Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 - 18 / 24.04.2006
Marco Heinen

Neutrale Plattform für Vordenker

Initiative D21 - Leuchttürme für die Informationsgesellschaft
Einer Studie von ARD und ZDF von 1999 zufolge nicht einmal jeder fünfte Bundesbürger über 14 Jahren das Internet. Seitdem hat es rasant an Bedeutung gewonnen, und mehr als jeder Zweite ist inzwischen online. Stark gestiegen ist auch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologie. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt hat sich nach jüngsten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes von 4,7 Prozent im Jahr 1995 auf 6,8 Prozent im Jahr 2004 erhöht. Die Bruttowertschöpfung der Waren und Dienstleistungen dieses Sektors stieg im gleichen Zeitraum von 61 Milliarden auf 87 Milliarden Euro. Die von der Technologie ausgehenden gewaltigen Veränderungen waren 1999 der zentrale Beweggrund für die Gründung der Initiative "Deutschland im 21. Jahrhundert", kurz D21 genannt.

Treibende Kraft war der frühere Vorstandsvorsitzende von IBM-Deutschland, Erwin Staudt, der damit eine Idee von Alfons Rissberger aufgriff, seinerzeit Geschäftsführer des Datenverarbeitungszentrums Mecklenburg-Vorpommern. Der von der damaligen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und 26 Unternehmen gegründete Verein hat sich die Förderung von Bildung, Qualifikation und Innovationsfähigkeit auf die Fahnen geschrieben, um dadurch Wirtschaftswachstum zu stimulieren und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu sichern. Inzwischen ist D21 Europas größter Verbund zwischen Politik und Wirtschaft. Rund 180 Unternehmen und Organisationen, die zusammen weit mehr als eine Million Menschen beschäftigen, haben sich dieser Private Public Partnership angeschlossen. Darunter sind IT-Unternehmen, Versicherungs-, Touristik- und Automobilkonzerne ebenso wie Stiftungen, Handelskammern, Krankenkassen und sogar der Fußballclub VfB Stuttgart - dessen Präsident wiederum Erwin Staudt ist.

Größter Verbund

Neue Trends und Entwicklungen aufzuspüren und auf die Agenda zu setzen, das sind laut D21-Sprecherin Katharina Ahrens zentrale Aufgaben des Vereins. "Wir sorgen dafür, dass Veränderungen für jeden verständlich werden und Gestalt annehmen", sagt sie. Dazu gehöre es, über das Netzwerk die Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen und anhand von Projekten konkrete Lösungsvorschläge zu erarbeiten: "Wir stellen uns als neutrale Plattform zur Verfügung."

Die derzeit rund 40 Projekte von D21 unterstehen vier nach Schwerpunkten organisierten Lenkungsgruppen, an deren Führung je ein Staatssekretär beteiligt ist. Die erste Gruppe befasst sich mit Fragen des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit. Hierbei geht es vor allem um Standortfaktoren. Dazu gehört beispielsweise die Zielsetzung, dass bis Ende 2010 die Hälfte aller Internet-Verbindungen in Deutschland Breitbandverbindungen sein sollen. "Das ist eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung", meint Sprecherin Ahrens. Als einen der wichtigsten Beiträge der Initiative zum Thema Internet wertet sie den "(N)ONLINER Atlas", die laut D21 deutschlandweit größte Studie zur Internet-Nutzung. Auf Grundlage von 50.000 Interviews werden darin jährlich die Internet-Nutzungsgewohnheiten der Deutschen untersucht, differenziert unter anderem nach Alter, Geschlecht und Bildungsstand. Denn die Internet-Nutzung gilt als wichtiger Standortindikator. "Politik, Wirtschaft und gesellschaftliche Initiativen sind gemeinsam gefordert, auch den letzten Offliner-Zielgruppen den Weg ins Netz zu zeigen und so den digitalen Graben zu schließen", meint der D21-Vorstandsvorsitzende und Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt.

