Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 02.01.2006
bfai / Minderjahn

Kampf um den gemeinsamen Markt

Wirtschaftsraum Karibik

Mit dem karibischen Raum ist es wie mit vielen anderen Regionen auch: Von außen betrachtet, nimmt man sie als Einheit war. In Wirklichkeit aber sind es viele kleine Staaten, deren Bürger unterschiedlich leben, denken und wirtschaften. Um einen Wirtschaftsraum zu schaffen, müssen sie sich auf eine gemeinsame Politik und gemeinsames Handeln festlegen, und das ist bisweilen schwierig.

Derzeit wird die Entwicklung in der karibischen Region sowohl von internationalen Faktoren wie auch von der Lösung hausgemachter Probleme bestimmt. Der stark gestiegene Preis für importierte Energieträger hat die Wirtschaftsbedingungen verschlechtert. Eine Ausnahme bildet hier lediglich der Erdöl- und Gasproduzent Trinidad und Tobago. Die schwache Konjunktur in den USA hat die Lage in den letzten Jahren nicht gerade verbessert. Auch die Entwicklung im Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen vieler karibischer Staaten, führte in einigen Ländern zu einer Konjunkturabschwächung. Der World Travel & Tourism Council (WTTC) schätzte, dass die Karibik allein in den Jahren 2001 und 2002 einen akkumulierten Verlust von 13,5 Prozent in Reisen und Tourismus verzeichnete. Das ist höher als der Weltdurchschnitt von 7,4 Prozent.

Die Wirtschaft variiert

Vor diesem Hintergrund ist es vielen karibischen Staaten bewusst, dass es ihnen Wettbewerbsvorteile bringen könnte, wenn sie besser zusammenarbeiten würden. Aber es gibt eine Reihe von Problemen. Eins sind die starken Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten. So wird die Bevölkerungszahl des gesamten Raumes auf rund 40 Millionen Personen geschätzt. Am bedeutendsten sind unter diesem Blickwinkel Kuba mit 11,2 Millionen Einwohnern, die Dominikanische Republik mit 8,6, Haiti mit 8,2, Puerto Rico mit rund 4, Jamaika mit 2,6 sowie Trinidad und Tobago mit 1,3 Millionen Bürgern. Die Bruttoinlandsprodukte der verschiedenen Staaten unterscheiden sich ähnlich stark: Angeführt von Puerto Rico mit nahezu 40 Milliarden US-Dollar (2002) liegt die Wirtschaftskraft von Dominica, St. Kitts und Nevis sowie St. Vincent und Grenadinen nur bei jeweils 0,3 Milliarden US-Dollar (2002).

Auch die Lohn- und sonstigen Kosten variieren von Insel zu Insel. Auf Martinique und Goudaloupe kann eher mit einem Niveau gerechnet werden, das französischen Verhältnissen entspricht. In den Zollfreizonen der Dominikanischen Republik bewegt sich das monatliche Einkommen eines Arbeiters zwischen 140 und 300 Euro sowie das Gehalt eines technisch qualifizierten Beschäftigten zwischen 200 und 900 Euro. Das Mindestgehalt in Jamaika oder in Trinidad und Tobago beläuft sich auf rund 250 Euro. Die tatsächlichen Löhne, die in der Karibik vielfach kollektiv ausgehandelt werden, liegen in der Regel über diesen Werten. Die Personalkosten in Kuba sind im Vergleich viel preiswerter. Wird der freie Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar zugrunde gelegt, so dürften einfache wie akademisch gebildete Beschäftigte kaum über ein Monatsgehalt von 20 US-Dollar hinauskommen. Bei der offiziellen Parität von eins zu eins kommt allerdings ein Betrag von mindestens 400 US-Dollar heraus.

Unterschiedliche Standortvorteile

Gerade was internationale Investitionen angeht, verleiten die unterschiedlichen Lohnniveaus die Staaten in der Regel eher dazu, sich als Konkurrenten denn als Partner zu sehen. Denn je niedriger der Lohn, desto reizvoller kann das Engagement für einen Investor sein. Auch die weiteren Standortvorteile variieren je nach Land: Es sind, neben der politischen Stabilität, Grundstoffe zu niedrigen Preisen, eine gute Transport-infrastruktur, günstige Energiekosten, Währungsstabilität und staatliche Förderung. Zudem weist die Region im Arbeitsangebot unterschiedliche Stärken auf. Die Palette reicht von relativ gut, zum Teil im Ausland ausgebildeten Fachkräften in Trinidad und Tobago bis zu handwerklich geschickten Talenten in Haiti. Auf Kuba haben Erfindungsreichtum und Improvisationskunst infolge der dortigen Handelsrestriktionen ein hohes Niveau erreicht.

