Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 14 / 03.04.2006
Günter Pursch

Merkel setzt auf zweite Etappe

Haushaltsentwurf 2006 im Bundestag - Nettokreditaufnahme in Höhe von mehr als 38 Milliarden Euro
Die Regierung will den eingeschlagenen politischen Weg fortsetzen. Die Opposition verlangt dagegen einen grundlegenden Kurswechsel. Und da Politik nicht ohne Geld zu machen ist, standen die Einahmen und Ausgaben im Mittelpunkt der viertägigen Haushaltsdebatte des Bundestages vom 28. bis 31. März. Vier Monate nach Antritt der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD zogen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen eine erste Bilanz. Traditionell nutzte die Opposition den Etat des Kanzleramtes zu einer Generalabrechnung mit der gesamten Regierungspolitik.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte zu Beginn der vierstündigen Debatte um den Kanzleramtsetat die Union auf, "von sozialdemokratischen Konzepten" abzukehren. Ein Personalwechsel reiche nicht, ein Politikwechsel sei notwendig. Er warf der Großen Koalition vor, sie nutze die "ganze alte sozialdemokratische Apotheke der Arbeitsmarktpolitik", die zu fünf Millionen Arbeitslosen geführt habe.

Optimistisch zeigte sich CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer, dass es der Koalition gelingen werde, bei der Gesundheitsreform einen Kompromiss zu erzielen. Die Kassen dürften jedenfalls nicht mehr in einem "Defizit-Sumpf" versinken. Der Etat 2006 sei ein "Kursbuch", mit dem die politische Wende eingeleitet werde. Ausdrücklich lobte Ramsauer die außenpolitischen Initiativen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Vier Monate nach Regierungsübernahme sei auch eine Veränderung des Politikstils bemerkbar.

Für die Linkspartei krisierte deren Ko-Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine die Regierung, mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer dem Normalbürger in die Tasche zu greifen und die großen Vermögen zu schonen. Er setzte sich für einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Der Bundesregierung insgesamt warf Lafontaine eine völlige Fehlentwicklung in der Haushaltssteuerung vor. Diese Politik trage nicht zum Wachstum und nicht zu einem Anstieg der Beschäftigung bei. Nach Meinung Lafontaines führt Merkel die Politik der rot-grünen Vorgängerregierung weiter und hat keinen Politikwechsel eingeleitet. "Die Politik der Regierung Merkel setzt die Politik Regierung Schröder/Fischer fort", erklärte er wörtlich.

Heftige Kritik an der Bundeskanzlerin und der Großen Koalition insgesamt übte auch der Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion Fritz Kuhn. Merkel habe vor allem gravierende Fehler in der Arbeitsmarktpolitik gemacht. Die Bundesregierung habe beispielsweise keine Antwort, wie Jobs im Niedriglohnbereich geschaffen und Schwarzarbeit bekämpft werden solle.

Zu Beginn ihrer Rede äußerte sich Bundeskanzlerin Merkel erleichtert darüber, dass Abdul Rahman in Afghanistan aus der Haft entlassen wurde. Wegen dessen Übertritts vom Islam zum Christentum drohte ihm dort die Todesstrafe. Er konnte das Land mittlerweile verlassen.

Merkel informierte den Bundestag, dass die Arbeitslosigkeit im März wieder knapp unter die Fünf-Millionen-Grenze gesunken sei. Leider seien darunter rund zwei Millionen Langzeitarbeitslose sowie eine erhebliche Zahl von jungen Menschen ohne eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt.

Gegen die Angriffe der Opposition setzte sich die Bundeskanzlerin zur Wehr. Hinter dem Bundeshaushalt 2006 stehe der Anspruch, zu sanieren, zu investieren und zu reformieren. Für acht Bereiche skizzierte sie ihre Reformvorstellungen. Sie wies darauf hin, dass die medizinische Versorgung in den kommenden zehn Jahren teurer werde. Dies treffe gerade dann zu, wenn auch Menschen in materieller Not künftig nicht von der medizinischen Entwicklung ausgeschlossen werden sollen. Allerdings gebe es innerhalb des Gesundheitssystems Wettbewerbsspielräume.

Auch in Richtung ihrer eigenen Fraktion stellte die Kanzlerin klar, dass im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Lockerung des Kündigungsschutzes die Koalitionsvereinbarung mit der SPD die Grundlage für gemeinsames Handeln für mehr Arbeitsplätze sei. Es gehöre "schon zur Frage der Verlässlichkeit", dass man das Vereinbarte auch einhalte. Vizekanzler und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering unterstrich, eine über den Bündnisvertrag hinausgehende Regelung werde es nicht geben.

Merkel forderte sowohl die Koalition als auch die Opposition auf, sich mit aller Kraft der Föderalismusreform zuzuwenden. Mehr Klarheit in den Zuständigkeiten von Bund und Ländern und damit einhergehend weniger zustimmungspflichtige Gesetze machten Politik transparenter.

Trotz erheblicher Differenzen in der Frage des Atomausstiegs zwischen den Koalitionären soll möglichst bald ein Konzept für die Energiepolitik vorgelegt werden. Dieses soll den Prinzipien der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit gerecht werden. Merkel hob hervor, dass für Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahren insgesamt zusätzlich sechs Milliarden Euro mehr ausgegeben werden sollen. Die Reform der Unternehmensbesteuerung müsse Rechtsform-Neutralität gewährleisten. Die Neuregelung der Erbschaftsteuer müsse Anreize zur Weiterführung des Unternehmens schaffen. Sollte das Unternehmen vom Erben zehn Jahre lang weitergeführt werden, könne die Steuer entfallen.

Die Familienpolitik werde künftig nicht mehr in erster Linie nur als Sozialpolitik für Bedürftige verstanden werden, erklärte die Kanzlerin. Durch Bürokratieabbau müssten vor allem Hemmnisse für die Wirtschaft beseitigt werden. Sie wies außerdem darauf hin, dass das, was jetzt erreicht wurde, weder ihr noch der Koalition und vor allem nicht für Deutschland reiche. Jetzt komme die zweite Etappe, hob sie hervor.

Der Etatentwurf für 2006 sieht Ausgaben in Höhe von 261,7 Milliarden Euro vor. Das ist eine Steigerung von 0,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für Investitionen sind 23,2 Milliarden Euro eingeplant. Auf der Einnahmenseite sind 223,4 Milliarden Euro zu verbuchen. Die Nettokreditaufnahme steigt von 31,2 auf 38,3 Milliarden Euro und liegt damit deutlich über den Investitionen, was laut Grundgesetz nur in Ausnahmefällen erlaubt ist.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.