Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 - 18 / 24.04.2006
Johann Hahlen

Contra: Nicht im politischen Raum

Die Risiken der Internet-Wahlen

Das Internet hat die Kommunikation revolutioniert und ist aus dem Alltag unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Dennoch rate ich derzeit davon ab, den Bürgern bei Bundestags- oder Europawahlen die Möglichkeit zu geben, ihre Stimmen online abzugeben. Dagegen sprechen schwere wahlrechtliche und wahlpraktische Gründe.

Die von der Verfassung vorgegebenen Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, freien und geheimen Wahl lassen sich bei einer Internet-Wahl nicht hinreichend gewährleisten. Der Grundsatz der allgemeinen Wahl würde durchbrochen, weil ein großer Teil der Wahlberechtigten in Deutschland auf nicht absehbare Zeit keinen Zugang zum Internet hat oder diese Technik aus den verschiedensten Gründen nicht beherrscht. Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem die mit der Briefwahl verbundene Gefährdung der geheimen und freien Stimmabgabe nur unter engen Voraussetzungen hingenommen. Nach dieser Rechtsprechung dürfte eine Internet-Wahl deshalb nicht neben der herkömmlichen Briefwahl, sondern nur als Alternative zur Briefwahl zulässig sein. Schließlich erscheint die Geheimhaltung einer Online-Stimmabgabe zwar informationstechnisch möglich, erfordert aber noch einen unverhältnismäßigen Aufwand und schließt die Nutzung privater PCs zur Stimmabgabe nach dem Stand der Technik aus.

Die Gefahr nachhaltiger Störungen einer InternetWahl am Wahltag und einer damit verbundenen tatsächlichen Vereitelung der Stimmabgabe von vielen Wahlberechtigten ist beträchtlich. Denn Internet-Verbindungen bleiben - nach dem Stand der Technik - trotz aller Sicherheitsvorkehrungen störanfällig und können, zum Beispiel durch gezielte Überlastungen, für Stunden blockiert werden. Aus meiner Sicht als Bundeswahlleiter erscheint mir auch folgender Gesichtspunkt wesentlich: Bei einer Internet-Wahl würden Stimmabgabe und Ermittlung des Wahlergebnisses in einem Umfang intransparent und der öffentlichen Kontrolle durch die Wahlberechtigten entzogen, der das Vertrauen der Wählerschaft in die Ordnungsmäßigkeit des Wahlaktes untergräbt. Deshalb müssten die nicht auszuschließenden Sicherheitsrisiken bei den digitalen Internet-Prozessen durch transparente, dem "normalen" Wahlberechtigten verständliche und nachvollziehbare Kontrollmechanismen ausgeglichen werden - vergleichbar dem einfachen Augenschein bei der Beobachtung der Stimmenauszählung im Wahllokal. Solche Kontrollmechanismen sehe ich aber noch nicht.

Bei allem zeigen die Erfahrungen in anderen Staaten mit Online-Wahlen, zum Beispiel in der Schweiz oder zuletzt im Oktober 2005 in Estland, dass sich damit die Wahlbeteiligung nicht in dem erwarteten Umfang erhöht. So haben bei der landesweiten Wahl in Estland, bei der die Wahlberechtigten ihre Stimme via Internet abgeben konnten, bei einer Wahlbeteiligung von insgesamt nur 47 Prozent, lediglich zwei Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme online über das Internet abgegeben. Wir sollten deshalb in Deutschland zunächst weiter Erfahrungen mit Online-Voting im außerpolitischen Raum, zum Beispiel bei der Willensbildung in Aktiengesellschaften oder bei der Wahl von Betriebs- und Personalräten, sammeln.

Der Autor ist Präsident des Statistischen Bundesamtes und Bundeswahlleiter in Wiesbaden.

 

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