Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 14 / 03.04.2006
Martin Ebbing

Der Sponsor des Terrors will wieder mit dem Großen Satan reden

Die katastrophale Situation im Irak lässt Teheran und Washington gemeinsame Interessen erkennen
Der Iran ist bereit, direkt mit den USA über die Situation im Irak zu verhandeln. Der Satz klingt lapidar, doch eigentlich wäre eher Ausdruck "historische Wende" angebracht, denn seit einem viertel Jahrhundert, seit Januar 1981 - als beide Seiten die Bedingungen der Freilassung der 66 amerikanischen Geiseln aus der US-Botschaft in Teheran aushandelten - hatte man nicht mehr direkt miteinander gesprochen. Dass sich nun ausgerechnet auf dem Tiefpunkt der amerikanisch-iranischen Beziehungen Gesprächbereitsschaft abzeichnet, ist ein Hoffnungsschimmer in einer verfahrenen Situation.

Die iranische Seite hatte sich Zeit, sehr viel Zeit gelassen, bis sie auf das Angebot öffentlich einging. Um es Teheran ein wenig leichter zu machen, wurde Abdul Asis al-Hakim, Führer des "Supreme Council for the Islamic Revolution in Iraq" (SCIRI) zum Boten. Al-Hakim vertritt nicht nur den stärksten schiitischen Block im Irak, sondern lebte - als Saddam Hussein noch an der Macht war - lange Jahre im Iran und besitzt weiterhin ausgezeichnete Beziehungen nach Teheran. In einer Rede in einem irakischen TV-Sender bat er die iranische Führung, in direkten Gesprächen mit den Amerikanern eine konstruktive Rolle zur Sicherung der Stabilität des Iraks zu übernehmen. Die Sendung sorgte nicht weiter für Aufsehen, aber eine Woche später erklärte Ali Larijani, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates des Irans und gleichzeitig Chefunterhändler in der Atomfrage, am Rande einer Sitzung des Parlaments, man nehme das Angebot an: "Wir akzeptieren den Vorschlag von Herrn Hakim, bei der Lösung der Probleme des Iraks zu helfen."

Ein Tabu war damit im Iran gebrochen worden. Es ist kaum mehr als fünf Jahre her, da wurde einem ehemaligen Minister der Prozess gemacht, weil er sich für direkte Beziehungen mit den USA ausgesprochen hatte. Zwei Meinungsforscher landeten im Gefängnis, weil sie herausgefunden hatten, dass die Mehrheit der iranischen Bevölkerung eine Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Staaten unterstützt und dies auch noch veröffentlich hatten.

Die Feindschaft zu Washington gehört zum Vermächtnis von Revolutionsführer Ajatollah Ruholla Chomeini und bildet eine der Säulen der Identität der Islamischen Republik. Die Revolution im Jahr 1979 richtete sich weniger gegen den Schah, sondern Reza Pahlawi galt als nichts anderes als eine Marionette, derer sich der "große Satan" bediente, um das Land unter Kontrolle zu halten und ausplündern zu können.

Das amerikanische Angebot, über die Situation im Irak miteinander zu reden, existierte schon länger. Im vergangenen Oktober erklärte US-Außenministerin Condoleezza Rice in einer Anhörung vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats, dass geprüft werde, ob es sinnvoll sei, direkte Gespräche mit dem Iran zu führen. Solche Kontakte sollten sich aber ausschließlich auf die Botschafterebene und auf das Thema Irak beschränken.

Miteinander geredet wurde auch schon zuvor, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit und zum Teil über Dritte. Rice wollte mit diesem Hinweis offensichtlich auch die Stimmung im eigenen Lande testen. Kontakte zum Iran sind in den USA zwar kein unbedingtes Tabu, aber jede Regierung, die diese Beziehung offiziell wieder aufleben lässt, wird sich den Angriffen der Falken ausgesetzt sehen, eine Politik des "Appeasement" gegenüber einem der ärgsten Kontrahenten im Kampf gegen den Terrorismus zu betreiben.

