228. Sitzung
Berlin, Freitag, den 19. Juni 2009
Beginn: 09.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich und teile Ihnen mit, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den gestern überwiesenen Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13366 statt an den Rechtsausschuss an den Innenausschuss zu überweisen. Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann beginnen unsere Beratungen mit einem famosen einvernehmlichen Beschluss über das gerade vorgetragene Anliegen.
Nun rufen wir die Tagesordnungspunkte 53 a bis 53 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung)
- Drucksachen 16/12254, 16/12674 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Frank Schäffler, Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Korrektur der Unternehmensteuerreform
- Drucksache 16/12525 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 16/13429 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Gabriele Frechen
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/13440 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energiesteuergesetzes
- Drucksache 16/12851 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 16/13416 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz (Everswinkel)
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/13441 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Agrardieselbesteuerung senken - Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft abbauen
- Drucksachen 16/11670, 16/13416 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Reinhard Schultz (Everswinkel)
Zu verschiedenen Gesetzentwürfen liegen Änderungs- und Entschließungsanträge vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Gabriele Frechen für die SPD-Fraktion.
Gabriele Frechen (SPD):
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung müssen auf der Basis der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in voller Höhe steuerlich abziehbar sein, so ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Auch wenn die Entscheidung zu den Beiträgen einer privaten Krankenkasse erging, gilt es selbstverständlich auch für gesetzlich Versicherte, auch für die Beiträge von Kindern, Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern.
Dem Struck?schen Gesetz folgend hat auch dieser Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren wesentliche Änderungen erfahren. Im Regierungsentwurf war vorgesehen, dass sonstige Versicherungsbeiträge wie Beiträge zur Unfall- und Haftpflichtversicherung künftig nicht mehr abziehbar sein sollen. Eine Günstigerprüfung sollte verhindern, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mittleren und niederen Einkommen schlechter gestellt werden. Aber sie hätten durch das Gesetz auch keine zusätzliche Entlastung erfahren. Das haben wir geändert. Wir behalten die bisherige Höchstbetragsrechnung bei und erhöhen darüber hinaus den gemeinsamen Höchstbetrag für alle Vorsorgeaufwendungen, bis zu dem die Beiträge steuerlich geltend gemacht werden können, auf 1 900 Euro bzw. 2 800 Euro - bei Verheirateten das Doppelte. Das heißt, alle Versicherungsbeiträge, die bisher abzugsfähig waren, bleiben es auch in Zukunft, und dies sogar in höherem Umfang. Übersteigen allein die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge diesen Höchstbetrag, werden die tatsächlich geleisteten Beiträge für einen Basisschutz angesetzt.
Der Bund der Steuerzahler krittelt, das entlaste nur Ledige mit einem Einkommen von bis zu 21 600 Euro und Verheiratete mit einem Einkommen von bis zu 44 400 Euro pro Jahr. Dazu kann ich nur sagen: Genau das war der Plan.
Die Menschen mit höheren Einkommen werden durch das Gesetz per se entlastet. Wir wollten aber gezielt auch Menschen mit niedrigen Einkommen von diesem Gesetz profitieren lassen.
Ja, wir setzen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um. Und: Ja, die Idee war nicht eine Idee der Koalition. Es ist aber sehr wohl ein Verdienst dieser Koalition, insbesondere der SPD-Bundestagsfraktion, dass die Entlastungen nicht nur bei Gutverdienenden, sondern auch bei Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen ankommen.
Das war im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts keinesfalls vorgesehen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Ausweitung des Schulbedarfspakets, also der Zahlung von 100 Euro zu jedem Schuljahresbeginn für Hefte, Stifte und Bücher, für alles, was so richtig ins Geld geht, bis zum 13. Schuljahr. Uns hat die Begrenzung bis zum 10. Schuljahr von Anfang an nicht so richtig eingeleuchtet. Darüber hinaus erweitern wir den Kreis der Anspruchsberechtigten um die sogenannten Aufstocker. Von dieser kleinen, aber feinen sozialdemokratischen - so sage ich das einmal - Änderung profitieren insgesamt 200 000 Kinder. Das ist ein weiteres Beispiel für die Familienfreundlichkeit unserer Politik.
Wir erhöhen die Einkommensgrenze für die Berücksichtigung von Kindern und beziehen den Freiwilligendienst in das Bundeskindergeldgesetz ein; beides Maßnahmen zur Stärkung der Familien.
Mit diesem Gesetzentwurf stellen wir auch klar: Wer Riester-Förderung für Genossenschaftsanteile in Anspruch nimmt, muss auch in einer Genossenschaftswohnung wohnen.
Günstigen Wohnraum für Mieter sollen die Genossenschaften zur Verfügung stellen. Doch immer wieder tauchen dubiose Anbieter auf, die es auf das Geld von ahnungslosen Kapitalanlegern abgesehen haben.
Das ist nicht von mir, das stand so in der Welt. Geschäftemacher, die das hohe Vertrauen, das Genossenschaften berechtigterweise genießen, für dubiose Geschäfte nutzen wollen, wollen nun die Riester-Förderung als Verkaufsargument aufbauen. Ich kann dazu nur sagen: Es gibt Menschen, die den Gong bis heute nicht gehört haben.
Deshalb schützen wir mit diesem Gesetz Verbraucher, Mieter, Riester-Sparer und Wohnungsgenossenschaften gleichermaßen.
In dieser Krisensituation muss jede Vorschrift und jedes Ansinnen auf die Fähigkeit überprüft werden, ob es krisenentschärfend wirken kann oder nicht. Reinhard Schultz wird darauf näher eingehen. Ich möchte nur einen Punkt herausgreifen, der diese Voraussetzung meines Erachtens voll erfüllt und deshalb umgesetzt wird: Wir verlängern die Möglichkeit der Istbesteuerung in den neuen Bundesländern und heben für die neuen Bundesländer die Umsatzgrenze ebenfalls auf 500 000 Euro an. Die Umsatzsteuer muss also erst gezahlt werden, wenn auch die Rechnung bezahlt ist. Gerade in wirtschaftlich nicht so guten Zeiten werden Rechnungen oft nicht so schnell bezahlt, wie sie sollen. Ich will das gar nicht mangelnde Zahlungsmoral nennen; denn oft mangelt es gar nicht an der Zahlungsmoral, sondern an der Zahlungsfähigkeit. Daher ist es richtig, den kleinen und mittleren Unternehmen die Umsatzsteuer so lange zu stunden, bis das Geld eingegangen ist. Diese Regelung bringt kleinen und mittleren Unternehmen ebenso wie Handwerksbetrieben einen Liquiditätsvorteil, der in der Krise hilft, Arbeitsplätze zu schützen.
Denen, die immer fordern, die Hinzurechnungen für Mieten und Pachten zu streichen, sage ich nur: Herr Middelhoff lässt schön grüßen. Nicht die Gewerbesteuer ist das Problem bei einer Innenstadtlage, sondern überzogene Mieten und unsinnige, teilweise unmoralische Verträge, die nur Gewinnverschiebungen in die vermeintlich richtige Tasche bringen sollen.
Das müsste mittlerweile auch der allerletzte Parlamentarier gemerkt haben.
?In trüben Fällen muss derjenige wirken und helfen, der am klarsten sieht?, sagt Goethe, und das sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, eindeutig wir.
Als Klarseher haben wir natürlich erkannt: Wenn wir Änderungen in einem von uns beschlossenen und gewünschten Gesetz vornehmen, müssen wir eine Befristung einführen. Wenn wir krisenentschärfend wirken wollen, müssen wir eine Befristung für die Dauer der Krise vorsehen und nicht alles über Bord werfen, was wir bis vor einem halben oder Dreivierteljahr als richtig erkannt haben.
Ich möchte mich bei meinem Mitberichterstatter Klaus-Peter Flosbach bedanken - es war eine sehr gute Zusammenarbeit -, und ich möchte mich, weil es zum Abschied ist, auch bei Otto Bernhardt für sieben Jahre guter Zusammenarbeit im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags ausdrücklich bedanken.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist erstaunlich, dass die Koalition erklärt, sie entlaste die Bürger, und dass sie sich dafür loben lassen will. Diese Entlastung erfolgt durch die Umsetzung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes.
Die Bürger sind nämlich über Jahre auf verfassungswidrige Weise zu hoch besteuert worden.
Das Bundesverfassungsgericht musste handeln, weil der Gesetzgeber von sich aus überhaupt nicht daran dachte, diese verfassungswidrige Besteuerungspraxis zu ändern.
Insofern ist diese Entlastung kein Gnadenakt und auch kein gewollter Beitrag der Großen Koalition zur Konjunkturbelebung,
sondern eine vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Entscheidung. Die FDP hat diese Entlastung in ihrem Steuerkonzept im Übrigen schon seit langem gefordert, nicht erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.
Ihre gesamte Argumentation - nicht nur Ihre, Frau Frechen; wir diskutieren ja schon länger über dieses Thema, und die Debatte hier im Plenum hat gerade erst begonnen - ist widersprüchlich. Zum einen erklärt die SPD, dass für Entlastungen der Bürger kein Geld da sei, und zum anderen erklärt sie, es sei ihr Verdienst, dass die Bürger gerade jetzt durch dieses Gesetz entlastet werden. Finanzminister Steinbrück hat noch vor kurzem deutlich gemacht, dass kein Spielraum für Entlastungen vorhanden sei, aber hier möchte sich die SPD für Entlastungen feiern lassen. Was gilt denn nun: das, was Herr Steinbrück sagt, das, was die SPD sagt, oder das, was die Große Koalition im vorliegenden Gesetzentwurf formuliert hat?
Die Union ringt seit Monaten um ein Steuerkonzept. Eine klare Linie ist leider bis zum heutigen Tage nicht zu erkennen. Man hat nicht den Eindruck, dass hier eine geschlossene Partei agiert. Wenn man sich die Aussagen Ihrer Ministerpräsidenten zur Steuerpolitik anhört, stellt man fest: Die Union weiß bis heute nicht, was sie will. Auch an die Adresse Union sage ich: Diese Entlastung der Bürger ist weder ein Zeichen für den Steuerentlastungswillen der Union noch für eine neue Bescheidenheit des Staates.
Ursprünglich hatte die Bundesregierung geplant, im Entwurf eines Gesetzes zur Bürgerentlastung die Absetzbarkeit der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und weiterer Vorsorgeaufwendungen zu streichen. Im Gesetzestext wurde dieses Vorhaben aber überhaupt nicht erwähnt. Davon war nur in wenigen Zeilen der Begründung am Ende des Gesetzespaketes die Rede. Die FDP hat diese geplante Steuererhöhung der Bundesregierung für vorsorgetreibende Menschen aufgedeckt und öffentlich gemacht. In der Anhörung wurde dieses Vorhaben der Koalition von vielen Sachverständigen kritisiert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Absetzbarkeit von Vorsorgeaufwendungen zwar in gewissem Umfang beibehalten. Die zu berücksichtigenden Beiträge sind aus unserer Sicht allerdings so niedrig, dass schon jetzt davon auszugehen ist, dass weitere Verfassungsklagen erhoben werden.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die FDP tritt dafür ein, dass die Menschen in unserem Land, die arbeiten, die für sich und ihre Familie die Existenz sichern und die mit ihren Steuern und Sozialabgaben die Grundlage dafür schaffen, dass unser Staat überhaupt funktioniert, nicht nur als Melkkühe der Nation angesehen werden.
Diese Menschen vertrauen zuerst auf sich selbst und ihre Leistungsfähigkeit. Viele von ihnen sorgen vor und zahlen zusätzliche Versicherungsbeiträge: Beiträge zu Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, zu Unfallversicherungen, zu Risikoversicherungen für den Todesfall, aber natürlich auch zu Haftpflichtversicherungen. Haftpflichtversicherungen sind wichtig; denn sie gewährleisten, dass ein Schaden, den man jemandem zufügt und der für den Einzelnen unbezahlbar hoch sein kann, von der Versicherung gedeckt ist.
Auf der einen Seite wird den Bürgern vom Staat gesagt: Sorgt vor! Auf der anderen Seite wird ihnen gesagt: Wenn ihr vorsorgt, müsst ihr das aus versteuertem Einkommen tun. - Das kann nicht richtig sein. Dagegen werden wir uns auch in Zukunft wenden und dies auch im Wahlkampf zu einem unserer Themen machen.
Der vorgesehene Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ist wenig praktikabel und sehr bürokratisch, da auf die Tarifbezogenheit abgestellt wird. Einfacher wäre es, im Hinblick auf die Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Anlehnung an die bestehenden Regelungen des Sonderausgabenabzugs weitere Höchstbeträge auszuweisen, bis zu denen tatsächlich geleistete Beiträge als Sonderausgaben von der Besteuerung freigestellt werden. Die maximale Höhe des Abzugsbetrages soll sich dabei an den Höchstbeträgen orientieren, die in den jeweiligen gesetzlichen Versicherungen vorgesehen sind. Durch eine konsequente Anwendung der gleichen Höchstsätze sowohl für privat als auch für gesetzlich versicherte Steuerzahler wäre die erforderliche Gleichbehandlung gewährleistet.
Bei Verabschiedung der Unternehmensteuerreform - das ist ein Teil, der zusätzlich in dieses Gesetz gekommen ist - wurden seitens der Großen Koalition sogenannte Gegenfinanzierungsmaßnahmen beschlossen. Diese Gegenfinanzierungsmaßnahmen müssen schnellstmöglich korrigiert werden. Es ist Irrsinn, Kosten steuerlich wie Gewinne zu behandeln und als Bemessungsgrundlage für die Steuerzahlung zu verwenden. In der derzeitigen konjunkturellen Situation wirken diese Maßnahmen wie eine Substanzbesteuerung. Sie wirken krisenverschärfend. Das ist das Letzte, was wir in der derzeitigen Situation gebrauchen können.
Deshalb hat die FDP einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der darauf angelegt ist, den steuerlichen Unfug der Großen Koalition schnellstmöglich zu korrigieren. Der Gesetzentwurf der FDP hat das Ziel, Arbeitsplätze zu sichern und zu erhalten. Das sollte im Vordergrund stehen! Insbesondere in Krisenzeiten wie heute ist dies dringend geboten.
Insofern begrüßen wir, dass die Große Koalition einzelne Verbesserungen auf den Weg gebracht hat. Die Verbesserungen gehen allerdings nicht weit genug. Gerade die SPD hat weiter gehende Regelungen verhindert. Zudem sind die steuerlichen Maßnahmen befristet: Ein Teil gilt nur bis Ende dieses Jahres, ein anderer Teil nur bis Ende nächsten Jahres. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie denn wirklich, dass die Auswirkungen der Krise auf Betriebe mit dem Ende dieses Jahres aufhören? Glauben Sie wirklich, dass die von der FDP geforderte Erweiterung der Istbesteuerung, die gerade kleineren Unternehmen Liquidität verschafft, Ende 2011 beendet werden kann? Dadurch würde den kleineren Unternehmen wieder Liquidität entzogen. Das wäre doch Unfug und ließe sich niemandem erklären.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Große Koalition hat abgewirtschaftet. Sie ist nur noch zu kleinsten gemeinsamen Kompromissen bereit, aber nicht mehr in der Lage, die Weichenstellungen für eine gute Zukunft unseres Landes, die gerade in diesen schwierigen Zeiten notwendig sind, vorzunehmen. Einige Großkonzerne haben noch das Ohr der Kanzlerin und des Finanzministers; aber die Belange des Mittelstandes kommen unter die Räder.
