schaschlik serviert. "Man konnte kaum noch jemandem erzählen, dass man in der DomRep Urlaub machte. Alle haben nur gedacht, man fährt wegen dem Sex dorthin", berichtet eine pensionierte Lehrerin, die an der dominikanischen Nordküste seit Jahren überwintert.

Mit solchen Imageproblemen hatten die Hoteliers an der Ostküste des Landes nie zu kämpfen. Kilometer lange weiße Sandstrände, fern von Ansiedlungen errichtete, abgeschlossene Beach Ressorts haben die Nebenwirkungen des internationalen Massentourismus weitgehend ferngehalten. "Probleme wie in Sosúa und Puerto Plata hatten wir nie", sagt der Vertreter eines deutschen Reiseunternehmens. Dazu kam, dass eine Gruppe von Hoteliers und Investoren, zu denen auch der spanische Sänger und Weltstar Julio Iglesias gehört, sich zum Ziel gesetzt hatte, mit exklusiven Ferienanlagen einen Kontrapunkt zum Billigtourismus zu setzen.

Trotzdem blieben um die Jahrtausendwende auf einmal die Touristen im ganzen Land weg - und das nicht nur, weil nach dem 11. September 2001 auch vielen Deutschen die Freude an Flugreisen vergangen war. Kamen vor fünf Jahren noch mehr als 450.000 deutsche Fernreisende zu den dominikanischen Stränden, so hat sich deren Zahl fast halbiert. Von den europäischen Touristen haben die Franzosen mit über 300.000 Besuchern den Deutschen längst den Rang abgelaufen. "Wir merken schon, dass die Touristen aus Deutschland sparsamer geworden sind", sagt Sandy Pfeil, Hotelmanagerin von "Breezes Superclubs". "Die Dominikanische Republik ist kein Billigreiseland mehr." Früher kam die Mehrheit der Urlauber in den beiden "Sol de Plata"-Ferienanlagen in Sosúa und Punta Cana aus Deutschland. Heute verlieren sich vier Dutzend Deutsche in der 460 Bettenanlage von Sosúa. Touristen aus Kanada, den USA und England dominieren.

Der Tourismus hat sich inzwischen vor allem in die rundumversorgte Welt der Hotelanlagen verlagert. Wirtschaftlich bedeutend ist er trotz der Krise geblieben und befindet sich im Moment sogar wieder im Aufwind. Über fast 50.000 Hotelbetten verfügt das 8,7 Millionen-Einwohner-Land. Rund 49.000 Dominikaner kümmern sich für durchschnittlich 120 bis 150 Euro im Monat um das Wohl der Gäste. Der Staat ist auf die Einnahmen aus der "kaminlosen Industrie", wie die Tourismusbranche auf der Insel auch genannt wird, angewiesen. 3,2 Milliarden US-Dollar nahm der Staat im vergangenen Jahr durch die ausländischen Besucher ein. In diesem Jahr werde die Zahl die Vier- Milliarden-Grenze übersteigen, schätzten Wirtschaftsexperten.

"Mehr als nur Sonne und Strand." Mit diesem Slogan hat das Tourismusministerium in den letzten Jahren versucht, einen Kontrapunkt gegen die Negativschlagzeilen vor allem in deutschen Medien zu setzen. Auch die Alteingesessenen und jene, die in Sosúa eine neue Heimat gefunden haben, versuchen das "schlechte Image" der Stadt zu polieren. Bürgermeister, Touristikmanager, Hotelbetreiber und der Polizeichef der Stadt haben eine Arbeitsgruppe gebildet, um die städtischen Probleme zu lösen und die touristische Infrastruktur zu verbessern. Straßen wurden repariert, stinkende Abfallhaufen, über die einst die Besucher klagten, gibt es nicht mehr. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und verstärkte Polizeipatrouillen sollen für mehr Sicherheit sorgen sowie den Sextourismus in Grenzen halten. "Vor ein paar Tagen hat eine Frau auf dem Tisch einer Strandbar getanzt. Die Polizei hat das Lokal für eine Woche geschlossen", sagt Zigarrenliebhaber Fragemann.

Der Autor arbeitet als Karibik-Korrespondent der "Jüdischen Allgemeinen" und der "tageszeitung" (taz).


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