55. Sitzung
Berlin, Freitag, den 29. September 2006
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes
- Drucksache 16/1889 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes
- Drucksache 16/2454 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)
- Drucksache 16/2785 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Dr. Eva Möllring
Christel Humme
Caren Marks
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Diana Golze
Ekin Deligöz
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/2788 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Dr. Frank Schmidt
Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Flexible Konzepte für die Familie - Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zukunftsfähig machen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Karin Binder, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Elterngeld sozial gestalten
- Drucksachen 16/1168, 16/1877, 16/2785 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Dr. Eva Möllring
Christel Humme
Caren Marks
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Diana Golze
Ekin Deligöz
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Siebter Familienbericht
Familie zwischen Flexibilität und
Verlässlichkeit - Perspektiven für eine
lebenslaufbezogene
Familienpolitik
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 16/1360 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Einführung des Elterngeldes liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Frau von der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Siebte Familienbericht hat ein zentrales Thema. Das ist die Dynamik von Familie. Familie verändert sich im Laufe der Zeit. Kinder wachsen heran, Väter und Mütter werden zu Großvätern und Großmüttern. Das heißt, dass sich Familienpolitik vor allem auch am Lebenslauf orientieren muss. Eine Familie mit einem Säugling hat andere Bedürfnisse als eine Familie mit Teenagern oder eine Familie, in der ältere Angehörige gepflegt werden. Familienpolitik ist damit eine Politik, die die ganze Zeit im Laufe des Lebens in einer Familie betrachtet.
Die aktuelle Shell-Jugendstudie bringt das auf den Punkt. Mit einem wirklich glücklichen Leben verbinden Jugendliche in erster Linie Familie. Aber sie wissen auch ganz genau, dass es nicht einfach ist, Ausbildung, Beruf, Partnerschaft, Karriere und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen. Die Folgen dieser Skepsis sind hohe Kinderlosigkeit und das Verschwinden der Mehrkindfamilie. Das heißt, Familie ist nach wie vor zeitgemäß, aber die Rahmenbedingungen, die wir als Gesellschaft Familien im 21. Jahrhundert zumuten, sind nicht mehr zeitgemäß.
Zwei von drei jungen Frauen wollen heute Kinder und Beruf, und zwar in ganz unterschiedlichen Ausprägungen, von Teilzeit bis Vollzeit. Sie möchten, dass Familienwerte und berufliches Fortkommen Hand in Hand gehen. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Zwei von drei jungen Männern wollen mehr Erzieher als nur Ernährer ihrer Kinder sein. Sie wünschen sich Zeit mit ihren Kindern. Auch hier sieht die Wirklichkeit oft anders aus. Diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit haben die jungen Menschen mit Verzicht beantwortet: entweder Verzicht auf Kinder oder Verzicht auf Entfaltung des Erlernten im Beruf.
Es geht auch anders. Es ist im 21. Jahrhundert möglich, die Verantwortung für Erziehung und für Einkommen als gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen zu sehen.
Das zeigen unsere west- und nordeuropäischen Nachbarn. Deshalb wird im Familienbericht das Elterngeld ganz klar unterstützt, weil die Entscheidung, sich für eine bestimmte Zeit verantwortlich um sein Kind zu kümmern, genauso wichtig ist wie der Beruf. Das Elterngeld macht auch deutlich, dass die persönliche Verantwortung für ein Kind nicht automatisch die Aufgabe der ökonomischen Selbstständigkeit oder ökonomische Abhängigkeit von Vater Staat bedeutet. Zeit ist Geld. Das Elterngeld schafft Zeit - Zeit für Kinder mit ihren Eltern und Zeit für Eltern mit ihren Kindern.
Die Entwicklung in den nord- und westeuropäischen Staaten hat auch gezeigt, dass die Einführung des Elterngeldes ein wichtiger Baustein ist, um die Kinderarmut zu reduzieren. Denn vom Elterngeld profitieren insbesondere Alleinerziehende und Geringverdiener. Elterngeld ist immer besser als Sozialhilfe. Mit dem Elterngeld wird betont: Arbeit wird anerkannt.
Deshalb hat der im Elterngeld enthaltene Geringverdienerbonus einen so hohen Stellenwert.
Ein auffallender Befund des Siebten Familienberichtes ist, dass Mütter mit Kindern unter sechs Jahren in den neuen Bundesländern ein geringeres Armutsrisiko als in den westlichen Bundesländern haben, weil der Kontakt zum Beruf für sie selbstverständlicher ist.
Das Elterngeld beinhaltet auch die Partnermonate. Zum ersten Mal bekommen Väter die ehrliche Chance, sich für ihre unersetzliche Rolle Zeit zu nehmen.
Jetzt eröffnen wir ihnen die Möglichkeit, diese Grenzerfahrung für einen bestimmten Zeitraum zu machen, sich Tag und Nacht um ihr Kind zu kümmern und für das Kind da zu sein.
Mit dieser Grenzerfahrung geht eine schier unbeschreibliche Explosion von Gefühlen einher. Bislang war es für Väter keine Selbstverständlichkeit, am Anfang des Lebens ihres Kindes da zu sein, sich Zeit nehmen zu können, Zeit zu haben und diese Erfahrung machen zu können.
Auch wenn wir in der heutigen Debatte zu Recht über Zahlen, Daten und Fakten sprechen müssen, kann man gar nicht oft genug hervorheben: Kinder sind ein schier unbeschreibliches Glück.
Ich möchte an dieser Stelle dem Parlament, vor allem dem Fachausschuss, ausdrücklich dafür danken, dass wir heute diesen historischen Moment erleben können. In nur zehn Monaten ist es gelungen, ein vollkommen neues Leistungsgesetz auf die Beine zu stellen und die Situation junger Eltern und ihrer Kinder in Deutschland grundlegend zu verbessern.
Im Siebten Familienbericht werden drei Forderungen aufgestellt: ein Neuzuschnitt der Geldleistungen - zum Beispiel das Elterngeld -, eine Verbesserung der Chancen im Arbeitsalltag und mehr Zeit. Nachbarschaftsnetze und Mehrgenerationenhäuser entlasten die Familien und schaffen dadurch Zeit. Aber die entscheidende Infrastruktur - auch das wird betont - ist eine flexible, vielfältige Kinderbetreuung.
Auch hierzu wurden im Siebten Familienbericht eindeutige Aussagen getroffen. Familienpolitik muss sich am Lebenslauf orientieren. Das heißt, das Elterngeld und die Kinderbetreuung werden nicht gegeneinander ausgespielt. Sie gehen Hand in Hand.
In den ersten Tagen, Wochen und Monaten wünschen sich die jungen Eltern nichts mehr als gemeinsame Zeit mit ihrem Neugeborenen. Erst allmählich erweitert sich ihr Horizont, übrigens auch der des Säuglings, im Hinblick auf andere Kinder und andere Erwachsene. Ebenso ist es selbstverständlich, dass die Kinderbetreuung nach der ersten engen Phase mit ihrem Kind zunehmend in den Fokus der Eltern rückt.
Im Sommer dieses Jahres wurde der Erste Bericht zum Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige vorgelegt. Endlich tut sich etwas. Allerdings haben wir noch eine lange Wegstrecke vor uns, die wir zügig zurücklegen müssen. Gegenwärtig kann für fast jedes siebte Kind unter drei Jahren ein Kinderbetreuungsangebot zur Verfügung gestellt werden; im Jahre 2002 war das nur für jedes zehnte Kind möglich. In großen Städten kann zurzeit fast jedem vierten Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz angeboten werden. In Westdeutschland hat sich die Zahl der Betreuungsplätze fast verdoppelt, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend.
Immer noch bestehen große Ost-West-Unterschiede. Inzwischen sind aber in fast allen Kommunen konkrete Schritte zum Ausbau der Kinderbetreuung in Arbeit. Es liegen also entsprechende Beschlüsse des Gemeinderates, des Stadtrates oder der Kreisverwaltung vor. Zwei Drittel der Kommunen haben bereits mit dem Ausbau der Kinderbetreuung begonnen. Jede dritte Kommune will ihr Ziel vor 2010 erreichen.
Kinderbetreuung schafft nicht nur Zeit für Eltern, sondern auch Zeit für Bildung und Zeit für die frühe Förderung von Kindern. Kinder brauchen vor allem andere Kinder, um sich zu entwickeln. Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass inzwischen jedes dritte Kind keine Geschwister hat. Im Familienbericht ist nicht nur vom Risiko der Vernachlässigung von Kindern die Rede. Dort wird auch das Risiko einer überbehüteten, einer vereinzelten Kindheit beschrieben, einer Kindheit, die sich vor allem im Transport zwischen organisierten Terminen abspielt. Wörtlich ist von einer ?Terminkindheit“ die Rede. Im Kindergarten oder in der Tagespflege treffen Kinder andere Kinder und haben Zeit, um zu toben, miteinander zu spielen und ihre eigenen Grenzen auszutesten. Und sie lernen ihre Altersgenossen in ihrer ganzen Vielfalt kennen. Das, meine Damen und Herren, ist ein unschätzbarer Integrationsfaktor.
Das sage ich vor allem vor dem Hintergrund, dass heute jedes dritte Kind unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund hat. Integration und Toleranz kann eine Gesellschaft nicht wirkungsvoller und kostengünstiger schaffen als dadurch, dass sie kleine Kinder von Anfang an im Alltag selbstverständlich miteinander spielen und miteinander reden lässt.
Wir verabschieden heute in zweiter und dritter Lesung das Elterngeld als einen ersten, wichtigen Baustein einer Familienpolitik, die sich am Lebenslauf orientiert, einer Familienpolitik, die die realen Probleme, aber auch die Wünsche der jungen Menschen ins Auge nimmt, einer Familienpolitik, die den jungen Männern und Frauen am Anfang des 21. Jahrhunderts - die in Zukunft eine enorme Verantwortung werden tragen müssen - die Chance gibt, für Erziehung wie Einkommen gleichermaßen in der Verantwortung zu stehen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.
Ina Lenke (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Elterngeld als Einkommensersatzleistung für berufstätige Väter und Mütter soll Einkommenseinbußen im ersten Lebensjahr des Kindes abmildern. Dieser grundsätzlichen politischen Aussage stimmt die FDP-Bundestagsfraktion voll zu, Frau von der Leyen.
Der Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, ist aber anders als das, was die Familienministerin vorhatte. Ich habe lange gewartet, dass Sie, Frau von der Leyen, in Ihrer Rede auf das Elterngeldgesetz zu sprechen kommen. Es kam mir in Ihrer Rede zu kurz.
Ein großer Teil ist Sozialleistung, nicht Einkommensersatzleistung. Deshalb enthält das Gesetz viele Konstruktionsfehler. Das sind nicht die einzigen Gründe, weshalb die FDP-Fraktion diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen wird. Wir sind der Überzeugung, dass das Elterngeld nur erfolgreich sein kann, wenn nach dem ersten Geburtstag des Kindes die Anschlussbetreuung gesichert ist. Die Aussage, die die Ministerin heute gemacht hat, steht für sich: Das wird auch ab dem 1. Januar 2008 nicht in ganz Deutschland der Fall sein.
Was nutzt Eltern oder Alleinerziehenden ein Jahr Elterngeld, wenn anschießend Krippenplätze oder Tagesmütter und -väter fehlen?
Das Familienministerium hat dazu nachweislich keine nennenswerten Anstrengungen unternommen. Es gibt kein schlüssiges Gesamtkonzept der Bundesregierung für die Betreuung von Kindern nach dem ersten Lebensjahr, wenn das Elterngeld ausläuft. Es hat auch keinen Kinderbetreuungsgipfel gegeben, auf dem sich die Bundesregierung mit den Ländern und Kommunen auf ein gemeinsames Konzept geeinigt hätte. Weder die damalige SPD/Grüne-Bundesregierung, die acht Jahre regiert hat,
noch die große Koalition von Union und SPD hat die Städte und Gemeinden beim Ausbau der Kinderbetreuung finanziell unterstützt.
- Es ist so. Sie können ruhig protestieren. Acht Jahre lang waren die Grünen dabei und es ist nichts passiert.
- Dann waren es sieben Jahre.
Wenn Sie so nickelig sind, dann wollen Sie nur von Ihren Defiziten ablenken.
Meine Damen und Herren, den jungen berufstätigen Paaren fehlt eine verlässliche Grundlage für ein Leben mit Kindern. Bereits in der Expertenanhörung des Bundestages zum Elterngeld und auch jetzt durch die harsche Kritik des Bundesrechnungshofes wurde öffentlich, dass Teile des Elterngeldgesetzes unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung in unserer Verfassung sind. Dazu wird meine Kollegin Sibylle Laurischk anschließend Stellung beziehen.
Die FDP-Fraktion hat ihre Position zur notwendigen Kinderbetreuung und zu den Schwachpunkten des Elterngeldgesetzes in zwei Anträgen begründet. Unsere Kritikpunkte: Erstens. Nach Angaben des Familienministeriums werden 155 000 Familien mit einem Einkommen von unter 30 000 Euro pro Jahr schlechter gestellt.
- Ja, Sie haben Recht, Frau Schewe-Gerigk: Das ist ein Skandal.