Der US-Außenministerin mag diese Ankündigung nicht leicht gefallen sein, denn implizit gesteht sie damit ein, was zwar für jedermann erkennbar ist, vom Weißen Haus aber abgestritten wird: Die USA stecken im Irak in einer tiefen Krise und sind zumindest auf die Kooperation, wenn nicht sogar auf die Unterstützung des Irans angewiesen.

Teheran hat von allen Nachbarländern gleich aus mehreren Gründen einen weitreichenden Einfluss im Irak. Die historischen Wurzeln reichen weit vor die Zeit zurück, als die britische Kolonialmacht nach Zerfall des Osmanischen Reiches mit einer Linie auf der Landkarte den heutigen Irak schuf. Perser spielten eine Schlüsselrolle in der Blütezeit Bagdads als geistiges und kulturelles Zentrum des Orients. Die wichtigsten Heiligtümer der Schiiten liegen im irakischen Nadschaf und Kerbala und wurden sogar während der Regierungszeit des Erzfeindes Saddam Hussein besucht.

Der Iran hat seinen von Saddam verfolgten Glaubensbrüdern Zuflucht geboten. Zu diesen Exilanten gehörte nicht nur al-Hakim, der mit iranischer Hilfe seine Badr-Brigaden aufbaute, die heute zu den stärksten Milizen im Irak zählen. Auch Mitglieder der Dawa-Partei, der zweitgrößten schiitischen Partei im Irak, wurden willig aufgenommen. Moqtada Sadr, der rebellische Kleriker, der die Unterstützung vor allem der schiitischen Unterschicht genießt und sich zu einer der wichtigsten politischen Akteure in Bagdad emporgearbeitet hat, ist gern gesehener Gast in Teheran und in Qom.

Die offizielle Politik Teherans gegenüber dem neuen Irak nach Saddam betont immer wieder, dass dem Iran vor allem an einem politisch stabilen, demokratischen Nachbarn gelegen sei. Das macht Sinn, weil gewaltsame Auseinandersetzungen schnell überschwappen und die eigene Stabilität gefährden können. Der Irak wäre für den Iran ein attraktiver Wirtschaftspartner, und aufgrund der schiitischen Mehrheit des Landes kann man in Teheran beruhigt darauf setzen, dass demokratische Wahlen eine ihnen freundlich gesinnte Regierung an die Macht bringen werden.

Das Interesse an der Stabilität des Iraks teilen die USA mit dem Iran. Washington muss erleben, wie das von den US-Truppen im Handstreich eroberte Land in seinen Fingern immer weiter zerfällt. Weder die Ausarbeitung einer Verfassung noch freie Wahlen haben verhindern können, dass die Polarisierung zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden immer weiter zunimmt. Der Irak befindet sich am Rande des Bürgerkrieges, wenn nicht sogar mitten darin.

Noch Schlimmeres konnte bislang dadurch verhindert werden, dass politische Führer zur Zurückhaltung aufriefen, aber diese Appelle zeigen immer weniger Wirkung. Nachdem vor allem die Schiiten in der Vergangenheit Opfer von zum Teil religiös motivierten Anschlägen waren, schlagen sie nun zurück. Banden, die gegenüber Moqtada Sadr loyal sind, ermorden Sunniten. Al-Hakims Badr-Brigaden üben Selbstjustiz und verschleppen und töten sowohl Mitglieder der Baath-Partei wie sunnitische Geistliche sowie deren politische Führer. Teile der Polizei, die dem schiitischen Innenminister unterstehen, kollaborieren offensichtlich mit diesen Aktionen.

Aufzuhalten wäre diese Spirale der Gewalt vielleicht durch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, in der auch die Sunniten einen angemessenen Platz finden würden. Seit den Wahlen am 15. Dezember bemühen sich die verschiedenen Gruppen und Parteien vergeblich um eine Regierungsbildung. Statt sich anzunähern, werden die Differenzen sogar immer größer.