Die zweite Lenkungsgruppe, die in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium steht, beschäftigt sich mit dem Einsatz von Informationstechnologie im Gesundheitswesen. Zentrales Thema ist dabei derzeit die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Es ist wie die Breitband-Initiative und die Internet-Studie eines der so genannten "Leuchtturmprojekte" von D21. Diese sollen, wie es Ganswindt einmal beschrieb, "vor allem durch ihre Ergebnisse strahlen" und den gesellschaftlichen Nutzen von Informations- und Kommunikationstechnologien deutlich machen. Im Falle der Gesundheitskarte resultiert daraus die Aufgabe, erst einmal umfassend über die Thematik zu informieren, um eine breite Akzeptanz zu erzielen. Dafür erarbeitete D21 mit Beteiligten der Gesundheitskarte ein Informationskonzept. So entstehen nun Hintergrund-Workshops für Journalisten, ein "Kleines ABC" und Frage-Antwort-Hilfen.

Bildung, Qualifikation und Chancengleichheit sind Gegenstand des dritten Themenkomplexes, bei dem mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kooperiert wird. Hier geht es vor allem um zielgruppenspezifische Projekte, etwa für ältere Menschen oder speziell für Mädchen. Der so genannte "Girls' Day" findet am 27. April zum sechsten Mal statt. An diesem Tag können Schülerinnen der 5. bis 10. Klassen sich einen Eindruck von der Praxis in technischen Unternehmen, Ausbildungen, Hochschulen und Forschungszentren verschaffen. Denn junge Frauen mit guter Schulbildung entscheiden sich noch immer überproportional häufig für "typisch weibliche" Berufsfelder oder Studienfächer. In den vergangenen Jahren beteiligten sich nach Angaben der Organisatoren insgesamt 386.000 Mädchen am "Girls' Day".

Der letzte thematische Schwerpunkt steht unter den Oberbegriffen "E-Government" sowie "Sicherheit und Vertrauen im Internet" und ist dem Innenministerium zugeordnet. So wird derzeit im Interesse einer besseren Kommunikation zwischen Behörden bei Bund, Ländern und Kommunen an einer Vereinheitlichung von Standards, Prozess- und Datenmodellen gearbeitet. Das bekannteste Projekt zum Thema Sicherheit dürfte die Einrichtung des "Sperr-Notrufs 116 116" sein. Die weltweit erste einheitliche Telefonnummer zum Sperren beispielsweise von Kredit- und SIM-Karten wurde Mitte 2005 in Betrieb genommen. "Wir konnten die Idee mit anschieben", sagt D21-Sprecherin Ahrens. So habe es beispielsweise einen umfangreichen Abstimmungsbedarf zwischen Unternehmen und Politik gegeben. Auch wenn der Betreiberverein wenig später in wirtschaftliche Schieflage geraten sei, habe sich die Nummer doch etabliert, so Ahrens. Und sie betont, dass D21 eben nicht selbst als Wirtschaftsakteur auftrete.

Weniger erfolgreich war D21 bei dem Versuch, die Voraussetzungen für Online-Wahlen zu schaffen. Das anfangs gesteckte ehrgeizige Ziel, die ursprünglich für 2006 angesetzten Bundestagswahlen via Internet zu ermöglichen, musste vorerst aufgegeben werden. Die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sind zu kompliziert, wie sich auf einer deutlich niedrigeren Ebene zeigte, nämlich der Wahl zum D21-Vorstand. Diese konnte zwar nach einigem bürokratischen und juristischen Hin- und Her erstmals bei einem eingetragenen Verein online durchgeführt werden. Doch aufgrund dieser Erfahrungen hat die Initiative die Messlatte tiefer gehängt und konzentriert sich nun vorerst auf Vereinsvorstands-, Betriebsrats- und Personalratswahlen.

 

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.

 

www.initiative21.de


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.