Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 10 / 06.03.2006

Wir brauchen klare Regelungen

Interview mit Ferdinand Hucho, Biochemiker und Initiator des ersten Gentechnologieberichts
"Eine gewisse Skepsis teile ich durchaus, aber ich bin gegen Panikmache", sagt Ferdinand Hucho, Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Initiator des Gentechnologieberichts, über die Grüne Gentechnik. Ähnlich abwägend äußert sich der Professor für Biochemie an der FU Berlin über andere Forschungs- und Anwendungsbereiche der Gentechnik. Wir sollten beobachten, wie diese moderne Hochtechnologie sich entwickelt, ihre Potenziale nutzen und auf Gefahren achten, so sein Fazit.

Das Parlament:    Was war der Anlass für Sie, gemeinsam mit zehn Kollegen aus Natur- und Sozialwissenschaften den Gentechnologiebericht zu verfassen?

Ferdinand Hucho:     Der Anstoß war für mich das Desaster der Gentherapie. Zu Beginn der 90er-Jahre ging ein großes Rauschen durch den Blätterwald: Gentherapie werde in den USA im großen Stil begonnen. Es gab dort 125 Therapieprojekte und hierzulande nur zwei oder drei. Deutschland verpasse den Anschluss. Überregulierung und übertriebene Ängste verhinderten den medizinischen Fortschritt, hieß es. Doch Mitte der 90er-Jahre zeigte sich: Sämtliche 125 Gentherapie-Projekte - allesamt Versuche an schwerkranken Menschen - waren gescheitert. Das war eine Riesenkatastrophe, die der Wissenschaft ungeheuer geschadet hat. Wir Deutschen waren heilfroh, dass wir an diesem Debakel nicht beteiligt waren. Die Devise hieß nun: Forscher zurück in die Labore! Macht erst mal anständige Wissenschaft!

Das Parlament:    Wie lässt sich ein derartiges Fiasko in Zukunft verhindern?

Ferdinand Hucho:     Um solche Fehlentwicklungen künftig zu vermeiden, halte ich es für notwendig, die verschiedenen Felder dieser neuen Hochtechnologie langfristig sorgfältig zu beobachten. Wir verstehen uns als eine Art Observatorium. Als interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern, von denen niemand eigene wirtschaftliche oder politische Interessen verfolgt, nehmen wir für uns eine größere Glaubwürdigkeit in Anspruch, als es Vertreter von Interessengruppen oder aus der Industrie können.

Das Parlament:    Wie sind Sie vorgegangen?

Ferdinand Hucho:     Wir erheben nicht selbst Daten, sondern werten die vorhandenen Quellen aus. Dafür haben wir zunächst vier Bereiche ausgewählt: aus der Grundlagenforschung die Genomforschung, aus der Medizin die Gendiagnostik, außerdem die Grüne Gentechnologie als besonders umstrittenes Anwendungsfeld und schließlich aus der Ökonomie die kleinen Firmenneugründungen, so genannte Start-Ups. Für diese Themenfelder haben wir Indikatoren entwickelt, die eine objektive Beurteilung erlauben. Wenn die Industrie beispielsweise sagt: "Die Gentechnologie ist überaus bedeutend", haben wir überlegt, an welchen Kriterien man das messen kann. Unsere Indikatoren erfassen beispielsweise die Zahl der Firmen und der Arbeitsplätze, den Umsatz und den Aufwand für Forschung und Entwicklung.

Das Parlament:    Welches Fazit haben Sie für den Bereich der Grundlagenforschung gezogen?

Ferdinand Hucho:     Hier ist die Gentechnologie eine große Erfolgsstory. 2001 kannten wir das komplette Erbgut von fünf Tieren und Pflanzen. Anfang 2005 waren schon 39 Genome entschlüsselt, und in dieser Zahl sind Mikroorganismen noch nicht berück-sichtigt. Es gibt heute in den Biowissenschaften kaum ein Labor, wo nicht mit gentechnologischen Methoden gearbeitet wird. Die genetische Grundlagenforschung hat sich dramatisch verändert. Großprojekte spielen eine immer wichtigere Rolle. Wir warnen jedoch vor dem Trend, diese Forschung ausschließlich auf Großforschungseinrichtungen außerhalb der Universitäten zu verlagern. Die Einheit von Forschung und Lehre muss auch in der Genforschung erhalten bleiben. An den Universitäten werden die Projekte ständig mit Studenten diskutiert und sind damit näher an der Öffentlichkeit. Diese Offenheit ist wichtig, um die Akzeptanz zu erhalten, die in der Grundlagenforschung für Gentechnologie bisher auffallend groß ist.

