Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 10 / 06.03.2006
Robert Thielicke

Fernost überholt und stolpert

Biotechnologie in Asien
Als er stürzte, riss er fast eine ganze Branche mit in den Abgrund. Im Januar war endgültig klar, dass der südkoreanische Forscher Hwang Woo Suk keinen seiner Menschenklone tatsächlich hergestellt hatte. Keinen einzigen der Embryonen, die aus der Verschmelzung einer entkernten Eizelle mit dem Erbgut einer Hautzelle entstanden sein sollten, gab es wirklich. Die südkoreanische Börse reagierte prompt. Biotechnologie-Aktien verloren zwischen einem Fünftel und der Hälfte ihres Wertes. Sogar Wertpapiere von Unternehmen, die nicht direkt in der Stammzellforschung aktiv sind, brachen ein.

Die Tiefe des Falls zeigt, wie viel sich Südkorea von dem Forschungsbereich erhofft hatte. Sah sich die Branche doch seit Hwangs angeblichem Durchbruch einem ihrer größten Träume nah: durch maßgeschneiderte Stammzellen kranke Organe reparieren oder gar neu züchten zu können. 24 Millionen Euro soll die südkoreanische Regierung allein in die Arbeit des Klonforschers gesteckt haben. In den gesamten Biotechnologiesektor investierte sie vergangenes Jahr sogar 600 Millionen Euro, 270 Millionen Euro mehr als 2001.

Der Skandal um Klonforscher Hwang hatte eine Region ins Licht der Öffentlichkeit gezogen, die lange im Schatten der Biotech-Großmächte Europa und USA stand. Dass die Scheinwerfer nun aber nur die schmutzigen Ecken ausleuchten, ist nicht gerechtfertigt. Hwang war zwar das Aushängeschild des Fortschritts und "lieferte das psychologische Fundament für den Boom", meint Han Oh Park, Geschäftsführer der Biotechfirma Bioneer. Doch Jung Seob Shin von der Korea Development Bank meint: "Koreas Unternehmen werden sich von dem Schlag erholen. Der Einbruch spiegelt nicht den tatsächlichen Zustand." Dafür spricht, dass schon im Januar die Kurse wieder Fuß fassten. Aber nicht nur in Korea, sondern überall in Asien wächst eine Industrie heran, die den Vorreitern USA und Europa schon bald zu schaffen machen könnte. Die Stammzellforschung allerdings dürfte nur einen kleinen dazu Teil beitragen. Weitaus wichtiger werden andere Bereiche der Biotechnologie werden - darunter die Genforschung und die Suche nach Arzneimitteln aus körpereigenen Hormonen oder Enzymen.

Die Region investiert viel in den Bereich. Steuervorteile, Finanzhilfen, geringe Lohnkosten, aber auch der pragmatischere Umgang mit menschlichen Embryonen und transgenen Lebewesen locken Forscher und Firmen. In Indien oder Malaysia entstehen Biotechparks, mal mit Hilfe internationaler Unternehmen, mal ausschließlich staatlich finanziert. Am bekanntesten ist wohl Singapurs Biopolis, mit 185.000 Quadratmetern fast ein eigenes Forscherdorf. Dort durchforsten Wissenschaftler das Erbgut nach Krankheitsgenen oder suchen nach neuen Behandlungsansätzen mit Stammzellen. Für Japan erklärte der staatliche Council of Science 2001 die Biotechnologie zu einer Schlüssel-

industrie. Die Umsätze in diesem Bereich sollen bis 2010 auf 180 Milliarden Euro steigen - und sich damit fast verfünfzehnfachen. In Taiwan stellte das Unternehmen Biowell Technology 2003 das weltweit erste Zugangssystem vor, das Menschen anhand ihrer Genprofile erkennt. Und so könnte sich künftig in der Medizin wiederholen, was im Elektroniksektor bereits geschehen ist: Fernost überholt.

15 Prozent aller Firmen und sieben Prozent aller Beschäftigten im Biotechsektor sitzen nach einer Studie der Beratungsfirma Ernst & Young im asiatisch-pazifischen Raum. Darunter fallen zwar auch Unternehmen in Australien oder Neuseeland. Aber "speziell in Japan, Indien und China entstehen Brutstätten der Biotechnologie", so der Bericht "Beyond Borders: Global Biotechnology Report 2005". Japan ist dabei eine Ausnahme: Die Industrienation hat den Boom in den Lebenswissenschaften schlicht verschlafen und will nun zügig aufholen. Indien und China dagegen haben die Möglichkeiten früh begriffen, noch aber bremsen begrenzte Geldmittel die Entwicklung. Umso erstaunlicher sind daher die gemeldeten Erfolge - vor allem bei biotechnologisch hergestellten Medikamenten.

