Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006
Susanne Sitzler

Gemeinsames Geschichtsbuch

Deutsche und Franzosen

Die Idee wurde an einem historischen Tag im Jahr 2003 geboren, während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags: Am 22. Januar 1963 hatten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle in Paris den deutsch-französichen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Jacques Chirac und Gerhard Schröder beschlossen 40 Jahre später, diese Zusammenarbeit mit einem symbolträchtigen Projekt, dem ersten gemeinsamen deutsch-französischen Schulbuch, zu bekräftigen.

Zum Schuljahr 2006/2007 wird nun das neue Geschichtsbuch auf den Markt kommen. Nicht nur die Geschichte des Elysée-Vertrags wird man darin nachlesen können. In "Geschichte: Europa und die Welt seit 1945" geht es um das Erbe des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegsordnung, die Shoa und die Entwicklung der jüdischen Erinnerungskultur, den Ost-West-Konflikt und um Europa in der globalisierten Welt. Ein Kapitel ist speziell den deutsch-französischen Beziehungen gewidmet.

Größere Differenzen in der gemeinsamen Aufarbeiten des Stoffes hat es offenbar nicht gegeben, wie Peter Geiss, Herausgeber für den Klett-Verlag auf deutscher Seite, berichtet: "Es gab weniger inhaltliche Konflikte als erwartet. Das hat sicher damit zu tun, dass dieses Buch in einem Stadium entstand, in dem die deutsch-französische Aussöhnung schon sehr weit fortgeschritten ist. Viele Streitfragen, die in den 50er- Jahren Deutsche und Franzosen noch entzweit haben, sind inzwischen geklärt."

Auch die Unterschiede in den Lehrplänen der 16 Bundesländer seien nicht unüberbrückbar gewesen, erklärt Geiss, der selbst die Fächer Geschichte, Französisch und Politik an einem binationalen Gymnasium unterrichtet. Am 10. Juli erscheint das Werk für Abiturklassen.

Ein Grundsatz, der den Herausgebern beider Länder, Geiss wie seinem französischen Kollegen Guillaume Le Quintrec vom Schulbuchverlag Nathan, am Herzen lag, ist das Prinzip der Multiperspektivität. Wo keine gemeinsame Linie zu finden war, beließ man es bei der Darstellung verschiedener Sichtweisen - in Deutschland sieht man es so, in Frankreich eben so. "Geschichte ist über weite Teile eine Frage der Interpretation, die durch den kulturellen, nationalen oder politischen Standpunkt mitbestimmt wird", erklärt Geiss.

Seit den 70er-Jahren wird Geschichte in Deutschland unter dieser Prämisse vermittelt; im neuen Schulbuch kann man sie studieren. Auch die Übersetzung ist nicht wortwörtlich, sondern der Unterrichtskultur des jeweiligen Landes verpflichtet. So spricht die französische Fassung im Kapitel zum Versailler Vertrag von der "responsabilité", also der Verantwortung der Deutschen für den Krieg, in der deutschen Ausgabe ist dagegen von "Schuld" die Rede.

Schwieriger als bei den Inhalten gestaltete sich laut Geiss die pädagogische Zusammenarbeit beim Methodentransfer. Wie vermittle ich Wissen? Während hierzulande die schüler- und handlungsorientierte Herangehensweise groß geschrieben wird, setzen die Franzosen auf strukturierte, anleitende Methoden; im Buch sind deshalb beide vorhanden.

Dem aktuellen Band sollen in den nächsten Jahren noch zwei weitere für die gymnasiale Oberstufe folgen, die die Zeiträume vom 19. Jahrhundert bis 1945 und von der Antike bis zur Romantik abdecken - dann ist die Reihe komplett.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.