Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006
Karl-Otto Sattler

Spürtrupps im Halbdunkel

Im Untersuchungsausschuss mangelt es an Öffentlichkeit
Recherchen des EU-Parlaments und des Europarats wie die spektakuläre Verhaftung eines italienischen Top-Geheimdienstlers, der in die rechtswidrige Entführung eines Terrorverdächtigen von Mailand über Ramstein nach Ägypten verwickelt sein soll, erhöhen auch hierzulande den Aufklärungsdruck bei den CIA-Flügen. Im Fall Khaled El-Masris hat die Arbeit des hiesigen Untersuchungsausschusses bislang noch keine Belege für eine Involvierung deutscher Stellen erbracht. Manche Fragen sind aber noch offen. Das Problem dieses Gremiums: Es mangelt an Transparenz, vieles spielt sich hinter verschlossenen Türen ab.

Es ist fast immer das gleiche Spiel. Vor den Türen des Europasaals vertreiben sich die Journalisten zuweilen stundenlang mit Mineralwasser, belegten Brötchen, exzessiver Zeitungslektüre und Gesprächen die Zeit. Irgendwann kommen die Obleute der Fraktionen im Untersuchungsausschuss nach draußen, um vor Kameras und Mikrofonen ihre Sicht der Dinge unters Volk zu bringen. Dann sehen Max Stadler (FDP), Wolfgang Nescovic (Linkspartei) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) bei der rechtswidrigen Verschleppung Khaled El-Masris durch die CIA neue Fragen auftauchen und empören sich, weil BND-Mitarbeiter zu ihrem Wissen über die Verhaftung des fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratenen Deutsch-Libanesen aus Mazedonien hinter verschlossenen Türen befragt werden. Hermann Gröhe (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) verteidigen ihrerseits dieses Vorgehen und betonen, für eine Mitwisserschaft oder Mitwirkung deutscher Stellen an der Entführung El-Masris existierten keine Belege.

Es fällt nicht leicht, solche und andere Bewertungen seitens der Koalition und der Opposition zu beurteilen. Denn meist tagt das Gremium nichtöffentlich. Das gilt auch für die Zeugenvernehmungen. El-Masris Aussagen können die Journalisten verfolgen, Irene Hinrichsen als Ex-Botschafterin in Skopje wiederum äußert sich teils offen, teils nur vor den Parlamentariern. Und bei öffentlichen Sitzungen intervenieren Vertreter der Regierung sehr oft, weil es sich um geheime eingestufte Dokumente handelt. So bleibt möglicherweise Brisantes etwa über Kontakte zwischen US-Geheimdiensten und der Polizei oder dem Verfassungsschutz hierzulande unter Verschluss.

Eine eigentümliche Mischung aus Transparenz, Halbdunkel, Dunkel und politischem Streit prägt die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses. Unabhängig vom künftigen inhaltlichen Ertrag der Recherchen beleuchtet die Startphase dieses Unterfangens vor allem eins: Parlamentarische Nachforschungen stoßen rasch an Grenzen, wenn es Aktivitäten der Geheimdienste aufzuklären gilt. Diesen Einrichtungen wie der Regierung bieten sich vielfältige Chancen, mit Verweis auf schwer überprüfbare Erfordernisse der Geheimhaltung die Schotten dicht zu machen. Schon jetzt lässt sich prognostizieren: Am Ende dieses Ausschusses wird eine Debatte über die Kompetenzen solcher Gremien entbrennen, deren Auftrag ja geradezu die Herstellung von Transparenz ist. Vielleicht wird ja auch das Verfassungsgericht, an das sich die Opposition wenden will, mit einem Urteil über das Ausmaß an Öffentlichkeit bei Zeugenanhörungen und über die Publikation behördlicher Dokumente ein Zeichen setzen.

Angesichts des weit reichenden Rechercheauftrags mutet eine inhaltliche Bilanz der Auftaktberatungen zwangsläufig eher bescheiden an. Untersuchen soll die Kommission unter Vorsitz von Siegfried Kauder (CDU/CSU) die Verschleppung El-Masris durch die CIA, Vorwürfe gegen den US-Geheimdienst wegen geheimer Flüge mit Terrorverdächtigen über deutschem Territorium zu Geheimknästen in anderen Staaten, Verhöre von Gefangenen durch deutsche Beamte im Ausland sowie den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad während des Irak-Kriegs.