Das Parlament:    Ihr Bericht bemängelt jedoch, dass zu wenig über gesellschaftliche Aspekte diskutiert wird. Wie möchten Sie dieses Defizit beheben?

Ferdinand Hucho:     Im naturwissenschaftlichen Studium sollte es verpflichtend Seminare über ethische und soziale Aspekte geben. Wir schlagen vor, an deutschen Universitäten Institute einzurichten, die mit den britischen "Centres for Genomics in Society" vergleichbar sind.

Das Parlament:    Die medizinische Anwendung ist stärker umstritten als die Grundlagenforschung. In Ihrem Bericht ist von hohen Fehlerraten und mangelhaftem Qualitätsmanagement die Rede. Was muss sich ändern?

Ferdinand Hucho:     In der Medizin spielt bisher nur die Gendiagnostik eine praktische Rolle. 2004 wurden 600 Gene mit Krankheitswert identifiziert, neun Prozent davon durch deutsche Wissenschaftler. Derzeit gibt es rund 300 verschiedene Gentests. In den Jahren von 1992 bis 2002 hat sich die Zahl der Gendiagnosen verdoppelt. Dagegen ist die Zahl der genetischen Beratungen konstant geblieben. Hier öffnet sich eine Schere, vor allem weil die Krankenkassen die Beratungskosten - außer bei der Schwangerschaftsvorsorge - nicht übernehmen. Die Beratung muss dringend ausgebaut werden. Außerdem brauchen wir EU-weit Qualitätsstandards für Gentestlabore.

Das Parlament:    Führt die wachsende Zahl von Gentests zum "gläsernen Patienten"?

Ferdinand Hucho:     Die Gendiagnostik liefert Informationen über Krankheitsrisiken, die oft schwer zu interpretieren sind. Daher darf man den Patienten keinesfalls damit alleine lassen, etwa mit einem Test aus dem Internetversand. Wir fordern, dass Gentests nur von Ärzten nach vorheriger Beratung durchgeführt werden. Außerdem darf man selbstverständlich niemanden zwingen, an genetischen Reihenuntersuchungen teilzunehmen. Das Recht jedes Menschen darauf, seine ererbten Risiken nicht kennen zu wollen, muss beachtet werden. Nicht jeder möchte im Voraus erfahren, dass er wahrscheinlich eines Tages an Alzheimer leiden wird. Dazu brauchen wir klare Regelungen in einem Gendiagnostikgesetz.

Das Parlament:    Die meisten Bedenken in der Öffentlichkeit gibt es gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Müssen Forscher akzeptieren, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Grüne Gentechnik nicht will?

Ferdinand Hucho:     Das kann man so sehen. Es ist möglich, dass die Technik sich nicht durchsetzt, weil die Menschen die Produkte nicht kaufen. Laut Umfragen lehnen derzeit Dreiviertel der Bevölkerung gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Doch das könnte sich ändern, wenn Produkte auf den Markt kommen, die für die Verbraucher einen erkennbaren Nutzen bieten. Was wir für eine bessere Akzeptanz brauchen, sind nicht Pflanzen, die resistent gegen Unkrautvernichtungsmittel sind, sondern die beispielsweise eine günstigere Nährstoffzusammensetzung haben. Eine gewisse Skepsis teile ich durchaus, aber ich bin gegen Panikmache. Schäden durch die Grüne Gentechnologie sind trotz jahrelanger Anwendung - weltweit wachsen auf 80 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen - nicht aufgetreten.

Das Parlament:    Dennoch gibt es immer wieder unerwartete Effekte - so wurde kürzlich bekannt, dass ein Bohnengen in Erbsen schädliche Stoffe produziert. Mäuse, die davon aßen, bekamen Lungenentzündungen. Sind solche Risiken akzeptabel?

Ferdinand Hucho:     Da hilft nur ein guter Verbraucherschutz mit entsprechenden Tests bei der Sortenzulassung. Wir wenden uns aber dagegen, schon die Forschung so einzuschränken, wie das mit dem geltenden Gentechnikgesetz geschieht. Wir hoffen, dass die neue Bundesregierung dies zugunsten der Gentechnologie ändert.

Das Parlament:    Einerseits berufen Sie sich auf objektive Indikatore, andererseits nimmt der Bericht auch deutlich Stellung, etwa für eine Änderung des Gentechnikrechts oder gegen eine "ausufernde ethische Dis-kussion". Ist das für Sie kein Widerspruch?

