Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 14 / 03.04.2006
Hermann Horstkotte

Lernen, an sich selbst zu glauben

Ein Jahr USA mit dem Parlamentarischen Patenschaftsprogramm

Seit vorigem Herbst geht Theresa Gassmann vom Bonner Liebfrauen-Gymnasium für zehn Monate in den USA zur Schule, in die elfte Klasse der Sherwood High School im Staate Maryland. Das kostet sie null Komma null Euro oder Dollar. Denn Theresa ist Stipendiatin im Parlamentarischen Patenschaftsprogramm (PPP) des Deutschen Bundestages. Dadurch sind die Hin- und Rückreise, Kost und Logis in Gastfamilien und nicht zuletzt auch die Krankenversicherung abgedeckt.

So günstig kommt kein Jugendlicher noch mal nach Amerika. Alle Jahre wieder seit 1983 haben 250 Schüler und 100 junge Männer und Frauen mit abgeschlossener Berufsausbildung das große Glück. Dreihundert Jahre vor dem Programmstart, am 6. Oktober 1683, waren erstmals dreizehn deutsche Familien im Hafen von Philadelphia gelandet. Sie suchten als Mennoniten ein Leben in gesicherter Religionsfreiheit und gründeten die Siedlung Germantown. "In einer Zeit neuer und bislang unbekannter Herausforderungen für die transatlantische Gemeinschaft übernehmen die PPP-Stipendiaten heute eine wichtige Rolle auch als "junge Botschafter Deutschlands in den USA", sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Die Schüler müssen bei der Ausreise zwischen 15 und 17 Jahre alt sein, die jungen Erwachsenen dürfen bis 22 Jahren alt sein. Der jeweilige Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises ist letztlich auch der "Pate", der die Auswahl unter den Bewerbern trifft. Auch deutsche Familien, die gern einen amerikanischen Gast für ein Jahr aufnehmen wollen, können sich an das Abgeordnetenbüro wenden. Denn das PPP ist keine Einbahnstraße, sondern beruht als "Congress-Bundestag Youth Exchange Program" (www.cbyx.net) auf Gegenseitigkeit. Robin Hoecker, der 2003 und 2004 Praktikant einer Agentur für Politikberatung in Köln war, fand es am schwersten, sich "in den Kleinigkeiten der anderen Kultur zurechtzufinden."

Wer sich für das Amerika-Stipendium bewerben will, sollte in Englisch gute Schulnoten haben. Die Chancen sind noch größer, wenn er oder sie zusätzliche Leistungen vorweisen kann, ein Ehrenamt, gut in Sport ist oder andere Wettbewerbe gewonnen hat. Theresa beispielsweise hatte sich beim Bundeswettbewerb "Jugend debattiert" hervorgetan und so ihr gesellschaftliches Engagement gezeigt.

Das Leben in der "Neuen Welt" ist allerdings gewöhnungsbedürftig. "It's not good or bad - it's different", sagt Theresa, "das haben wir schon auf einem einwöchigen Vorbereitungsseminar gelernt." Zielort und Gastfamilie werden zugeteilt. So lebt die Bonnerin gegenwärtig in Brookeville, einem Dorf mit 120 Einwohnern, die Schule ist fünf Kilometer entfernt, in der Nähe liegt das Städtchen Olney mit 30.000 Menschen, die amerikanische Hauptstadt Washington ist eine Autostunde entfernt. "Mit meiner Gastfamilie komme ich bis heute ausgezeichnet klar", sagt Theresa. Ein Kompliment an die Eltern Karen und David, beide um die Vierzig, den neunjährigen Rachel und den sechsjährigen Justin. Gleichaltrige trifft Theresa nur in der Schule. "Sport spielt auch außerhalb des Unterrichts eine große Rolle. Man wächst mit der Mannschaft fast zu einer zweiten Familie zusammen."

Andere Stipendiaten habe es nicht ganz so günstig getroffen, ergänzt die junge Frau. "Mehrere meiner Freunde, die auch in den USA sind, berichten von Problemen mit ihrer Gastfamilie oder von Familienwechseln." Bei der Problemlösung helfen örtliche Vertreter des PPP-Programms. "Wo Menschen zusammenleben, da knallt's eben schon mal", sagt Theo Fuß, Projektleiter für die Berufstätigenvermittlung. "Aber solcher Krach ist ganz normal und nicht besonders auslandsbedingt." Zumal junge Berufstätige vor mannigfachen Herausforderungen stehen. Erst mal müssen sie wieder für ein halbes Jahr die Schulbank im berufspraktischen Community College drücken. Für Arne Stöcker gab´s da freilich kein Problem, die deutsche Lehre zahlte sich voll aus: Der Bayer schnitt kurz vor Weih-nachten in drei von vier Kursen an seinem College als Klassenbester ab. Seit Anfang diesen Jahres macht der Mechaniker ein Praktikum bei einer Firma bei Detroit, die Bauteile für die Autoindustrie herstellt.

Mehr als ein Ferientrip

"Unsere Berufstätigen müssen bis zur Arbeitsstelle oft weit fahren", betont Betreuer Fuß. "Sie brauchen im Unterschied zu den Schülern meistens ein eigenes Auto. Deshalb raten wir unseren Kandidaten, 4.000 Euro aus der eigenen Tasche zu investieren. Dann kann man sich auch im Lande ein bisschen umsehen." Ein richtiges Taschengeld sollten auch Schüler mitbringen. Nicht jede(r) hat es so gut wie Theresa bei der Familie Johannes, die die Gasttochter mit in den Urlaub nach North Carolina einlud, auf ein Wochenende nach San Francisco und zu Weihnachten nach New York. Ein Jahr Amerika ist freilich viel mehr als ein Ferientrip. Ein ehemaliger PPPler, der als Facharbeiter hinging, stellt fest: "Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten habe ich gelernt, an mich selbst zu glauben."

 

Der nächste Reisetermin ist Juli 2007. Bewerber finden vom 2. Mai an ein Antragsformular im Netz unter "http://www.bundestag.de/dialog/16129/161293.html" und müssen es bis spätestens 1. September beim Wahlkreisbüro des jeweiligen Bundestagsabgeordneten am Wohnort einreichen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.