Zweitens - das ist mein Lieblingsthema -:
Berufstätige Ehefrauen, die auf Steuerklasse V arbeiten,
sind die Verliererinnen. Ich werde den Bürgern das begründen. Sie wissen das, tun aber nichts richtig.
Noch einmal: Berufstätige Ehefrauen, die auf Steuerklasse V arbeiten, sind bei diesem Gesetz die Verliererinnen.
Bei einem Bruttolohn von beispielsweise 2 000 Euro pro Monat erhalten sie mit Lohnsteuerklasse V ein geringeres Elterngeld als mit Lohnsteuerklasse III.
Dadurch haben sie monatlich 390 Euro weniger im Portemonnaie. Deshalb schlägt die FDP das Bruttolohnprinzip vor. Das ist gerechter.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?
Ina Lenke (FDP):
Aber gerne.
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Frau Kollegin, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Wahl der Steuerklassen von Ehepartnern jederzeit auch unterjährig - so heißt das - geändert werden kann?
Wenn eine Frau schwanger wird, dann kann sie also zum Finanzamt gehen und eine andere Steuerklasse wählen, sodass der Berechnung des Elterngeldes dann natürlich ein anderes Einkommen zugrunde liegt.
Ina Lenke (FDP):
Frau Hendricks, ich bitte Sie, sich die Regelungen zum Elterngeld ganz genau durchzulesen. Sie wissen, dass nicht das Durchschnittseinkommen der letzten drei Monate, sondern der letzten zwölf Monate genommen wird, und dass eine Schwangerschaft neun Monate dauert.
Das ist der erste Grund.
Der zweite Grund ist, dass in Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie die Lohnsteuerklassen reformieren wollen und dass Sie einen Wechsel unterbinden, wenn es um die Berechnung des Mutterschaftsgeldes geht, das acht Wochen lang gezahlt wird. Diese Möglichkeit gibt es dort nicht.
Frau Hendricks, ich will Ihnen nur sagen, dass Sie als Staatssekretärin und ich, die ich in diesem Beruf gearbeitet habe, diese steuerlichen Fachgesichtspunkte sehr wohl kennen. Sie glauben aber doch nicht, dass sich eine Verkäuferin, eine Facharbeiterin oder eine Ärztin mit diesen Dingen besonders gut auskennen.
Sie werden ein böses Erwachen haben, wenn sie das Elterngeld beantragen werden. Das ist Fakt. Ihre fachspezifische Aussage wird den Eltern nicht helfen.
Um diese Wortmeldung jetzt abzuschließen, sage ich noch einmal: Frau Hendricks, die FDP schlägt das Bruttolohnprinzip vor. Es wäre auch kein Problem gewesen, dies in dieses Gesetz einzubauen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage Ihrer Kollegin Laurischk?
Ina Lenke (FDP):
Gerne.
Sibylle Laurischk (FDP):
Frau Kollegin Lenke, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die unterjährige Änderung der Steuerklasse V in die Steuerklasse III nur dann möglich ist, wenn beide Ehepartner einverstanden sind, was in der Regel nicht der Fall ist, weil das eine Verkürzung des Einkommens des Mannes bedeutet?
Insofern wird die Steuerklasse V zumindest bis zum Jahresende aufrechterhalten, was bei Scheidungsfällen ein Problem ist.
Ina Lenke (FDP):
Frau Laurischk, da Sie als Rechtsanwältin auf diesem Gebiet Erfahrung haben, stimme ich Ihnen zu. Ich habe die Frage von Frau Hendricks so beantwortet, wie es die Realität vorgibt, wie es die Bürger und Bürgerinnen im Leben erfahren, und zwar nicht nur im Steuerberatungsbüro.
Von der Diskriminierung von Ehefrauen mit Steuerklasse V komme ich zu meinem dritten Punkt: ALG-II-Empfänger erhalten ein Mindestelterngeld von 300 Euro. Dazu habe ich von der Familienministerin noch keine Aussage gehört; denn das, Frau von der Leyen, hat mit der politischen Idee des Einkommensersatzes nichts mehr gemein. Dagegen erhält eine Alleinerziehende, die selbstständig ist, kein Elterngeld - man höre genau zu -, wenn sie über 30 Stunden arbeiten muss, um ihre Existenz zu sichern. Sie hat auch mit einem geringen Einkommen keinen Anspruch auf Elterngeld. Ist das sozial gerecht? Frau von der Leyen hat eben in ihrer Rede gesagt, Elterngeld ist immer besser als Sozialhilfe. Ja, der Meinung bin auch ich. Aber das gilt auch für Selbstständige.
Viertens: Teilzeitarbeit. Neu ist die Anrechnung der Teilzeitarbeit auf das Elterngeld. Zwei Drittel des Gehaltes bei Teilzeitarbeit wird angerechnet. Diese Regelung - so die Meinung der FDP - schränkt die Wahlfreiheit der Familien enorm ein. Beim Erziehungsgeld war das nicht der Fall. Da konnte man etwas hinzuverdienen.
Fünftens: Geringverdienerregelung. Die Geringverdienerregelung ist wirklich zu kompliziert. Verdient man - das muss man einmal öffentlich sagen - weniger als 1 000 Euro netto, erhält man für jeweils 2 Euro weniger Gehalt als 1 000 Euro 0,1 Prozent mehr Elterngeld. Bei 996 Euro wären das 0,2 Prozent mehr Elterngeld, bei 994 Euro 0,3 Prozent, bei 992 Euro 0,4 Prozent usw.
Das ist ein bürokratisches Ungetüm.
Damit sind wir wieder beim Thema Bürgernähe. Wenn Sie einfachere Gesetze machten, dann könnten die Bürger sie verstehen. Wenn Sie sie aber so kompliziert machen, wie Sie das tun, werden die Bürger sie nicht verstehen und in die Falle laufen, die Sie aufgestellt haben.
Sechstens: die Stichtagsregelung. Alle Paare, deren Kinder nach dem 31. Dezember 2006 geboren werden, erhalten das neue Elterngeld. Kommt das Baby aber schon Silvester zur Welt, gilt noch die alte Regelung. Dazu habe ich von Bürgern sehr viele Protestbriefe erhalten. Ich kann die Menschen verstehen: Wenn Sie das Elterngeld als Einkommensersatz als eine neue politische Weichenstellung verstehen, dann hätte die Bundesregierung sozialverträgliche Übergänge schaffen müssen.
Die FDP fordert die Bundesregierung auf, ein verfassungskonformes Gesetz vorzulegen. Wir wollen eine Einkommensersatzleistung für den Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinder einschränkt. Die FDP fordert bei der Berechnung des Elterngeldes, das Bruttolohnprinzip gelten zu lassen, um die gravierenden finanziellen Nachteile bei der Steuerklasse V gar nicht erst entstehen zu lassen.
Wir fordern mehr Freiraum bei der zeitlichen Gestaltung des Elterngeldes; das ist uns wichtig. Wenn Unternehmen Teilzeitmodelle anbieten und sich Eltern bei der Betreuung des Säuglings wochen- oder tageweise abwechseln wollen, darf das beim Elterngeldanspruch nicht zu ihrem Nachteil führen. Dazu ein kurzes Beispiel: Die Mutter betreut das Kind montags und dienstags, der Vater mittwochs, donnerstags und freitags. Diese Möglichkeit kommt in Ihrem Gesetzentwurf zur Einführung des Elterngeldes nicht vor.
Ich will als familienpolitische Sprecherin der FDP ganz deutlich sagen: Die Unternehmen müssen sich endlich auf Familien mit Kindern einstellen; das ist äußerst wichtig. Hier muss ein Paradigmenwechsel erfolgen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ina Lenke (FDP):
Ich komme zum Schluss.
Eine zukunftsorientierte Familienpolitik muss alle Lebensgemeinschaften mit Kindern und auch alle Berufe gleichermaßen im Blick haben. Familien brauchen mehr Wahlfreiheit, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Mit diesem Gesetzentwurf zur Einführung des Elterngeldes ohne flankierende Maßnahmen wird das kein Schritt in eine familienfreundliche Zukunft sein.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Marks, SPD-Fraktion.
Caren Marks (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin von der Leyen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich an meine Vorrednerin, Frau Lenke, gerichtet feststellen: Ihre diffuse Kritik am Elterngeld ist unbegründet.
Die Teilzeitmöglichkeiten während des Bezugs des Elterngelds sind sehr wohl flexibel handhabbar.
Ihre Rede, Frau Lenke, ist von der Frustration der Opposition und der Tatsache geprägt, dass die Familienpolitik in Ihrer Fraktion nachrangig ist.
Es ist schade, dass gute Arbeit bzw. gute Gesetze keine Anerkennung finden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Caren Marks (SPD):
Ja.
Ina Lenke (FDP):
Frau Kollegin, nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir in der vorherigen und in dieser Legislaturperiode zwei Entschließungsanträge zu diesem Thema eingebracht haben, die Sie offenbar nicht gelesen haben?
Was die ?diffuse Kritik“ angeht, überlassen wir die Bewertung besser den Bürgern. Ich finde, das ist ziemlich platt.
Caren Marks (SPD):
Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt auf Ihre diffuse Kritik eingehen und erläutern, warum sie unberechtigt ist. Welchen Rückhalt Sie bei Ihrem familienpolitischen Vorgehen haben, hat Ihre Fraktion schon mehrfach deutlich gemacht. Ich glaube, darauf muss ich jetzt nicht näher eingehen.
Warum wird aus dem Kinderwunsch oft keine Kinderwirklichkeit? Diese komplexe Frage durchdringt viele Aspekte. Es gibt keine einfache Erklärung; es gibt vielmehr mehrere Antworten.
Eine Antwort lautet: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Deutschland alles andere als einfach. Auf das Lebensmodell ?Kinder oder Karriere“ hatten Männer noch nie wirklich Lust. Inzwischen ist auch immer mehr gut ausgebildeten Frauen die Lust auf dieses Entweder-oder vergangen. Frauen meiner Generation wissen, wovon ich rede. Viele sind nach einem guten Abitur - meistens sind sie besser als ihre Mitschüler - und einem Studium mit gutem Abschluss - ebenfalls häufig besser als die männlichen Hochschulabsolventen - ein paar Jahre erwerbstätig und steigen die ersten Schritte auf der so genannten Karriereleiter empor. Unterdessen beginnt die biologische Uhr zu ticken und die Entscheidung für oder gegen ein Kind rückt näher.
Der Entschluss für ein Kind bedeutete für die meisten Frauen in Westdeutschland, mindestens drei Jahre aus dem Beruf auszusteigen, weil es so gut wie keine Kinderbetreuung für unter Dreijährige gab. Längere berufliche Auszeiten sind mit einem Karriereknick verbunden. Für viele Frauen ist der berufliche Einstieg mehr als schwierig. Die Aufgabe der Erwerbstätigkeit von Müttern ist zudem mit großen finanziellen Einbußen verbunden. Das wird sich durch das Elterngeld ändern.
Das traditionelle Mutterbild bzw. das Hausfrauenmodell entspricht seit Jahren nicht mehr den Lebenswünschen der meisten Frauen. Mütter begeben sich während der ersten Lebensjahre ihres Kindes ungern in die wirtschaftliche Abhängigkeit von ihrem Partner.
Das Modell der Einverdiener- bzw. Versorgerehe ist überholt. Frauen sind gut ausgebildet, erwerbsorientiert und selbstbewusst. Abgesehen von Frauen à la Eva Herman wollen sie eine größere materielle Unabhängigkeit und wünschen sich mehr Betreuungs- und Erziehungsverantwortung der Männer bzw. Väter.
Veränderte Lebenswirklichkeiten bzw. Lebenswünsche benötigen veränderte Rahmenbedingungen. Das hat die SPD erkannt und der Familienpolitik in den letzten beiden Legislaturperioden einen sehr hohen Stellenwert eingeräumt. Nicht zuletzt bestimmt eine moderne, nachhaltige und sozial gerechte Ausgestaltung der Familienpolitik die zukünftige Entwicklung unseres Landes.
Kinder bedeuten eine Bereicherung, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Die Entscheidung für Kinder ist und bleibt eine sehr persönliche.
Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Es darf keine Trennung der Gesellschaft in Kinderlose und Kinderhabende geben. Als Familienpolitikerin möchte ich keine Bevölkerungspolitik betreiben. Vielmehr möchte ich durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen all denen Mut machen, die Kinderwünsche haben, aber bisher zögern, sich diese zu erfüllen.
Die Entscheidung für Kinder darf weder ein Armutsrisiko noch ein Hemmschuh für die berufliche Entwicklung sein. Darüber hinaus benötigen Eltern und Kinder heute und zukünftig eine Politik, die die Gesellschaft, das heißt die Lebens- und Arbeitswelt, nachhaltig kinder- und familienfreundlich gestaltet.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gruß?
Caren Marks (SPD):
Gerne.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte, Frau Gruß.
Miriam Gruß (FDP):
Frau Kollegin, Sie haben mehrfach davon gesprochen, dass die Familienpolitik die Rahmenbedingungen verbessern müsse. Sind Sie geneigt, zur Kenntnis zu nehmen, dass familienfreundliche Rahmenbedingungen vor allen Dingen bedeutet hätten, nicht zum 1. Januar 2007 die Mehrwertsteuer zu erhöhen?
