Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 06.03.2006
Wolfgang Hannefort

Die Natur befindet sich in ständiger Veränderung

Bisweilen hat sich die Ökologiebewegung verrannt

Die Evolution der Organismen über Mutation und Selektion führt zu immer neuen Formen von Leben und Lebewesen. Der Ablauf der Evolution aber wird von ökologischen Gegebenheiten bestimmt, und die Ökologie führt zu Entwicklungen und Formen, die nicht vorhersehbar sind. Nur wenn in der ökologischen Forschung die Veränderung der Lebewesen durch Evolution berücksichtigt wird, ist sie als Fachgebiet der Biologie sinnvoll.

Das sind einige der Kernaussagen, die der Autor, Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Universität Hannover, an den Beginn seiner Ausführungen stellt. Mit ihnen begründet er, dass Ökologie und eine Ökosystemmodellierung nicht von einer Konstanz der Lebenserscheinungen ausgehen können. Die Folge: Auch ein Schutz der Natur muss - aus biologischer Sicht - die ihr innewohnende Dynamik zulassen und beachten.

Die derzeitige Situation der Wissenschaft von der Ökologie ist demgegenüber, so der Autor, eine andere: Von einem Ökologen würden Aussagen zu Gleichgewichten, zum "richtigen" ökologischen Zustand erwartet und verlangt; normative Vorstellungen beherrschten Öffentlichkeit und Politik. Auch die "Nachhaltigkeit" sei keine Naturkonstante und keine naturwissenschaftliche Größe, sondern allenfalls ein (wichtiges) kulturelles Ziel, mit dem wir uns für die Bewahrung eines bestimmten Zustandes der Umwelt entscheiden; naturwissenschaftlich lasse sich dieses Ziel nicht begründen. Nachhaltigkeit sei allenfalls ein Ziel des Menschen, nicht das anderer Lebewesen.

So habe auch die Ökologiebewegung nicht hinreichend bedacht, dass wissenschaftlich-technischer Fortschritt sowie die demografische Entwicklung der Menschheit die Lage der Umwelt stets verändert hätten und dass Umwelt und Natur veränderlich seien. Wachstumsgrenzen seien dabei - bisher - immer wieder durch neue Techniken überwunden worden, auch wenn der Autor einräumt, dass dennoch Grenzen für ein solches Wachstum existieren werden, die nicht mehr zu durchbrechen sind (so dass die Entwicklung dann unausweichlich in eine Katastrophe münden muss?).

Bewahrung von Landschaft

Einen auf die Dauer von Natur angelegten Naturschutz werde es somit nicht geben können, weil Evolution fortschreitet. Die Ökologiebewegung aber vertrete Konzepte zum statischen Schutz von Natur. So stünden Regelungen des Naturschutzgesetzes oftmals Gesetzen der Ökologie entgegen, die den Wandel mit einschließen. Resumée des Autors: Die Bewahrung von Landschaft tritt an die Stelle von Naturschutz.

Die Landschaft aber müsse sowohl vor der Intensivierung oder Änderung der Landnutzung als auch vor dem Wandel der Natur geschützt werden. Naturschutz also als ein doppelter Schutz für ein Stück Land. "Pflege der Landschaft" beschreibe somit klarer, was mit Naturschutz gemeint sein müsse: nicht die Erhaltung einer Naturerscheinung, sondern die Bewahrung von landschaftlicher Identität.

Soweit die Gedankengänge des Autors zum Naturschutz und zu Inhalt und zur Bedeutung von "Ökologie". Was er aber offensichtlich übersieht: Es gibt seit Jahren Bestrebungen (etwa seitens des BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), mehr Wildnis und damit das freie Spiel auch der evlolutionären Kräfte zuzulassen.

Kennt der Autor ferner die Bemühungen auch zahlreicher lokal agierender Umweltgruppen, die Sukzessionsflächen betreuen, um dabei gerade dem ständigen Wandel von Natur Raum zu geben? Das aber bedeutet bewusst die Abkehr von "Naturschutz um jeden Preis", da Artenverluste unausweichlich sind, wenn Schutzgebiete verwildern.

Dennoch ist es sicher wichtig, den staatlichen (und statischen) Naturschutz immer wieder auf den ständigen und natürlichen Wandel von "Natur" hinzuweisen. Ob allerdings allgemein auch Landwirte, Jäger und Fischer als leuchtendes Beispiel dafür gelten können, wie man "seit Jahrtausenden nach dem Ziel der Nachhaltigkeit" wirkt, wird man - etwa angesichts aktueller Probleme zum Beispiel von Überdüngung und Überfischung und ihrer Folgen - wohl nicht unwidersprochen hinnehmen müssen.

Hansjörg Küster: Was ist Ökologie ? Die ökologischen Grundlagen unserer Existenz. Verlag C.H.Beck, München 2005; 205 S., 17,90 Euro


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