Hier könnte der Iran eine konstruktive Rolle einnehmen, indem er die schiitischen Gruppen drängt, gegenüber den Sunniten Zugeständnisse zu machen.

Aber die iranischen Interessen im Irak haben noch eine zweite Seite. So glücklich man in Teheran darüber ist, dass die Amerikaner Saddam Hussein gestürzt haben, so bedrohlich empfindet man die Präsenz amerikanischer Truppen auf der anderen Seite der Grenze. Der Abzug der Amerikaner ist deshalb neben der Stabilität die zweite Priorität der iranischen Irakpolitik. In Teheran verfolgt man mit einer kaum verborgenen Sympathie, wie die bewaffneten Aufständischen den US-Truppen immer weitere Verluste zufügen und es für Präsident Bush zunehmend schwieriger wird, gegenüber seinen eigenen Wählern das militärische Engagement zu rechtfertigen.

Immer wieder tauchen Meldungen auf, die Aufständischen würden vom Iran finanziell und mit Waffen unterstützt. Zuletzt am 7. März wiederholte der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seinen Vorwurf, der Iran "bringt Leute in den Irak, die Dinge anstellen, die für die Zukunft des Landes schädlich sind". Die Präsenz des iranischen Geheimdienstes im Irak ist unübersehbar. Dennoch sind die Beweise für eine direkte Unterstützung der bewaffneten Aufständischen durch Teheran sehr dünn. Offen ist auch, ob die iranischen Waffen und der iranische Sprengstoff, die gelegentlich gefunden werden, tatsächlich auf Anordnung der politischen Spitze geliefert wurden, oder ob radikale Gruppen, beispielsweise innerhalb der Revolutionären Garden, auf eigene Faust handeln.

Nachdem der Iran seine Bereitschaft zu Gesprächen angekündigt hatte, hat die amerikanische Seite immer wieder betont, vorrangig, wenn nicht ausschließlich, über die behauptete Unterstützung irakischer Terroristen durch Teheran reden zu wollen. Solche Äußerungen dienen aber zweifelsohne in erster Linie der Schadensbegrenzung. Die Iraner werden sich kaum mit den USA an einen Tisch setzen, um sich die Leviten lesen zu lassen. Den USA ist es peinlich, dem Iran eine Rolle auf Augenhöhe zugestehen zu müssen. Schlimmer noch, das "Ja" aus Teheran kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

Seit Mitte Februar hat das Weiße Haus eine neue Kampagne gegen den Iran begonnen. Im Mittelpunkt steht dabei der Streit um das iranische Nuklearprogramm, aber es geht um mehr. Der Präsident bat den Kongress um 75 Millionen Dollar, mit denen oppositionelle Gruppen unterstützt und regimekritische Sender finanziert werden sollen. Condoleezza Rice nannten den Iran "die größte außenpolitische Herausforderung" der USA. "Wir haben kein Problem mit dem iranischen Volk. Wir haben ein Problem mit dem Regime." Ähnliches konnte man Tage später in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie des Präsidenten lesen.

Während das Thema "Regimewechsel" wieder offiziell auf die Tagesordnung gehoben wurde, verschärften die USA auch die Gangart in der Nuklearfrage. Es gelang ihnen, die Angelegenheit vor den Weltsicherheitsrat zu bringen und seit her schrieben und drängen sie unermüdlich auf Sanktionen.

Auf ihrem Flug nach Berlin zum Treffen mit den Außenministern der anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier machte sie noch einmal deutlich, dass der Streit um das Atomprogramm nur Teil eines großen Ganzen ist. "Ich denke, es ist mehr eine Frage, in welchem Kontext wir die atomaren Ambitionen des Irans verstehen", ließ sie die mitreisenden Reporter wissen. "Dieses Regime ist besorgniserregend für den Frieden und die Stabilität im Mittleren Osten."