Caren Marks (SPD):
Frau Gruß, die FDP stellt mittlerweile in jeder Debatte im Bundestag die Frage nach der Mehrwertsteuererhöhung. Das scheint bei Ihnen ein pawlowscher Reflex zu sein. Ich habe daher mit Verlaub keine Lust, auf Ihre Zwischenfrage ernsthaft zu antworten.
Auch der aktuelle Siebte Familienbericht ist ein Plädoyer für eine nachhaltige Familienpolitik. Der Familienbericht untermauert den in den letzten Jahren von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eingeleiteten Politikwechsel. Eine moderne Familienpolitik ist ein Mix aus Infrastruktur, Zeit und Geld. Familien benötigen - das ist klar - eine verbesserte Infrastruktur für Bildung und Betreuung, mehr Zeit, zum Beispiel durch familienfreundliche Arbeitswelten, und nicht zuletzt Geld für eine gezielte finanzielle Unterstützung. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz für Kinder unter drei Jahren und mit dem Investitionsprogramm zur Förderung von Ganztagsschulen haben wir in der letzten Legislaturperiode eine wichtige Grundlage zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen.
Ich freue mich, dass der von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eingeschlagene Kurs in der großen Koalition nun mit vereinten Kräften fortgesetzt wird. Gemeinsam ist es uns in der großen Koalition gelungen, das zentrale familienpolitische Projekt in der laufenden Legislaturperiode, das Elterngeld, umzusetzen.
Es freut mich, dass der von Renate Schmidt mit großen Engagement auf den Weg gebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngelds - herzlichen Dank dafür - bereits heute verabschiedet wird.
Ein guter Tag für Deutschland, ein guter Tag für die Familien!
Natürlich ist das Elterngeld nicht die Antwort bzw. die Lösung für alle Probleme, denen Familien heute begegnen. Das Elterngeld ist vielmehr ein wichtiger Baustein einer modernen Familienpolitik. Mit dem Elterngeld fördern wir Familien in den ersten zwölf bzw. 14 Monaten nach der Geburt. Gerade während dieser Zeit benötigen Kinder eine intensive Betreuung. Eltern wünschen sich in dieser Phase mehr Zeit für ihr Kind.
Mit dem Kernelement des Elterngeldes, der Einkommensersatzleistung, ermöglichen wir Eltern, sich diese Zeit ohne finanzielle Sorgen zu nehmen und danach so schnell wie möglich wieder in den Beruf zurückzukehren. Da hier unabhängig vom Partnereinkommen ein finanzieller Ausgleich für den betreuenden Elternteil vorgesehen ist, bedeutet dies insbesondere für Mütter wirtschaftliche Selbstständigkeit innerhalb der Partnerschaft.
Durch die Partnermonate geben wir Vätern mehr Möglichkeiten, sich partnerschaftlich an der Kinderbetreuung zu beteiligen. Durch die Einkommensersatzleistung gewinnen Eltern mehr Wahlfreiheit hinsichtlich der Elternrolle. Es gibt nun eine echte Alternative zur traditionellen Rollenaufteilung. Das Elterngeld ist ein wichtiges gleichstellungspolitisches Instrument, das aber auch Kindern zugute kommen wird; denn Kinder brauchen Väter und Mütter.
Das Elterngeld bietet insbesondere Müttern den Anreiz, nach der Kinderphase schneller als bisher in den Beruf zurückzukehren. Die neue Regelung des Geschwisterbonus verstärkt diesen Anreiz. Auch Alleinerziehende profitieren von dem Elterngeld, weil es die wirtschaftliche Eigenständigkeit bei der Erwerbsunterbrechung sichert.
Frau Lenke, Sie fordern in Ihrem Antrag, die Betreuungs- und Bildungssituation zu verbessern. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Wie Sie wissen, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, haben wir mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz einen Meilenstein in Richtung Ausbau der Kinderbetreuung und frühkindliche Förderung gesetzt. Die Richtung stimmt. Aber eines muss klar sein: Nur in einem verantwortungsvollen Bündnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen wird es gelingen, unser Land wirklich familienfreundlicher zu gestalten.
Der Siebte Familienbericht und der Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige bestätigen, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. Erfolge sind bereits sichtbar. Frau Ministerin von der Leyen hat die Zahlen vorhin genannt. Familien benötigen Taten und die haben wir, die SPD-Bundestagsfraktion, vorzuweisen.
Da, Frau Lenke, wo die FDP mitregiert, in wenigen Ländern und manchen Kommunen, sind Sie herzlich eingeladen, aus Worten und Forderungen Taten werden zu lassen.
Aber als Sie, meine Damen und Herren von der FDP, in Rheinland-Pfalz noch mitregiert haben, musste Sie der Ministerpräsident Kurt Beck in Sachen Bildung und Betreuung noch zum Jagen tragen.
In Ihrem Entschließungsantrag kritisieren Sie recht diffus das neue Elterngeld. Sie kritisieren unterschiedliche Zielsetzungen und komplizierte Berechnungen. Aber, Frau Lenke, ein einfacher Dreisatz dürfte auch Sie nicht überfordern. Dass das Elterngeld vielschichtig wirkt, ist eine Stärke des Instruments.
An die Damen und Herren von der PDS gerichtet: Wir können das reflexartige Einklagen von mehr sozialer Gerechtigkeit in diversen Anträgen vernehmen. Ihr Bild von sozialer Gerechtigkeit ist nicht nur sehr eingeschränkt, sondern größtenteils auch falsch. Das Elterngeld ist durch den Sockelbetrag, die Begrenzung für Spitzenverdiener und die Geringverdienerkomponente sozial gerecht und ausgewogen. Sowohl der Siebte Familienbericht als auch der Zweite Armuts- und Reichtumsbericht zeigen auf, dass sich Armutsrisiken von Familien am wirkungsvollsten mindern lassen, wenn die Erwerbstätigkeit der Eltern unterstützt wird. Eine frühe Förderung der Kinder und Anreize zur Aufnahme und Ausweitung von Erwerbstätigkeit helfen, Armut zu durchbrechen und wirkliche Chancengleichheit für Kinder herzustellen. Am Beispiel unserer nordeuropäischen Nachbarstaaten sieht man eindrucksvoll, dass die Einführung des Elterngelds und die Steigerung der Frauenerwerbsquote die Armutsrate bei Kindern und Familien hat sinken lassen. Das Elterngeld ist ein wichtiger Baustein einer nachhaltigen Familienpolitik. Es ist ein Kind der SPD, auf das wir stolz sind.
Vielleicht lautet in zehn oder 20 Jahren eine Zeitungsüberschrift: ?Aus Kinderwunsch wird immer mehr Kinderwirklichkeit“. Der Grund dafür: Deutschland ist ein kinder- und familienfreundliches Land geworden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt. Frauen und Männer teilen sich partnerschaftlich Kindererziehung und Erwerbsarbeit. Gute Betreuungsangebote unterstützen Familien, frühe Bildung eröffnet Kindern echte Chancen. Familien sind nicht mehr überfordert. Die Wirtschaft ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Kinderlachen und Kindertoben, Urlaube und Restaurantbesuche mit Kindern werden gern gesehen, Kinder sind wirklich willkommen. - Eine schöne Aussicht.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke wird diesem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes nicht zustimmen können.
Nach fast zehn Monaten Diskussion ist der Wille der Koalition zur sozial besseren Ausgestaltung des Elterngelds nach wie vor nicht erkennbar. Im Gegenteil: Beschämend an der breiten Diskussion ist zum einen die Arroganz gegenüber außerparlamentarischem Sachverstand.
Zum anderen verstetigen Sie, Frau von der Leyen, charmant lächelnd, die sozialen Ungerechtigkeiten Ihrer Politik.
Sie schaffen es sogar, im Einvernehmen mit den Koalitionspartnern in zehn Monaten Gesetze zur Schröpfung von Arbeitslosen, Geringverdienern und Alleinerziehenden durchzupeitschen sowie das größte Steuererhöhungsprogramm seit Bestehen der Bundesrepublik zu beschließen.
Schlimmer noch: Sie potenzieren die sozialen Ungerechtigkeiten in einem unerhörten Ausmaß. Ausgerechnet in Haushaltsdebatten um den Einzelplan 17, bei dem Sie, Frau von der Leyen, nennenswert Geld zur Ausweitung der Förderung von Familien in die Hand nehmen, produzieren Sie mit dem Elterngeld einen sozialpolitischen Skandal erster Ordnung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Griese?
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Wir - auch die Kollegin Griese - hatten sowohl im Familienausschuss als auch im Rechtsausschuss ausreichend Gelegenheit, über dieses Thema zu diskutieren. Deswegen muss sie sich meinen Vortrag jetzt erst einmal anhören. Sie kann ja nach Beendigung meiner Rede eine Kurzintervention machen.
Das Elterngeld benachteiligt Eltern mit niedrigem oder gar keinem Erwerbseinkommen. Im Wissen darum, dass jedes siebte Kind in Deutschland auf einem Einkommensniveau lebt, das es von einer angemessenen sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe ausschließt, verschärfen Sie weiter die Kinderarmut in Deutschland. Eine dreiviertel Milliarde Euro nehmen Sie, Frau von der Leyen, gemeinsam mit der Bundesregierung in die Hand, um Gut- und Besserverdienenden den Zugang zu steuerfinanzierten Sozialleistungen zu ermöglichen. Die wirklich Bedürftigen schließen Sie aus. Um den Skandal perfekt zu machen, nehmen Sie auf Drängen der Unionshardliner im letzten Moment noch viele der im Land lebenden Ausländerinnen und Ausländer aus dem Elterngeldanspruch aus.
Sie haben eine Menge Geld in den Haushalt eingestellt, ohne zu wissen, ob Sie es überhaupt verfassungsgemäß ausgeben. Entgegen den Bedenken der Sachverständigen aus der Anhörung zum Elterngeld, entgegen den Bedenken von Juristinnen und Juristen, entgegen den Bedenken karitativer Wohlfahrtsverbände, entgegen den Bedenken von über 18 000 Petentinnen und Petenten und entgegen den Bedenken des Bundesrechnungshofs
nehmen Sie nur geringfügige redaktionelle Änderungen an diesem Gesetzentwurf vor.
Sie, Frau von der Leyen, geben an - sie selbst sind keine Juristin -, dass Sie sich auf den Rat Ihrer Juristen verlassen. Seien Sie gewarnt; denn Ihre Juristen haben im Rechtsausschuss trotz Kenntnis der verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrechnungshofs, ohne ein Wort und ohne mit der Wimper zu zucken, diesem Gesetzentwurf zugestimmt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Nein. Da muss die Koalition jetzt durch.
Noch vorgestern wurde hier seitens der Koalition betont, dass der Bundesrechnungshof schreiben könne, was er wolle. Ein derartiges Verhalten der Regierung kennen wir schon aus der Debatte zur Föderalismusreform. Mich wundert da inzwischen nichts mehr.
Das Elterngeld ist eine prinzipiell positive Entwicklung in der Familienpolitik und findet unsere Unterstützung.
- Ja, wirklich. -
Was mich und meine Fraktion daran aber besonders stört, ist - ich wiederhole es - die soziale Unausgewogenheit, das Festhalten an einer Umverteilung von Arm nach Reich. Das Gesetz soll Menschen ermutigen, sich für Kinder zu entscheiden. Wir brauchen primär nicht mehr Kinder, sondern weniger Kinder, die in Armut und Not aufwachsen.
Außerdem brauchen wir mehr Eltern, die ihre Vorstellung von Familienleben ohne finanzielle Zwänge oder Sorgen um den Arbeitsplatz leben können. Wir brauchen eine Kultur der Familien- und Kinderfreundlichkeit; dies wird aber nicht erreicht, indem eine Umverteilung der Leistungen an Familien von Arm nach Reich stattfindet.
Wie heißt es so schön zur Problemschilderung zum Elterngeld - ich zitiere -:
In Deutschland steht Familien dann am wenigsten Geld zur Verfügung, wenn die Kinder am kleinsten sind.
In der in Ihrem Gesetzentwurf formulierten Lösung des Problems heißt es dann unter anderem - ich zitiere -:
Es
- damit ist das Elterngeld gemeint -
eröffnet einen Schonraum, damit Familien ohne finanzielle Nöte in ihr Familienleben hineinfinden ...
Warum, frage ich dann, sollen diejenigen, die in unserer Gesellschaft ohnehin schon finanziell schlecht dastehen, noch schlechter gestellt werden, als sie es ohnehin schon sind?
Müssen nicht gerade sie gefördert werden?
- Diese Fragen müssen Sie sich schon gefallen lassen. - Oder herrscht auch bei Ihnen der Geist wie bei einigen Ihrer Fraktionskollegen, welche sich beispielsweise vor Arbeitslose, die ihre Lebensmittel bei der Tafel holen müssen, stellen und diesen auf Fragen nach der Mehrwertsteuer entgegnen: Was regt ihr euch denn so über die Mehrwertsteuererhöhung auf? Sie betrifft in der Regel eh nur Sachen, die ihr euch nicht leisten könnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können jetzt entgegnen, dass Sie mit Ihren Änderungsanträgen im Ausschuss Neuregelungen getroffen haben. Das ist richtig. Es bedarf auch schon etwas Mühe, um die gut verpackten Unzulänglichkeiten im Elterngeldgesetz herauszufinden.
