Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006
Karl-Otto Sattler

Abschied vom Teilzeit-Parlament

Die baden-württembergische Volksvertretung steht vor Reformen
Baden-Württembergs Landtagspräsident Peter Straub (CDU) hat einen Vorschlag gemacht: Der aus dem Jahr 1961 stammende Plenarsaal soll einem neuen weichen. Das stößt auf Kritik, aber auch auf verhaltende Zustimmung.

Die Reaktionen muten eher reserviert an. SPD-Oppositionsführerin Ute Vogt meint, die Frage eines Landtagsneubaus solle "nicht am Anfang einer Parlamentsreform stehen", sondern an deren Ende gelöst werden. Einen Vorstoß "zur Unzeit" kritisiert die grüne Abgeordnete Theresia Bauer, Parteifreund Oswald Metzger mahnt zunächst eine Etatkonsolidierung an. FDP-Wirtschaftsminister Ernst Pfister kann sich eine Sanierung des jetzigen Plenarsaals vorstellen, etwas anderes sei nicht zu vermitteln. Auch in der CDU-Fraktion hält man sich bislang bedeckt, ein aktuelles Thema ist dieses Projekt jedenfalls nicht. Zwar sieht es der Vorsitzende Stefan Mappus als sinnvoll an, über ein neues Gebäude nachzudenken, schließlich bräuchten die Abgeordneten adäquate Arbeitsbedingungen. Doch man stehe "erst am Beginn der Überlegungen". Deutliche Worte findet Reinhold Uhl, Chef der CDU-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat: Wenn Peter Straub "keine anderen Sorgen hat als den Bau eines neuen Landtags, dann muss es dem Land Baden-Württemberg ja finanziell sehr gut gehen".

Ob angesichts solcher Zurückhaltung und Kritik aus dem von Parlamentspräsident Straub präsentierten Vorschlag eines neuen Plenarsaals auf absehbare Zeit etwas wird, muss sich noch erweisen. Immerhin hat CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger angesichts der Schulden in einer Gesamthöhe von 42 Milliarden Euro einen strikten Sparkurs verkündet.

Straub begründet seinen Vorstoß nicht nur mit praktischen Erwägungen. Modernen Ansprüchen könne der Plenarsaal, ein fensterloser Tagungsraum in dem aus dem Jahr 1961 stammenden Parlamentskomplex, nicht mehr genügen. Aus Sicht des CDU-Politikers soll ein neuer Landtag aber auch die politische Aufwertung des Abgeordnetenhauses symbolisieren. Im Zuge der Föderalismusreform werde die Volksvertretung "an Bedeutung gewinnen". Um diesem Wandel gerecht zu werden, plädiert Straub zudem dafür, mehr Sitzungstage anzuberaumen, bisher sind es jährlich 19: "Nur das Plenum ist wirklich geeignet, die politisch-parlamentarische Debatte vor den Augen der Öffentlichkeit auszutragen und die Themen, die uns angehen, in die Öffentlichkeit zu transportieren." Der Präsident will die Tätigkeit der Abgeordneten zudem durch mehr Anhörungen und mehr öffentliche Ausschussberatungen transparenter machen.

Solche Änderungen stellen ein heiliges Prinzip in Frage: Unter den Volksvertretungen der Flächenländer versteht sich lediglich das Parlament am Neckar als Teilzeit-Landtag, so wie in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Nun übt auch in Baden-Württemberg inzwischen nur noch ein Teil der momentan 139 Abgeordneten neben dem Mandat einen Beruf aus. Indes kommt die Zahl von lediglich 19 Plenarsitzungen jährlich nicht von ungefähr, das nordrhein-westfälische Parlament trifft sich 32- und der bayerische Landtag 27-mal.

Verabschiedet man sich von dem Teilzeit-Modell, taucht natürlich das leidige Problem der Diäten auf. Ein Vergleich mit anderen Flächenländern zeige, so Straub, dass der Südwesten bei der Bezahlung seiner Volksvertreter "weit hinterherhinkt". Bislang gab es monatlich 4.750 Euro, in Hessen sind es 6.628 Euro, in Bayern 6.092 Euro. Allerdings liegen die Einkommen in den Vollzeit-Landtagen Ostdeutschlands und des Saarlands niedriger. Die Baden-Württemberger erhalten neben ihren Diäten steuerfrei noch eine Aufwandspauschale von rund 900 Euro, ein Tagegeld von bis zu 400 Euro und eine Reisekostenpauschale zwischen 300 und 800 Euro.

Am Neckar herrscht weithin Übereinstimmung, dass die Abgeordnetenbezüge einer Neuordnung bedürfen: Die Diäten sollen steigen, während zugleich eine Begrenzung der üppigen Altersversorgung angestrebt wird. Wie das konkret aussehen soll, ist umstritten. SPD und Grüne plädieren für eine Lösung nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens und Schleswig-Holsteins: Dort entfallen die steuerfreien Kostenpauschalen, die steuerpflichtigen Diäten werden kräftig erhöht, die Pensionen werden gestrichen, die Altersversorgung ist Sache der Parlamentarier. CDU-Fraktionschef Mappus demonstriert Distanz gegenüber einer solchen Regelung. Eine grundlegende Änderung des Vergütungssystems lässt also noch auf sich warten. Vorerst beschlossen Union und FDP gegen SPD und Grüne eine Indexierung: Diäten und Kostenpauschalen erhöhen sich künftig jährlich automatisch um Prozentsätze, die nach der allgemeinen Einkommensentwicklung und nach differenzierten Preisindizes berechnet werden. Vom Juli an klettern die Diäten um 1,17 Prozent auf 4.806 Euro, die drei Pauschalen werden zwischen 1,2 und 3,9 Prozent angehoben.

Eine von CDU und FDP geplante Wahlrechtsreform wird zu Kosteneinsparungen führen, wenn auch erst von 2016 an: Dann sinkt die Zahl der Wahlkreise von 70 auf 63, weswegen im Landtag weniger Volksvertreter sitzen werden. Schon bis 2011 sollen die Wahlkreise neu zugeschnitten werden, die Zahl der Wahlberechtigten darf dann nur noch bis zu 15 Prozent und nicht mehr bis zu 25 Prozent des Durchschnitts voneinander abweichen. Zudem wird die Zweitauszählung der Mandate, über die in den Landtag die nicht direkt gewählten Abgeordneten einziehen, nach Prozentanteilen und nicht mehr nach absoluten Stimmen berechnet: Bisher kann ein Kandidat in einem kleinen Wahlkreis 30 Prozent der Stimmen einheimsen und trotzdem das Nachsehen gegenüber einem Bewerber der eigenen Partei haben, der in einem größeren Wahlkreis nur 25 Prozent verbucht, für den aber mehr Bürger votieren. Deshalb vermochte im März die SPD in Stuttgart mit vier kleinen Wahlkreisen keinen einzigen Kandidaten durchzubringen.

Von 2011 an dürfen Landräte und Oberbürgermeister nicht mehr im Parlament präsent sein. In dieser Doppelfunktion können sie sich bislang selbst kontrollieren - was mittlerweile besonders heikel ist, weil im Zuge einer Verwaltungsreform Aufgaben von der Regierung weg auf Kreise und Kommunen verlagert wurden. Diese Neuregelung schmälert vor allem den Einfluss mancher machtbewusster Landräte, die in der Provinz ohnehin als kleine Könige gelten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.