Das Parlament
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Nr. 10 / 06.03.2006

Risiken sind noch unerforscht

Interview mit Terje Traavik, Leiter des norwegischen Instituts für Gen-Ökologie
Risikoforschung ist das Waisenkind der Wissenschaft, meint Terje Traavik. An seinem Institut für Gen-Ökologie im norwegischen Troms\ø erforscht er mit einem Team von Wissenschaftlern die Auswirkungen von genveränderten Nahrungsmitteln auf die Gesundheit von Menschen und Tieren. Die Folgen seien noch unabsehbar: "Bis jetzt gibt es nur viele Fragen, aber keine Antworten", sagt der Wissenschaftler und fordert mehr "unabhängige" Forschungsgelder.

Das Parlament:    Sie forschen am Institut für Gen-Ökologie. Was soll man sich als Laie unter Gen-Ökologie vorstellen?

Terje Traavik:     Gen-Ökologie ist ein neuer Begriff. Wir versuchen in unserem Institut wissenschaftlich fachübergreifend zu forschen und ein ganzheitliches Wissen zu liefern, das auf dem Vorsorgeprinzip basiert. Sie finden bei uns Wissenschaftler aller Richtungen - vom Mikrobiologen über den Sozialwissenschaftler bis zum Ethiker und Theologen. Wir machen Umweltrisikoanalysen im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen, wobei sich die Umweltanalysen einmal auf das Ökosystem des gesamten Planeten beziehen, aber auch auf das Ökosystem im Kleinen, das wir in Säugetierorganismen vorfinden. Dieser vernetzte, ganzheitliche Ansatz bedeutet, dass wir auch die indirekten Gefahren für die öffentliche Gesundheit untersuchen, die sich durch soziale, kulturelle, ethische, wissenschaftliche und rechtliche Themen ergeben. Wir sind sehr darum bemüht, jedem verständlich zu machen, dass genetische Verschmutzung etwas komplett anderes ist als die chemische Verschmutzung, die wir dank unserer Dummheit in den vergangenen 50 Jahren verbreitet haben. Denn Chemikalien können sich nicht selbst vermehren. Sogar eine riesige Chemieverschmutzung wird mit der Zeit kleiner. Bei der Gentechnik verläuft es genau umgekehrt. Da sich die DNS grundsätzlich selbst vermehren kann, ist es theoretisch möglich, dass eine kleine Verschmutzung schließlich in einer riesigen Verschmutzung enden könnte.

Das Parlament:    Machen Sie sich als Wissenschaftler Sorgen um die Sicherheit unserer gentechnisch veränderten Nahrung?

Terje Traavik:     Um das herauszufinden, machen wir Tierversuche, bei denen Ratten mit gentechnisch veränderter Nahrung gefüttert werden. Der Hintergrund dieser Versuche ist, dass Menschen und Haustiere bereits an vielen Orten dieser Welt Lebensmittel oder Futter zu sich nehmen, das aus gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren hergestellt wird. Wir haben keine Ahnung, was dies für die Organismen für Folgen hat. Bis jetzt gibt es nur viele Fragen, aber keine Antworten.

Das Parlament:    Werden denn transgene DNS und Proteine im Magen-Darm-Trakt von Säugetieren aufgenommen?

Terje Traavik:     Es wird gemeinhin behauptet, dass sie wirksam abgebaut werden. Dies basiert auf Annahmen, die nie systematisch untersucht wurden. Eine begrenzte Anzahl aktueller Veröffentlichungen zeigt, dass fremde DNS und auch Proteine im Magen-Darm-Trakt doch nicht abgebaut werden, sondern von den Eingeweiden aufgenommen und im Blut in biologisch bedeutsamen Konstrukten zu inneren Organen transportiert werden. DNS kann in Fäkalien entdeckt werden, in der Darmwand, an der Außenseite von weißen Blutzellen, in Leber, Milz und Nieren, und die fremde DNS kann integriert im Genom des Empfängers gefunden werden. Werden schwangere Tiere mit fremder DNS gefüttert, können Teile davon in kleinen Zellanhäufungen in Föten und Neugeborenen festgestellt werden. Die Folgen des Fortbestehens der DNS und ihrer Aufnahme stellen also einen wichtigen Bereich von bisher "ausgelassener" Forschung dar.

Das Parlament:    Mais wird beispielsweise mit einem Bazillus Thurengiensis (BT) so genetisch verändert, dass die Pflanze selbst BT-Gifte erzeugt, um Schädlinge zu töten. Wird die Pflanze, die wir später essen, selbst zu einem Pestizid?

Terje Traavik:     Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass die BT-Gifte, die in gentechnisch veränderten Pflanzen entstehen, nie aufmerksam analysiert wurden. Dementsprechend sind ihre Eigenschaften und Wirkungen nicht bekannt. Die BT-Gifte haben einige potenziell unerwünschte biologische Eigenschaften. Außerdem erreicht das BT-Gift nicht nur die Schädlinge, sondern auch viele weitere Kleinstlebewesen auf dem Feld. In den vergangenen Jahren sind einige Beobachtungen in der Literatur aufgetaucht, die als Warnung vor potenziellen Gesundheits- und Umweltrisiken verstanden werden können. Den meisten jedoch folgten keine ausgedehnten Studien.

Das Parlament:    Welche Auswirkungen haben gentechnisch veränderte Pflanzen mit Glyphosat-Toleranz, zum Beispiel "Roundup-Ready"- Raps oder -Soja?

Terje Traavik:     Diese gentechnisch veränderten Pflanzen haben eine eingebaute transgene Kodierung für ein Enzym, das das Herbizid Glyphosat abbaut. Die dahinterliegende Idee ist natürlich die gemeinsame Nutzung von Genpflanze und dazugehörigem Herbizid. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass in einigen Fällen solche Genpflanzen mit einem höheren Verbrauch von Glyphosat verbunden sind als ihre herkömmlichen Pendants. Sehr wenige Versuchsstudien wurden den Gesundheits- und Umweltrisiken von gentechnisch veränderten Pflanzen gewidmet oder dem Herbizid selbst. Einige davon können als Warnung vor potenziellen Gesundheits- und Umweltrisiken betrachtet werden, und ihnen sollte schnellstens nachgegangen werden, um die Ergebnisse zu bestätigen und auszubauen.

Das Parlament:    Wie geht es weiter?

Terje Traavik:     Nun, es gibt viele weitere Gefahren außer den angesprochen Risiken. Zu diesen zählt das Problem des horizontalen Gentransfers (HGT), die neue Generation von multigenen Genorganismen für pharmazeutische und industrielle Zwecke, Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit Genimpfungen und der Vorstoß der Nanobiotechnologie. Weiterhin gibt es die bisher nicht gestellten Fragen, und wir haben das Problem, ob die verfügbaren Methoden und behördlichen Rahmenbedingungen die erzeugten Gefahren erfassen und bewältigen können, wenn sie Realität werden. Wir als Bürger und Experten müssen zusammenstehen, um die gegenwärtige Situation umzukehren. Wir brauchen unabhängige Forschungsgelder. Das wäre die wirksamste Methode, um die Vereinnahmung der Wissenschaft durch Konzerne zu beenden.

Das Interview führte Bertram VerhaagBertram Verhaag ist freier Filmregisseur, Geschäftsführer der DENKmal-Film GmbH in München und Autor des international vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilms "Das Leben außer Kontrolle".


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