Der Unterschied zwischen Ihren Vorstellungen und den Vorstellungen der FDP besteht darin, dass wir zuerst auf die Kraft der Gesellschaft, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und insbesondere des deutschen Mittelstandes zählen und erst dann auf den Staat. Der Staat sollte aus unserer Sicht, indem er für alle Betriebe geltende steuerliche Verbesserungen vorsieht, die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Hierfür werden wir uns insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl einsetzen - damit Deutschland wieder eine Regierung bekommt, die sich für eine Verbesserung unserer sozialen Marktwirtschaft einsetzt.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Eduard Oswald ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Eduard Oswald (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Thiele - ich nehme es ihm nicht übel - hat die Wahlreden für die nächsten Wochen geübt. Das ist verständlich; aber wir haben hier ein Gesetz zu verabschieden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele reden über eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, wir machen sie.
Die heutigen Beschlussvorschläge sind kein heimliches drittes Konjunkturpaket, wie eine Zeitung kürzlich vermutet hat. Mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung befreien wir die Bürgerinnen und Bürger auf Dauer von Belastungen. Wir setzen damit - da haben Sie natürlich recht, Herr Kollege Thiele - die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um, wir schaffen damit aber auch mehr Gerechtigkeit in unserem Lande.
Mit diesem Gesetz werden die Bürgerinnen und Bürger um rund 10 Milliarden Euro im Jahr entlastet, ein großer Schritt für mehr Freiheit und privaten Handlungsspielraum, eine Entlastung, die allen Leistungsträgern - den Facharbeitern, überhaupt allen Steuerpflichtigen in unserer Gesellschaft - Motivation gibt, eine Entlastung, die den Menschen mehr Netto vom Brutto lässt.
Ein wichtiger Kern unserer Politik ist, Entlastungsspielräume bei Steuern und Abgaben konsequent zu nutzen. Ich nenne nur die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent; wir haben den Beitrag damit mehr als halbiert.
Die weltweite Finanzmarktkrise und der durch sie ausgelöste konjunkturelle Abschwung sind die größten wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Nachkriegsgeschichte.
Jetzt sind Maßnahmen gefragt, mit denen die Auswirkungen der Krise abgefedert, aber zugleich auch die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt werden. Wir haben mit unseren Konjunkturpaketen und den Schutzschirmen für Wirtschaft und Arbeitsplätze unsere Handlungsfähigkeit als Große Koalition bewiesen.
Mit dem nun zu behandelnden Entlastungspaket und den darin enthaltenen Maßnahmen knüpfen wir nahtlos an die bisherigen Entscheidungen an. 16,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger werden in einem Umfang von 10 Milliarden Euro entlastet. Steuerpflichtige, die ihre Krankenversicherung selbst bezahlen müssen, können sonstige Vorsorgeaufwendungen bis zu einer Höhe von 2 800 Euro steuerlich geltend machen, inklusive der Beiträge zu einer Basis-, Renten- und Pflegeversicherung. Für alle anderen Steuerzahler gilt eine Obergrenze von 1 900 Euro. Liegen die Aufwendungen für die Basiskranken- und Pflegeversicherung höher, sind sie in jedem Fall steuerlich voll absetzbar.
Durch die unmittelbare Übertragung auf das Lohnsteuerverfahren mit Wirkung ab dem 1. Januar kommenden Jahres wird sichergestellt, dass die Entlastung sofort in den Taschen der Bürger zu spüren ist.
Neben den bereits verabschiedeten Maßnahmen wird auch die dadurch freigesetzte Kaufkraft dazu führen, dass unsere Wirtschaft stimuliert wird.
Wir wollen, dass unser Land nach der Krise stärker ist als vorher. Deshalb haben wir auch die Unternehmen weiter entlastet, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich im Wettbewerb zu behaupten und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Darum geht es uns im Kern.
Wir haben die Erwartungen der Wirtschaft unmittelbar aufgegriffen. Kleinere und mittlere Betriebe mit einem Umsatz von bis zu 500 000 Euro im Jahr sollen die Umsatzsteuer erst dann entrichten müssen, wenn ihre Rechnungen auch tatsächlich bezahlt sind; das ist also die sogenannte Istbesteuerung. Unternehmen können die Umsatzsteuer derzeit auf Antrag nach den eingenommenen Beträgen berechnen, wenn der Gesamtumsatz im Vorjahr nicht mehr als 250 000 Euro betrug. Für ostdeutsche Unternehmer gilt seit 1996 eine Grenze von 500 000 Euro. Diese Sonderregelung sollte bekanntlich nur bis zu diesem Jahr gelten. Sie gilt nun bis Ende 2011 und wird auf alle Bundesländer übertragen.
Dadurch wird in dieser schwierigen Phase die Liquidität geschont und gerade mittleren und kleineren Unternehmen geholfen.
Mit der zeitlich auf die Jahre 2008 und 2009 befristeten Einführung einer Sanierungsklausel bei der Verlustabzugsbeschränkung und der ebenfalls auf diese beiden Jahre befristeten Anhebung der Freigrenze bei der Zinsschranke von 1 Million Euro auf 3 Millionen Euro wird den Unternehmen geholfen, mit den Konsequenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise umzugehen.
Die Zinsschranke, die hier und bei uns im Finanzausschuss immer wieder leidenschaftlich diskutiert wurde, soll in Zukunft für weniger Betriebe belastend wirken. Bekanntlich trifft diese geltende Regelung nicht nur viele Konzerne, sondern auch etliche Mittelständler. Es zeigt sich, dass die Grenze einfach zu eng gefasst war. Unternehmen, die im Saldo einen höheren Zinsaufwand haben, laufen Gefahr, diese Kosten nicht komplett steuerlich geltend machen zu können. Mit der Korrektur könnten 600 von möglicherweise 1 600 Unternehmen nicht mehr unter die Zinsschranke fallen. Das ist eine enorme Verbesserung und Klarstellung, durch die wir zeigen, dass den Unternehmen in diesen Zeiten die Luft zum Atmen gelassen wird - eine wichtige Entscheidung der Koalition.
Die weltweite Krise trifft auch die landwirtschaftlichen Betriebe, gerade auf den weltweiten Lebensmittelmärkten. Wir werden in diesem Jahr den Landwirten helfen können. Alle Betriebe profitieren ohne Einschränkung von dem günstigeren Mineralölsteuersatz. Landwirte zahlen pro Liter Agrardiesel eine Steuer von 40 Cent. Davon bekommen sie 21,5 Cent pro Liter erstattet. Allerdings gab es bisher einen Selbstbehalt pro Betrieb von 350 Euro. Dieser wird auf zwei Jahre befristet entfallen. Auch die Deckelung auf 10 000 Liter vergünstigten Diesel pro Betrieb und Jahr wird für diesen Zeitraum gestrichen. Mit dieser Regelung helfen wir, die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe zu sichern, die Pflege unserer Kulturlandschaft zu gewährleisten und die Versorgung unseres Landes mit gesunden Lebensmitteln zu ermöglichen und sicherzustellen. Das ist ein wichtiger und entscheidender Schritt.
Mit den heutigen Entscheidungen entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen mit rund 13 Milliarden Euro. Damit werden die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger gestärkt und Impulse für wirtschaftliche Dynamik gegeben. Daneben verbessern wir die Liquiditäts- und Ertragssituation der Unternehmen und sichern und schaffen damit Arbeitsplätze.
Man kann vieles kritisieren. Manches geht uns auch nicht weit genug. Dennoch sind die heutigen Entscheidungen sinnvolle und nötige Investitionen in unsere Zukunft.
Ich möchte den beiden Berichterstattern der Koalitionsfraktionen, Frau Kollegin Gabi Frechen und Herrn Kollegen Klaus-Peter Flosbach, herzlich danken. Beide haben im Detail eine hervorragende Arbeit geleistet. Wer sich mit den gesetzlichen Feinheiten befasst, der sieht, welche Detailarbeit dafür notwendig war. Herzlichen Dank dafür.
Sie gestatten mir sicherlich auch, dass ich meiner Kollegin Gabi Frechen als stellvertretende Vorsitzende im Finanzausschuss für ihre Arbeit und die Unterstützung danke. Ich glaube, wir haben insgesamt im Finanzausschuss in allen Fraktionen eine sehr gute Arbeit geleistet.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Barbara Höll, Fraktion Die Linke.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgangspunkt des Gesetzentwurfs war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar vergangenen Jahres. Sie bestärkte das Prinzip der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums. Dazu gehört alles, was die Menschen auch für ihre gesundheitliche Vorsorge brauchen. Das ist eigentlich logisch, aber dem Bundesfinanzminister musste dies erst vom Bundesverfassungsgericht verdeutlicht werden. Nun setzen Sie die Vorgaben des Verfassungsgerichts zwar um, aber an der grundsätzlichen Misere in der Gesundheitspolitik ändert sich rein gar nichts.
Zudem kostet das Ganze 9 Milliarden Euro. Finanzierungsvorschläge, die Sie von anderen gerne einfordern - Fehlanzeige! Der Bundesfinanzminister hatte noch vor einem Jahr das Versprechen abgegeben, eine gerechte Finanzierung erreichen zu wollen. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Die Besserverdienenden sind wieder einmal die großen Gewinner.
Durch den Abzug der Versicherungsbeiträge vom zu versteuernden Einkommen werden obere Einkommensgruppen stark, mittlere Einkommensgruppen mittel und niedrigere Einkommensgruppen nur gering entlastet. Bereits die Beitragsbemessungsgrenze bei den Krankenversicherungsbeiträgen hat zur Folge, dass die Bezieher und Bezieherinnen hoher Einkommen nur auf einen Teil ihrer Einkünfte Versicherungsbeiträge zahlen. Durch die jetzige Regelung verschärfen Sie die Ungerechtigkeit noch. Die solidarische Finanzierung wird schlicht missachtet. Das lehnen wir ab.
Die Linke hat Vorschläge vorgelegt, wie man das Ganze sozial gerechter angehen kann. Lesen Sie das noch einmal nach! Es wäre durch die Anhebung der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums möglich gewesen. Das wäre sozial gerechter.
Sie können die Bürgerinnen und Bürger nicht länger täuschen. Sie wissen, dass das dicke Ende erst nach dem 27. September kommen wird. Seit Jahren machen Sie eine Gesundheitspolitik, durch die die Kosten auf die Patienten verlagert werden, indem Sie die paritätische Finanzierung de facto schon heute aufgehoben haben, sodass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa 65 Prozent der Kosten zu tragen haben, während sich die Arbeitgeberseite nur noch mit 35 Prozent beteiligt. Das lehnen wir ab.
Versicherte müssen heute einen Sonderbeitrag zahlen. Sie müssen die Praxisgebühr und Zusatzleistungen bezahlen und Zuzahlungen bei Medikamenten leisten. Das alles ist unsozial. Wir verlangen eine gesetzliche Krankenversicherung für alle, die von allen solidarisch entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit getragen wird
Warum sollte nicht auch ein Herr Ackermann auf sein gesamtes monatliches Einkommen einen ordentlichen Beitrag zur Krankenversicherung zahlen?
Was Sie hier machen, ist vor allem reines Wahlkampffeuer. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sich daran erinnert, dass Sie zum 1. Januar dieses Jahres die Beiträge für etwa 80 Prozent der Versicherten massiv angehoben haben. Ihnen nun zum 1. Juli eine Senkung in Höhe von gerade 0,6 Prozentpunkten im Rahmen des Konjunkturpaketes II zukommen zu lassen, ist nichts anderes als Wahlkampf, nicht mehr, und gleicht die Mehrbelastungen von Anfang des Jahres überhaupt nicht aus.
Die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik wollen ein solches Krankenversicherungssystem nicht. Sie wollen ein solidarisches Krankenversicherungssystem. Sie lehnen die zur Diskussion stehende Einführung von Altersgrenzen zum Beispiel für Hüftgelenkoperationen ab. Sie lehnen es auch ab, ärztliche Leistungen und Medikamente vorzufinanzieren. Es gibt entsprechende Umfragen, die das belegen. Es gibt aber auch eindeutige Zeichen dafür, dass diese Gedankenspiele bei Verantwortungsträgern sowohl in der Politik als auch in anderen Bereichen massiv auf dem Vormarsch sind. Wir müssen nur warten, bis sie so dreist sind, dies umzusetzen. Wir wollen eine andere Medizin, keine Zweiklassenmedizin. Wir wollen ein solidarisches Krankenversicherungssystem, in dem Gutverdiener für Geringverdiener, Junge für Alte, Gesunde für Kranke eintreten. Das heißt, jeder und jede zahlt, vom Pförtner bis zum Millionär.
Als Sofortmaßnahme zur Entlastung der Krankenversicherung haben wir Ihnen nochmals vorgeschlagen, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung wenigstens auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung West anzuheben. Das bedeutet eine Anhebung von derzeit 3 675 auf 5 400 Euro. Warum denn nicht? Warum zahlen Abgeordnete, die wie ich in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, nicht auf ihre gesamte Entschädigung Beiträge, sondern nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze?
Wir selber sind aufgrund dieser Gesetzeslage aus der solidarischen Finanzierung raus. Dem ist endlich Einhalt zu gebieten.
Ihr Gesetzentwurf enthält allerdings auch Verbesserungen. Deshalb werden wir uns enthalten.
Es gibt eine Verbesserung, auf die wir stolz sind; denn die Linke hat wesentlich dazu beigetragen, dass es hier noch zu einer Veränderung kam. Sie sehen nämlich endlich ein, dass auch Kinder aus Familien, die kein allzu hohes Einkommen haben, Abitur machen. Es sind leider nicht so viele, weil das deutsche Bildungssystem in höchstem Maße sozial selektiv ist. Aber es gibt positive Beispiele. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass wir die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Schulstarterpakets bis zum Ende der Schulausbildung, bis zum Abitur, ausweiten.
Wir haben Sie nämlich darauf hingewiesen, dass nicht nur Familien, die Hartz IV beziehen, unzureichende finanzielle Mittel zur Verfügung haben, sondern dies auch für Familien gilt, die das Recht haben, für ihre Kinder Kinderzuschlag zu beantragen. Auch diese werden nun einbezogen. Erst aufgrund unserer Anfragen sind Sie sich dieses Problems überhaupt bewusst geworden.
Ich weiß nicht, ob Sie wissen, worüber ich rede. Für ein Kind, das heute in Sachsen in die Schule kommt, müssen allein für die Arbeitsmaterialien - und das bei Schulbuchfreiheit - 50 Euro aufgebracht werden. Ein Taschenrechner, den man in der 11. Klasse benötigt, ist nicht für unter 100 Euro zu bekommen. Oft muss man 130 Euro hinlegen. Das ist die Realität. Deshalb ist die Ausweitung des Schulstarterpakets notwendig. Damit machen wir wenigstens einen kleinen Schritt in die richtige Richtung.
Bei der Erhöhung der Einkünfte- und Bezügegrenze für das Kindergeld haben Sie schlicht und ergreifend gepfuscht. Darauf hat Sie der Bundesrat hingewiesen; darauf haben wir Sie hingewiesen. Es ist nämlich nicht erklärlich, warum die nun vorgesehene Anhebung der Freigrenze beim Einkommen der Kinder - damit der Kindergeldbezug aufrechterhalten werden kann - nicht gleichzeitig zur jetzt vorgesehenen zweistufigen Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages erfolgt. Das ist überhaupt nicht verständlich.
In dem Gesetzentwurf begehen Sie aber eine weitere Dreistigkeit. Herr Oswald hat das eben als tolle Entlastung verkauft.