All diese Unterschiede führen auch zu unterschiedlichen Interessen. So haben verschiedene Länder hohen Investitionsbedarf bei ihren Infrastruktureinrichtungen wie zum Beispiel bei Versorgungsunternehmen, Flughäfen und Häfen. Weitere interessante Investitionsbereiche sind neben dem Tourismus, der in fast allen Ländern dominant ist, die natürlichen Ressourcen wie Öl, Gas, Zucker, Kaffee und der Finanzsektor. Aber auch die verarbeitende Industrie - viele Länder verfügen über Freihandels-Industriezonen - und der Informatiksektor sind von Interesse.

Andererseits gibt es Standortvorteile, die allen Staaten in der Region gemeinsam sind: So wird die Region von internationalen Handelsabkommen begünstigt. Die Nähe zu den USA bildet dabei ein Sprungbrett für entsprechende Geschäfte, zumal die USA im Rahmen der Initiative für das karibische Becken deutliche Vergünstigungen einräumen. Ferner sind die in der Region vorhandenen Freizonen ein handelspolitisches Zugpferd.

Von Bedeutung sind zumindest für Abnehmer in den USA die Infrastruktur und die Effizienz der Zollverwaltung, um eine Lieferung "just in time" zu gewährleisten. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang die Dominikanische Republik. Im Zollbereich versuchen sämtliche Staaten der Region, die Verfahren so reibungslos wie möglich zu gestalten.

Die steigende Kriminalität in der Region müssen potenzielle Investoren allerdings auch berücksichtigen. Die karibischen Staaten haben sich vor allem zu einem Umschlagplatz für Drogen und Waffen entwickelt. Eine große Gefahr geht auch von der politisch beeinflussten Drogenkriminalität aus.

USA befürworten Freihandelszone

Trotz all dieser Schwierigkeiten befinden sich die karibischen Staaten derzeit mitten im Prozess, zu einem einheitlicheren Wirtschaftsraum zu verschmelzen. So hat sich die geplante gesamtamerikanische Freihandelszone, die auch die Karibik integrieren sollte, bis jetzt zwar noch nicht realisiert. Doch das Anfang November unterzeichnete Schlussdokument des vierten Amerika-Gipfels enthält sowohl einen Hinweis auf "einige Mitglieder", die nach wie vor für die Einrichtung eines solchen Freihandelsraums eintreten, wie auch einen Verweis auf die Bedenken und Gegner des Projektes. Die USA sind ein starker Befürworter der Freihandelszone. Widerstand kommt vor allem von den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sowie von Venezuela.

Doch das Wirtschaftsbündnis Caricom (Caribbean Community and Common Market) ist durch seine breitgefächerten Zielsetzungen und die hohe Anzahl seiner Mitglieder zum Katalysator für die wirtschaftliche Integration der karibischen Region geworden. Ziele der Karibischen Gemeinschaft Caricom sind die Koordinierung der Außenpolitik der Mitgliedsstaaten (Antigua und Baruda, Bahamas, Barbados, Belize, Dominica, Grenada, Guyana, Haiti, Jamaica, Montserrat, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Suriname, Trinidad und Tobago) und wirtschaftliche Integration durch die Errichtung eines Karibischen Gemeinsamen Marktes CCM (Caribbean Common Market). Ergänzt werden die Wirtschaftsmaßnahmen durch die Kooperation in den Bereichen Gesundheit und Soziales, Erziehung, Kultur und Sport, Wissenschaft und Technik.

Im Zuge der wirtschaftlichen Integration von Caricom bemühen sich die Unternehmen um Verstärkung des Handels mit anderen karibischen Staaten. Die 15 Mitgliedsstaaten sind dabei, ihre Gesetzgebung auf die Erfordernisse des gemeinsamen Marktes abzustimmen. Für den karibischen Raum verzeichnen internationale Organisationen daher seit Jahren ein Wachstum. Die gesamte Wirtschaftskraft des Raumes kann sich mit manchem Nationalstaat Amerikas bereits durchaus messen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.