Erfreulich ist, dass Sie einen Regelungsvorschlag der Verbände und Sachverständigen aufgegriffen haben
und die flexible Zuschlagsregelung anstelle einer starren Fristenregelung für den Geschwisterbonus vorgesehen haben. Auch erfreulich ist: Es soll klargestellt werden, dass berufliche Gründe nicht zur Übertragbarkeit der Partnermonate auf den anderen Elternteil führen können. Das sind aber auch schon die einzigen Verbesserungen. - So weit zu dem aus meiner Sicht positiven Ansatz zur Einführung des Elterngeldes.
Es gibt, wie von mir schon mehrfach betont, Tendenzen in der Politik der Ministerin und der Koalition, die diesen durchaus positiven Ansatz konterkarieren. Wo liegen die spitzfindigen Feinheiten in Ihrer familien- und sozialpolitischen Mogelpackung, Frau von der Leyen? Die Einführung des Elterngeldes geht nach wie vor zulasten der Einkommensschwachen, der Alleinerziehenden, der ALG-II-Empfänger sowie der Migrantinnen und Migranten.
Erstens. Die Änderung der Anspruchsberechtigung von Migrantinnen und Migranten bedeutet eine rechtliche Verschlechterung für die Betroffenen. Grundsätzlich ist zu kritisieren, dass die Begründung zu diesem Änderungspunkt von Ihnen stillschweigend ausgespart wird, obwohl das Bundesverfassungsgericht - in anderem Zusammenhang - diese Ungleichbehandlung für verfassungswidrig erachtet hat, wenn von einem dauerhaften Aufenthalt ausgegangen werden kann bzw. muss, unabhängig vom Aufenthaltstitel. Der in der geänderten Fassung enthaltene pauschale Ausschluss von Menschen mit einem Aufenthaltstitel, der erkennen lässt, dass ein voraussichtlich dauerhafter Aufenthalt vorliegt, ist sicherlich verfassungswidrig und nicht nachzuvollziehen. Der in der geänderten Fassung enthaltene Ausschluss von Kettengeduldeten ist nicht sachgerecht und verfassungsrechtlich ebenfalls zweifelhaft. Die an eine bereits längerfristig bestehende dauerhafte Erwerbstätigkeit geknüpfte Auffangklausel des § 1 Abs. 7 Nr. 3 des Eltergeldgesetzes in der Ausschussfassung mit einer Dreijahresfrist reicht nicht aus, um die Verfassungswidrigkeit der Regelung zu entkräften.
Zweitens. Die Nichtberücksichtigung der steuerfreien Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit bei der Einkommensermittlung ist nach meiner Überzeugung falsch. Wenn das Elterngeld eine Lohnersatzleistung sein soll, wie Sie immer sagen, dann muss auch der gesamte Lohn berücksichtigt werden. Die jetzige Regelung benachteiligt Berufsgruppen in der Industrie und Frauen in typischen Frauenberufen, die etwa Schichtdienst leisten.
Drittens. Es ist unverständlich, warum nicht eine verbesserte Regelung des gleichzeitigen Teilzeitelterngeldbezuges in die Liste Ihrer Änderungen aufgenommen wurde. Schließlich haben viele Verbände darauf hingewiesen, dass hier im Gesetz eine klare Benachteiligung der Betroffenen enthalten ist. Eltern, die gleichzeitig ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung reduzieren, erhalten nur sieben statt 14 Monate Teilzeitelterngeld.
Auch diese Regelung ist verfassungsrechtlich fragwürdig.
Ein Alternativvorschlag der Verbände, der vom Deutschen Juristinnenbund zur Anhörung vorgestellt wurde und ohne weiteres realisierbar wäre, wird von Ihnen, Frau von der Leyen, wie gehabt, charmant lächelnd in die Ablage getan. Wir wenden uns entschieden gegen eine Benachteiligung von Eltern, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz für ein partnerschaftliches Modell der Kinderbetreuung in der ersten Zeit nach der Geburt entscheiden. Ihr Vorschlag ist ein fatales Signal in Richtung Gleichstellungspolitik.
Viertens. Die ausgewiesene Stichtagsregelung führt zu einer Ungleichbehandlung von Familien mit Kindern fast gleichen Alters. Warum bekennen Sie sich nicht zu einer Übergangsregelung, die zeitlich und auch finanziell klar einzugrenzen und überschaubar ist?
Mit einem kühlen Lächeln in den Reihen der Koalition wird dieses Anliegen - von übrigens einigen Tausenden von Petenten - ad absurdum geführt.
Weil die schwarz-rote Regierung mit dem Elterngeld nach eigenen Angaben 155 000 Familien - ich wiederhole: 155 000 Familien - schlechter stellt und nicht danach fragt, wie es nach einem Jahr Elterngeldbezug für diese Familien weitergeht, fordert die Fraktion Die Linke: Erstens. Für Einkommensschwache, Eltern in Ausbildung und Erwerbslose darf das Elterngeld keine finanziellen Einbußen nach sich ziehen. 300 Euro monatlich müssen Eltern über 24 Monate zur Verfügung stehen.
Zweitens. Das Elterngeld darf nicht auf den Bezug von Arbeitslosengeld II und den Kinderzuschlag angerechnet werden. Drittens. Alleinerziehende dürfen nicht benachteiligt werden.
Ihnen muss unabhängig von ihrem Erwerbsstatus wie Paaren bis zu 14 Monate lang Elterngeld gezahlt werden. Viertens. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die die Lebensverhältnisse von Eltern und Kindern verbessern.
Wir stehen für einen Wechsel in der Familien- und Kinderpolitik und fordern eine stärkere Übernahme öffentlicher Verantwortung für Kinder und Familien. Kinder und Familien benötigen soziale Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten, nicht nur schöne Worte, die an der Ernsthaftigkeit zweifeln lassen.
Die Unehrlichkeit der Bundesregierung im Umgang mit Kindern und Familien schreit zum Himmel. Sie feiern sich, weil Sie das Elterngeld auf einen guten Weg gebracht haben.
Im gleichen Atemzug kürzen Sie massiv Sozialleistungen und greifen den Familien heftig in die Taschen. Sie sind stolz darauf, dass Sie durchgesetzt haben, dass Ausländer mit vorübergehender Aufenthaltsgenehmigung vom Elterngeldbezug ausgeschlossen werden und diese Neuregelung keine Anreize zur Zuwanderung nach Deutschland setzt. So war es in einer Presseerklärung zu lesen.
Ich bin der Meinung, dass wir in Bezug auf das Elterngeld nicht auf dem von der Regierung so viel beschworenen guten Weg sind. Wenn dies dann noch als großer Schritt für die Menschheit bezeichnet wird, kann ich für unser Land wirklich nur hoffen, dass diese Regierung bei der Politik der kleinen Schritte bleibt.
Ein Letztes noch an die Koalition. Schon Konfuzius konnte weit in die Zukunft blicken, denn er kannte wohl die große Koalition. So hat er gesagt:
Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/Die Grünen.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ablösung des Erziehungsgeldes und die Einführung eines zeitlich verdichteten, erwerbsbezogenen Elterngeldes kann ein sinnvoller Baustein einer modernen Familienpolitik sein. Ich sage aber bewusst: kann.
Frau Ministerin von der Leyen, Sie haben mit diesem Elterngeld Versprechen verbunden. Sie haben gesagt, es solle dazu beitragen, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Sie selber haben die Erwartung formuliert - junge Familien haben diese Erwartung auch -, dass hiermit eine Überbrückungshilfe für das erste Lebensjahr des Kindes gegeben wird, um danach wieder in den Beruf einzusteigen. Jetzt aber werden viele junge Familien schon nach einem Jahr feststellen können, dass genau dieses Versprechen nicht eingehalten werden kann,
weil es in vielen westdeutschen Flächenländern für diesen Wiedereinstieg keine Betreuungsinfrastruktur gibt.
Diese jungen Familien werden zu Recht den Eindruck haben, dass die Politik ihnen wieder einmal falsche Versprechungen gemacht hat und sie jetzt im Regen stehen lässt. So wird es aussehen.
Das Traurige ist, dass Sie heute den Eindruck hinterlassen haben, dass Sie auf dieser Baustelle nichts, aber auch gar nichts tun wollen, dass Sie daran nichts ändern wollen.
Rot-Grün hat mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz und dem Ganztagsprogramm die richtigen Weichen gestellt.
Jetzt muss der nächste Schritt kommen. Dieser besteht in der Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr.
Man fragt sich in der Tat: Warum gehen Sie diesen Schritt nicht? Sie wissen doch selber, dass ohne diesen Schritt Ihr stolzes Werk zu großen Enttäuschungen führt und ein riesiger Flop wird.
Mein Eindruck ist, dass Sie sich in der Auseinandersetzung um eine moderne Familienpolitik in Ihren eigenen Reihen so aufgerieben haben, dass Sie sich jetzt sozusagen zur Erholung lieber in das Reich der hehren Worte zurückziehen möchten
und bloß nicht die Auseinandersetzung um die Familienpolitik weiterführen wollen, weil Ihnen das offensichtlich zu mühselig geworden ist.
Die Ausgestaltung des Elterngeldes zeigt doch, dass Sie immer noch keine Einigung in der Frage erreicht haben, wohin Sie eigentlich wollen. Worum soll es denn gehen? Soll das Elterngeld eine Überbrückungshilfe für erwerbstätige Frauen darstellen, damit sie dann wieder in die Erwerbstätigkeit einsteigen können, oder handelt es sich um eine Kinderprämie unabhängig von der vorhergehenden Erwerbstätigkeit?
Bei der Auseinandersetzung um den Geschwisterbonus haben Sie sich erst in den allerletzten Tagen geeinigt, ob Sie Anreize für oder gegen Erwerbstätigkeit setzen wollen.
Bei gleichzeitiger Teilzeitarbeit von Eltern ist die jetzt gefundene Lösung immer noch ungerecht.
Sie haben es auf der einen Seite nicht für nötig gehalten, bei Alleinverdienerhaushalten eine Obergrenze für das Partnereinkommen festzusetzen, aber auf der anderen Seite bestrafen Sie Transferleistungsbezieher mit einer Verkürzung der Bezugsdauer. Das ist doch ungerecht und unstimmig.
Sie machen hier Politik nach dem Motto: Dit und dat, von jedem wat. - Das scheint ja geradezu ein Leitmotiv Ihrer Regierungspolitik insgesamt zu sein.
So kann man aber keine stringente und moderne Familienpolitik machen.
Die einzelnen Familien müssen in ihrer Entscheidung nicht stringent sein. Eltern müssen selber entscheiden, was sie wollen. Aber die Politik darf doch nicht beliebig sein. Die Politik muss doch einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen, auch dann, wenn sie eigentlich nicht in ihr Weltbild passen.
Tatsache ist doch, dass die jungen Familien heute eher ein partnerschaftliches Lebenskonzept verwirklichen wollen, dass aber der Wunsch junger Mütter nach Erwerbstätigkeit und die Möglichkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Deutschland ganz besonders schlecht zusammengehen. Tatsache ist, dass wir in Deutschland ein im internationalen Vergleich extrem hohes Armutsrisiko bei Alleinerziehenden haben, aber auch bei Eltern mit kleinem Einkommen. Tatsache ist auch, dass in Ländern mit besseren Erwerbsmöglichkeiten für Frauen und besseren Betreuungsstrukturen mehr Kinder geboren werden und ein besserer Schutz der Familien vor Armut besteht. Wir zahlen zwar besonders hohe Transferleistungen.
Das führt aber keinesfalls dazu, dass die Familien besser vor Armut geschützt sind.
Das sind doch Tatsachen, die man zur Kenntnis nehmen muss.
Man muss auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass die schlechte Betreuungsinfrastruktur dazu führt, dass gerade in Problemstadtteilen, das Recht der Kinder auf frühe individuelle Förderung, das Recht der Kinder auf Bildung von Anfang an, ignoriert und mit Füßen getreten wird. Dieser Gedanke gehört auch dazu.
Wir werden in wenigen Jahren einen Fachkräftemangel haben. Wir leisten uns aber immer noch ein Ehegattensplitting, das Anreize dafür bietet, dass die jungen, gut ausgebildeten Frauen möglichst zu Hause bleiben. Das sind doch alles Baustellen, bei denen wir erwarten können, dass sie von einer Familienministerin angegangen werden.
Ich will gern zugestehen, dass das in Ihren eigenen Reihen nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig ist und keine leichte Auseinandersetzung bedeutet. Aber Sie müssen diese Baustellen angehen.
Sie haben sich auch nicht zu Wort gemeldet, als einige Ihrer Herren Vorschläge für ein Familiensplitting gemacht haben und darüber schwadronierten. Das Familiensplitting setzt im Prinzip das System des Ehegattensplittings, die alte Politik in neuem Gewand fort. Dazu haben Sie nichts gesagt, obwohl das als Familienministerin Ihre Aufgabe gewesen wäre.