Sie haben eine Unternehmensteuerreform verabschiedet, durch die Unternehmen allein aufgrund der Senkung des Körperschaftsteuersatzes um 8 Milliarden bis 10 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden.
- Stimmt, das ist eine Riesenentlastung. - Die Zinsschranke sollte einerseits die steuerlichen Umgehungsmöglichkeiten einschränken und andererseits Teil der Gegenfinanzierung sein. Jetzt wird sie einfach ein Stück weit aufgehoben. Die Argumente von damals interessieren nicht mehr. Das, was Sie zuvor groß versprochen haben, machen Sie bei der ersten Gelegenheit, bei der es möglich ist, wieder rückgängig. Das ist eine Politik, die unsolide ist
und die eindeutig zeigt, dass Sie nicht wirklich gegen Steuerhinterziehung vorgehen wollen.
Sie verabschieden in dem Gesetzespaket eine Änderung der Regelungen zum Agrardiesel. Wir stimmen dem Passus ausdrücklich zu; denn es freut uns, dass Sie unserer Argumentation folgen und nun endlich sowohl den Selbstbehalt in Höhe von 350 Euro als auch die Kappungsgrenze für die Dieselrückvergütung streichen, was insbesondere die großen Betriebe im Osten betrifft. Eine Kappungsgrenze hätte nämlich eine Diskriminierung der großen Genossenschaften, die wir noch in den neuen Bundesländern haben, gegenüber den kleinen oder mittleren Familienbetrieben bedeutet.
Aber das prinzipielle Problem der Ungerechtigkeit, die in der unterschiedlichen Entwicklung zwischen den Produktionskosten und den Erzeugerpreisen der Bäuerinnen und Bauern liegt, ist damit natürlich nicht gelöst. Die Befristung für diese zwei Regelungen im Gesetz muss dazu führen, dass nach Auslaufen dieser Frist das Problem grundsätzlich angepackt wird. Dazu müssen Hausaufgaben gemacht werden: Ich nenne als Beispiele die Umstellung der Landmaschinenflotte auf Biokraftstoffe aus der regionalen Produktion, damit es nicht zur Zerstörung des Regenwaldes in anderen Erdteilen kommt. Dazu brauchen wir endlich Konzepte, die Sie mit den Betroffenen diskutieren müssen. Es kann nicht sein, dass Milchbäuerinnen und Milchbauern erst in den Hungerstreik treten müssen, damit die Politik überhaupt reagiert.
Ihr Gesetzespaket führt insgesamt zu einer Entlastung; diese ist aber sozial ungerecht ausgestaltet. Sie haben einerseits eine völlig ungerechtfertigte Entlastung der Unternehmen vorgenommen. Beim Agrardiesel haben Sie andererseits eine richtige Regelung getroffen. Deshalb werden wir uns insgesamt enthalten und hoffen, dass Sie endlich einmal über soziale Gerechtigkeit nachdenken.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
- Entschuldigung, ich war bei dem Bemühen um zügige Abwicklung der Tagesordnung den Ereignissen schon voraus. Aber es gibt ja, wie Sie sehen, überhaupt keinen Streit darüber, dass Sie, Frau Scheel, nun das Wort erhalten. - Bitte sehr.
- Selbst diese fröhliche Hoffnung der Kollegin Schewe-Gerigk findet nun ihren Weg ins Protokoll.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Um es klar zu sagen: Ich werde jetzt nicht für die Bundesregierung sprechen, sondern für meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir politisch Verantwortlichen müssen der Bevölkerung, den Beschäftigten und der Wirtschaft Perspektiven aufzeigen, wie es mit unserem Land weitergehen soll. In diesem Zusammenhang muss man klar sagen, dass die verschiedenen Entscheidungen, die in diesem Hause in dieser konjunkturell schwierigen Zeit in den letzten Monaten getroffen worden sind, zusammen gesehen werden müssen, aufeinander abgestimmt sein sollten und letztendlich den Menschen eine Orientierung geben und eine Perspektive aufzeigen müssen.
Dies ist leider wieder nicht geschehen.
Klimaexperten haben gesagt, die Konjunkturpakete seien nicht grün genug. Das sagen auch Ökonomen. China investiert 4,8 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in grüne Konjunkturmaßnahmen, die USA immerhin noch 0,8 Prozent, Deutschland nur 0,4 Prozent. Das zeigt uns, dass die Union und auch die SPD finanzielle Ressourcen verprassen, wie das in den letzten Konjunkturpaketen zum Beispiel mit dieser unsäglichen Abwrackprämie geschehen ist, und die Chancen verpassen.
Das kritisieren wir auch an dem Paket, dass jetzt vorgelegt wird.
Man muss ganz klar sagen: Es geht hier nicht um ein, zwei Gesetze, die verabschiedet werden, sondern innerhalb dieser Gesetze sind sehr viele verschiedene Regelungen getroffen worden, sodass man mit Berechtigung von einem Konjunkturpaket III sprechen kann. Es ist wieder nur Stückwerk, es gibt wieder keine strukturellen Verbesserungen, es findet sich wieder das Gießkannenprinzip statt gezielter Zukunftsinvestitionen. Daran sieht man, dass die Koalition mit viel Steuerzahlergeld die Probleme zukleistert, anstatt den Unternehmen wirklich zu helfen, den Wandel, den sie vollziehen müssen, zu bewältigen.
Dies zeigt sich auch am Beispiel Agrardiesel. Phase 1: Wegen abstürzender Milchpreise sind viele Inhaber von Milchviehbetrieben auf die Straße gegangen; die Bäuerinnen waren mehrere Tage und Nächte lang hier in Berlin. Phase 2: Der Bauernverband holt seine Uraltforderungen nach Steuererleichterungen beim Agrardiesel aus der Rumpelkammer. Phase 3: Die Koalition überreicht dem Bauernverband die geforderten Steuererleichterungen als Wahlgeschenk, ohne dass dies irgendeinen Sinn hinsichtlich der Zukunft unserer Landwirtschaft macht.
350 Euro pro Betrieb werden zurückerstattet, sehr verehrte Damen und Herren. Das Problem ist aber doch die Abhängigkeit der Landwirte von den Milchpreisen und nicht, wie der Agrardiesel subventioniert werden soll. Es geht also darum, wie man den Landwirten hilft, zukünftig aus dieser Misere herauszukommen.
Es sind übrigens 600 Millionen Euro hierfür veranschlagt.
Wenn man dann schaut, wie es weitergeht, dann sieht man, dass, obwohl der Staat in Schulden versinkt, die Union noch Steuersenkungen verspricht.
Die Vorschläge, die die Union jetzt auf den Tisch gelegt hat,
sind 51 Milliarden Euro teuer.
Die Vorschläge, die die FDP auf den Tisch gelegt hat, sind 75 Milliarden Euro teuer.
Ich möchte einmal wissen, wie, wenn man auf der einen Seite den Subventionsbereich ausweitet, anstatt, wie eigentlich notwendig, dort Kürzungen vorzunehmen, und auf der anderen Seite mehr in die Forschung und Bildung investieren will, was wir für notwendig und richtig halten, und damit auf eine Neuverschuldung in diesem Jahr von über 90 Milliarden Euro kommt, Steuersenkungen in einem solchen Ausmaß möglich werden sollen. Sehr verehrte Damen und Herren, das müssen Sie einmal erklären; das versteht kein Mensch mehr.
Wir halten nichts davon, eierlegende Wollmilchsäue durch die Dörfer und Städte zu treiben, um wahlkampforientiert vom Finanzdesaster abzulenken, sondern wir erwarten eine solide Politik, die in die Zukunft weist und die Maßnahmen trifft, die auch eine Relevanz für unsere Arbeitsplätze haben und es uns erlauben, im Wettbewerb zu bestehen.
Es ist grundsätzlich richtig, dass die Kranken- und Pflegebeiträge nicht mehr in der Größenordnung versteuert werden müssen, wie dies bisher in verfassungswidriger Weise gemacht worden ist. Aber dies ist - einige Kollegen haben es schon vor mir gesagt - eben kein Verdienst der Großen Koalition, sondern eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Wenn es eine solche Vorgabe gibt, muss man sich überlegen, wie man sie umsetzt. Die Koalition hat diese Vorgabe sehr kompliziert und sozial unausgewogen ausgestaltet. Steuervereinfachung? - Fehlanzeige! Eine deutliche Anhebung des Grundfreibetrages wäre die Lösung gewesen. Dies wäre einfacher und gerechter gewesen, und dies wäre auch verfassungsfest gewesen. Diesen Vorschlag haben wir von grüner Seite gemacht.
Positiv sind die Nachbesserungen beim Schulbedarfspaket, die höhere Einkommensgrenze für Volljährige beim Kindergeld und der ebenfalls auf 8 004 Euro erhöhte Unterhaltshöchstbetrag für die Unterstützung bedürftiger Angehöriger. Aber ich sage Ihnen an dieser Stelle auch: Die Nachbesserungen, die jetzt im laufenden Verfahren vorgenommen worden sind, waren längst überfällig. Hier hat sich gezeigt, wie schlampig die Koalition gearbeitet hat, weil einiges durchgerutscht ist. Damit hatte man eigentlich gar nicht gerechnet, sodass man nach der Verabschiedung der letzten Gesetze feststellen musste, dass sie lückenhaft ausgestaltet waren. Diese Lücken sollen jetzt im Sinne der Familien und der Kinder geschlossen werden. Es ist gut und richtig, dass Sie hier zur Vernunft gekommen sind.
Die Koalition sollte ihre Fehlleistungen freiwillig einsehen, bevor das Bundesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen Zwang ausübt. Wir müssen uns auch einmal die Frage stellen: Warum warten wir immer darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Politik zum Handeln auffordert? Angesichts ihres Standings, ihres Verantwortungsbewusstseins ist es für die Politik doch wesentlich sinnvoller, Probleme anzupacken, anstatt auf Gerichtsurteile zu warten.
- Wir haben Gerichtsentscheidungen umgesetzt, die Beschlüsse der schwarz-gelben Regierungszeit betrafen. Damals wurden die Familien nämlich verfassungsrechtlich unsauber besteuert, und die rot-grüne Koalition musste das korrigieren, was Sie über Jahre verbockt hatten.
Das sage ich insbesondere in Richtung der FDP: In Ihrer Regierungszeit haben Sie die Steuern immer weiter erhöht und die Familien immer mehr belastet. Von Steuersenkungen reden Sie immer nur, wenn Sie in der Opposition sind.
Ich finde es gut, dass kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe nur noch Umsatzsteuer auf bezahlte Rechnungen an den Fiskus abführen müssen. Sie leiden bedauerlicherweise an der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden. Es ist richtig, dass man dieses Vorhaben endlich umsetzt; auch wir fordern das seit langem.
Wofür wir aber überhaupt kein Verständnis haben, ist, dass die Liquiditätshilfe, die hier für die kleinen und mittleren Betriebe geschaffen wird, nur für zwei Jahre vorgesehen ist. Dieses Hü und Hott macht wirklich keinen Sinn. Es verunsichert die kleinen Firmen. Ich finde schon, dass die zeitliche Begrenzung auf zwei Jahre gestrichen werden sollte; es geht schließlich nur um eine Liquiditätshilfe.
Zur Zinsschranke: Wir haben immer gesagt, dass sie nicht krisentauglich ist. Dass sich das herausstellt, haben wir der Koalition schon damals prophezeit. Im Unterschied zur FDP wollen wir das Rad aber nicht zurückdrehen; vielmehr wollen wir die Unternehmensbesteuerung dahin gehend ausgestalten, dass Forschung und Entwicklung gefördert werden. Für die Zukunft soll dafür gesorgt werden, dass die innovativen Unternehmen in Deutschland die gleiche Entlastung wie in anderen Ländern bekommen.
Man muss sich bei solchen Maßnahmen immer die Frage stellen: Handelt es sich um irgendwelche breit gestreuten Steuergeschenke an viele oder um von der Politik ergriffene Initiativen in Form einer Rahmengesetzgebung, die dazu führen, dass innovative Unternehmen, etwa im Forschungsbereich, mehr Unterstützung bekommen? Eine solche Unterstützung haben die Bundeskanzlerin und Frau Schavan immer wieder eingefordert; passiert ist an dieser Stelle aber gar nichts. Das bedauern wir sehr. Wir hätten uns gewünscht, dass wirksame Maßnahmen getroffen werden, dass für eine Unterstützung gesorgt wird. Jetzt erleben wir, dass getrickste Sonderkonditionen geschaffen werden. Wir brauchen im Steuerrecht aber keine Lex Opel und keine Lex Arcandor. Wir erwarten von Ihnen mehr Transparenz, sodass klar wird, auf welche Unternehmen Ihre Maßnahmen abzielen. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun kommt die Bundesregierung zu Wort. Es spricht der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gelegentlich stelle ich in öffentlichen Veranstaltungen dem Publikum die Frage: Wann war nach ihrer Wahrnehmung der bisher größte Wachstumseinbruch in den letzten 60 Jahren? Wann war die größte Wirtschaftskrise, die wir bisher zu bewältigen hatten? Das ist eine Quizfrage, für deren richtige Beantwortung man eine Belohnung bekommen kann. Die wenigsten erinnern sich, dass das 1975 gewesen ist. Damals gab es einen Einbruch von - halten Sie sich fest - minus 0,9 Prozent. Wenn ich dann hinzufüge, dass wir für dieses Jahr wahrscheinlich einen Konjunktureinbruch von minus 6 Prozent zu verzeichnen haben werden, dann dämmert auch denjenigen, die an den Veränderungen und an der Politik nicht so nah sind, dass wir es mit der tiefsten Wirtschafts- und Finanzkrise in den letzten 60 Jahren zu tun haben und dass diese Krise automatisch Auswirkungen auf das gesamte haushaltspolitische Gerüst hat.
Deshalb ist nicht verwunderlich, dass wir hohe Schulden und geringe Steuereinnahmen haben. Noch viel weniger verwunderlich ist, dass die Politik dies nicht tatenlos hinnehmen kann, sondern gegensteuern muss. Dies hat die Große Koalition in den vergangenen Monaten, wie ich finde, angemessen getan. Wir haben diese Krise zwar nicht verhindern können, aber wir können sie etwas abfedern. Ich hoffe, wir können sie verkürzen. Wir haben dafür das Konjunkturpaket I gemacht. Wir haben dafür das Konjunkturpaket II gemacht. Wir haben einen Rettungsschirm für die Banken aufgespannt.
Wir können schon belegen, dass wir die zur Verfügung gestellten Mittel nicht ?verprassen?, wie Sie es genannt haben, Frau Scheel, sondern mit dem Geld Bürger und Wirtschaft gezielt entlastet haben, dass wir Investitionen, insbesondere kommunale Investitionen in die Infrastruktur, in einem Umfang gefördert haben, wie es ihn vorher nie gegeben hat. Wir waren dabei behilflich, die Liquidität, die Eigenkapitalbildung der Firmen zu stützen. Wir haben den Bankensektor stabilisiert, der den Wirtschaftskreislauf mit Kapital versorgen muss, will sagen, das gesamte Arteriensystem unserer Wirtschaft mit dem notwendigen Geld versorgen muss.
Das ist über zwei Jahre ein konjunktureller Gesamtimpuls von 4,7 Prozent des BIP einschließlich der automatischen Stabilisatoren. Noch einmal: Die automatischen Stabilisatoren bringen mit sich, dass wir versuchen, konjunkturbedingte Mindereinnahmen und konjunkturbedingte Mehrausgaben nicht an anderen Stellen wieder auszugleichen. Mit diesem antizyklischen wirtschaftsfördernden Impuls von 4,7 Prozent des BIP stehen wir im internationalen Bereich sehr gut da.