Derart unter Druck geraten, entschloss sich Teheran über den eigenen Schatten zu springen und sich mit dem "großen Satan" an einen Tisch zu setzen. Dies ist dem Regime nicht nur wegen der allgemeinen Feindseligkeit gegenüber den USA sehr schwer gefallen. Im Iran herrscht ein tiefes Misstrauen gegenüber Verhandlungen mit Washington. Nicht zu Unrecht wird darauf hingewiesen, dass man immer wieder Vorausleistungen erbracht habe, die von den anderen Seite nicht gewürdigt wurden. Vor, während und nach der US-Invasion zum Sturz der Taliban in Afghanistan hat Teheran mehr oder weniger offen mit den Amerikanern kooperiert.

Auch im Irak hat Teheran seinen Einfluss auf die schiitischen Exilorganisationen geltend gemacht, mit den US Streitkräften zu kooperieren. Es wurde den US-Flugzeugen stillschweigend gestattet, über iranischen Luftraum zu fliegen. Teheran war die erste Regierung der Region, die bereit war, mit der vom amerikanischen Statthalter in Bagdad kreierten Übergangsregierung zusammenzuarbeiten. Nun sitzt man wieder auf der Anklagebank und Washington will das Regime zu Fall bringen. Dennoch nahm man das Gesprächsangebot an, um ein wenig dem wachsenden Druck entgegenzuwirken. Miteinander zu reden, eröffnet zumindest die Chance, die Spannungen ein wenig zu reduzieren.

Der Iran ist auch bereit, sich dem amerikanischen Diktat zu beugen, über nichts anderes als den Irak zu reden. Der Atomstreit soll ausgeklammert werden, weil die Amerikaner glauben, Teheran werde eine solche Gelegenheit nur nutzen, um auf Zeit zu spielen, während gleichzeitig weiter an einer Bombe gearbeitet wird.

Teheran will erst einmal abtasten, wie sich die Gegenseite verhält und wie konfrontativ oder kooperativ die Stimmung sein wird. Läuft das Treffen gut, dann kann man über das nächste Mal reden. Wenn nicht, hat man sich nicht blamiert.

Dabei steht außer Frage, dass der Schlüssel zu einer Beilegung des Atomkonfliktes in direkten Verhandlungen zwischen den beiden Hauptkontrahenten liegt. Wenn die Annahme zutrifft - die bislang nicht bewiesen ist -, dass der Iran den Bau einer Atombombe betreibt, dann liegt das entscheidende Motiv darin, wie der Iran seine eigene Sicherheitslage einschätzt. Seit der Revolution ist man in Teheran davon überzeugt, dass Washington den Sturz des Regimes plane. Die jüngsten Äußerungen aus Washington können dieses Gefühl nur noch weiter bestärken.

Eine Atombombe wäre eine Rückversicherung gegen derartige amerikanische Pläne. Um dieses Pfand aufzugeben, müsste Washington bereit sein, seine aggressiven Töne einzustellen und dem Regime in Teheran Sicherheitsgarantien geben. Diese werden sich nur zwischen beiden direkt vereinbaren lassen.

Auch wenn die Annahme einer Bombe nicht zutrifft, sind direkte Gespräche dringend nötig. Während der Iran sich bockig stellt, eskalieren die USA die Situation immer weiter. Es ist absehbar, dass Teheran auch unter Druck des Sicherheitsrates seine Anreicherungsarbeiten nicht aufgeben wird. Der nächste Schritt wären Sanktionen, die aber nach allen historischen Erfahrungen ebenfalls ihr Ziel nicht erreichen werden. So steuert man, bewusst oder unbewusst, auf eine militärische Konfrontation zu, die für die allemal labile Region eine Katastrophe wäre. Direkte Gespräche wären ein Ausweg aus diesem Automatismus. Die Gespräche über den Irak wären die Chance auf einen Anfang.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.