In Indien erzielte die Biotechsparte 2004 bereits einen Erlös von 875 Millionen Euro, 36 Prozent mehr als im Jahr davor. Ein großer Teil davon sind zwar Auftragsfertigungen für ausländische Pharmakonzerne, denn "noch spielt die Grundlagenforschung keine große Rolle", meint Peter Pfeiffer, Pharmaexperte von der Unternehmensberatung McKinsey. "Aber es gibt erste Ansätze." So will die Moskauer Firma Shreya Life Science mit rund 3 Millionen Euro ein Forschungsins-titut auf dem Subkontinent aufbauen. Auch der Saatgutriese Syngenta will in naher Zukunft einen Teil seiner Entwicklung dorthin verlagern. Neben ausländischen Konzernen mischen aber auch einheimische Firmen mit. Sie entwickeln Impfstoffe, Humaninsulin oder ein Enzym namens Shankinase, das Blutgerinnsel am Herzen auflöst. In der Stammzelltherapie mischt das L.V. Prasad Eye Institute in Haiderabad ganz vorne mit. Als eines der ersten weltweit behandelt es mit der Methode Hornhautschäden. Dazu entnehmen die Ärzte dem Patienten oder einem seiner Verwandten undifferenzierte Zellen vom Rand ihrer Hornhaut, vermehren sie auf einer speziellen Membran und formen anschließend mit ihnen eine neue Hornhaut. "300 Menschen behandeln wir auf diese Weise pro Jahr", sagt Sprecher Sam Balasundaram.

Fast noch spektakulärer geht es jedoch im Reich der Mitte zu. 1,2 Milliarden Euro investierte die chinesische Regierung zwischen 2001 und 2005 in die Biotechnologie. "Sie könnte zum Wachstumsmotor werden", begründet Wang Hongguang, Direktor des China National Centre for Biotechnology Development, den staatlichen Einsatz. Wie offen das Land den modernen Methoden gegenübersteht, zeigt der Umgang mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen. Mit ihren 3,3 Millionen Hektar Anbaufläche liegt die Volksrepublik weltweit auf Platz fünf hinter den USA, Argentinien, Brasilien und Kanada. Die Entwicklung eigener Sorten steckt dabei allerdings noch in den Kinderschuhen, und so wächst auf den Feldern vor allem insektenresistente Baumwolle des Saatgutkonzerns Monsanto.

In der Gentherapie dagegen scheinen die Chinesen aus eigener Kraft vorne mitzumischen. Anfang 2004 brachte das Unternehmen SiBiono GeneTech das Mittel Gendicine gegen Krebs im Hals-, Nasen- und Ohrenbereich auf den Markt. Die Forscher hatten es geschafft, ein Gen in entartete Zellen zu schleusen, das den Tumor absterben ließ. "In der Studie an 135 Patienten ist der Krebs bei 64 Prozent komplett zurückgegangen", so das Unternehmen. 3.000 Patienten sollen bisher behandelt worden sein.

Mischwesen aus Mensch und Tier

Das Misstrauen gegenüber allzu spektakulären Erfolgen ist unter Experten jedoch groß. Die Gentherapie etwa hat bisher außerhalb Chinas noch keine Zulassungsbehörde erlaubt. Fast noch kritischer sehen Wissenschaftler die zweite große Erfolgsmeldung aus dem Reich der Mitte. 2003 verkündeten Forscher der Shanghai Second Medical University, ein Mischwesen aus Mensch und Kaninchen hergestellt zu haben. Dazu entkernten sie die Eizelle des Nagers und fügten anschließend Erbgut aus menschlichen Hautzellen ein. Die so befruchtete Eizelle teilte sich. Ein Embryo entstand, der den Forschern zufolge kaum noch Eigenschaften eines Kaninchens hatte. Nach dem koreanischen Klonskandal gilt dieser Weg deshalb als große Hoffnung, um embryonale Stammzellen herzustellen. Denn Eizellen aus Kaninchen sind sehr viel einfacher zu gewinnen als jene aus Menschen.

