Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 06.03.2006
Wolfgang Löhr

Im Alleingang

Gentechnikfreie Zonen in Europa

Der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und deren Verwendung in Nahrungsmitteln bleibt ein Streitobjekt in der Europäischen Union. Obwohl mittlerweile für eine ganze Reihe von gentechnisch veränderten Sorten EU-weite Anbau- oder Importgenehmigungen vorliegen, weigern sich mehrere Mitgliedstaaten schon seit längerem aus "Sicherheitsgründen", diese Pflanzen in ihr Land hinein zu lassen. So haben unter anderem Griechenland, Österreich, Ungarn, Luxemburg und Frankreich trotz EU-Zulassung nationale Verbote für mehrere Mais- und Rapssorten erlassen. Begründet haben diese Länder die Verbote mit einer Gefährdung für die menschliche Gesundheit oder möglichen Beeinträchtigungen der Umwelt. So lehnte es Frankreich zum Beispiel ab, zwei herbizidresistente Rapssorten zuzulassen, weil sich die Pflanzen unkontrolliert auskreuzen könnten. Österreich, Luxemburg und Deutschland untersagten den Anbau des insektenresistenten Mais' Bt176 von Syngenta. Der Grund: Eine in den Pflanzen vorhandene Antibiotikaresistenz könnte auf Krankheitskeime übertragen werden, so dass die Therapie von Infektionserkrankungen erschwert würde.

Insgesamt sind es derzeit sieben Mitgliedstaaten, die die gemeinsame EU-Linie verlassen und im Alleingang für einzelne Pflanzensorten Anbau- oder Importverbote ausgesprochen haben. Die Hoffnung der EU-Kommission, dass nach der Beendigung des europäischen sechsjährigen Moratoriums im Mai 2004 wieder Normalität bei der Zulassung von Gentechpflanzen und Lebensmitteln eintritt, hat sich damit erst einmal zerschlagen.

Und wenn es nach dem Willen Österreichs ginge, könnte es noch schlimmer kommen. Die Bundesregierung in Wien möchte gern die Alpenrepublik generell von genmanipulierten Pflanzen frei halten. Rund drei Viertel der Österreicher lehnen gentechnisch veränderte Pflanzen ab. Auch bei den Landwirten und der Lebensmittelindustrie ist die Akzeptanz nicht sehr hoch. Viele verarbeitende Betriebe fordern, gentechnikfreie Rohware geliefert zu bekommen. Österreich besteht daher darauf, dass die EU-Staaten oder einzelne Regionen selbst bestimmen dürfen, ob sie den Anbau von Gentechpflanzen zulassen. Dafür nimmt das Land auch in Kauf, von der EU-Kommission vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezerrt zu werden.

Eine erste Klage hat Österreich bereits verloren. Die Landesregierung von Oberösterreich wollte gegen den Widerstand der EU-Kommission mit einem Gentechnik-Verbotsgesetz das Bundesland zur gentechfreien Zone erklären. Mit dem Verbot wollte Oberösterreich die organische und herkömmliche Landwirtschaft vor Einkreuzungen von Gentechpflanzen schützen. Die Landesregierung hatte vor allem mit der kleinbäuerlichen Struktur in der Region argumentiert, die einen zuverlässigen Schutz vor Gentech-Kontaminationen nicht zulasse. Doch diesem Argument wollte auch der von Österreich angerufene EuGH nicht folgen. Einzelstaatlich angeordnete Anbauverbote für Gentech-Pflanzen sind demnach nicht zulässig. Oberösterreich gibt sich dennoch nicht geschlagen. Das Bundesland will alle rechtlichen Schritte prüfen, um doch noch ein Anbauverbot erteilen zu können. Zudem wird ein neues Gentechnikgesetz vorbereitet, in dem die Hürden für den Gentechanbau so hoch gesetzt werden, dass es praktisch einem Verbot gleichkommt. Diesen Weg haben bereits die anderen Bundesländer in Österreich eingeschlagen.

"Gefahr für die Umwelt"

Auch Ungarn und Griechenland wehren sich dagegen, dass sie nach der Freisetzungsrichtlinie gezwungen werden können, in Brüssel zugelassene Gentechpflanzen auf ihre Felder zu lassen. In beiden Ländern bestehen für einzelne Gentechpflanzen Importverbote. So weigerte sich Griechenland Anfang Januar, einer Anordnung der EU-Kommission nachzukommen, das bestehende Anbauverbot für den in der EU zugelassenen Monsanto-Mais MON 810 zurücknehmen. Stattdessen erweiterte das griechische Agrarministerium das Mais-Verbot um weitere 18 Monate. Betroffen davon sind insgesamt 31 Maisvarietäten, die alle mit MON810 gezüchtet wurden. In der Begründung heißt es, der genmanipulierte Mais stelle eine Gefahr für die Umwelt dar. Er gefährde die Artenvielfalt; seine Pollen könnten den traditionellen Mais kontaminieren.

Nach EU-Recht sind die in Brüssel erlassenen Genehmigungsbescheide für den Anbau oder Import von Genveränderten Organismen für alle Mitgliedstaaten bindend. Nur in begründeten Ausnahmefällen sieht die EU-Freisetzungsrichtlinie eine zeitlich beschränkte Aussetzung eines Genehmigungsbescheides vor: Ein Mitgliedsstaat darf den Anbau oder Import von Gentechpflanzen oder Saatgut einschränken oder ganz verbieten, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass von diesem Produkt eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ausgeht. Gesetzlich verordnete "gentechnikfreie Zonen" sind nach EU-Recht nicht erlaubt. Die EU-Kommission hat auch wiederholt klargestellt, dass sie gegen derartige Gesetze vorgehen wird.

Zulässig sind lediglich Bündnisse von Landwirten und Verarbeitern, die freiwillig auf den Einsatz von Gentechnik verzichten und ihre Region für gentechfrei erklären. Von Spanien bis Polen sind in fast allen europäischen Staaten in den letzten Jahren rund 2.000 gentechfreie Regionen ausgerufen worden. Mit dabei sind nicht nur Landwirte, verarbeitende Betriebe und Konsumenten, auch Bürgermeister, Landräte und Regionalvertreter unterstützen die Bewegung. Ihr Dilemma ist, dass sie die Gentechfreiheit rechtlich nicht durchsetzen können. Nur ein Landwirt, der auf sein Recht, Gentechpflanzen anbauen zu dürfen, nicht verzichten will, reicht, um das regionale Bündnis zu torpedieren. Die Gentechgegner fordern daher, dass Kommunen, Landkreise oder Provinzen das Recht eingeräumt bekommen, in ihrer Region den Anbau von Gentechpflanzen zu verbieten. Österreich, das derzeit den EU-Ratspräsidenten stellt, will die Regionalbündnisse in Brüssel unterstützen und sich für eine Änderung des EU-Rechts einsetzen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.