Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 06.03.2006
Silvia von der Weiden

Die Jungbrunnen der Zukunft

Das Methusalem-Projekt

Der Wunsch nach ewiger Jugend und Gesundheit ist ein uralter Menschheitstraum. Lucas Cranach, einer der großen Maler der Renaissance, hat ihn 1546 in dem Gemälde "Der Jungbrunnen" eindrucksvoll in Szene gesetzt: In einer paradiesisch gelegenen Badeanlage regenerieren Männlein und Weiblein die verbrauchten Körper und entsteigen um Jahrzehnte verjüngt dem heilenden Wunderwasser. Die Jungbrunnen der Zukunft könnten die Petrischalen werden. Darin schwimmen in einer Nährlösung schon jetzt menschliche Zellen, genauer Krebszellen. Bei ihnen ist die Zellteilungsmaschinerie außer Kontrolle geraten. Statt wie üblich nach 50 Zellzyklen abzusterben, teilen sich Krebszellen unaufhörlich weiter und werden so potenziell unsterblich. Im Organismus führt die explosive Schwemme zum tödlichen Zellchaos. Im Labor jedoch dienen Krebszellen als Modell, an dem Forscher studieren, wie die Lebensuhr von Zellen tickt. Die entscheidende Frage lautet: Wie lässt sich die Fähigkeit von Krebszellen, die Uhr des Lebens, immer wieder neu aufzuziehen, auf gesunde Zellen übertragen, um so den Alterungsprozess aufzuhalten oder gar zu stoppen?

Ein wichtiges Programm für das Uhrwerk von Zellen kennen die Forscher bereits. Es besteht aus etwa tausend aneinander gereihten, identischen Kopien einer kurzen DNA-Sequenz: TTAGGG lautet die sich wiederholende Chiffre aus sechs molekularen Buchstaben, den Kürzeln für die Basen Thymin, Adenin und Guanin, welche die Sprossen der Doppelhelix bilden. Der Code kommt bei allen Säugetieren sowie beim Menschen vor und steuert den kontrollierten Ablauf der Zellteilung. Das Programm ist in den Chromosomen gespeichert, welche die Erbsubstanz enthalten. Es sitzt an den Enden und bildet die so genannten Telomere (von den griechischen Bezeichnungen telos = Ende und meros = Teil). Die Endstücke haben die gleiche Funktion wie Plastikkappen an Schnürsenkeln. Diese verhindern, dass die Senkel an den Enden ausfransen. Das gleiche gilt für Telomere, denn sie helfen dem DNA-Reparaturmechanismus einer Zelle dabei, zerbrochene Chromosomen von den Endstücken zu unterscheiden. Wenn sich Zellen teilen, werden die Telomere immer kürzer. Sie dienen gewissermaßen als eine Art Zählmechanismus, um das Alter der Zellen zu bestimmen. Bei jeder Teilung büßt die Zelle einige Bausteine ein. Erreicht der Schwund einen kritischen Punkt - der ist normalerweise nach etwa 50 Teilungen erreicht - ist das das Zeichen, um den Zelltod einzuleiten.

Zellentartungen

Zur Zellentartung kommt es durch die unkontrollierte Aktivität eines Proteins namens Telomerase. Das Enzym sorgt dafür, dass die Telomere ihre vollständige Länge behalten und die Chromosomen nicht mit jeder DNA-Replikation kürzer werden. Wissenschaftler beim US-Biotechunternehmen Geron in Kalifornien, das die Patentrechte auf Telomerase besitzt, haben herausgefunden, dass Zellen, die auf Kulturen wachsen, durch die Aktivierung von Telomerase unsterblich werden. Fehlt das Enzym, so die bisherige Annahme der Forscher, ist das der Grund für die begrenzte Lebenszeit von Zellen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg haben entdeckt, dass Telomerase auch in gesunden, sich ständig erneuernden Zellen der Haut und der Darmschleimhaut vorkommt. Dennoch altern die Zellen. Die Forscher gehen nun der Hypothese nach, dass entweder die Menge des Enzyms die Zellalterung steuert oder noch andere Faktoren an dem Prozess beteiligt sind.

Für letzteres gibt es Anhaltspunkte. US-Forscher identifizierten das so genannte wrn-Gen. Es verhindert bei einem Teil der Krebszellen das Verkürzen der Telomere. Durch einen Fehler ist es ständig aktiv und lässt sich nicht mehr abschalten. Fatal ist auch das Gegenteil. Ist das Gen ständig blockiert oder verloren gegangen, leiden die Betroffenen an einer unheimlichen Erbkrankheit, die ihren Körper im Zeitraffertempo vergreisen lässt. Patienten, die an dem seltenen Werner-Syndrom leiden, erreichen kaum ein mittleres Lebensalter und erkranken oft an bestimmten Tumoren.

Das wrn-Gen trägt den Bauplan für ein lebenswichtiges Protein: die DNA-Helikase. Der Eiweißstoff ist dafür verantwortlich, dass sich die in den Chromosomen dicht zusammengepackte Erbsubstanz richtig entwirrt und korrekt abgelesen werden kann. Fehlt das wrn-Gen oder bleibt es dauerhaft stumm, sind Zellteilung und -reparatur gestört. Die fatale Folge ist: Bereits Jugendliche nehmen die traurige körperliche Gestalt uralter Menschen an.

Der (Alb)-Traum Unsterblichkeit

Wissenschaftler haben noch weitere Gene aufgespürt, die bei der Alterung eine Rolle spielen. Beim Fadenwurm, einem winzigen, aus nur 959 Zellen bestehenden Lebewesen, stießen sie auf Vertreter, bei denen bestimmte Gene so verändert waren, dass die Tiere deutlich langsamer alterten als ihre Artgenossen. Ähnliche Vorgänge sind von einem noch ursprünglicheren Organismus, der Bäckerhefe, bekannt. In den Fällen scheinen die veränderten "Urgene" den Stoffwechsel zu bremsen und den Zerfall der Lebewesen aufzuhalten. Vom Wurm und der Bäckerhefe aber gleich auf den Menschen zu schließen, halten viele Forscher für ein gewagtes Unterfangen. Noch wissen sie zu wenig über die vielen unterschiedlichen Wirkungen der Gene.

Der Traum von der Unsterblichkeit wird wohl noch lange Zeit unerfüllt bleiben, und für manchen ist er schon heute ein Albtraum. "Der Tod", so sagte einmal der Chemie-Nobelpreisträger Manfred Eigen über die Erfindung der Sterblichkeit in der Natur, "birgt immer auch die Chance für neues Leben."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.