Ferdinand Hucho:     Hier gibt es in der Tat keine objektiven Kriterien. Die Bewertungen geben den Konsens innerhalb der Wissenschaftlergruppe wieder, die den Bericht erarbeitet hat. Das heißt nicht, dass alle Mitglieder der Akademie ihn teilen.

Das Parlament:    Hätte es nicht Ihre Glaubwürdigkeit erhöht, wenn sie in Ihr Team auch gentechnikkritische Wissenschaftler aufgenommen hätten?

Ferdinand Hucho Wir haben selbstverständlich kritische Veröffentlichungen in unsere Auswertung einbezogen. Aber es bringt wenig, mit Fundamentalis-ten zu diskutieren. Daher war weder jemand von Greenpeace in der Arbeitsgruppe noch Vertreter der Industrie. Radikale Ablehnung führt zu nichts. Die Gentechnologie ist jetzt da. Uns geht es darum, ihre Entwicklung mit unserem Monitoring-Projekt zu beobachten und aus wissenschaftlicher Perspektive da-rauf hinzuweisen, wo es Handlungsbedarf gibt.

Das Parlament:    Warum haben Sie sich dabei im Bereich der Ökonomie auf die Start-Ups konzentriert?

Ferdinand Hucho:     Vor allem aus pragmatischen Gründen: Die Daten zu den Start-Ups sind gut zugänglich. Vergleichbare Informationen von den großen Pharmafirmen zu erhalten, erwies sich als unmöglich. Diese sprechen zwar gern davon, dass die Gentechnologie ein ungeheuer wichtiger Wirtschaftsfaktor sei, rücken aber keine Zahlen heraus. Also haben wir uns zunächst angeschaut, was es mit dem Boom der vielen kleinen Biotech-Neugründungen, von dem vor einigen Jahren so optimistisch die Rede war, auf sich hat.

Das Parlament:    Und was ist dran?

Ferdinand Hucho:     Nicht allzu viel. Es gab 2001, auf dem Höhepunkt der Entwicklung, 365 Biotech-Unternehmen mit 14.000 Beschäftigten in Deutschland. 2003 war die Zahl auf 350 Firmen mit gut 11.000 Arbeitsplätzen gesunken. Bei fünf Millionen Arbeitslosen ist das natürlich ein Witz. Und was sind 350 Neugründungen angesichts von 40.000 Insolvenzen im Jahr. Da wird viel Schaum geschlagen.

Das Parlament:    Woran scheitern die Start-Ups?

Ferdinand Hucho:     Die Firmengründer sagen natürlich, sie bräuchten mehr Geld. Auch wir befürworten die weitere Förderung der Biotech-Branche. Vor allem aber fehlt es den meisten Gründern an Managementfähigkeiten und an ausgereiften Produktideen. Hier sind Förderinstitutionen und auch die Hochschulen gefordert, das notwendige wirtschaftliche Know-how zu vermitteln.

Das Parlament:    Ein großer Teil dieser Firmen wurde von Hochschullehrern gegründet. Warum sehen Sie dies in Ihrem Bericht eher kritisch?

Ferdinand Hucho:     Die Doppelexistenz vieler Gentechnologieforscher als Dozenten und Unternehmer führt zu erheblichen Interessenkonflikten. Ich finde es sehr problematisch, wenn Professoren sich hauptsächlich ihren privaten Firmen widmen, und ihre Arbeitszeit für die Ausbildung der Studenten dann fehlt. Doch diese Entwicklung ist zurzeit politisch so gewollt, wird mit öffentlichen Geldern gefördert und durch die Universitätsleitungen noch unterstützt, zum Nachteil der universitären Forschung und Lehre.

Das Parlament:    Sie haben Ergänzungen zum Gentechnologiebericht angekündigt. Wie geht es weiter?

Ferdinand Hucho:     Der Bericht ist keine einmalige Bestandsaufnahme, sondern wird laufend fortgeschrieben. Dabei beobachten wir zum einen ausgewählte Indikatoren aus den bisher untersuchten Themenfeldern weiter. So ist für den Herbst 2006 eine Aktualisierung des Kapitels Grüne Gentechnologie durch den Pflanzengenetiker Bernd Müller-Röber geplant. Zum anderen kommen neue Bereiche hinzu. Im April soll ein Ergänzungsband zum Thema Stammzellforschung erscheinen, der derzeit unter der Federführung von Stammzellforscherin Anna Wobus erarbeitet wird. 2007 kommt ein Bericht zur Gentherapie. Dann wird sich zeigen, ob die Forschung inzwischen zu aussichtsreicheren Behandlungsstrategien führt.

Das Interview führte Wiebke RögenerWiebke Rögener arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in Münster.


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