Ein Letztes noch zur Stichtagsregelung; Frau Lenke hat es angesprochen. Ich frage mich wirklich, warum Sie sich das antun. Wir können uns doch alle vorstellen, wie es wenige Wochen vor dem Jahreswechsel sein wird. Alle Regionalzeitungen werden voll sein mit entzückenden Bildern von süßen Neugeborenen und wir werden lesen können, dass es für diesen bedauerlichen, armen, kleinen, süßen Fratz kein Elterngeld geben wird, weil er zwei Wochen zu früh auf die Welt gekommen ist. Wer wird dann wohl der Schuldige sein? Die Schuldigen werden doch die Regierung sein und vor allem die gemeine Familienministerin. Warum tun Sie sich das an? Ich begreife das wirklich nicht. Wenigstens an diesem Punkt sollten Sie den Rat der Opposition ernst nehmen. Er ist in diesem Fall nicht nur gut, sondern er ist ausnahmsweise auch gut gemeint.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei Frau Lenke und Herrn Wunderlich war es mir klar. Sie waren Opposition und sie sind Opposition. Sie müssen etwas finden, um gegen ein gutes Konzept zu sein. Aber auf Ihre Rede, Frau Sager, war ich gespannt.
Ich war gespannt darauf, weil ich schon etwas länger dabei bin und mich noch sehr gut an die Diskussionen im letzten Jahr erinnern kann, als Sie in der Regierungsverantwortung waren. Vielleicht hätten Sie einmal in der Rede Ihrer Kollegin Deligöz dazu nachlesen sollen, wie sie sich zu den vagen Vorstellungen des Elterngeldes geäußert hat, die damals bereits auf der Tagesordnung standen.
Ihre Fraktion hat damals an dieser Stelle vehement deutlich gemacht, wie wichtig die Verabschiedung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes mit Blick auf das Elterngeld ist. Jetzt sind Sie in der Opposition und sagen: keine Politik der falschen Versprechungen. Meinten Sie damit Ihre Versprechungen vom letzten Jahr?
Ich mache keinen Hehl daraus, dass es die Frau Ministerin vor allem in den eigenen Reihen nicht leicht hatte. Die Koalitionspartner haben in Sachen Familienpolitik sehr unterschiedliche Vorstellungen. Wir wollen den Familien keine Vorgaben machen, in welcher Form sie zusammenzuleben haben und wie sie ihre Zukunft zu gestalten haben. Die Familien sind klug genug, selber darüber zu entscheiden. Trotz der hohen Zahl der Ehescheidungen wollen sich 89 Prozent der jungen Menschen für Familie und Kinder entscheiden. Es ist uns ein Anliegen, sie dabei zu unterstützen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, durch die es jungen Menschen ermöglicht wird, ihren Wunsch in die Tat umzusetzen.
Ich weiß noch genau, was ich vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt habe. Ich habe mich damals - die ehemalige Ministerin sitzt im Plenum; sie kann sich sicherlich noch daran erinnern - vehement gegen das ausgesprochen, was damals vorgelegt wurde, nämlich ein reines Lohnersatzprogramm für Eltern, die beide berufstätig sind. Das war nicht das, was wir wollten. Wir wollen den Familien nämlich nicht vorschreiben, dass Vater und Mutter arbeiten müssen. Wir wollen vielmehr ein Programm, in dem sich alle wieder finden. Deswegen sind wir dankbar, Frau Ministerin, dass wir es mit dem Mindestelterngeld geschafft haben, dass jede Familie - unabhängig von der doppelten Erwerbstätigkeit - nun von dem Elterngeld profitieren kann. Jede Familie bekommt also mindestens 300 Euro, unabhängig davon, ob beide, also Vater und Mutter, berufstätig sind. Das ist ein Erfolg. Diese Regelung können wir heute gut mittragen.
Wir sehen die Notwendigkeit, Familien in der Phase ihrer Gründung stärker zu unterstützen. Herr Wunderlich, erlauben Sie mir folgende Bemerkung: Ihre Polemik mit den Zitaten fand ich nicht so prickelnd. Ich glaube, das haben Sie gar nicht nötig. Außerdem ist es für unser Vorhaben nicht hilfreich, wenn man so billig und polemisch argumentiert. Diese Polemik sollten Sie an dieser Stelle besser unterlassen.
Wir wollen den Familien in den Situationen, in denen der finanzielle Verlust am schmerzhaftesten ist, einen Ausgleich geben. Das Elterngeld beträgt 67 Prozent des Nettoeinkommens bis zu einer Maximalgrenze von 1 800 Euro monatlich und ist auf ein Jahr angelegt. Trotzdem gibt es Vorwürfe, das sei das ?Wort zum Sonntag“ und es sei unklar, was nach Ablauf des Jahres komme.
Frau Ministerin, Sie sind zwar noch nicht lange im Amt. Aber die Vehemenz, mit der Sie in der kurzen Zeit familienpolitische Leistungen durchgesetzt haben, haben wir in den vergangenen Jahren nicht erlebt. Dafür danke ich Ihnen im Namen der Familien ganz herzlich.
- Ich denke dabei an die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, um die es am Anfang des Jahres einen harten Kampf gab. Diesen Kampf hat die Familienministerin ausgefochten und sich für die Familien eingesetzt, obwohl sie dafür doch gar nicht federführend zuständig war. Frau Kressl, auch Sie dürfen einmal lobend erwähnen, dass das eine gute Sache für die Familien in unserem Lande ist.
Mit der Geringverdienerkomponente - Frau Lenke hat sie kompliziert vorgerechnet -
gehen wir einen richtigen Weg. Es muss deutlich sein, dass sich Arbeit immer lohnen muss. Es kann nicht darum gehen, alle Menschen in allen Lebenssituationen finanziell gleich zu stellen. Ich halte die Geringverdienerkomponente, wie gesagt, für einen guten Weg. Denn: Auch wenn die Eltern weniger verdienen, lohnt es sich für sie, eine Arbeit aufzunehmen.
Ein Lieblingsthema der Union in den letzten Monaten waren sicherlich die Partnermonate.
Man soll ja ehrlich miteinander umgehen. Wenn man sich die Auswertung von Umfragen einmal ansieht - auch innerhalb der CDU und ebenso der CSU; ich will die CSU nicht außer Acht lassen -,
dann stellt man fest, dass 67 Prozent aller befragten Männer diese Partnermonate begrüßen. Kollege Singhammer wird es gleich sicherlich noch einmal sagen: 53 Prozent der berufstätigen Männer zwischen 18 und 45 Jahren begrüßen diese Partnermonate, weil sie sich gerne um die Kinder kümmern wollen. Ein Drittel der befragten Männer hat allerdings gesagt - das hat uns Frauen nicht maßlos erstaunt -, auf Hausarbeit hätten sie keine Lust. Aber diese Arbeit gehört nun einmal zur Familienarbeit. 88 Prozent der berufstätigen Frauen haben gesagt - das war für uns für die Entwicklung des Elterngeldkonzeptes ausschlaggebend -, dass sie sich gerne um ihre Kinder kümmern und Kinder erziehen wollen, dass sie aber auch berufstätig bleiben wollen. Das zeigt uns, dass dieses Konzept richtig ist und dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Genauso richtig und wichtig ist für uns, dass wir den Bezugszeitraum von einem Jahr auf zwei Jahre erweitert haben, wenn es die finanziellen Verhältnisse möglich machen. Das heißt, man kann das Elterngeld auf zwei Jahre splitten und somit den Bezug verlängern. Das ist richtig und wichtig.
Ein letzter Punkt, den ich inhaltlich ansprechen möchte, ist der Geschwisterbonus. An dieser Stelle muss man deutlich machen, wie aufnahmefähig wir waren. Frau Lenke und Frau Sager sagten, die Regierung solle sich auch einmal die Vorschläge der Sachverständigen und der Opposition anhören. An dieser Stelle möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön an den Juristinnenbund in Person von Frau Fuchsloch aussprechen,
die sich wirklich bemüht hat, die in einer Anhörung geäußerten Meinungen der Sachverständigen zusammenzuführen und zu einer einheitlichen Vorgehensweise zu kommen. Diese Regierung hört zu, das unterscheidet sie sicher von den Vorgängerregierungen. Wir nehmen gut gemeinte Vorschläge auf und arbeiten sie in unsere Vorlagen ein.
- Es waren mehr als zwei, Frau Lenke. Sie sind an anderer Stelle nicht in der Lage, überhaupt einen aufzunehmen. Insofern seien Sie froh, dass wir diese aufnehmen konnten.
Wir haben den Vorschlag des Juristinnenbundes aufgenommen. Das heißt, der Geschwisterbonus ist so formuliert worden, wie er vorgeschlagen wurde. Wird innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ein zweites Kind geboren, wird das Elterngeld um 10 Prozent, mindestens aber um 75 Euro erhöht. Das ist sicherlich nicht viel - diese Kritik wird geäußert -; aber es ist ein Zeichen, das uns allen und vor allen Dingen den Familien gut tut, die sich auch für ein zweites und drittes Kind entscheiden. Denn wir haben ja nicht nur das Problem der Kinderlosigkeit, sondern auch das Problem, dass uns die Mehrkinderfamilien fehlen. Dadurch haben wir keinen Ausgleich, der ansonsten vorhanden wäre. Wir haben also ein Zeichen gesetzt, sich für mehr Kinder auszusprechen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Immer wieder gern.
Ina Lenke (FDP):
Frau Fischbach, Sie haben sicher genau wie ich viele Briefe von Studentinnen bekommen, die beklagen, dass die jetzigen Regelungen zum Elterngeld für sie sehr nachteilig sind. Sie bekommen nämlich nur ein Jahr und nicht zwei Jahre Elterngeld. Sie haben gerade gesagt, wir alle wollten, dass Frauen früher das erste Kind bekommen, damit dann auch ein zweites und ein drittes Kind komme. Ich bin der Meinung, dass es gerade Studentinnen durch finanzielle Hilfe ermöglicht werden sollte, ein Kind großziehen zu können. Wenn sie dann berufstätig sind, haben sie schon einen Ganztagskindergartenplatz für ihr Kind. Diese Möglichkeit haben Sie aber in dem vorliegenden Gesetzentwurf verschlechtert. Ich würde Sie gerne fragen: Warum haben Sie diese zum Beispiel für Studentinnen schlechtere Komponente gewählt?
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Frau Lenke, natürlich kann man sagen: Ein Jahr ist viel zu wenig, damit verschlechtert sich die Situation. Gerne hätten wir zwei, drei, sechs oder auch zehn Jahre vorgesehen; da bin ich mit Ihnen vollkommen d’accord.
Verantwortungsvolle Politik heißt aber auch, die Rahmenbedingungen zu beachten. Da die Kassenlage ist, wie sie ist, muss man bestimmte Vorgaben berücksichtigen; das ist das eine.
Das Zweite ist - da hoffe ich auf Ihre Unterstützung, darauf, dass Sie zum Beispiel der Fraktion der FDP in Nordrhein-Westfalen Hilfestellung geben; sie ist dort zusammen mit der Fraktion der CDU in der Regierungsverantwortung -, dass wir zum Beispiel auch Hochschulabsolventinnen und Studentinnen mehr Kinderbetreuungsangebote eröffnen müssen. Das ist etwas, das wir ganz schnell gemeinsam lösen könnten. Ich würde mich freuen, wenn wir beide gemeinsam einen solchen Vorstoß machen würden. Das heißt, wir müssen die Rahmenbedingungen für junge Frauen, die sich im Studium befinden, verbessern.
Das heißt ferner, Angebote für die qualitativ gute Betreuung der Kinder zu schaffen. Das machen wir zusammen als eine Initiative; darauf freue ich mich sehr. Das können wir ganz schnell umsetzen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal von der Kollegin Kressl?
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Da die Uhr angehalten wird, jederzeit.
Nicolette Kressl (SPD):
Frau Kollegin, ich konnte leider bei den Ausschussberatungen nicht dabei sein. Deshalb wollte ich nachfragen. Sie haben doch sicherlich im Ausschuss miteinander besprochen, dass es überhaupt nicht wahr ist, dass es eine besondere Benachteiligung von Studentinnen gibt, dass es im Gegenteil aufgrund der Geringverdienerregelung, wenn Studentinnen und Studenten - was sie ja sehr häufig tun - einen Job haben, sogar sein kann, dass sie im Vergleich zum bisherigen Erziehungsgeld besser gestellt werden?
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Das ist sehr richtig; ich danke Ihnen für die Klarstellung. Wir müssen aber sagen, dass das für ein Jahr gilt. Insofern hat Frau Kollegin Lenke nicht ganz Unrecht. Aber es gibt hier eine deutliche Besserstellung im ersten Jahr und auch das darf man erwähnen. Ich danke Ihnen noch einmal für die Klarstellung.
Die Sachverständigen des Siebten Familienberichts haben sich natürlich auch zum Elterngeld geäußert. Sie haben festgestellt - ich möchte zitieren -:
Ein einkommensabhängiges Elterngeld hat ... die gleiche Bedeutung wie die ... Fortbildung für den Beruf, denn es ist eine Freistellung von der Erwerbsarbeit zur Unterstützung der Entwicklung von Humankapital einer Wissensgesellschaft.