Zunächst konzentriert man sich auf das Schicksal El-Masris. Waren deutsche Stellen in irgendeiner Weise in diese Verschleppungsaktion involviert? Nach den bisherigen Erkenntnissen, jedenfalls so weit sie öffentlich wurden, ist eine Mitwirkung hiesiger Behörden nicht zu belegen. Insofern haben entsprechende Bewertungen Gröhes und Oppermanns ihren guten Grund. Würde es bei dieser Sachlage bleiben, "dann sollte die Opposition dies akzeptieren und nicht unbegründete Zweifel nähren", meint der SPD-Obmann, "das wäre leichtfertiger Opportunismus". Der Liberale Stadler hingegen ist überzeugt, dass sich die Position der Regierung nicht halten lassen werde: "Schon jetzt revidieren Koalitionsvertreter manche ihrer ursprünglichen Bewertungen."

Alles wird davon abhängen, ob der Ausschuss wirklich nichts Neues mehr ans Tageslicht befördern sollte. Abgeschlossen ist die Beweisaufnahme ja nicht. Noch zu klären ist etwa, was es mit dem Anruf eines Telekom-Managers in Mazedonien auf sich hat, der die dortige Botschaft über die Verhaftung eines Deutschen unterrichtet haben will. Ex-Botschaftschefin Hinrichsen weiß von einem solchen Vorgang offenbar nichts. Aber hat der Telekom-Mitarbeiter vielleicht mit einem BND-Vertreter telefoniert, ohne es zu wissen? Und was ist mit dem deutschsprechenden "Sam", der, wie es scheint, bei El-Masris Entführung im Spiel war? Handelt es sich um einen deutschen Polizisten oder Geheimdienstler, ist es ein deutscher CIA-Agent?

Der Fall El-Masri ist eingebettet in die internationale Affäre um getarnte CIA-Flüge, Europarats-Ermittler Dick Marty spricht von einem "Spinnennetz". Die Recherchen des Staatenbunds wie einer Untersuchungskommission im EU-Parlament können helfen, ein Manko des Berliner Ausschusses zumindest teilweise zu beheben: Die Bundestagsabgeordneten vermögen nur deutsche Zeugen und hiesige Behörden zu befragen, nicht aber ausländische Geheimdienstler.

Die Nachforschungen auf europäischer Ebene bringen in die bekannt gewordenen Affären sogar richtig Schwung. Im Kern laufen die zwar nicht auf gerichtsverwertbaren Beweisen, aber auf Indizienketten fußenden Erkenntnisse des Europarats und der EU-Volksvertretung auf diese These hinaus: Es sei unwahrscheinlich, dass die europäischen Regierungen oder ihre Geheimdienste von den vermutlich hunderten CIA-Flügen mit mutmaßlich Dutzenden von gekidnappten Terrorverdächtigen nichts gewusst haben wollen.

Am selben Tag, als jetzt das EU-Parlament über die CIA-Machenschaften debattierte, wurde in Italien der Spitzen-Geheimdienstler Marco Mancini unter dem Vorwurf verhaftet, in die CIA-Entführung des Ägypters Abu Omar von Mailand über Ramstein an den Nil verwickelt zu sein. Weil Abu Omar über die pfälzische US-Airbase ausgeflogen wurde und diese CIA-Aktion eventuell in der Bundesrepublik geplant und koordiniert wurde, hat die Zweibrücker Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung und Nötigung aufgenommen.

"Das Schweigekartell ist gebrochen", erklärte in Straßburg der Grüne Cem Özdemir als Vize-Vorsitzender des EU-Ausschusses, die Festnahme in Italien bestätige "die Komplizenschaft der EU-Regierungen mit der CIA". Natürlich ist die spektakuläre Entwicklung in Rom noch kein Beweis für eine Involvierung deutscher Stellen in die CIA-Lufttransporte. Aber der Aufklärungsdruck wächst auch hierzulande. Und zuvor wurde schon offenbar, Dick Marty hat diesen Fall aufgerollt, dass Sarajewo sechs heute in Guantanamo einsitzende Männer an die CIA ausgeliefert hat, obwohl sie in Bosnien gerichtlich von einem Terrorverdacht freigesprochen worden waren. Die Expertise des Europarats verweist darauf, dass in dieser Angelegenheit nachträglich Bundeswehrsoldaten in dem Balkanland recherchiert haben sollen.

Man darf vermuten: Über die Sommerpause wird sich noch mehr Stoff für den Untersuchungsausschuss auftürmen. Die Spannung wird fortdauern.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.