Ich weiß, dass bei manchen Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstanden ist: Nur die Banken - einige sagen: die Banker - haben 500 Milliarden Euro bekommen. Sehr häufig wird gesagt: Ja, an die Banken und auch an die Unternehmen werden Milliarden und Abermilliarden gezahlt. Dabei gerät aber in Vergessenheit, dass es eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, mit denen die Bürger direkt entlastet werden: über das Konjunkturpaket I, über das Konjunkturpaket II, über die Gesetze zum Familienleistungsausgleich und auch über andere Maßnahmen immerhin in jedem Jahr in der Größenordnung von vollumfänglich 21,4 Milliarden Euro.
Der größte Batzen, der dazu beitragen wird, ist heute Gegenstand unserer Debatte, nämlich das Bürgerentlastungsgesetz, das eine Entlastung von 16 Millionen Bürgerinnen und Bürger mit sich bringt. 85 Prozent aller steuerbelasteten Bürgerinnen und Bürger in dieser Republik werden jährlich um 9,6 Milliarden Euro entlastet. Das heißt, in der nächsten Legislaturperiode um insgesamt 40 Milliarden Euro. Ich finde, diese Aussage darf mit einem Ausrufezeichen versehen werden; denn das ist nicht wenig Geld.
Dabei stellt niemand in Abrede - das wird gar nicht dementiert -, Herr Thiele, dass der Ausgangspunkt dieser Entlastungen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist. Das ändert aber nichts daran, dass es diesen Entlastungseffekt gibt und dass es diese Große Koalition gewesen ist, die die Ausgestaltung dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts so vorgenommen hat, dass 9,6 Milliarden Euro dabei herauskommen.
Das hätte man auch anders machen können, wie Sie wissen. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass es viele Experten in meinem Hause gegeben hat - Nicolette Kressl lächelt dabei wissend -, die natürlich eine Gegenfinanzierung verlangt haben, sodass der Entlastungseffekt keineswegs 9,6 Milliarden Euro betragen hätte, sondern vielleicht nur 4 oder 5 Milliarden Euro. Sie, Frau Scheel, haben in Ihrer Rede verschwiegen, dass sich diese Große Koalition dazu durchgerungen hat, gerade in dieser Konjunktursituation dieses Urteil so auszulegen, dass niemand einen einzigen Nachteil hat, sondern die Bürgerinnen und Bürger vollumfänglich von einem Maximum an Entlastungen, das einigermaßen verträglich ist, profitieren können, und zwar in einer Größenordnung von 9,6 Milliarden Euro.
Ich will auch aufgrund meiner Redezeit auf Einzelheiten gar nicht eingehen. Das mag auch für diejenigen, die uns zuhören, langweilig sein. Aber ich will einige konkrete Beispiele liefern, damit anschaulich wird, was das für den einzelnen Bürger und die einzelne Bürgerin heißt.
Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind mit einem Bruttoarbeitslohn von 25 000 Euro wird ungefähr um 280 Euro entlastet. Ein lediger Arbeitnehmer ohne Kind mit einem Bruttojahreslohn von 50 000 Euro wird um etwa 1 150 Euro entlastet.
- Die Singles in Deutschland sind bei der Besteuerung im Vergleich zu den Familien die Gekniffenen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen Single ist. Aber dann wissen Sie sicherlich genau, dass der Staubsaugereffekt über Sozialversicherungsabgaben und Steuern eine sehr große progressive Wirkung hat.
Verheiratete ohne Kind mit einem Bruttoeinkommen von 80 000 Euro werden immerhin um fast 620 Euro entlastet. Das heißt, es findet dort der Effekt statt, den wir uns gerade in dieser Konjunktursituation wünschen.
Das ist nicht alleine Gegenstand dieses Gesetzentwurf, wie Sie wissen, sondern daneben treffen wir in der Tat befristet - da stimme ich Frau Frechen ausdrücklich zu: befristet wegen dieser konkreten Konjunktursituation - eine ganze Reihe von entlastenden Maßnahmen für die Unternehmen in einer Größenordnung von insgesamt 3 Milliarden Euro. Sie kennen die Maßnahmen: erstens die Einführung einer Sanierungsklausel - das muss ich nicht länger ausführen -, zweitens die befristete Erhöhung der Freigrenze bei der Zinsschranke und drittens die Verdoppelung der Umsatzgrenze bei der Istversteuerung, was einen Liquiditätsschub von immerhin 1,9 Milliarden Euro für die mittelständischen Unternehmen bedeutet.
Mit Blick auf die Zinsschranke und ähnliche Maßnahmen können Sie, Herr Thiele, nicht wiederholt von einer ach so dramatischen Substanzbesteuerung in Deutschland sprechen. Sie sind, wie ich glaube, im Kopf gut aufgeräumt und wissen genau, dass die Substanzbesteuerung in Deutschland im internationalen Vergleich denkbar gering ist. Wo ist da das Drama, das Sie in Ihren Reden in diesem Zusammenhang immer beschwören?
Im Übrigen darf ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen unseres Koalitionspartners, die das anders sehen, darauf hinweisen, dass gemäß mehreren Untersuchungen - unter anderem gibt es eine entsprechende bayerische Statistik -
die Bedeutung und der Stellenwert dieser Zinsschranke sehr viel geringer sind, als gelegentlich propagandistisch in den Raum gestellt wird.
Die DIW-Untersuchung macht deutlich, dass in Deutschland im Wesentlichen 600 deutsche Unternehmen durch diese Zinsschranke konkret belastet sind. Die bayerische Statistik spricht von insgesamt 1 400 bis 1 500 betroffenen Unternehmen in Deutschland. Ich wäre daher dankbar, wenn der Impetus, mit dem dieser Sachverhalt zu einem großen Drama gemacht wird, etwas abgeschwächt werden könnte.
Ich bin bereit gewesen, Nachjustierungen vorzunehmen. Das habe ich damals bei der Verabschiedung der Unternehmensteuerreform mit Blick auf die schwierigen Regelungstatbestände beim sogenannten Mantelkauf, der Zinsschranke und den Funktionsverlagerungen immer deutlich gemacht. Aber was mit mir nicht zu machen ist - das will ich deutlich sagen -, ist, die nach wie vor richtige und für den Standort Deutschland wie auch für die Steuerbasis wichtige Grundausrichtung der Unternehmensteuerreform mit dem argumentativen Rückenwind der Konjunkturlage jetzt total aushebeln zu wollen.
Dafür besteht weder eine sachliche Notwendigkeit, noch verkraftet es die Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte. Gelegentlich geht nämlich die Einsicht verloren, dass es nicht nur um den Bundeshaushalt geht. Mit Blick auf alle diversen Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung - das gilt insbesondere für Maßnahmen, die von der FDP vorgeschlagen werden - sollte man betonen, dass die Kommunen einen Anteil von 15 Prozent und die Länder einen Anteil von 42,5 Prozent an der Einkommensteuer haben. Ihre Haushalte wären also von Entlastungsmaßnahmen bei der Einkommensteuer betroffen.
Um es sehr deutlich zu machen: Es geht in dieser Krise um temporäre, also zeitlich befristete Entlastungen der Unternehmen. Es geht nicht um eine dauerhafte strukturelle Entlastung. Die Zinsschranke führt keineswegs zu den häufig dargestellten strukturellen Verwerfungen.
Meine Damen und Herren, das vorliegende Bürgerentlastungsgesetz, das heute verabschiedet werden soll, macht seinem Namen alle Ehre. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es angesichts einer Gesamtentlastung in Höhe von 40 Milliarden Euro in einer Legislaturperiode wahrscheinlich eines der größten Entlastungspakete in der Geschichte unseres Landes ist. Es kommt vor allen Dingen zur richtigen Zeit.
Allen, die jetzt allerdings vollmundig weitere voluminöse Steuerentlastungen ins politische Schaufenster stellen, prophezeie ich, dass es dazu in absehbarer Zeit nicht kommen wird.
Ich werde dem Bundeskabinett in der nächsten Woche den Haushaltsplanentwurf für 2010 vorstellen mit einer Neuverschuldung in einer Größenordnung von fast 90 Milliarden Euro.
- Historisch hoch. - Sie ist bedingt durch die derzeitige ökonomische Entwicklung, die Sie vielleicht in Ihrem Erklärungsmuster berücksichtigen sollten. Mich stört jetzt am meisten die Vorstellung - Sie wissen das -, dass man trotz dieser 90 Milliarden Euro Neuverschuldung weitere Perspektiven für Steuerentlastungen in Höhe von 110 bis 120 Milliarden Euro in den nächsten Jahren eröffnen könnte. Ihre Vorschläge, von denen auch die kommunalen und die Länderhaushalte betroffen wären, sind schlicht und einfach illusorisch.
Anders ausgedrückt: In der konkreten Situation, in der wir uns derzeit befinden, wird keine Bundesregierung, egal wie die Farbenlehre nach dem 27. September aussieht, Steuersenkungen auf Pump realisieren können. Das ist meine Prophezeiung.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Edmund Geisen für die FDP-Fraktion.
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Soeben haben Sie einen Minister gehört, der Entlastungen verspricht. Er hat in der Vergangenheit schon sehr viel versprochen. Ich stelle für die FDP-Fraktion fest: Elf Jahre Finanzminister in Rot haben zu folgendem Ergebnis geführt: ständige Steuererhöhungen und trotz ständiger Steuermehreinnahmen höchster Schuldenstand der Nation.
Gleichzeitig wurden wichtige Branchen vernachlässigt. Lassen Sie mich als Bewohner des ländlichen Raumes eine Branche aufgreifen. Eine scheinbar kleine, aber gesamtgesellschaftlich hochwertige Wirtschaftsbranche ist die deutsche Landwirtschaft. Fast jeder zehnte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt von ihr ab. Die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Agrarwirtschaft haben sich seit den letzten elf Jahren - seit Rot-Grün, Frau Scheel - durch staatliche Vorgaben deutlich verschlechtert. Frau Künast von den Grünen hat die Landwirtschaft stiefmütterlich behandelt.
Die Besteuerung der Betriebsmittel ist um ein Vielfaches höher als in den anderen EU-Mitgliedsländern. Der Agrardiesel wird in Deutschland bislang um das 80-Fache höher besteuert, als im Nachbarland Frankreich und in fast allen anderen EU-Ländern.
Seit drei Jahren kämpft die FDP-Fraktion gegen den Widerstand aller anderen Fraktionen inklusive der Großen Koalition für eine Harmonisierung der Agrardieselbesteuerung auf europäischer Ebene. Jetzt vor den Bundestagswahlen - auch schon vor den Europawahlen - beschließt die Bundesregierung, getragen von Teilen der Koalition, die Agrardieselbesteuerung zeitweilig zu senken. Aber auch durch diese neue Regelung wird die deutsche Landwirtschaft belastet, weil die Besteuerung trotzdem noch um das 40-Fache höher liegt als bei den französischen Kollegen.
Es ist klar, dass eine Beruhigungspille an die Landwirte verteilt werden soll. Das ist ein offensichtlicher Wahlkampftrick. Wie sich auf mein Nachfragen beim Bundesfinanzminister herausstellte, gilt die zweijährige Befristung rückwirkend, das heißt, schon drei Monate nach der Wahl, am 1. Januar nächsten Jahres, wird diese Steuersenkung wieder aufgehoben. Dann gilt für die deutsche Landwirtschaft wieder die 80-fache Besteuerung des Agrardiesels.
Die jetzige Regelung hat mit Planungssicherheit und Verlässlichkeit nichts zu tun. Mein Fazit lautet: Mit der Großen Koalition kann man keine vernünftige Agrarpolitik machen. Die Landwirte kommen vom Regen in die Traufe und wieder zurück. In der aktuellen Krise stehen die Milchbauern nicht nur mit dem Rücken zur Wand; sogar Betriebsaufgaben sind die Folge. Wer das nicht will, muss die Leistungsfähigkeit der Betriebe stärken und darf keine Sozialhilfe leisten. Die FDP will statt staatlicher Unterstützungsprogramme die Rahmenbedingungen für die heimische Landwirtschaft verbessern.
So kann die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Eine dauerhafte Kostenentlastung auch bei Agrardiesel ist notwendig. Die kostentreibende Politik der Regierungen der letzten elf Jahre hat der deutschen Landwirtschaft nachhaltig Schaden zugefügt. Das muss sich nach dem 27. September unbedingt ändern. Wir sind sehr motiviert. Wir werden bis aufs Letzte kämpfen, um Veränderungen herbeizuführen; denn wir können es besser.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach, CDU/CSU-Fraktion.
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden in den nächsten Monaten viele Gelegenheiten haben, um über Steuerkonzepte zu sprechen. Wenn es aber um Steuerentlastung geht, dann sind wir heute an der richtigen Stelle; denn heute werden die Bürger um 10 Milliarden Euro und die Unternehmen um 3 Milliarden Euro entlastet. Das sollten wir zunächst einmal festhalten.
Gerade in dieser Debatte wird viel über Steuererhöhungen gesprochen. Das hat schon einen Hang zum Absurden: Wir sprechen über Steuererhöhungen, während wir gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen entlasten wollen. Frau Kollegin Christine Scheel, Sie haben bereits darüber gesprochen, dass die Konjunktur unzureichend angekurbelt wurde. Die 10 Milliarden entsprechen den 0,4 Prozent, die Sie angesprochen haben.
Beim Bürgerentlastungsgesetz - das haben die Vorredner bereits gesagt - geht es um eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass neben Nahrung, Kleidung und Wohnung auch die Beiträge zur Krankenversicherung zum steuerlichen Existenzminimum gehören. Das ist eine neue Situation. Das hatten wir in den letzten 60 Jahren - auch unter anderen Regierungen - nicht. Wir als Koalition haben darauf exakt reagiert und die richtigen Entscheidungen getroffen. Zukünftig können alle Beiträge für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung abgesetzt werden. Das heißt, wer hohe Beiträge zahlt, Frau Höll, der kann natürlich auch viel absetzen.
Es gibt auch eine Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Krankenkasse, aber es ist deutlich gemacht worden, dass es um den ersten Punkt geht: Alle Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse können abgesetzt werden. Bei den Privatversicherten gibt es eine Sonderregelung. Auch hier wird ermittelt, wie hoch der gesetzliche Anteil, der abgesetzt werden kann, und wie hoch der private Anteil der Versicherung ist.
Eine Besonderheit ist, liebe Kolleginnen und Kollegen - das ist wichtig für die Beitragszahler -, dass zukünftig auch alle Beiträge für die Kinder abgesetzt werden können. Das ist meines Erachtens einer der wichtigsten Punkte.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Herr Kollege Spieth würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):
Ja, das kann er gerne machen.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Herr Kollege Flosbach, ich kann nachvollziehen, dass Sie mit diesem Bürgerentlastungsgesetz die Vorgaben des Gerichtes erfüllen wollen. Aber Sie sprechen davon, dass alle Beitragszahler gleichermaßen durch Ihre Maßnahmen entlastet werden. Das ist nach meiner Auffassung falsch. Deshalb frage ich Sie: Wollen Sie wirklich behaupten, dass ein Arbeitnehmer - verheiratet, ohne Kinder, mit einem Einkommen in Höhe von 1 500 Euro - durch Ihr Gesetz steuerlich entlastet wird? Nach meiner Berechnung - das kann man im offiziellen Rechner des Bundesfinanzministeriums nachrechnen - findet in diesem Bereich überhaupt keine Entlastung statt.
