Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 - 18 / 24.04.2006

Glasfaser statt Laufmappe in Hessen

Interview mit dem "Chief Information Officer" (CIO), Harald Lemke, zum Thema E-Government
Der Informatiker Harald Lemke ist seit April 2003 Bevollmächtigter der hessischen Landesregierung für E-Government und Informationstechnologie im Range eines Staatssekretärs. Auf Lemke geht die IuK-Archtitektur der hessischen Polizei mit den Systemen POLAS und COMVOR zurück. Von 2002 bis 2003 war er IT-Direktor des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden.

Das Parlament: Warum forcierte Hessen das Engagement beim E-Government?

Harald Lemke: Zunächst einmal: Die Informationstechnologie ist gut beraten sich nicht selbst in den Mittelpunkt der Welt zu stellen. Also welchem Ziel dienen wir eigentlich? Wir haben in Deutschland eine Staatsquote von 50 Prozent und der öffentliche Dienst ist Teil des Problems. Natürlich brauchen wir ihn - zum Beispiel in den Bereichen Innere Sicherheit und Bildung. Aber er muss seine Aufgaben so wirtschaftlich wie möglich erbringen in einem Kostenrahmen, den eine öffentliche Wirtschaft noch verkraften kann. Aus diesem Grund steht der öffentliche Sektor vor einer tief greifenden Verwaltungsreform, die ohne die Instrumente der modernen Informationstechnologie und eine gezielte E-Government-Strategie nicht möglich ist.

Das Parlament: Kann man ein Bundesland wie ein Unternehmen führen?

Harald Lemke: Man kann natürlich nicht alles mit den Maßstäben der Wirtschaft messen. E-Government stößt etwa dort, wo es um hoheitliche Aufgaben geht, an Grenzen. Aber in den Bereichen, wo die Administration sich selbst oder den Bürger verwaltet, wo es um Personal, Bürokommunikation oder Ressourcenverwaltung geht, sehe ich die Wirtschaft durchaus als Vorbild.

Das Parlamen: Was ist das Besondere am hessischen Modell?

Harald Lemke: Im Unterschied zu anderen Bundesländern gibt es in Hessen ein System für alle. Es beruht auf einer durchgehenden Prozesskette beginnend bei der politischen Grundsatzentscheidung über die Handlungsstrategie und die notwendigen Investitionen bis hin zur standardisierten Umsetzung in der gesamten Landesverwaltung. E-Government ist bei uns außerdem zentral organisiert. Die Fäden laufen beim CIO zusammen. Vor allem aber ist die Umsetzung verbindlich für alle Ministerien und ihre nachgeordneten Behörden.

Das Parlament: Sie verfolgen einen so genannten Masterplan bis 2008. Was haben Sie denn bisher schon umgesetzt?

Harald Lemke: Wir haben einen einheitlichen Standard gefunden für eine flächendeckende Vernetzung der gesamten Landesverwaltung. Die ersten großen Ministerien sind bereits umgestellt. Wir verfügen - und das ist nicht banal - auch über ein einheitliches E-Mail-System. Einen Riesenschritt haben wir vor einem Jahr gemacht mit der kompletten Umstellung von der Kameralistik auf die doppelte Buchführung, in der wir jetzt die Verwaltungssoftware SAP einsetzen. Wir können Leistungen definieren und die entstandenen Kosten wiederum einer konkreten Leistung zuordnen. Damit erzeugen wir Transparenz und wir werden vergleichbar. Wir können das Landesvermögen ebenso bilanzieren wie unsere Verbindlichkeiten. Teilbilanzen liegen bereits vor. 2007 rechne ich mit der ersten landesweiten Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung.

Das Parlament: Wie reagieren die Mitarbeiter?