Hier wird noch einmal ganz deutlich, welche besondere Verantwortung junge Paare übernehmen, wenn sie Kinder bekommen und sich der Erziehung ihrer Kinder widmen. Wir sollten gemeinsam alles tun, damit die Rahmenbedingungen für junge Eltern besser werden, als sie bisher gewesen sind. Das würde es ermöglichen, dass die Entscheidung für das Kind spontaner, schneller und normaler getroffen wird. Wir sind uns doch auch alle darüber im Klaren: Wenn wir, die wir jetzt Eltern sind, damals alle überlegt hätten, ob es der richtige Zeitpunkt ist, ein Kind zu bekommen, hätten wir viele Kinder nicht bekommen. Wir haben es damals als normal empfunden, Kinder zu bekommen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, den wir in unseren Betrachtungen nicht außer Acht lassen dürfen.
Wir brauchen eine kinder- und familienfreundlichere Gesellschaft. Sie können mir glauben: Wenn es dazu eine Gesetzesvorlage gäbe, hätten wir sie schon längst auf den Weg gebracht. Sie gibt es aber nicht. Beginnen muss das in unseren Köpfen. Ich kann nur dafür werben, dass wir unsere täglichen Handlungen daraufhin überprüfen, ob wir wirklich so kinderfreundlich sind, wie wir manchmal tun. Ich glaube, an der einen oder anderen Stelle täte uns ein wenig mehr Kinderfreundlichkeit gut. Das ist ein Zeichen, das die jungen Leute brauchen, das die Familien brauchen, um zu erkennen: Sie werden von uns, den Politikern, geachtet, respektiert und gefördert.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Lassen Sie mich mit einem Zitat von Bischof Huber über die Bedeutung der Familie schließen:
Heute geht es darum, die Bedeutung der Familie wie das Glück mit Kindern neu zu entdecken. ... Für beides ist neues Zutrauen nötig. Ein Zutrauen zur Leistungsfähigkeit unserer Familien. Und ein Zutrauen zu einem Leben mit Kindern.
Wir von CDU/CSU haben dieses Zutrauen: Für unsere Familien, für unsere Kinder, für unsere Zukunft!
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-Fraktion.
Sibylle Laurischk (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, an Ihrem Gesetzentwurf gefällt mir gut, dass Sie das Thema der Väter in den Blick genommen haben. Das Stichwort ?Vätermonate“ hat mir die Hoffnung gegeben, dass die Bedeutung der Väter in der Diskussion stärker herausgestellt wird. Ich sage bewusst als alleinerziehende Mutter und Scheidungsanwältin: Väter finden in Deutschland zu wenig statt.
Dennoch bleiben - das muss ich insbesondere nach der Diskussion im Ausschuss feststellen - verfassungsrechtliche Bedenken. Deswegen wird die FDP-Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnen müssen.
Die Vermischung von einkommensunabhängiger Sozialleistung, nämlich dem Mindestelterngeld in Höhe von 300 Euro, das allen Eltern in Anerkennung ihrer Erziehungsleistungen anrechnungsfrei gezahlt werden soll, und der gleichfalls aus Steuermitteln gewährten Einkommensersatzleistung, dem eigentlichen Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des letzten über einen Zeitraum von zwölf Monaten erzielten Einkommens, fällt uns besonders ins Auge. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz ist die Grundlage für das Mindestelterngeld als einkommensunabhängige Sozialleistung nach Bedürftigkeit. Als Grundlage für die Gewährung als Einkommensersatzleistung reicht das nicht. Die verfassungsrechtlich saubere Lösung wäre eine beitragsfinanzierte Leistung, wie es sie in Schweden gibt.
Einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot nach Art. 3 Grundgesetz hat der Bundesrechnungshof aufgezeigt. Wir nehmen das ernst. Die Bezieher von ALG I werden sehr wohl 300 Euro Mindestelterngeld erhalten, nicht jedoch die Berechtigten, die zuvor gearbeitet haben; sie erhalten lediglich 67 Prozent ihres bemessungserheblichen Einkommens als Entgeltersatzleistung. Insoweit sind diejenigen, die zuvor gearbeitet haben, unter Umständen schlechter gestellt als zuvor arbeitslose Bezieher von Elterngeld. Bezüglich des Leistungsbezuges werden also zuvor Arbeitslose völlig ungerechtfertigt besser gestellt als diejenigen, die bis zur Geburt des Kindes gearbeitet haben.
Selbstständige, die mehr als 30 Stunden arbeiten, werden nicht einmal das Mindestelterngeld erhalten. Das ist eine Entmutigung für erwerbstätige Frauen.
Nicht nachvollziehbar ist, warum Alleinerziehende, die vor der Geburt gearbeitet haben, zwei Partnermonate anerkannt bekommen sollen, erwerbslose Alleinerziehende dagegen nicht. Auch im Ausschuss erhielten wir auf diese Frage keine Antwort. Paare, die sich die Erwerbsarbeit und die Betreuungsarbeit parallel aufteilen, werden das Elterngeld nur für die verkürzte Bezugsdauer von sieben Monaten erhalten. Auch das ist für uns nicht nachvollziehbar.
Hinweisen möchte ich auf die Benachteiligung von Ausländern. Dieses Thema wurde im Ausschuss noch schnell nachgeschoben. Frau Ministerin, Sie sind für Frauen zuständig. Ich glaube, dass diese Regelung gerade ausländische Frauen sehr einschränken wird.
Es bleibt mir leider nicht mehr Redezeit. Deswegen komme ich zu meinem Resümee, zum Resümee der FDP-Fraktion: Frau Ministerin, Sie handeln nach dem Motto ?Augen zu und durch!“. Dieses Gesetz wird Ihnen aber auf die Füße fallen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Kucharczyk, SPD-Fraktion.
Jürgen Kucharczyk (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Lesung zum Elterngeld setzt die jetzige Koalition in der Familienpolitik den richtigen Weg, den die vorherige Regierung eingeschlagen hat, konsequent fort. Der Siebte Familienbericht macht deutlich: Das Elterngeld, das es beiden Elternteilen ermöglicht, eine berufliche Auszeit zu nehmen, ist der richtige Weg in eine Zukunft der verantwortlichen Gleichstellungs- und Familienpolitik.
Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf keineswegs nur ein Frauenthema. Junge Eltern haben heute den Anspruch, selbst zu entscheiden, wer von beiden wie lange zu Hause bleibt, um ohne finanzielle Engpässe für ein Kind zu sorgen. Dafür bietet das Elterngeld die notwendige Flexibilität. Im ersten Lebensjahr des Kindes erhält ein nicht voll erwerbstätiges Elternpaar die Option auf eine Lohnersatzleistung in Höhe von 67 Prozent des vormaligen Nettoeinkommens des betreuenden Elternteils. Mit mindestens 300 Euro - auch für zuvor nicht arbeitende Eltern - und maximal 1 800 Euro unterstützen wir junge Familien bei ihrer wichtigen Aufgabe der Kinderbetreuung in den ersten Monaten. Bei einer Mindestbeteiligung der Väter von zwei Monaten wird das Elterngeld 14 Monate lang gezahlt.
Im Gegensatz zum Erziehungsgeld kombinieren wir nun eine höhere finanzielle Unterstützungsleistung mit einer kürzeren Laufzeit. Das entspricht den aktuellen Lebensumständen junger Eltern. Sie möchten ihren Lebensstandard nicht gefährden und haben beruflich kaum Aufstiegsmöglichkeiten, wenn sie für mehrere Jahre aus dem Arbeitsleben ausscheiden.
Dem Anschein nach entscheiden sich heute viele junge Männer gegen die Gründung einer Familie. Ist diese Aufgabe wirklich eine Last? Ist es so viel weniger attraktiv, Kinder zu bekommen und zu erziehen, als dem Beruf absoluten Vorrang einzuräumen? Es muss einmal ganz deutlich gesagt werden: Kinder machen Spaß. Sie bereichern das Leben und sind eine schöne Herausforderung, für die es sich lohnt, zu kämpfen.
Als zweifacher Vater und zweifacher Großvater kann ich Ihnen das versichern.
Eine Meinungsumfrage des Forschungsinstituts Ipsos unter Männern hat ergeben, dass sich 68 Prozent der befragten Männer durchaus vorstellen können, Elternzeit zu nehmen. Das zeigt deutlich: Väter wollen heute bewusst mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die Realität zeigt leider, dass vielen, die heutzutage eine Auszeit vom Job für ihre Kinder nehmen, dies, insbesondere in Führungspositionen, als Nachteil in den Unternehmen ausgelegt wird. Dort setzen wir nun in einem ersten wichtigen Schritt mit dem Elterngeld an. Die Unternehmensvorstände würden gut daran tun, sich an unseren skandinavischen Nachbarländern zu orientieren. Am dortigen System wird deutlich, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktionieren kann.
Laut einer DIW-Studie ist es für Männer außerordentlich wichtig, über ein stabiles Einkommen zu verfügen, ehe sie eine Familie gründen. Gerade für Väter ist die Höhe des Nettolohns entscheidend, um außerberufliches, familiäres Engagement attraktiv zu gestalten. Seit der Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes 2001, das bis zu 30 Wochenstunden Erwerbsarbeit während der Inanspruchnahme der Elternzeit zulässt, sind immerhin 5 Prozent der Personen in Elternzeit Männer. Diejenigen Elternpaare, die heute keine Elternzeit in Anspruch nehmen, begründen dies überwiegend mit finanziellen und beruflichen Nachteilen. Auch beim traditionellen Hausfrauenmodell, bei dem der Ehemann voll berufstätig ist und die Ehefrau keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wäre eine Auszeit des Vaters untragbar.
60 Prozent der Personen in Elternzeit entscheiden sich heute noch für das traditionelle Modell: Der Vater ist in Vollzeit berufstätig, während die Mutter die Elternzeit in Anspruch nimmt und keiner Erwerbsarbeit nachgeht. Danach nimmt die Mutter ihre zuvor ausgeübte Tätigkeit - jedoch meist in Teilzeit - wieder auf.
Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen bewegen fast ausschließlich Frauen dazu, die Elternzeit zu beanspruchen. Nur wenn keine finanziellen Nachteile zu erwarten sind, werden auch Väter die Elternzeit vermehrt in Betracht ziehen. Insgesamt sind 50 Prozent der elternzeitberechtigten Haushalte der Meinung, dass das jetzige Erziehungsgeld nicht ausreicht, um den zu erwartenden Einkommensverlust auszugleichen.
Wir sehen, weitere Wege in der Familienpolitik sind notwendig. Deshalb liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass junge Männer ebenso wie ihre Altersgenossinnen dazu bereit sind, ein Stück Lebenszeit in ihre Familie zu investieren.
Dabei gilt es aber auch, mit unserem familienpolitisch eingeschlagenen Weg die Rahmenbedingungen für Familien in den Bereichen Infrastruktur, Betreuungsangebote und Hilfen für Eltern insgesamt fortzusetzen. Ein entscheidender Baustein, die beruflichen Unsicherheiten zu minimieren und so bei Vätern einen Anreiz für das Leben mit Kindern zu schaffen, wird das Elterngeld sein. Nach seiner Einführung haben Unternehmen keinen Grund mehr, automatisch davon auszugehen, dass die Frau mit Gründung einer Familie ihre vermeintlich vorbestimmte Rolle als Familienmanagerin einnimmt. Die Chancengleichheit im Beruf wäre damit ein weiteres Stück nach vorn gebracht.
Solange es allerdings Personalverantwortliche gibt, die junge Frauen bei der Arbeitsplatzvergabe benachteiligen, weil sie im gebärfähigen Alter sind, wird das Problem der Kinderlosigkeit in unserer Gesellschaft mit dem Elterngeld allein nicht gelöst.
Denn nur eine aufgeklärte und zukunftsorientierte Gesellschaft wird nicht mehr thematisieren, dass Frauen Rabenmütter sind, wenn sie arbeiten, sondern es als normal ansehen.
Fakt ist, dass bislang nur die Hälfte aller Mütter aus der Elternzeit in die Erwerbstätigkeit zurückkommen. Das sind zu wenig. Die Berufstätigkeit von Frauen gerade in Zeiten eines drohenden Fachkräftemangels zu fördern, muss in unser aller Interesse sein.
Dazu gehört allerdings auch, wirtschaftspolitisch etwas zu unternehmen, um dem Trend von immer weniger festen Arbeitsplätzen hin zu immer mehr Patchworkbiografien Einhalt zu gebieten. Auch die deutsche Wirtschaft trägt Mitverantwortung für die künftigen Generationen in unserem Land. Praktika, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit oder - im schlimmsten Fall - Erwerbslosigkeit bieten zu wenig materielle Sicherheit, um Kinder großzuziehen. Arbeitsplatzsicherheit und die Perspektive, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, werden dazu beitragen, dass sich Männer und Frauen eher für Kinder entscheiden.