Können Sie bestätigen, dass ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen in Höhe von 3 675 Euro durch Ihre Maßnahmen um rund 85 Euro entlastet wird? Können Sie weiter bestätigen, dass ein Bundestagsabgeordneter mit einem Einkommen in Höhe von 7 665 Euro um rund 125 Euro monatlich entlastet wird?
Ich kann nur feststellen: Wenn ich an mein eigenes Portemonnaie denken würde, dann müsste ich dem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen. Aber bei dieser sozialen Schräglage muss man das Bürgerentlastungsgesetz ablehnen; denn es ist sozial nicht ausgeglichen. Können Sie das bestätigen, oder würden Sie dem widersprechen?
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):
Herr Kollege, anscheinend haben Sie das Steuersystem der Bundesrepublik Deutschland immer noch nicht verstanden.
Krankenversicherungsbeiträge sind Beiträge, für die man eine konkrete Gegenleistung erhält. Steuern sind Abgaben, bei denen Sie keinen Anspruch auf eine Gegenleistung haben. Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht,
dass etwa 85 Prozent aller derzeitigen Einkommen- und Lohnsteuerzahler entlastet werden. Sicherlich können diejenigen, die keine Steuern zahlen, auch nicht entlastet werden. Das ist ein relativ einfaches Rechenbeispiel.
Wir wollen - und das ist ein Kern des Gesetzentwurfs - auch die Leistungsträger entlasten, diejenigen, die bisher hohe Beiträge gezahlt haben.
Meine Damen und Herren, im Gesetzentwurf ist geregelt worden, dass alle Beiträge abgesetzt werden können. Ich denke, Frau Frechen, die Verhandlungen haben gezeigt, dass wir einen guten Weg gefunden haben, um auch das komplizierte Problem bei den privaten Krankenversicherungen zu lösen. Es gab ja Überlegungen, für jeden Einzelnen exakt zu errechnen, wie hoch sein gesetzlicher Anteil und wie hoch sein privater Zusatzanteil ist. Wir haben eine Pauschalierung vereinbart, sodass für jeden Tarif exakt ausgerechnet werden kann, wie hoch der Abzugsbetrag ist. So wurde dieses Problem gelöst. Das war wichtig für uns; denn wir wollten bei diesem Gesetz zu viel Bürokratie vermeiden. Das ist uns als Koalition hervorragend gelungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das natürlich auch immer im Zusammenhang mit der vorherigen, aktuell noch gültigen Regelung sehen, die seit dem Jahr 2005 bzw. seit der Verabschiedung des Alterseinkünftegesetzes gilt. Bisher können Arbeitnehmer von allen Beiträgen, von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, aber auch Arbeitslosenversicherungsbeiträgen und Beiträgen zur Risikolebensversicherung, zur Unfallversicherung, zur Haftpflichtversicherung sowie zur Berufsunfähigkeitsversicherung - einen Teil davon zahlt ja der Arbeitgeber - nur 1 500 Euro absetzen. Bei einem Selbständigen sind es bisher 2 400 Euro. Das ist natürlich viel zu wenig. Deshalb haben wir in einem ersten Schritt diese Grenze auf 1 900 Euro beziehungsweise 2 800 Euro angehoben. Sie hatten recht, Frau Frechen, damit werden natürlich die kleinen Einkommen bevorzugt.
Jetzt wird uns vorgeworfen, wir hätten kein Gesetz geschaffen, mit dem auch anderen Möglichkeiten der Vorsorge gegeben werden. Aber ich bitte Sie, rufen Sie sich die Zeit dieser Legislaturperiode in Erinnerung; erinnern Sie sich an das Jahr, in dem das Alterseinkünftegesetz verabschiedet wurde: Wir haben neu geregelt, dass bis zu 20 000 Euro für die Altersvorsorge abgesetzt werden können. Wer eine Rürup-, also eine Basisrentenversicherung abschließt, der kann 50 Prozent seines Beitrags für eine Berufsunfähigkeitsversicherung ausgeben. Wer eine Direktversicherung zur betrieblichen Altersversorgung abschließt, kann seine Zahlung vollständig in die Berufsunfähigkeitsversicherung einfließen lassen. Bei einer Riester-Rente ist das ebenfalls teilweise möglich. Mit einer betrieblichen Gruppenunfallversicherung kann sehr kostengünstig und sowohl für den Betrieb absetzbar als auch für den Arbeitnehmer steuerfrei eine Unfallversicherung aufgebaut werden.
Es war das Konzept der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen, mit Blick auf die Geringverdiener und die Leistungsträger der Gesellschaft eine Ausgewogenheit herbeizuführen. Das war uns besonders wichtig.
Insgesamt werden die Bürger um 10 Milliarden Euro entlastet. Dabei erhalten die Lohnsteuerzahler durch das Lohnsteuerabzugsverfahren direkt mit Beginn im Januar 2010 den entsprechenden Vorteil. Der Bundesfinanzminister hat deutlich gemacht, dass es Unterschiede gibt. Manche werden um wenige 100 Euro jährlich entlastet; bei Einzelnen kann die Entlastung auch 1 000 Euro im Jahr betragen.
Viele haben dies als heimliches Konjunkturpaket bezeichnet. Das ist richtig. Gerade in der jetzigen Phase können wir damit dafür sorgen, dass die Bürger mehr Geld in der Tasche haben. Für die Ankurbelung der Konjunktur ist das in der Tat sehr wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen Gesetzentwurf natürlich auch um Positionen erweitert, die dazu dienen, Unternehmen zu helfen, durch die Krise zu kommen. Nicht nur bei den Großen, sondern auch bei vielen Klein- und Mittelbetrieben erleben wir, dass sie in größten Liquiditätsschwierigkeiten stecken. Deshalb war es uns auch wichtig, die Umsatzsteuererhebung in den Betrieben zu verändern. Bisher gilt die sogenannte Sollbesteuerung. Damit muss ein Unternehmer die Umsatzsteuer schon in dem Moment abführen, in dem er die Rechnung stellt, obwohl er das Geld noch nicht auf dem Konto hat. Für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 500 000 Euro sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern wollen wir das Ganze deshalb umstellen. Sie müssen die Umsatzsteuer in Zukunft erst dann abführen, wenn der Rechnungsbetrag auf ihrem Konto eingegangen ist. Es gilt also die Istbesteuerung. Für 80 Prozent aller Klein- und Mittelbetriebe ist es die entscheidende Größe, dass sie in der jetzigen Phase Liquidität in die Tasche bekommen.
Auch die anderen Maßnahmen in diesem Gesetzentwurf sind genau auf die derzeitige Situation zugeschnitten. Selbstverständlich haben wir mit dem Koalitionspartner nicht in allen Punkten Übereinstimmung erzielt. In der jetzigen Situation ist allerdings besonders wichtig, dass wir die Zinsschranke gelockert haben. Bisher mussten viele Betriebe Steuern auf Gewinne zahlen, die sie gar nicht erwirtschaftet haben; denn sie konnten die Zinsen nicht als Kosten absetzen. Hier haben wir eine Erweiterung von 1 Million auf 3 Millionen Euro je Betrieb vorgenommen.
Ein weiterer Punkt ist in der aktuellen Phase von großer Bedeutung. Nicht der Staat soll sanieren; vor allem sollen Betriebe saniert werden, indem andere Betriebe sie auch übernehmen können. Dazu war uns die Sanierungsklausel sehr wichtig. Insbesondere geht es an dieser Stelle um die Arbeitsplätze. Wenn Betriebsvereinbarungen getroffen werden, haben wir auch eine große Chance, zahlreiche Arbeitsplätze zu erhalten.
Ich komme zum Schluss. Der von den Koalitionsfraktionen unterstützte Entwurf eines Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung der Bundesregierung hilft den Menschen und den Betrieben in der Krise. Uns ging es darum, in der jetzigen Phase allen mehr Liquidität zu geben, die Nachfrage anzukurbeln und uns vor allen Dingen so aufzustellen, dass wir stabil aus der derzeitigen Krise herauskommen. Die Betriebe und die Bürger sollen anschließend in der Lage sein, wieder Steuern zu zahlen, um unser stabiles Sozialsystem auch weiterhin aufrechtzuerhalten.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kollegen Reinhard Schultz das Wort.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teile der bislang geführten Debatte sind einigermaßen kurios. Die FDP zieht wieder ihre Oper der milliardenschweren Steuerentlastung ab - mit der festen Absicht, die öffentlichen Haushalte und die Finanzierung der Sozialsysteme nun endgültig zu ruinieren und nur eine Klientel zu bedienen, die von diesen Steuerentlastungen dann auch etwas hätte.
Die CDU/CSU ist dort Gott sei Dank deutlich vorsichtiger. Sie hat gesagt, was heute zu entscheiden sei, stehe hier zur Debatte. Außerhalb dessen diskutiert sie dann Steuerprogramme, bei denen sie zum einen versucht, auf die FDP zuzurobben. Zum anderen stellt sie das Ganze aber gleichzeitig unter den Inkraftsetzungsvorbehalt der besseren Zeiten. Auch das finde ich ganz interessant. Nach dem Motto ?Denn das Himmelreich ist nah? wird hier Wahlkampf vorbereitet; ich kann das alles auch gut verstehen.
Wer sich ernsthaft mit der steuerlichen Problematik, mit der Abgabensituation und mit der Lage der Wirtschaft befasst, der muss feststellen, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten wirklich Gigantisches leisten, um Schritt für Schritt da, wo es notwendig ist, Wirtschaft und Bürger durch Konjunkturprogramme, durch Kreditprogramme, durch steuerliche Maßnahmen und durch Direktinvestitionen zu entlasten.
- Das ist doch so, Eduard. - Wegen der Krise muss man dabei natürlich differenzieren. Das muss man befristen. Wir können uns nicht bis zum Jüngsten Gericht politisch völlig handlungsunfähig machen.
Wo wollen wir dauerhafte Entlastung? Wir haben die Bürger bereits dauerhaft entlastet, auch im Rahmen von bestimmten Teilen des Konjunkturprogramms. Es ist ja nicht so, dass wir für die geringen Einkommen nichts getan hätten. Wir haben den Grundfreibetrag heraufgesetzt. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt. Das war in dieser Situation schon eine große Maßnahme. Auch das Bürgerentlastungsgesetz, das von uns natürlich nicht unter konjunkturpolitischen Aspekten entworfen wurde, passt gut in dieses Konzept - das ist überhaupt nicht zu bestreiten -; denn es wirkt ab 2010 in der Breite entlastend. Das muss man einmal sehen.
Herr Thiele, ich wende mich jetzt vor allen Dingen an Sie, weil Sie von der FDP immer rufen, wir hätten jetzt die höchste Verschuldung überhaupt.
Ich muss Sie fragen, wie es in dieser Situation aussähe, wenn wir nicht zu Beginn dieser Koalition einen strikten Konsolidierungskurs gefahren wären, was den Bundeshaushalt angeht, wenn wir bei der Unternehmensteuerreform nicht darauf geachtet hätten, dass - bei aller Wettbewerbsfähigkeit der Steuersätze - auch etwas für den Staat übrig bleibt. Wie sähe die Handlungsfähigkeit in diesem Jahr aus, wenn wir nicht vorher dafür gesorgt hätten, dass wir das Konsolidierungsziel, das wir ursprünglich im Auge gehabt haben, nahezu erreicht hätten? Wir wären in der Situation von Ländern wie Griechenland und anderen, die, ökonomisch gesehen, auf den Brustwarzen robben, überhaupt nicht mehr handlungsfähig sind und jetzt über den Umweg der EU versuchen, eine Art von Finanzausgleich zu unseren Lasten hinzubekommen. Wenn Steinbrück nicht vorher das Kreuz durchgedrückt hätte und auf Konsolidierung gesetzt hätte, wären wir nicht in der Lage, auf die Krise so zu reagieren, wie wir das jetzt getan haben. Das ist die ganze Wahrheit.
Natürlich machen wir dafür Schulden. Das wissen wir auch. Es ist nun einmal das Prinzip einer antizyklischen Konjunkturpolitik, dass man mitunter Geld in die Hand nehmen muss, um Wachstum zu generieren. Dann muss man sich aber strikt verpflichten - das ist im Zusammenhang mit der Schuldenbremse auch beschlossen worden -, diese Schulden in besseren Zeiten wieder zurückzuführen. Das ist im Zusammenhang zu sehen. Diese Änderung der Verfassung im Rahmen der Föderalismusreform II und die Staatsverschuldung, zu der wir jetzt gezwungen sind, haben doch etwas miteinander zu tun.
In diesem Gesetzespaket geht es aber nicht nur um die Entlastung der Bürger, sondern auch um Elemente der Unternehmensteuerreform, die zur Gegenfinanzierung dienen. Diese Elemente - wir haben in bestimmten Punkten Neuland betreten - stehen natürlich unter einem Evaluierungsvorbehalt; Peer Steinbrück hat darauf hingewiesen, und wir haben das auch gesagt. Man muss genau schauen: Wie weit kann man die Schraube drehen, ohne sie zu überdrehen? Wo kann man Feinsteuerung machen? Wir haben dabei festgestellt: In dramatisch schwierigen Zeiten wie jetzt gibt es Effekte, die man aufheben muss, zumindest solange die Zeiten so schwierig sind.
Da bin ich über etwas sehr froh. Wir führen ja spätestens seit dem SPD-Bundesparteitag die Diskussion darüber: Wer hat es erfunden? - Das finde ich auch gut. Bei der Frage der Istversteuerung ist es völlig eindeutig, das ist von uns.
- Das wäre überhaupt nicht in der Beschlussvorlage, liebe Freunde, wenn ich dieses Thema nicht in der Anhörung - zur Überraschung mancher, auch zur Überraschung des Koalitionspartners - auf die Tagesordnung gebracht hätte. Dann sind Gott sei Dank alle, die entscheiden können, dem gefolgt. Für zweieinhalb Jahre gilt die Istversteuerung, wie sie bislang nur in Ostdeutschland galt, im gesamten Bundesgebiet; die Umsatzgrenze beträgt 500 000 Euro.
- Das ist nicht meine letzte Rede, lieber Herr Finanzausschussvorsitzender. Ich glaube, dass ich hier bis zum Anschlag weitermache - das würde ich einmal vermuten -, wenn nicht etwas dazwischenkommt; aber auch das glaube ich nicht.
Gerade den kleinen und mittleren Unternehmen haben wir in der Krise einen erheblichen Liquiditätsvorteil verschafft, weil es in der jetzigen Situation, wie auch Herr Flosbach dargestellt hat, nicht zumutbar ist, dass sie die Umsatzsteuer auf Rechnungsbeträge abführen müssen und nicht wissen, ob sie diese Rechnungsbeträge in den nächsten vier, sechs, acht oder zwölf Wochen überhaupt vereinnahmen können. Das ist der Effekt, um den es geht. Das passt in unser Gesamtprogramm zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Krise und zur Stabilisierung der kleinen und mittleren Unternehmen.
Das gilt auch für die Sanierungsklausel, für die Mantelkaufregelung, die wir im Rahmen der Unternehmensteuerreform beschlossen haben. Natürlich wollen wir das willkürliche Umpflanzen von Verlusten, das Übertragen von Verlusten auf eine andere Gesellschaft, nur um diese dann steuerlich geltend machen zu können, weiterhin nicht. Wir wollen dies verhindern. Deswegen können wir uns jetzt nur darauf verständigen, diesen Teil im Sinne einer vernünftigen Sanierung und unter angemessenen Bedingungen für die Beschäftigten -
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Schultz!
