Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006
Jutta Witte

Überfälliger Erneuerungsprozess

CDU-Opposition in Rheinland-Pfalz formiert sich

Ein gutes Vierteljahr nach der verlorenen Landtagswahl, die der SPD die absolute Mehrheit und der CDU ihr historisch schlechtestes Ergebnis gebracht hat, starten die rheinland-pfälzischen Christdemokraten in einen längst überfälligen Erneuerungsprozess. Der zweimal gegen Ministerpräsident Kurt Beck unterlegene ehemalige Spitzenkandidat der Partei, Christoph Böhr, hat nach dem Fraktionsvorsitz auch das Amt des Parteichefs zur Verfügung gestellt und Platz für den Frankenthaler Christian Baldauf gemacht. Der 38-jährige ist seit Mai neuer Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion.

"Wir müssen eine Kampfgemeinschaft werden", hat sich der Jurist vorgenommen, der - motiviert durch die Person Helmuth Kohls - mit 16 Jahren in die CDU eintrat. Baldauf steht nun vor der schwierigen Aufgabe nicht nur Böhr-Gegner und Böhr-Anhänger vor allem in der Fraktion wieder zusammenzuführen, sondern auch den seit Jahren innerlich zerrissenen Landesverband langfristig zu stabilisieren. Gemeinsam mit seinen beiden neuen Stellvertretern im Parteivorsitz, der Bundestagsabgeordneten Julia Klöckner und dem Landrat des Kreises Trier-Saarburg, Günther Schartz, sowie den Landtagsabgeordneten will der neue Parteichef ein politisches Gesamtkonzept erarbeiten. Es soll vor allem die landespolitischen Kernkompetenzen Bildung, Innere Sicherheit und Finanzen aufgreifen und die Aktivitäten von Landtag, Kommunen und der Bundestagsgruppe besser als bisher miteinander verzahnen.

Dabei soll die Partei nach Baldaufs Worten näher an die Menschen heranrücken. "Ich betrachte die Abgeordneten als Sprachrohr der Kommunen", sagt er und greift mit dem Stichwort "Menschennähe" nicht nur ein Erfolgsrezept auf, das dem rheinland-pfälzischen Regierungschef Kurt Beck dreimal den Wahlsieg bescherte, sondern auch einen Politikstil, den der eher akademisch und reserviert auftretende Christoph Böhr nie verkörpert hat. "Ich stehe für Wettbewerb und Gerechtigkeit, nicht für Gleichmacherei", betont der neue Kopf der rheinland-pfälzischen CDU. "Verbindlichkeit statt Beliebigkeit", hat er seine erste große Landtagsrede als direkter Kontrahent Becks überschrieben und sich zwar noch nicht rhetorisch glanzvoll, aber dafür minutiös mit den Schwachstellen der Regierungsarbeit - an erster Stelle der desolaten Haushaltslage des Landes - auseinandergesetzt.

"Highway to hell", ist einer von Baldaufs Lieblingssongs. Seine neuen Aufgaben tritt der Vater zweier Kinder dennoch voller Optimismus an. Nun muss die Partei Geschlossenheit hinter ihrem neuen Spitzenmann zeigen, in der seit dem Verlust der absoluten Mehrheit im Jahr 1987 Grabenkämpfe stets zur Tagesordnung gehörten - angefangen vom Sturz von Ministerpräsident Bernhard Vogel 1988 über die glücklose Tandemlösung aus Parteichef Werner Langen und Fraktionschef Hans-Otto Wilhelm bis hin zum Verlust der Regierungsmacht 1991. Seitdem sitzt die rheinland-pfälzische CDU auf der Oppositionsbank. Weder dem von Helmuth Kohl protegierten Bundestagsabgeordneten Johannes Gerster, der 1993 zum Parteichef und Spitzenkandidaten ausgerufen wurde, noch seinem Nachfolger Böhr gelang es, die CDU wieder zur stärksten politischen Kraft zu machen. Personelle Alternativen ließen lange auf sich warten, obwohl bereits im Herbst 1994 der Widerstand gegen Böhr offen zu Tage getreten war.

Böhr wie auch seine Mitstreiter, die beiden Bezirksvorsitzenden Adolf Weiland und Michael Billen, der zunächst eine Kampfkandidatur gegen Baldauf um das Amt des Fraktionschefs erwogen hatte, stellen sich demonstrativ hinter die neue Parteiführung. Doch selbst, wenn der Schulterschluss gelingt, liegen fünf harte Jahre vor dem neuen Team. Laut einer Umfrage der Tageszeitung "Die Rheinpfalz" von Anfang Juni erreicht Baldauf zwar mit 1,9 Punkten schon jetzt einen erstaunlich hohen Symathiewert, von dem sein Vorgänger Böhr nur träumen konnte. 58 Prozent der Befragten jedoch kennen Baldauf noch nicht. Und selbst Unionswähler, so die Umfrage, geben derzeit Amtsinhaber Beck mehr Kompetenzpunkte als dem neuen CDU-Mann.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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