Eine nachhaltige Familienpolitik muss, wenn sie eine zukunftsorientierte Änderung der bestehenden Rollenverteilung anstrebt, umso mehr auch Geschlechterpolitik sein. Für unsere Gesellschaft ist es wertvoll und unerlässlich, dass auch berufstätige Karrierefrauen Kinder bekommen und ihnen ein Vorbild sein können.
Daher möchte ich betonen: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um zu verdeutlichen, dass wir die Leistungen für Familien nicht auf das erste Jahr beschränken wollen, erinnere ich ausdrücklich an das Tagesbetreuungsausbaugesetz, welches den Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten vorsieht, und die steuerliche Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen.
Selbstverständlich gibt es auch im Hinblick auf das Elterngeld noch Verbesserungsvorschläge. Für uns Sozialdemokraten sind nicht alle Entscheidungen zufriedenstellend, aber wir haben einen Kompromiss ausgehandelt, mit dem wir unsere erfolgreiche Familienpolitik der letzten Wahlperiode fortsetzen. Für die Bezieher des ALG II bzw. der Grundsicherung haben wir eine Regelung realisiert, die vorsieht, dass für die Dauer von zwölf Monaten ein Elterngeld in Höhe von 300 Euro gezahlt wird. Diese Ergänzung des Elterngeldes um ein Leistungselement für Eltern mit geringem Einkommen ist wichtig, um allen Erziehenden eine Mindestleistung zu garantieren.
Mit dem Elterngeld treffen wir die richtige Entscheidung für die Zukunft. Mit der Förderung der Elternzeit für beide Erziehungsberechtigten legen wir den Grundstein für einen Wandel vom nicht mehr zeitgemäßen Hausfrauenmodell hin zu einer emanzipierten und geschlechtergerechten Gesellschaft. Mit dem Elterngeld sind wir auf dem richtigen Weg. Wir in der Koalition reden nicht nur über bessere Familienpolitik, sondern wir packen sie auch kreativ und konstruktiv an.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Fischbach, Sie haben der Ministerin gerade gratuliert, dass sie das Elterngeld durchgesetzt hat. Dazu sage ich von meiner Seite - hier haben Sie Recht -: Das tue auch ich. Aber die Frage ist doch nicht, warum sich die Ministerin durchgesetzt hat, sondern warum Sie ihr mit all dem, was Sie gesagt haben - die Stichworte lauten: Wickelvolontariat, Bevormundungen und Ähnliches -, so viele Steine in den Weg gelegt haben. Sie hätten ihr diese Steine erst gar nicht in den Weg legen sollen. Dann hätte sie es womöglich viel leichter gehabt und dann hätten Sie ihr auch nicht auf diese Weise gratulieren müssen.
Herr Kucharczyk, Sie haben Recht: Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit. Wir wissen nicht, wie sich das Elterngeld auswirken wird. An einem Punkt bin ich allerdings etwas optimistisch: Ich erhoffe mir sehr, dass sich zumindest bei den Vätern etwas tun wird. Denn junge Väter wollen mehr partnerschaftliches Miteinander. Die Rahmenbedingungen und der dazu nötige finanzielle Spielraum werden nun endlich geschaffen. Man kann die jungen Väter nur noch auffordern: Ergreift diese Chance! Allerdings haben sie jetzt auch eine Ausrede weniger, wenn es nach wie vor so sein sollte, dass ihre Frauen die Erziehungsarbeit allein bewältigen und das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie allein lösen müssen.
Hier ist auch die Initiative der Väter gefragt.
Nun komme ich zu meinen Kritikpunkten: Noch gestern habe ich eine Pressemeldung der CDU gelesen, in der sie die ursprüngliche Fassung der Regelung der Partnermonate als staatliche Bevormundung betitelt hat.
Den qualitativen Unterschied zwischen der Formel ?10 plus 2“ und der Formel ?12 plus 2“ konnte mir bisher niemand erklären.
Das liegt daran, dass es keinen gibt. Daher werden auch Sie einen solchen Unterschied hier nicht darstellen können. Entweder sind beide Modelle eine staatliche Bevormundung oder keines der beiden Modelle ist eine staatliche Bevormundung. Werden Sie sich endlich einmal einig, was Sie eigentlich wollen!
Von Ihrer Seite wurde gesagt, Studierende würden nicht schlechter gestellt. Das ist aber die Unwahrheit. Das stimmt nicht. Für ein Paar, das sich für das Hausfrauenmodell entscheidet, gilt das Modell ?12 plus 2“. Ein Paar, das sich entscheidet, während der Elternzeit zu studieren, erhält das Elterngeld aber nur zwölf Monate lang.
- Doch, genau das machen Sie. Wenn Studierende nur 12 Monate Elterngeld bekommen und alle anderen 14, gibt es eine Ungleichheit. Das gilt erst recht für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger: Auch diesen werden nur 12 Monate Elterngeld gewährt. Diese soziale Ungleichheit können Sie eigentlich nicht verteidigen.
Geschwisterbonus. Sie sagen, Sie hätten den Zeitraum, um in den Genuss des so genannten Geschwisterbonus zu kommen, auf 36 Monate verlängert. Schauen Sie einmal genau nach, was Sie eigentlich gemacht haben: Sie haben nicht die Geschwisterbonusregelung geändert, sondern Sie haben deutlich mehr Anreize für die Erwerbstätigkeit von Frauen nach der Geburt des ersten Kindes gesetzt,
indem Sie die Bemessungsgrundlage verändert haben. Ich finde es gut, dass Sie das gemacht haben;
denn damit fördern Sie nicht das Zuhausebleiben, sondern die Erwerbstätigkeit.
Aber stehen Sie endlich dazu! Ihre Ministerin tut das auch; das ist gut so. Warum verstecken Sie sich hinter Floskeln, warum sagen Sie nicht einfach, was Sie machen? Das wäre eine ehrliche Politik.
Mein letztes Argument: Ich weiß, Sie möchten das R-Wort nicht hören. Gemeint ist der Rechtsanspruch. Kinderbetreuung ist für Sie ein unbeherrschbares Naturereignis. Sie verstecken sich hinter den Kommunen und den Ländern, wenn Sie darauf verweisen, dass der Bund nichts tun könne.
Ich kann nur eins sagen: Für einen Rechtanspruch ist der Bund zuständig. Wir auf Bundesebene können den Rechtsanspruch einführen.
Wir müssen ihn einführen. Solange wir das nicht tun, wird sich auf dem Markt wenig tun. Das Tagesbetreuungsausbaugesetz war gut. Aber es muss mehr Betreuungseinrichtungen geben. Sonst wird Ihr Elterngeld ins Leere laufen und nur zu Mitnahmeeffekten führen - und zwar der Besserverdienenden. Das kann ja wohl nicht Ziel der Familienpolitik sein!
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
Johannes Singhammer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige tun hier so, als werde mit dem Elterngeld, das wir am heutigen Tag verabschieden wollen, ein Sorgenkind den politischen Lebensweg beginnen. Das Gegenteil ist der Fall: Für die meisten Eltern ist das Elterngeld ein Wunschkind, auf das sie sehnlich warten.
Die Kinderstube ist gut ausgestattet, für die Erziehung wird gesorgt - das Elterngeld wird eine gute Zukunft haben. Bis zu 1 800 Euro im Monat plus Kindergeld beträgt die höchstmögliche Transferleistung. 300 Euro als Mindestelterngeld, ohne großen bürokratischen Aufwand, plus - beim ersten Kind - 154 Euro Kindergeld macht 454 Euro für jedermann, für jederfrau, für jedes Elternpaar. Das ist doch kein Pappenstiel! Ich verstehe nicht, wie man hier krampfhaft versuchen kann, das Elterngeld kleinzureden, es madig zu machen. Freuen wir uns doch, dass wir gemeinsam einen Schritt nach vorne gemacht haben!
Für uns ist wichtig, dass die unterschiedlichen Lebensmodelle berücksichtigt werden, das heißt, auch die klassische Familie zu ihrem Recht kommt. Deshalb war für uns auch entscheidend, ein Mindestelterngeld vorzusehen. Selbstverständlich ist es ein Vorteil, wenn für die Vätermonate statt der Regel ?12 minus 2“ - das heißt 10 Monate, wenn der Vater nicht aussetzt - ?12 plus 2“ gilt, was bedeutet, dass zwei Bonusmonate hinzukommen, wenn der Vater aussetzt. Wer nicht erkennt, dass dies ein erheblicher Vorteil ist, sollte einmal die Grundrechenarten durchgehen! Wir sind froh, dass wir die Elternmonate bzw. Vätermonate durchgesetzt haben. Das ist eine Verbesserung.
Ebenso wichtig war uns die Einführung einer Geringverdienerkomponente, das heißt, dass Menschen mit wenig Einkommen nicht mit Arbeitslosengeld-II-Empfängern gleichgesetzt werden und dass für Familien, in denen der betreuende Elternteil vor der Geburt des Kindes weniger als 1 000 Euro netto verdient hat, das Elterngeld von 67 auf 100 Prozent des Nettoeinkommens angehoben werden kann.
Das ist auch wichtig für die Gruppen, über die wir gerade gesprochen haben, weil das im Einzelfall eine Besserstellung bedeutet.
Auch an die Kolleginnen und Kollegen von der FDP gerichtet, sage ich: Dahinter verbirgt sich ein Grundsatz, den auch Sie, so denke ich, alle unterschreiben können: Arbeit muss sich immer lohnen - auch beim Elterngeld.
Kinderreichtum darf nicht materielle Armut bedeuten. Deshalb war es für uns wichtig, einen Geschwisterbonus einzuführen. Ursprünglich waren 24 Monate im Gesetzentwurf vorgesehen. Auch das war schon ein Fortschritt. Nun ist es uns mit der Ausdehnung auf 36 Monate gelungen, eine größere Wahlfreiheit zu garantieren. Das heißt, niemand wird bei der Familienplanung unter Druck gesetzt. Ich glaube, dass das ein wichtiger Schritt ist, um die Familien mit mehr Kindern, die in dieser Debatte immer wieder beschworen worden sind, ein Stück weit voranzubringen. Darüber bin ich froh.
Schließlich ist noch ein weiterer Punkt von Bedeutung: Das Elterngeld wird attraktiv sein. Die Menschen warten darauf. Wir wollen aber auch, dass dadurch nicht falsche Anreize für die Immigration ausgelöst werden. Deshalb war es uns wichtig, dass Nichtdeutsche, die sich nur vorübergehend in unserem Land aufhalten, eben kein Elterngeld erhalten können. Das ist auch gerechtfertigt; denn ein Spezialitätenkoch beispielsweise, der sich nur für einige Zeit hier in Deutschland aufhält, hat einen anderen Status als jemand, der dauerhaft in Deutschland lebt.
Wir freuen uns, dass die Wirtschaft dieses Elterngeld gut angenommen hat. In einer kürzlich durchgeführten Befragung wurde festgestellt, dass sich eine große Mehrheit von 72 Prozent mitverantwortlich dafür sieht, den Beschäftigten die Entscheidung für Kinder zu erleichtern. Das ist ein erheblicher Fortschritt. Viele der befragten Arbeitgeber zeigen sich jetzt auch für konkrete Maßnahmen offen, durch die insbesondere der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben erleichtert wird.
Ich sage an dieser Stelle aber auch, dass wir uns mit dem Elterngeld nicht begnügen wollen. Das ist ein erster wichtiger Schritt. In dem Siebten Familienbericht, um den es in dieser Debatte auch geht - die Ministerin hat das zu Recht angesprochen -, wird festgestellt, dass die Situation der Familien nach wie vor alles andere als befriedigend ist, was insbesondere der Blick auf die Geburtenzahlen zeigt, und dass der Maßnahmenkatalog, in dem die vielen Leistungen an die Familien stehen, alles andere als transparent und übersichtlich ist.
Deshalb begrüße ich es, dass die 145 Familienleistungen auf den Prüfstand gestellt werden, dass wir sie bewerten und dann versuchen - das werden wir nicht nur versuchen, sondern auch schaffen -, einige breite Schneisen für eine übersichtliche Familienförderung zu schlagen.
Die durch den reduzierten Bürokratieaufwand eingesparten Mittel wollen wir für die Familien reservieren und ausgeben. Ich denke, dass dem alle hier zustimmen können.
Das gilt auch für die so genannte demografische Rendite. Immer häufiger ist zu hören, man könne hier und dort etwas einsparen. Das betrifft alle Körperschaften. Durch den Geburtenrückgang ist in der Tat für viele - auch für die Kommunen - eine neue Situation entstanden. Es gibt immer weniger Kinder. Deshalb werden auch weniger Aufwendungen notwendig.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Johannes Singhammer (CDU/CSU):
Aber sehr gerne.
Ina Lenke (FDP):
Herr Grübel, Herr Singhammer und ich haben ein gutes kollegiales Verhältnis. Das mag zwischen Ihnen und mir ja anders sein.
Herr Singhammer, ich habe eine wirklich ernsthafte Frage. Wir alle wollen, dass die 145 Familienleistungen zusammengeführt und geprüft werden. Wir müssen uns fragen, welche notwendig sind und welche erhöht oder gestrichen werden müssen. Meine Frage lautet: Warum ist das nicht im ersten Schritt geschehen? Bezogen auf dieses Ergebnis hätte dann ein neuartiges Elterngeld entstehen können. Warum kommt der zweite Schritt vor dem ersten?