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
- außer Kraft zu setzen. Wenn die Beschäftigten mitmachen oder wenn der Wert des Unternehmens eindeutig erhalten oder sogar verbessert wird, dann besteht die Möglichkeit, diese Verluste auf einen neuen Eigentümer zu übertragen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Schultz, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr vor sich!
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Eben. - Das gilt nicht nur für Arcandor oder sonst wen. Das gilt insbesondere auch für viele mittelständische Unternehmen, die wegen der Krise vor Übernahmen und Eigentümerwechseln stehen. Deswegen ist es irrig, anzunehmen, wir würden dies nur für die Großen tun. Wir tun es auch für die Kleinen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Schultz, ich muss Sie jetzt dringlich mahnen, dass Sie aufhören.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):
Ich bin jetzt auch fertig.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter Rzepka, CDU/CSU-Fraktion.
Peter Rzepka (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat die Große Koalition die nominale Ertragssteuerbelastung für Kapitalgesellschaften von knapp 40 auf etwa 30 Prozent gesenkt. Für Personenunternehmen wurden vergleichbare Thesaurierungsbedingungen geschaffen. Deutschland ist damit im internationalen Vergleich der Tarife von einer Spitzenposition ins Mittelfeld gerückt. Das Ziel der Reform, deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken, ist gefördert worden.
Bereits in der Koch/Steinbrück-Kommission hatten die Koalitionsparteien verabredet, die Nettoentlastung durch Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage auf etwa 5 Milliarden Euro zu begrenzen. Mit dieser Gegenfinanzierung sollte gleichzeitig der Verlagerung von Gewinnen ins Ausland entgegengewirkt und das deutsche Steuersubstrat gesichert werden.
Schon in den Jahren zuvor waren allerdings die Regeln zur Gewinnermittlung zulasten der Unternehmen ständig verschlechtert worden. Mindestgewinnbesteuerung, Erschwerungen bei der Gesellschafterfremdfinanzierung und Einschränkungen bei der Bildung steuerwirksamer Rückstellungen hatten die tatsächliche Steuerlast für Unternehmen erhöht. Die nach dem Koch/Steinbrück-Konzept erforderliche Gegenfinanzierung konnte deshalb nicht mehr allein durch die Streichung von Ausnahmen und Steuervergünstigungen erbracht werden.
Deshalb wurde die Ertragsbesteuerung durch Elemente der Substanzbesteuerung erweitert.
Bereits in der Anhörung zum Unternehmensteuerreformgesetz wurde Folgendes deutlich: Bei guter Konjunktur und entsprechender Ertragslage der Unternehmen wird die Senkung der Steuersätze die Gegenfinanzierung überkompensieren und die Unternehmen entlasten. Bei schlechter Konjunktur und Ertragsschwäche wirken die Gegenfinanzierungsmaßnahmen hingegen substanzverzehrend und verschärfen damit die Krise.
Trotzdem wurde der Regierungsentwurf in der konjunkturellen Schönwetterlage 2007 mit einigen Verbesserungen beschlossen. Zu weiteren Änderungen waren Finanzminister Steinbrück und die SPD-Fraktion nicht bereit.
In der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise mit der schärfsten Rezession der Nachkriegszeit wirken sich die Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Unternehmensteuerreform nun tatsächlich krisenverschärfend aus. Sie entziehen den Unternehmen dringend notwendiges Eigenkapital, erschweren die Sanierung einschließlich der Zuführung frischen Kapitals, tragen zur Verteuerung von Krediten bei und gefährden damit Arbeitsplätze.
Die Arbeitsgruppe Finanzen der Unionsfraktion hatte bereits in den Beratungen zum Jahressteuergesetz 2009 im Oktober vorigen Jahres Änderungsbedarf bei der Unternehmensteuerreform angemeldet, ist aber am Widerstand der SPD-Fraktion gescheitert. Immerhin hat die Beharrlichkeit meiner Fraktion dazu geführt, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner im Rahmen dieses Gesetzentwurfs auf folgende Änderungen bei der Unternehmensbesteuerung verständigt haben: Es ist bereits angesprochen worden, dass wir das Überschreiten der Zinsschranke erleichtern, dass die Verlustvorträge im Sanierungsfall in bestimmten Fällen erhalten bleiben und die Istbesteuerung ausgeweitet wird, insbesondere als Liquiditätshilfe für die kleinen Unternehmen. Die ersten beiden Maßnahmen entlasten die Unternehmen um circa 1 Milliarde Euro im Jahr. Die zeitlich begrenzte Ausweitung der Istbesteuerung stärkt die Liquidität der Unternehmen bis Ende 2011 um knapp 2 Milliarden Euro.
Die Union hält ebenso wie viele Sachverständige weitere Maßnahmen für erforderlich, um Unternehmen in der Krise und im internationalen Wettbewerb zu stärken, zum Beispiel weitere Erleichterungen bei der Zinsschranke. Herr Minister Steinbrück, Sie haben im Gesetzgebungsverfahren vor zwei Jahren davon gesprochen, dass von der Zinsschranke, die dazu führt, dass Unternehmen auch ohne entsprechende Erträge Steuern zahlen müssen, nur 200 Unternehmen betroffen sein würden. Das war Ihr Standpunkt 2007 im Gesetzgebungsverfahren. In Ihrer heutigen Rede haben Sie eingeräumt, dass wesentlich mehr Unternehmen betroffen sind; Sie sprachen von 400 oder möglicherweise deutlich mehr Unternehmen.
Wo liegt da das Problem, Herr Steinbrück? Die Untersuchungen, auf die Sie sich berufen, beziehen sich auf die Jahre 2006 und früher. Darin konnte die gegenwärtige Krise und deren Auswirkungen überhaupt noch nicht berücksichtigt werden. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass nicht nur 1 400, sondern mehrere Tausend Unternehmen betroffen sind.
- Frau Kollegin Frechen, Sie sind in der Steuerberatung tätig. Wenn Sie mit Ihren Kollegen in der Steuerberatung sprechen, wissen Sie, dass bereits jetzt viel mehr Unternehmen betroffen sind, als ursprünglich angenommen worden ist.
Viele Steuerberater, die gar nicht glaubten, jemals mit dem Thema zu tun zu bekommen, weil sie nur kleine und mittlere Unternehmen betreuen, bestätigen uns: Die Betroffenheit ist da. Wir wollen deshalb weitere Änderungen bei der Zinsschranke, bessere Verlustverrechnungsmöglichkeiten, eine Reduzierung der ertragsunabhängigen Bestandteile der Gewerbesteuer und das alles ohne zeitliche Beschränkung.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich diesen Forderungen in einem eigenen Gesetzentwurf weitgehend angeschlossen. Die notwendige Reform der Reform muss vom nächsten Bundestag sehr bald beschlossen werden, um weitere Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste zu vermeiden. Nach meiner persönlichen Meinung hätten wir die Mittel aus der Abwrackprämie besser für eine Reform der Unternehmensbesteuerung schon in dieser Wahlperiode eingesetzt und damit für alle Unternehmen Erleichterungen geschaffen.
Da ich mit dem Ende der Legislaturperiode aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden werde,
gestatten Sie mir einige persönliche Anmerkungen: Ich habe in zwei Wahlperioden den Bundestag als ein arbeitsintensives Parlament kennengelernt. Die Ergebnisse unserer gesetzgeberischen Arbeit könnten aber besser sein, wenn wir insgesamt weniger Gesetze beschließen und dabei folglich unter einem geringeren Zeitdruck stehen würden.
Der Sachverständigenrat hat in seinem Herbstgutachten 2008 unter Hinweis auf Regelungen zur Unternehmensteuerreform festgestellt, dass die Große Koalition mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen kann, ?einen der größten Komplexitätsschübe in der jüngeren deutschen Steuergeschichte verursacht zu haben - und damit auch eines der umfangreichsten Arbeitsbeschaffungsprogramme für Steuerberater.? Trotz der Komplexität der Gesetze werden diese im Eiltempo beschlossen. Auch in diesem Gesetzgebungsverfahren lag ein Teil der endgültigen Gesetzentwürfe erst am Tag vor der abschließenden Beratung im Finanzausschuss vor. Komplizierte und aufgrund des Zeitdrucks oft unverständliche Gesetzestexte werden von der Finanzverwaltung und der Finanzrechtsprechung rechtschöpfend auf den Einzelfall angewandt, zunehmend mit unterschiedlichen Ergebnissen. Die Finanzverwaltung reagiert auf Niederlagen bei den Gerichten oft mit sogenannten Nichtanwendungserlassen
und wendet höchstrichterliche Urteile über den entschiedenen Einzelfall nicht an.
Die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ist gefährdet. Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Steuerehrlichkeit nehmen ab.
Ich wünsche dem nächsten Bundestag mehr Sensibilität für diese Gefahren. Des Weiteren wünsche ich mir größeren Einsatz und mehr Erfolg für systematische, einfache und eindeutige Steuergesetze, die den Steuerbürgern und Unternehmen bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten Planungssicherheit geben und mehr Akzeptanz finden.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13429, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/12254 und 16/12674 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13477? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13478? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit demselben Ergebnis abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13479? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Linken abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13482? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Korrektur der Unternehmensteuerreform. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12525 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen des restlichen Hauses abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiesteuergesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13416, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12851 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Linken, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Linken, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13483. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Linken mit den Stimmen des restlichen Hauses abgelehnt.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13480. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des restlichen Hauses abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel ?Agrardieselbesteuerung senken - Wettbewerbsnachteile der deutschen Landwirtschaft abbauen?. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13416 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11670 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Linken angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 54 a bis 54 e auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege
- Drucksachen 16/12785, 16/13298 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege
- Drucksache 16/12274 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
- Drucksache 16/13430 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Göppel
Dr. Matthias Miersch
Angelika Brunkhorst
Lutz Heilmann
Undine Kurth (Quedlinburg)
b) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts
- Drucksachen 16/12786, 16/13306 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts
- Drucksache 16/12275 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
- Drucksache 16/13426 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Dr. Matthias Miersch
Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Nicole Maisch
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung
- Drucksachen 16/12787, 16/13299 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung
- Drucksache 16/12276 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
- Drucksache 16/13431 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Koeppen
Detlef Müller (Chemnitz)
Michael Kauch
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl
d) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt - RGU)
- Drucksachen 16/12788, 16/13301 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt - RGU)
- Drucksache 16/12277 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
- Drucksache 16/13443 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Dr. Matthias Miersch
Michael Kauch
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Lage der Natur für die 16. Wahlperiode
- Drucksache 16/12032 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Sportausschuss
Ausschuss für Tourismus
Zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung liegen mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch, SPD-Fraktion.
Dr. Matthias Miersch (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ?Was lange währt, wird endlich gut?,
dieses Motto passt zu dem jetzt behandelten Tagesordnungspunkt. Das Vorhaben, um das es geht, bewegt die Bundesrepublik seit den 70er-Jahren. Sicherlich haben viele nicht mehr daran geglaubt, dass es doch noch gelingt, ein, wenigstens zu einem großen Teil, einheitliches Umweltrecht in Deutschland zu schaffen. Die Schaffung eines einheitlichen Umweltrechts in Deutschland ist ein ambitioniertes Ziel.
Wir kommen diesem Ziel heute einen großen Schritt näher.
Man sollte vielleicht sagen: Was noch länger dauert, wird noch besser. Ich kann nämlich für die SPD-Fraktion ausdrücklich erklären, dass wir das Ziel, ein umfassendes Umweltgesetzbuch zu schaffen, weiter verfolgen werden. Es wird auf der Agenda eines neuen Koalitionsvertrages stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den Diskussionen, die in den letzten Wochen und Monaten geführt worden sind, muss man sich eigentlich die Frage stellen, warum wir es nicht geschafft haben, auch den letzten Schritt zu machen, nämlich das Buch I, in dem es um eine integrierte Vorhabengenehmigung als Kernstück einer neuen Genehmigungsform geht, zu realisieren. Es ist - das muss man an dieser Stelle noch einmal sagen - bedauerlich, dass wir uns aufgrund des Widerstandes eines einzigen Bundeslandes nicht haben durchsetzen können. Ich glaube dennoch, dass die Schritte, die wir heute tun, Motivation genug sein müssen und können, auch diesen letzten Schritt zu vollziehen.
Wir haben in den letzten Wochen erlebt, dass eine Rechtsvereinheitlichung in Deutschland hohe Hürden überwinden muss. Es gibt, gerade was das Umweltrecht anbelangt, innerhalb des Bundestages - das werden auch die Redebeiträge der Opposition, von FDP und Grünen beispielsweise, deutlich machen -, aber auch innerhalb des Bundesrates völlig unterschiedliche Vorstellungen. Die Berichterstatter werden ihre Ordner noch lange aufheben können. Wir haben von den Verbänden massenhaft Zuschriften bekommen, die in völlig unterschiedliche Richtungen gehen. Insofern war die Quadratur des Kreises zu leisten. Ich glaube, es ist uns gelungen.
Daher bedanke ich mich ausdrücklich bei meinen Berichterstatterkollegen der CDU/CSU, Josef Göppel, Andreas Jung und Ulrich Petzold. Das war eine sehr konstruktive Zusammenarbeit, die vor allen Dingen vom gegenseitigen Respekt geprägt gewesen ist. Ich glaube, das ist eine tragfähige Basis dafür, einen solchen Gesetzentwurf zu schaffen.
Ganz besonders will ich mich aber bei Ihnen, Herr Minister, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Sie alle sind da, zumindest die Spitzen; mein Dank gilt aber auch den Leuten, die dahinterstehen. Es war schon außergewöhnlich, wie viele Wochenenden, Nächte und Tage Sie aufgewendet haben, um uns immer wieder neue Formulierungshilfen zu geben.
Dem gilt unser herzlicher Dank.
Im Bereich des Naturschutzes und des Wasserrechts gibt es erstmals eine Vollregelung für den Bund.
All denjenigen, die Probleme bei der Föderalismusreform I sehen - ich teile diese Sicht im Übrigen -, muss man sagen, dass der Rechtszustand bzw. der Verfassungszustand davor auch nicht besser war, da der Bund keine Vollregelungs-, sondern nur die Rahmengesetzgebungskompetenz hatte.
Wir haben in diesen wichtigen Rechtsbereichen jetzt erstmals Vollregelungen erlassen können, allerdings mussten wir sie auch erlassen, weil ansonsten eine völlige Rechtszersplitterung in Deutschland gedroht hätte. Angesichts der Abweichungskompetenz der Bundesländer in bestimmten Bereichen stehen wir vor der Herausforderung, hier bei der Beschlussfassung möglichst zu einem Konsens zu kommen. Diese Vollregelung ist eine große Innovation im Umweltrecht, und ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass die elementaren Grundsätze gewahrt werden konnten, auch wenn sie - das will ich nicht verschweigen - zur Disposition standen.
Wir haben beispielsweise den Vorschlag abgewehrt, dass es einen Vorrang des Vertragsnaturschutzes geben soll. Wir haben auch Einschränkungen beim Artenschutz abgewehrt. Jeder, der die biologische Vielfalt ernst nimmt, muss für ein hohes Schutzniveau eintreten. Dies ist gelungen, und ich bin außerordentlich dankbar dafür.