Harald Lemke: Es ist ein schwieriger und umfassender Prozess für alle Beteiligten. 160.000 Mitarbeiter können sich nicht auf der Hacke drehen und eine neue Richtung einschlagen. Der technische Wechsel ist vollzogen, der mentale lange noch nicht. Schließlich hat der öffentliche Dienst 200 Jahre in einer anderen Welt gelebt. In der Kameralistik konnte man höchstens seine Schatullen sortieren. Sie hatte nichts zu tun mit modernen Kostenbegriffen Und heute müssen sich die Haushälter überlegen, wie sie einen Staatswald oder eine Straße für die Bilanz bewerten.

Das Parlament: E-Government bedeutet für Sie auch Kampf gegen Aktenberge...

Harald Lemke: Die hessische Landesverwaltung produziert jedes Jahr eine Milliarde Blatt Papier. Es gibt Arbeitsprozesse, da ist das vor allem störend, wenn die Verwaltung und Verteilung des Papiers mehr Zeit kostet als die Verarbeitung der Informationen, die es enthält. Wir führen seit vergangenem Oktober in der Sachbearbeitung ein elektronisches Dokumenten-Management-System ein. Alle Dokumente, die zu einem Vorgang gehören, werden bereits im Posteingang eingescannt, fließen in eine elektronische Akte und werden ausschließlich elektronisch weiter verarbeitet. Damit dürfte das Zeitalter von Laufmappen und Botengängen beendet sein. Das Kultusministerium arbeitet bereits mit der entsprechenden Software. Die übrigen Ministerien und die Staatskanzlei sollen Mitte diesen Jahres folgen.

Das Parlament: Wo macht sich E-Government jenseits der Verwaltungsebene bemerkbar?

Harald Lemke: Am Kabinettstisch. Es war in der Vergangenheit ein riesiges Problem, alle Beteiligten zeitgleich mit den gleichen Informationen zu versorgen bei der Vorbereitung von Kabinettssitzungen oder auch bei Gesetzgebungsverfahren. Früher mussten Sie alles 75 Mal kopieren. Heute findet ein Minister oder Staatssekretär über das Kabinettsinformationssystem eKIS den aktuellen Sachstand auf seinem Laptop. Entscheidend hierbei ist eine technische Architektur. Würden Sie sich auf eine reine E-Mail-Kommunikation beschränken, würden sie das Papierchaos nur durch ein virtuelles Chaos ersetzen. Entscheidend ist: Irgendwann am Freitagnachmittag drückt der Chef der Staatskanzlei einmal auf den Knopf und die aktuelle Tagesordnung für die nächste Sitzung landet in allen Ministerbüros.

Das Parlament: Wie weit sind Sie bei der E-Gesetzgebung gekommen?

Harald Lemke: Alle Gesetze und Verordnungen vom Referentenentwurf des Fachministeriums bis zum Kabinettsbeschluss können wir elektronisch abwick- eln. Ziel ist es, auch den Landtag in ein gemeinsames System einzubeziehen.

Das Parlament: Was bringen die neuen Strukturen dem Bürger?

Harald Lemke: Betrachten wir die öffentliche Verwaltung als Dienstleistung und die Bürger - im übrigen auch die Unternehmen - als Kunden, so wird der Service nicht nur schneller und flexibler, weil die Kunden zum Beispiel unabhängig werden von Öffnungszeiten. Die Dienstleistung wird auch billiger Und das spart am Ende Steuergelder.

Das Parlament: Macht es denn Sinn über eine bundesweite E-Government Strategie nachzudenken?

Harald Lemke: Es gäbe durchaus Anknüpfungspunkte wie die Polizeiarbeit oder das Einwohnermeldewesen. Die gesamte Republik aus einem Internet-Guss halte ich zwar für unrealistisch und auch nicht für wünschenswert, aber in den Urwald, den wir jetzt haben, ein paar Schneisen einzuschlagen, wäre in der Tat ein interessantes Thema.

 

Das Interview führte Jutta Witte

 

www.hessen-egovernment.de


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