Johannes Singhammer (CDU/CSU):
Liebe Frau Kollegin Lenke, das Vorhaben, die 145 Familienleistungen zu bewerten, zu prüfen und neu zu ordnen, ist eine geradezu titanenhafte Aufgabe. Damit werden nämlich 50 Jahre Familienpolitik in Deutschland neu bewertet und erarbeitet. Das kann nicht in ein paar Wochen geschehen.
Uns war wichtig, dass das Elterngeld, das wir versprochen haben, rasch und unverzüglich auf den Weg gebracht wird. Schneller als bis zum 1. Januar kommenden Jahres war das nicht möglich. Wir sind froh, dass wir das geschafft haben. Ich versichere Ihnen: Wir werden die Neuordnung der Familienleistungen zügig angehen und erfolgreich sein.
Lassen Sie mich kurz meinen Gedanken zu Ende bringen. Der Geburtenrückgang wird in vielen Bereichen des Finanzwesens zu Einsparungen führen. Diese Einsparungen dürfen aber nicht zur Konsolidierung der Haushalte verwandt werden. Wir brauchen hier zumindest eine Aufrechterhaltung des Status quo in allen Bereichen der öffentlichen Haushalte, sodass Leistungen im Sinne von Kinder- und Familiengerechtigkeit auf dem bisherigen Niveau bleiben. Jeder durch Geburtenrückgang eingesparte Euro soll und sollte für Familien verwandt werden; das ist ganz wichtig.
Die finanzielle Gerechtigkeit wird weiterhin eine große Rolle spielen. Das ist aber nicht der einzige Punkt. Wichtig ist auch ein Umdenken in den Köpfen in unserem Land. Familien und Kinder gehören in unsere Gesellschaft. Mit dem Elterngeld haben wir nicht nur die langjährige Forderung erfüllt, ein finanzielles Ausgleichssystem zu schaffen und so die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, sondern wir haben auch dazu beigetragen, dass Familien und Kinder bei uns einen ganz hohen Stellenwert haben. Diesen werden wir weiter ausbauen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Christel Humme, SPD-Fraktion.
Christel Humme (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Entgegen dem, was in der Medienlandschaft nachzulesen ist, hat sich Rot-Schwarz am heutigen Tag geeinigt.
Wir verabschieden heute das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes. Wir haben es geschafft - das sage ich nicht ohne Stolz; darauf hat auch Frau Fischbach hingewiesen -, uns trotz verschiedener Familienbilder zu verständigen. Ab dem 1. Januar 2007 profitieren 365 000 Familien von der Einführung des Elterngeldes, und zwar stärker als von dem jetzigen Erziehungsgeld. Das ist ein wesentlicher Erfolg dieser Koalition.
Ich bedanke mich herzlich bei der Frau Ministerin dafür - das haben wir schon gehört -, dass das so schnell geklappt hat. Ich danke auch herzlich Renate Schmidt hier im Plenum, die die Voraussetzungen zur Einführung dieses Elterngeld geschaffen hat.
Wir haben eine gemeinsame Antwort auf die Frage von jungen Männern und Frauen gefunden, wie sie in Zukunft Familienarbeit und Beruf untereinander besser aufteilen können. Eine Umfrage in dieser Woche hat gezeigt, dass in der Tat 68 Prozent der Männer - Herr Kucharczyk hat das schon erwähnt - bereit sind, Elternzeit zu nehmen. Ich sage an dieser Stelle: Ich wäre froh, wenn nur die Hälfte der Männer dies tatsächlich machen würde; denn das wäre eine Steigerung von heute 5 Prozent auf 34 Prozent in der Zukunft. Das heißt, etwa 700 Prozent mehr Männer als heute würden Elternzeit nehmen. Das würde ich sehr begrüßen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in der Vergangenheit - das war auch in der Ausschussdebatte so - habe ich immer geglaubt, das Aufbrechen bestehender Rollenbilder sei auch Ihr Thema.
- Natürlich? Jetzt stellen Sie sich allerdings hier hin und lehnen unseren Gesetzentwurf zur Einführung des Elterngeldes mit dem alleinigen Argument ab, es sei verfassungswidrig.
Solche Argumente kommen eigentlich immer nur dann, wenn man selber kein Konzept hat.
Das lässt vermuten, dass Sie kein schlüssiges familienpolitisches Konzept vorlegen können. Sie geben den jungen Männern und Frauen keine Antwort auf ihre Fragen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Laurischk?
Christel Humme (SPD):
Bitte.
Sibylle Laurischk (FDP):
Frau Kollegin Humme, wir haben ausgeführt, dass in dem Gesetzentwurf eine Vielzahl von Ungereimtheiten besteht und dass Ungleichbehandlungen vorgesehen sind, die sicherlich auch verfassungsrechtlich relevant sind. Nehmen Sie zur Kenntnis und wie stehen Sie dazu, dass die von mir angeführten Ungleichbehandlungen sicherlich auch zu einer Vielzahl sozialgerichtlicher Verfahren führen werden? Nach meiner Einschätzung wird eine Vielzahl von Betroffenen zur Klärung der Berechnungsgrundlage für das Elterngeld den Klageweg beschreiten müssen. Das wird die Verschärfung der Lage an den Sozialgerichten und eine stärkere finanzielle Belastung der Justizhaushalte zur Folge haben.
Christel Humme (SPD):
Wenn ich Ihren Entschließungsantrag richtig verstanden habe, begründen Sie Ihre Forderungen unter anderem - -
- Ich kann nicht alles zitieren; dann bräuchte ich drei Stunden.
Ich will nur Ihr Argument der verfassungsrechtlichen Bedenken aufgreifen. Sie meinen, dass eine steuerfinanzierte einkommensabhängige Leistung eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung ist. Wir haben aber mit der Arbeitslosenhilfe jahrelang steuerfinanzierte und einkommensorientierte Leistungen gewährt.
Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand dagegen verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht hat.
- Doch, das war die Antwort auf Ihre Frage.
Oberstes Ziel des Elterngeldes - das wurde heute schon mehrfach gesagt - ist die Geschlechtergerechtigkeit. Im Laufe der Debatte ist aber auch immer wieder die Frage der sozialen Gerechtigkeit angesprochen worden. Ich meine, beides hängt eng miteinander zusammen. Es lohnt sich vielleicht, das Elterngeld auch unter diesem Aspekt zu betrachten.
Dabei stellt sich zunächst die Frage, an wen sich das Elterngeld vor allem richtet. Ich glaube, es ist heute noch nicht richtig deutlich geworden, wen wir damit erreichen wollen. Es geht um Männer und Frauen um die 30 - über 95 Prozent der Frauen in dieser Altersgruppe sind berufstätig -, die sich für eine Familie entscheiden wollen. Diesen Menschen möchten wir mit unserem Elterngeld die Entscheidung für Familie und Beruf erleichtern.
Wir wissen, dass die berufstätigen Frauen in dieser Altersgruppe keine Reichtümer verdienen. Sie verdienen im Durchschnitt 1 200 Euro. Wir fördern also nicht die Reichen und es geht uns auch nicht um eine Umschichtung. Im Gegenteil: Wir wissen schließlich, dass bei der Gründung einer Familie das größte Risiko von den Frauen getragen wird. Wenn Frauen zu Hause bleiben und ein Einkommen wegfällt, ist es deshalb richtig, 67 Prozent dieses Einkommens zu ersetzen, um den Lebensstandard der Familien zu sichern.
Ein besonderes Risiko tragen Geringverdiener - auch das wurde bereits angesprochen -, darunter viele Alleinerziehende und Familien mit zwei und mehr Kindern. Auch darauf geben wir eine Antwort. Frauen mit kleinem Einkommen wird das Einkommen bis zu 100 Prozent ersetzt. Familien mit mehreren kleinen Kindern erhalten einen gesonderten Bonus. Ich denke, das ist sozial gerecht.
Ein weiteres Risiko ergibt sich aus der längeren Berufspause. Die Frauen haben oft Schwierigkeiten, anschließend wieder eine Beschäftigung aufzunehmen. Sie haben berufliche Nachteile und ihnen fehlt eine eigenständige Absicherung im Alter.
Darum ist es sozial gerecht, das Elterngeld grundsätzlich nur für ein Jahr zu zahlen und anschließend die Aufnahme der Beschäftigung zu erleichtern. Ich bin der Meinung, dass teure - leider oft wirkungslose; das muss man kritisch feststellen - Wiedereinsteigerprogramme nach einer langen Familienphase der Vergangenheit angehören sollten. Auch das ist zu berücksichtigen, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht.
Wir haben uns bewusst entschieden, auch den Arbeitslosengeldempfängern zwölf Monate lang 300 Euro Elterngeld zu zahlen, obwohl wir dafür sehr kritisiert wurden. Den Linken ist das zu wenig - sie haben offenbar viel Geld in der Haushaltskasse
- ja, das hat Herr Wunderlich gesagt; ich komme gleich auf den Bundesrechnungshof zu sprechen -, sie wollen zwei Jahre Elterngeld für Arbeitslose. Die FDP schließt sich dem Bundesrechnungshof an. Sie hätten lesen sollen, was der Bundesrechnungshof dazu festgestellt hat, Herr Wunderlich. Er empfiehlt nämlich, Arbeitslosen kein Elterngeld zu zahlen. So ist das hier im Parlament ganz links und rechts.
- Ganz rechts wäre falsch. Es geht um die Sitzordnung. Wir halten sowohl das eine als auch das andere für ungerecht. Wir wollen die Schwächsten in unserer Gesellschaft, die Arbeitslosen, mitnehmen und dafür sorgen, dass auch sie vom Elterngeld profitieren. Deshalb haben wir uns für diese Lösung entschieden. Sie ist sozial gerecht.
Herr Kucharczyk hat Recht: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf zukünftig nicht allein Angelegenheit der Frauen sein. Wenn sich mehr Männer an der Familienarbeit beteiligen - ich hoffe, dass das Elterngeld dazu führen wird -, dann ergeben sich auch Veränderungen in den Betrieben. Frauen werden mehr Chancen haben, wenn es um Bewerbung und Beförderung geht. Männer trauen sich eher, in die Elternzeit zu gehen, weil auch sie einen Anspruch auf Elterngeld haben. Wir kommen dann der tatsächlichen Gleichstellung sehr viel näher.
Wir ersetzen heute das Erziehungsgeld durch das Elterngeld und erreichen damit mehr Geschlechtergerechtigkeit und gleichzeitig - davon bin ich überzeugt - mehr soziale Gerechtigkeit.
Aber wir alle sind uns im Parlament einig - ich glaube, das muss ich nicht mehr betonen -, dass neben der Einführung eines Elterngelds unbedingt die Betreuungssituation verbessert werden muss.
Frau Ministerin, der von Ihnen angesprochene Siebte Familienbericht enthält viele Vorschläge, die deutlich machen, was in Zukunft eine nachhaltige Familienpolitik ausmacht. Zwei Leitlinien stehen dabei im Vordergrund: zum einen gleiche Chancen für die Geschlechter und zum anderen gute Entwicklungschancen aller Kinder. Das alles erfordert eine wirksame finanzielle Förderung, mehr Zeit und eine bessere Infrastruktur.
Frau Lenke, Sie haben gesagt, wir hätten nichts mehr gemacht. Aber Sie, die Sie genauso wie ich schon seit 1998 Mitglied dieses Parlaments sind, wissen ganz genau, dass wir den Perspektivwechsel, der im Siebten Familienbericht gefordert wird, mit dem Ganztagsschulprogramm von 2003 und dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2005 längst eingeleitet haben. Diesen Prozess setzen wir heute mit dem Elterngeld und in Zukunft - wenn das Angebot an Betreuungsplätzen in den Kommunen nicht ausgebaut wird - mit einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige fort; darauf haben wir uns in der Koalition festgelegt.
Wir müssen zudem mehr für Bildung und Betreuung tun. Dafür stellen wir - wie im Familienbericht gefordert - alle steuerlichen Maßnahmen auf den Prüfstand, damit wir mehr in Betreuung und Erziehung investieren können. Ich bin gespannt, welche familienpolitischen Konsequenzen wir gemeinsam aus dem Siebten Familienbericht ziehen.
Schönen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich Frau Staatsministerin Müller - sie ist leider schon gegangen; aber gerade war sie noch da - für die Zukunft - sie geht für ein Jahr in den Erziehungsurlaub -
- Entschuldigung, Elternurlaub -
alles Gute wünschen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes auf Drucksache 16/1889. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2785, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2809? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2810? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/2785 fort. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Elterngeldes auf Drucksache 16/2454 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 b: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1168 mit dem Titel ?Flexible Konzepte für die Familie - Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zukunftsfähig machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1877 mit dem Titel ?Elterngeld sozial gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 c: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/1360 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Annette Widmann-Mauz, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin Gerster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sport und Bewegung in Deutschland umfassend fördern - Bewusstsein für gesunde Lebensweise stärken
- Drucksache 16/1648 -
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 55. Sitzung - wird am
Mittwoch, den 4. Oktober 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]