Wir haben auch an dem Grundsatz der Eingriffsregelung ?Vermeidung, Ausgleich und Ersatz? festgehalten. Lediglich bei den Realkompensationen haben wir eine Flexibilisierung herbeigeführt. Es ist mir wichtig - auch in Hinsicht auf die Umweltverbände -, dies erreicht zu haben; denn es wurde hinterfragt und wird sicherlich auch weiter hinterfragt werden, ob man an diesem Dreiklang nicht eine Änderung vornehmen kann. Ich halte die Tatsache, dass wir den Dreiklang ?Vermeidung, Ausgleich und Ersatz? erhalten haben, für einen Riesenerfolg, und ich glaube, es ist gut, dass wir Umweltpolitiker in dieser Beziehung standhaft geblieben sind.
Wir haben uns auch mit dem Verhältnis zwischen Klimaschutz, erneuerbaren Energien und Naturschutz befassen müssen. Bei der Wasserkraft haben wir einen solchen Ausgleich gefunden; denn wir haben zwar die Querverbauung in dem Gesetzentwurf nicht geregelt, aber wir haben den Schutz der Fischpopulation als obersten Grundsatz in die Norm aufgenommen und klare Bewirtschaftungsziele definiert, was aus meiner Sicht den Belangen beider Seiten - der Naturschützer und der Wasserkraftnutzer - Rechnung trägt. Insofern ist das aus meiner Sicht auch ein Erfolg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bereich des Wasserrechts war für die Erdöl- und Erdgasindustrie der Hinweis auf die Wasserrechtrahmenrichtlinie und die Aufnahme einer Geringfügigkeitsschwelle wichtig. Dies haben wir durch eine Formulierung, die wir unter Mithilfe des Bundesumweltministeriums gefunden haben, erreicht.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Bei einem der zentralen Punkte des Umweltrechts, zu dem es unterschiedliche Vorstellungen bei CDU/CSU und SPD gibt, haben wir als SPD-Fraktion unsere Position behaupten können. Es geht um die der Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir glauben, dass eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtsstreitigkeiten vermeiden kann. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, hierin nicht dem Bundesrat zu folgen, sondern es bei der vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung zu belassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, ich danke Ihnen, dass Sie das respektiert und akzeptiert haben. Das war für uns ein sehr wichtiger Punkt.
Den Gesetzentwurf zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung will ich nur am Rande streifen. Darin ist ein Solariumverbot für unter 18-Jährige vorgesehen. Das wurde aus dem Grunde notwendig, weil die Selbstverpflichtung der Industrie nicht eingehalten wurde.
Insofern ist es auch ein wichtiger Schritt des Gesetzgebers, hier eine deutliche Grenze zu ziehen. Wir begrüßen das ausdrücklich.
Die Rechtsdogmatik der drei bzw. - wenn man das Rechtsbereinigungsgesetz mit einbezieht - vier Gesetzentwürfe macht deutlich, dass wir den notwendigen Instrumentenkasten für das Umweltgesetzbuch geschaffen haben. Wir haben Standards festgelegt, aber auch Öffnungsklauseln vorgesehen, die den Ländern die notwendige Flexibilität geben. Ich glaube, wenn wir das beherzigen, dann können wir auch den letzten Schritt in Richtung des Umweltgesetzbuches gehen.
Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es weitere Herausforderungen gibt, die wir im Rahmen dieser Kodifikation nicht klären können. Ich will sie für die SPD-Fraktion aber ausdrücklich ansprechen. Wir werden uns weiter mit der Frage des Flächenverbrauchs beschäftigen müssen. Deswegen war der Dreiklang bei der Eingriffsregelung so wichtig.
Wir werden uns ferner mit der Frage gentechnisch veränderter Organismen und deren Auswirkungen beschäftigen müssen. Wir waren einer Meinung, Josef Göppel, aber wir konnten uns an dieser Stelle nicht bei dem Koalitionspartner CDU durchsetzen. Ich biete das weiter an. Wir werden uns der Frage gentechnisch veränderter Organismen auch im Naturschutzrecht stellen müssen. Wir als SPD-Fraktion haben dazu klare Vorstellungen zugunsten der Natur. Insofern müssen wir dieses Arbeitsfeld weiter beackern.
Letztlich wird auch weiterhin das große Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und erneuerbaren Energien auf der Tagesordnung stehen müssen. Das ist ein Dialogprozess.
Ich freue mich, dass wir heute den ersten wichtigen Schritt tun, der aber nicht der letzte sein darf. Deswegen ist meine Bitte an den Bundesrat, der angesichts der vielen Änderungsvorschläge in den letzten Wochen konstruktiv mit uns zusammengearbeitet hat, diese Gesetzentwürfe jetzt zu beschließen, um dann in der nächsten Wahlperiode zu überlegen, wo man an der einen oder anderen Stelle nachbessern kann. Dem Umweltgesetzbuch sind wir, glaube ich, heute einen deutlichen Schritt nähergekommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort der Kollegin Angelika Brunkhorst, FDP.
Angelika Brunkhorst (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Miersch, ich kann Ihnen nicht beipflichten.
Ich denke, die ach so große Koalition hat nicht den großen Wurf gelandet. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass nach den intensiven Vorarbeiten seit Anfang der 90er-Jahre und trotz der Zustimmung von 15 der 16 Bundesländer kein UGB zustande gekommen ist.
Es grenzt schon fast an Realitätsverlust, wenn die Union Anfang März in einer Pressemitteilung schreibt: ?Die erfolgte umfangreiche Kodifizierung ist ein Quantensprung in der Umweltgesetzgebung?. - Das ist mitnichten der Fall.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass wir als FDP nach wie vor für die Erstellung eines UGB und die damit verbundenen Ziele stehen. Wir sind für die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Vollzugspraxis unter Gewährleistung der materiellen Umweltstandards. Daran wollen wir nicht rütteln.
Die FDP steht weiterhin für Bürokratieabbau auch im Umweltrecht.
Insbesondere wollen wir die Europatauglichkeit des deutschen Umweltrechts verbessern.
Das Projekt UGB wird eine wichtige Aufgabe für die nächste Bundesregierung sein. So weit sind wir d'accord. Leider hat die Koalition ihre Gesetzentwürfe ziemlich spät eingebracht. Die Beratungen mussten unter extremem Druck stattfinden. Das fanden wir nicht besonders kollegial.
Wir brauchten allerdings bundeseinheitliche Vorschriften - das ist uns auch klar -, weil es sonst ab dem nächsten Jahr eine Rechtszersplitterung in 16 verschiedene Landesgesetze gäbe. Das wäre ein Desaster für die Umwelt, die Wirtschaft und auch für die Menschen.
Im Naturschutz sind infolge der Föderalismusreform bundesrechtliche Vollregelungen möglich. Das bedeutet aus liberaler Sicht aber nicht, dass dort kein Raum für die Länder mehr bleiben darf, um flexible Regelungen umzusetzen. Wir haben dazu mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge eingebracht. Uns kommt es insbesondere auf das umweltpolitische Kooperationsprinzip an; denn wir denken, dass nur eine Umweltpolitik, die Akzeptanz bei den verschiedenen Akteuren findet, dass nur eine Umweltpolitik mit den Menschen letztlich eine erfolgreiche Umweltpolitik ist. Wir sind im Gegensatz zur Koalition dafür, die Eingriffsregelungen zu flexibilisieren.
Wir wollen die Option - nicht den Zwang - eröffnen, Ausgleich und Ersatz gleichzustellen. Wir wollen, dass die Ersatzgeldzahlung als Ersatzmaßnahme gilt. Wir sehen damit keine Verschlechterung der Standards einhergehen. Wir wollen, dass Einnahmen aus Ersatzgeldzahlungen zum Ausgleich von unvermeidbaren Eingriffen für qualitativ hochwertige Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben werden.
Damit kann insbesondere der Planungsaufwand minimiert werden. Statt eines Flickenteppichs aus Einzelfallmaßnahmen bekommen wir dann die Chance, ökologisch sinnvolle und nachhaltige Gesamtkonzepte zu entwickeln. Nicht weniger, sondern mehr Qualität sehen wir damit verbunden.
Es wurde schon gesagt: Natürlich leisten aufgrund ihres steigenden Anteils die erneuerbaren Energien im Bereich der Klimapolitik einen großen Beitrag, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes zu gewährleisten. Deswegen gehört das in das Bundesnaturschutzgesetz.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Uns war der Vertragsnaturschutz immer sehr wichtig. Das sieht die Koalition erfreulicherweise genauso. Wir möchten den durch den Vertragsnaturschutz verbesserten Zustand von Natur und Landschaft absichern, indem wir die Frist verlängern, binnen derer die Wiederaufnahme einer land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung nach Bewirtschaftungsbeschränkungen aufgrund des Vertragsnaturschutzes nicht als Eingriff gilt. Die fischereiwirtschaftlichen Flächen, also die gewerblich genutzten Fischteiche, sehen wir eher als Produktionsanlagen und nicht so sehr als Natur. Deswegen meinen wir - hier sind wir mit der Koalition leider nicht d?accord -, dass das vollständige Mähen von Röhrichtbeständen in Einzelfällen zuzulassen ist. Dann sind die fischereiwirtschaftlichen Interessen und die Interessen des Naturschutzes gleichermaßen berücksichtigt.
Ein weiteres berechtigtes Anliegen des Naturschutzes ist, Pflanzen- und Tierarten in ihrer genetischen Vielfalt unter regionaltypischen Aspekten zu schützen. Wir wollen in Zeiten der Globalisierung und der kontinentübergreifenden Handelsströme präventive Kontrolle betreiben und Möglichkeiten haben, invasive Pflanzen- und Tierarten sinnvoll zu bekämpfen. Es darf allerdings nicht sein, dass unter dem Deckmantel des Naturschutzes Marktabschottungspolitik betrieben wird. Wir fordern daher die nächste Bundesregierung - wer auch immer das sein möge - auf,
sich dafür einzusetzen, dass die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Regelungen entsprechend den im Einzelfall bestehenden Problemen und Gefahren einheitlich umsetzt.
Zum Wasserrecht. Besser dieses Gesetz als gar keines. Auch hier müssen wir eine Rechtszersplitterung verhindern. Gewässer machen nicht an Grenzen halt. Das gilt für Europa, wo man versucht, die Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen, und natürlich für die Bundesrepublik. Wir sind mit dem Wasserhaushaltsrecht nicht bis auf Punkt und Komma einverstanden; das machen wir in unserem Entschließungsantrag deutlich. Es war eine Zumutung, dass wir uns noch am Mittwoch mit 33 Änderungsanträgen befassen mussten. Einigkeit in der Großen Koalition kann ich hier nicht erkennen. Wir sind letztendlich froh, dass Sie sich bei den Geringfügigkeitsschwellen noch einmal besonnen und nachgebessert haben. Alles andere wäre für die Beurteilung der Grundwasserqualität nicht sachgerecht gewesen.
Gewisse Änderungen betreffend die Regelungen zur Wasserkraft hätten Sie sich unserer Meinung nach sparen können. Hier haben Sie auf Kosten des Gewässerschutzes nicht standgehalten. Das ist bedauerlich.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Zeit, in der wir uns ernsthaft um ein UGB kümmern werden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Josef Göppel, CDU/CSU-Fraktion.
Josef Göppel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute vier Umweltgesetze verabschieden, mit denen Deutschland international glaubwürdig bleibt, auch wenn sie nicht formal von dem Mantel eines Umweltgesetzbuches umgeben sind. Wer von tropischen Ländern den Schutz der Regenwälder verlangt, der muss energisch für den Schutz der Natur im eigenen Land eintreten.
Aus christlicher Sicht bedeutet der Auftrag, die Erde zu bebauen, sie so zu bebauen, dass sie auch bewahrt wird. Der Artenbestand der Schöpfung ist nicht in unser Belieben gestellt. Deshalb haben die Mitgeschöpfe des Menschen, die wild lebenden Pflanzen und Tiere, eine Lebensberechtigung inmitten der menschlichen Zivilisation. Dahinter stehen keine Zweckmäßigkeitsgründe, sondern eine ethische Grundhaltung, die sich aus der christlichen Sicht ergibt und somit den Auftrag an die Christen umreißt.
Das gilt in gleicher Weise für die natürlichen Lebensgrundlagen Luft, Wasser und Boden. Sie sind trotz der Nutzung rein zu erhalten.
Dafür schafft nun insbesondere das neue Naturschutz- und Wasserrecht einen Rahmen. Ich erwähne Beispiele.
Erstens. Erstmals bekommen wir bundesweit Grundsätze des Naturschutzes, von denen kein Land nach unten abweichen kann.
Zweitens. Es bleibt dabei: Alle Eingriffe in die Natur müssen ausgeglichen werden. Dabei besteht eine strenge Rangfolge. Zunächst ist immer zu prüfen, ob der Eingriff nicht doch vermieden werden kann. Vermeidbar sind Eingriffe, wenn zumutbare Alternativen bestehen. Zulässige Eingriffe sind zunächst am Ort des Eingriffes oder im selben Naturraum auszugleichen, und zwar hinsichtlich der Fläche und hinsichtlich der ökologischen Funktionen. Erst wenn all dies nicht möglich ist, kann ein Eingriff mit Geld ausgeglichen werden.
Drittens. Wir verankern im neuen Naturschutzgesetz einen Vorrang der Innenentwicklung beim Bauwesen.
Viertens. Wir wollen und werden in Zukunft das freiwillige Miteinander bei der Durchführung des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördern. Die Behörden sollen möglichst Organisationen damit beauftragen, in denen Landwirte, Naturschützer und Kommunalpolitiker freiwillig und gleichberechtigt zusammenwirken. Dazu gehören zum Beispiel die deutschen Landschaftspflegeverbände und vergleichbare Organisationen, die eine hohe Akzeptanz gefunden haben und täglich ein hohes naturschutzfachliches Können unter Beweis stellen.
Fünftens. Wir haben in den Zielkatalog des Gesetzes die erneuerbaren Energien mit aufgenommen, wenngleich in jedem Einzelfall eine Abwägung nötig ist.
Gut abgewogen und ausbalanciert ist das neue Gesetz auch hinsichtlich der Interessen der Grundeigentümer. Ich nenne auch dafür zwei Beispiele: Die Frist für die Rückholung zeitlich geförderter Biotope erweitern wir von fünf auf zehn Jahre. Das stärkt die Position der Landwirte, weckt ihre Bereitschaft zu einem freiwilligen Miteinander auch in dieser Hinsicht und erhält mehr naturnahe Flächen in der Feldflur.
Für besonders wichtig halte ich auch die Klarstellung, dass die Erholungsnutzung von Grundstücken keine zusätzlichen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten für den Grundeigentümer begründet. Wir brauchen die Grundeigentümer für einen guten Naturschutz.
Ein Wermutstropfen aus Sicht der CSU ist allerdings die Ablehnung eines bayerischen Antrags hinsichtlich der Auswirkungen grüner Gentechnik. Der Gesetzestext sieht eine Prüfung der Verträglichkeit vor dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nur innerhalb der Natura-2000-Gebiete vor, obwohl die europäische Richtlinie auch die von außen einwirkenden Beeinträchtigungen erfasst.