Ob der Ansatz aber tatsächlich Patienten zugute kommen wird, bezweifelt Wolfgang-Michael Franz von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Das ist bisher nur bei Mäusen gelungen", so der Experte, der als einer der ersten Deutschen die Genehmigung erhielt, mit den Alleskönnern zu forschen.Ein Teil des Misstrauens rührt sicherlich daher, dass Asien den meisten europäischen und US-amerikanischen Wissenschaftlern noch immer sehr fremd ist. Die wenigsten haben Verbindungen zu örtlichen Labors, kaum einer kennt die Forscher persönlich. Aber auch die Länder selbst geben Anlass zum Zweifel - und das nicht erst seit Koreas Fälschungsskandal. Vor allem die Stammzellforschung scheint anfällig für Scharlatanerie zu sein. In Indien schießen obskure Angebote zu Therapien mit den Alleskönnern wie Pilze aus dem Boden. Mit Material aus dem Knochenmark oder aus Nabelschnurblut wollen Ärzte sogar frühkindliche Hirnschädigungen oder Muskelschwund heilen - kaum reguliert und wissenschaftlich zweifelhaft.

Vasantha Muthuswami vom Indian Council of Medical Research sah sich schon vergangenen April zu der Warnung genötigt: "Wir möchten die Stammzelltherapie zwar fördern, aber nicht auf diese skandalöse Weise." Ohne Wirkungsnachweis spritzten sogar Ärzte des angesehenen All India Institute of Medical Science in Neu Delhi Bypass-Patienten Stammzellen. Sie sollten zu Muskelzellen reifen und so die Infarktschäden am Herzen reparieren. Die Behandlung galt einst zwar als große Hoffnung, mittlerweile sind die Erwartungen jedoch stark geschrumpft. Zuletzt säten Mediziner von der belgischen Universität Löwen Zweifel an der Therapie. In der Januarausgabe des angesehenen Fachmagazins "The Lancet" kamen sie zu dem Schluss, dass Stammzellen weder die Schlagkraft noch die Durchblutung des geschädigten Herzens verbesserten.

Forschung nach den strengen Maßstäben der Wissenschaft findet sich in Asien immer noch zu selten. "Es gibt mitunter massive Qualitätsprobleme", meint auch McKinsey-Experte Pfeiffer. "Sei es, weil Daten schlecht erhoben werden oder ungeeignete Patienten an klinischen Studien teilnehmen." Ein Gutteil dieses Problems ist schlicht ein Mangel an qualifiziertem Personal. "Indische Forscher sind zwar ziemlich gut im Umgang mit kleinen Molekülen", meint Arvind Atignal, Leiter der Firma Clinigene, die im Auftrag von Pharmaunternehmen klinische Studien durchführt. "Bei komplexen biologischen Substanzen wissen sie jedoch oft nicht, wie die gewonnenen Daten zu interpretieren sind."

Mangel an qualifiziertem Personal könnte denn auch die Achillesferse des Booms sein. Schließlich haben auch andere asiatische Länder Schwierigkeiten, gut ausgebildete Spezialisten zu bekommen. In Taiwan arbeiten zwar rund 6.000 Forscher in den Lebenswissenschaften, trotzdem fehlen nach Schätzungen des nationalen Institute of Economic Research noch gut 2.000 Fachkräfte. Malaysia hat jüngst das Programm "Brain Gain" aufgelegt. Bis 2010 soll es die Zahl seiner Forscher und Ingenieure verfünffachen. Viele von ihnen dürften dabei aus dem Westen kommen. In Singapur stammen schon jetzt nahezu 90 Prozent der Biotechexperten aus dem Ausland. Die Anwerbung lässt sich der Stadtstaat 1,5 Milliarden Euro kosten. Bis der Bedarf aus eigenen Ressourcen gedeckt werden kann, dürften noch Jahre vergehen - und das macht den Aufschwung anfällig. Andererseits jedoch zeigt gerade der Kampf um Fachkräfte, wie sehr die Biotechnologie in der Region boomt.Noch mag die Region im Schatten der Biotech-Großmächte Europa und USA stehen. Aber Fernost holt auf. Europäer mögen ethische Bedenken gegenüber den Methoden haben - etwa bei der Stammzellforschung oder in der Gentechnik. Wenn künftig aber entsprechende Therapien verfügbar sein werden, dürfte es schwer werden, sie Patienten hierzulande vorzuenthalten. Der US-Politologe Francis Fukuyama prophezeit sogar schon, dass die Welthandelsorganisation WTO ethische Auflagen bald als Handelshemmnisse diskutieren wird.

Robert Thielicke ist Redakteur im Ressort Forschung und Technik beim "Focus".


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