Insgesamt wird die Frage, ob das neue Gesetz zu einem nachhaltigeren Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen führt, in den nächsten Jahren in der Praxis beantwortet werden müssen. Der Gradmesser dafür ist die Eindämmung des Landverbrauches. Der offene, atmende Boden ist ein wertvolles Zukunftskapital in einem dicht besiedelten Land. 96 Hektar Flächenversiegelung pro Tag sind für ein Land mit sinkender Einwohnerzahl einfach zu viel.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen ist der neue Bericht zur Lage der Natur in Deutschland erschienen. Er zeigt auf, dass es uns gelungen ist, den Rückgang der Artenvielfalt zu stoppen, allerdings auf einem deutlich, nämlich um ein Viertel niedrigeren Niveau als 1970. Dies zeigt einerseits, dass wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen, und andererseits, dass Naturschutz wirkt. Naturschutz lohnt sich auch für uns Menschen: In der freien Natur atmen wir durch; Lasten fallen beim Gang über Wiesen oder durch den Wald von uns ab. Ganz besonders für die Kinder brauchen wir neben der technischen Welt und der virtuellen Welt den offenen Blick in die natürliche Lebenswelt, damit sie ihren Blick an den Maßstäben des Natürlichen schulen können. Nicht zuletzt für sie verabschieden wir die heutigen Gesetze. Ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Für die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen Lutz Heilmann.
Lutz Heilmann (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Frau Brunkhorst, Sie müssen mir eine Bemerkung erlauben. Als wir die vorliegenden Gesetzentwürfe in den Ausschuss bekommen haben, haben wir uns als Linke - auch die Grünen, soweit ich weiß - darum bemüht, dass wir hier eine Anhörung durchführen können. Wir hätten Ihre Stimme gebraucht; mit der Stimme der FDP hätten wir als Opposition gemeinsam diese Anhörung erzwingen können.
Sie wollten das nicht, weil Sie wahrscheinlich schon zu Ihrem Nachbarn schielen und der CDU/CSU im Hinblick auf künftige Koalitionen im Bundestag oder sonst wo nicht wehtun wollen. Ich wollte noch einmal ganz klar und deutlich herausstellen, welche Rolle Sie hier in dem Gesetzgebungsverfahren gespielt haben.
Herr Gabriel, somit komme ich gleich zu Ihnen. Ihre Bilanz als Umweltminister ist, mit einem Wort ausgedrückt, katastrophal:
katastrophal, weil Sie für die Abschwächung der CO2-Grenzwerte bei Pkws verantwortlich sind, katastrophal, weil Sie mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz von 2007 gegen den Geist der Århus-Konvention verstoßen haben, und katastrophal, weil Sie mit dem Scheitern des UGB dem Ganzen noch die Krone aufsetzen. Herr Gabriel, Sie sind da nicht an der CSU aus Bayern gescheitert; das ist vielmehr Ihr ganz persönliches Unvermögen.
Sie konnten sich nicht bei Ihrer Kanzlerin durchsetzen, die übrigens einmal Umweltministerin war und der der Naturschutz und der Klimaschutz offenbar für Sonntagsreden auf großen Konferenzen gut sind; wenn es aber ans Eingemachte geht, ist nichts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute abschließend die Überbleibsel - ich sage: die Überbleibsel, Kollege Miersch - des Umweltgesetzbuches, sozusagen den Rest, darunter die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Sie sagen: Es ist ein gutes Gesetz. Na ja, man muss seine Niederlagen immer irgendwie ein bisschen schönreden, nicht wahr?! Ich entgegne Ihnen: Es ist ein schlechtes Gesetz. Ich würde es nicht Naturschutzgesetz nennen, sondern Naturzerstörungsgesetz.
Ihrer Meinung nach muss dieses Gesetz jetzt ganz schnell verabschiedet werden, weil die Länder ab dem 1. Januar 2010 abweichende Regelungen erlassen könnten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD, Sie waren doch diejenigen, die in der Verfassung die Möglichkeit abweichender Regelungen in den Ländern verankert haben. Dafür sind nicht wir, sondern Sie verantwortlich; schließlich ist das ein Ergebnis der Föderalismusreform.
Ich möchte jetzt darauf verzichten, eine juristische Auseinandersetzung darüber zu führen, ob es am 1. Januar 2010 wirklich dazu kommt, dass die Länder flächendeckend abweichende Regelungen erlassen. Wir haben ein Bundesnaturschutzgesetz mit Mängeln, das über den 1. Januar 2010 hinaus Gültigkeit hat. Eine Debatte darüber will ich jetzt aber nicht beginnen.
Mit dem Bundesnaturschutzgesetz, das Sie hier heute verabschieden wollen, ist das Ziel verbunden, vernünftige, abweichungsfeste, allgemeine Grundsätze festzuschreiben. Von allen anderen Regelungen können die Länder ganz einfach abweichen. Das ist doch richtig so, Herr Kollege Miersch, oder?
Es ist doch Fakt - so steht es in der Verfassung -: Von dem, was nicht abweichungsfest geregelt ist, können die Bundesländer ganz einfach abweichen.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält 8 allgemeine Grundsätze des Naturschutzes. Im noch geltenden Bundesnaturschutzgesetz sind 15 Grundsätze formuliert. Ich stelle gegenüber: 8 Grundsätze im Gesetzentwurf, 15 Grundsätze im geltenden Gesetz.
- Ich höre das Wort ?Qualität?.
Schauen wir uns das Ganze einmal anhand eines Beispiels an. Die Eingriffsregelung ist das Kernstück des Naturschutzrechts. Es geht dabei um den Umgang mit Beeinträchtigungen der Natur. § 13 dieses Gesetzentwurfs enthält in einem Satz den allgemeinen Grundsatz; ich verzichte darauf, ihn hier vorzulesen. Ist das von der Qualität her ausreichend? Ich sage: Nein! Es ist notwendig, die Legaldefinitionen, die Abwägungssituation als allgemeinen Grundsatz zu verankern. All das hätte viel umfassender geregelt werden müssen. Wie gesagt, enthält § 13 Ihres Gesetzentwurfes in einem Satz den allgemeinen Grundsatz. Der Rest, also das, was in § 14 ff. Ihres Gesetzentwurfes geregelt ist, ist nicht abweichungsfest. Mit anderen Worten: Die Länder können diesbezüglich abweichende Regelungen treffen. Das wollen Sie hier beschließen. Das ist nicht hinnehmbar.
Die von Ihnen geplante Eingriffsregelung beweist, wie ich aufgezeigt habe, dass dieser Gesetzentwurf nichts taugt. Es ist nicht ausreichend definiert, welche Grundsätze abweichungsfest sind. Deshalb fordert die Linke - Ihnen liegt ein Entschließungsantrag von uns vor -, qualitativ hochwertige abweichungsfeste Grundsätze.
- Kollege Miersch, Sie sprechen von Öffentlichkeitsbeteiligung. Wie haben Sie denn die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie umgesetzt? Stichwort ?Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz?! Ich verweise auf sämtliche Beschleunigungsgesetze. Damit haben Sie die Öffentlichkeitsbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger ad absurdum geführt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Heilmann, denken Sie bitte an Ihre Zeit.
Lutz Heilmann (DIE LINKE):
Die Linke fordert eine präzise und vollständig abweichungsfeste Eingriffsregelung.
Ich möchte zum Schluss kommen. Wenn Sie diesen Gesetzentwurf heute verabschieden, tun Sie dem Naturschutz in Deutschland keinen Gefallen. Ich bitte Sie, darauf zu verzichten, unseren Entschließungsantrag anzunehmen und dementsprechend Ihren Gesetzentwurf zu überarbeiten.
Danke schön.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Es wird Sie sicherlich nicht wundern, dass nach den Debatten der letzten Woche wir, die Bündnisgrünen, den heutigen Tag mit der Beschlussfassung über das jetzt vorliegende Gesetz als einen mehr als ernüchternden Schlusspunkt unter der umweltpolitischen Bilanz sowohl der Großen Koalition als auch des Ministers ansehen. Wir erleben das Ende eines politischen Tauziehens, an dessen Anfang einmal das erklärte Ziel stand, ein modernes Umweltgesetzbuch zu schaffen. Das war ein sehr wichtiges, sehr begrüßenswertes Vorhaben, dessen Verwirklichung wir alle uns wünschen. Ich finde es mehr als erschreckend, dass ein so wichtiges Politikfeld wie die Naturschutzpolitik zum Spielball im Machtpoker wird, um sich gegenseitig Fesseln anzulegen, und dass ein Land tief im Süden unserer Republik, in dem, wie wir jüngst gelernt haben, die Stammeszugehörigkeit noch eine große Rolle spielt, das Naturschutzrecht als machtpolitisches Instrument missbraucht.
Es ist sicher anerkennenswert, dass der Umweltminister dafür gekämpft hat, dass wenigstens einige Teile des Umweltgesetzbuches abgeschlossen werden können. Wenn man sich aber das vorliegende Ergebnis ansieht, dann fragt man sich, ob sich die Mühe gelohnt hat. Lieber Matthias Miersch, nicht alles, was lange währt, wird automatisch gut. Da bin ich anderer Meinung als Sie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie haben nicht einmal die selbstgesteckten Ziele in der nationalen Biodiversitätsstrategie berücksichtigt. Sie haben es auch nicht für ausreichend wichtig gehalten, Klimaschutzziele im Programm zu verankern, obwohl wir in dieser Debatte ständig und mit Recht darüber reden, dass ein intakter Naturhaushalt wichtigste Voraussetzung ist, um den klimapolitischen Herausforderungen zu begegnen.
Um Ihnen zu zeigen, dass wir nicht aus Prinzip meckern, weil wir Opposition sind, möchte ich an vier Beispielen klarmachen, warum wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können und was unsere Kritikpunkte sind.
Erster Punkt: Eingriffsregelung. Lieber Josef Göppel, auch wenn es viel schlimmer hätte kommen können - das stimmt -, ist das, was jetzt vorliegt, trotzdem kein Erfolg. Bislang galt in Deutschland, dass derjenige den Schaden, den er in der Natur anrichtet, bitte schön auszugleichen hat. In diesem Gesetzentwurf sind hierzu gravierende Änderungen vorgesehen. Bisher war es so, dass ein Eingriff zunächst daraufhin geprüft werden musste, ob er nicht an einem anderen, weniger sensiblen Standort möglich ist.
Genau diese Prüfung eines alternativen Standortes soll es nun nicht mehr geben.
Bisher galt die Regelung, dass Ausgleich und Ersatz nacheinander erfolgten. Jetzt sollen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gleichgesetzt und zugleich geprüft werden. Sie nennen das Flexibilisierung. Wir sagen: Das ist eine Schwächung des Naturschutzes.
Am Schluss der Prüfkaskade soll als letztes Mittel der finanzielle Ausgleich stehen. Da wundert es natürlich niemanden, dass die Kollegen von der FDP diesen Schlusspunkt lieber an den Anfang genommen hätten und eigentlich sowieso dafür gewesen wären, sich von Anfang an freikaufen zu können. Dem sind Sie Gott sei Dank nicht gefolgt; das begrüßen wir.
Der zweite Punkt: die Privilegierung der Landwirtschaft. Alle, die sich damit befassen, wissen, dass die Landwirtschaft einer der größten Verursacher des Artenrückganges ist. Wie kann man da die Privilegierung der Landwirtschaft aufrechterhalten wollen, ohne dafür zu sorgen, dass die ?gute fachliche Praxis? der Landwirtschaft besser definiert wird? Es wäre ganz einfach gewesen, etwa den Umbruch von Grünland zu unterlassen. Auch das fehlt.
Dritter Punkt - daran sieht man, was ein Detail ausmacht, auch wenn das andere als einen marginalen Punkt ansehen -: Ich finde es bemerkenswert, dass sich die Große Koalition nicht zu schade dafür war, einen vom Bundesministerium wenigstens vorgeschlagenen Neststandortschutz aufzuweichen. Allein das Ersetzen des Wortes ?Neststandort? durch ?Horststandort? bedeutet nämlich, dass der Schutzgedanke eben nur noch auf Greif- und Stelzvögel angewandt wird.
Das ist sicherlich gut für Störche, Habichte und Falken. Für Spechte, Gänse, Amseln und andere schutzbedürftige Vögel ist es aber nicht gut. Das sind zwar Details, aber sie zeigen, was hier passiert.
Vierter Punkt: Sie haben weiterhin versäumt, die Regelungen zum Klagerecht und zur Öffentlichkeitsbeteiligung den EU-Standards anzupassen. Sie wissen, dass hier eine Regelung vorliegt, die gegen geltendes EU-Recht verstößt. Trotzdem unternehmen Sie nichts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD, Sie hatten die Chance, ein Regelwerk vorzulegen, das einen modernen Naturschutz verankert, das die Natur effektiv schützt, einen besseren Vollzug ermöglicht, die biologische Vielfalt erhalten hilft und zum Klimaschutz beiträgt. Sie sind leider vor den Begehrlichkeiten großer Lobbygruppen eingeknickt.
Wenn Sie sagen, es hätte alles noch viel schlimmer kommen können, dann mag das für Sie ein Trostpflaster sein. Es ist aber kein Grund, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Deshalb werden wir das auch nicht tun.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir heute beschließen, ist weder das Paradies noch ist es zu verdammen nach dem Motto: Nichts hat sich bewegt. Ich finde, es ist ein sehr großer Schritt nach vorne, was ich im Folgenden an praktischen Beispielen belegen werde. Besser, als es der Kollege Göppel am Ende seiner Rede ausgedrückt hat, kann man die Notwendigkeit der neuen Regelungen nicht schildern. Das will ich ausdrücklich sagen.
Wir führen oftmals Debatten über die Frage, wie ein Gesetz gestaltet werden soll. Aber hier geht es doch um Folgendes: Wenn wir die Augen schließen würden und uns fragen würden, wo wir uns in diesem Moment am wohlsten fühlen, dann würden die meisten von uns - da bin ich ganz sicher - eine Naturlandschaft vor ihrem geistigen Auge sehen. Es geht also darum, dass wir die Natur erhalten und nicht zerstören. Was wir verabschieden, ist das dafür notwendige Gesetzeswerk. Aber das eigentliche Ziel ist, Naturlandschaften zu erhalten und unseren Kindern und Enkelkindern zu vererben.
Die vorliegenden Gesetze sind ein Riesenschritt nach vorne, obwohl nicht das geschafft worden ist, was wir uns vorgenommen hatten und was seit 20 Jahren überfällig ist, nämlich ein einheitliches Umweltgesetzbuch, wozu insbesondere die integrierte Vorhabengenehmigung gehört. Ich will ganz klar sagen: Ich verstehe die Widerstände bei der integrierten Vorhabengenehmigung deshalb nicht, weil es darum ging, vor allen Dingen für mittelständische Unternehmen die komplizierten Antragsverfahren zu erleichtern. Das Umweltrecht ist eher anarchisch entstanden. Es ist nicht strukturiert in der Verfassung und in den Gesetzen angelegt. Das führt dazu, dass mittelständische Unternehmen einen Aktenberg zu bewältigen haben, um am Ende eine Genehmigung zu erhalten. Parallelverfahren und Parallelgenehmigungen, das alles sollte die integrierte Vorhabengenehmigung beseitigen. Der Normenkontrollrat, der für die Abschaffung überflüssiger Bürokratie in Deutschland zuständig ist, sagt, das UGB sei eine sehr gute Idee gewesen und wir hätten damit einen Impuls für Wirtschaft und Beschäftigung gegeben.
Das Vorhaben ist nicht nur an einem Bundesland, nämlich Bayern, gescheitert. Frau Kollegin Brunkhorst, in diesem Zusammenhang habe ich eine Frage an Sie. Sind Sie nur Teil der Staatsregierung in Bayern oder regieren Sie auch wirklich mit? Wenn Sie mitregierten, dann hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dafür zu sorgen, dass die Bayern das Vorhaben nicht scheitern lassen, wo Sie doch eine solch glühende Befürworterin der integrierten Vorhabengenehmigung im UGB sind.
Mein Eindruck ist, dass Sie nur ein Teil der Staatsregierung sind.
Das Umweltgesetzbuch ist aber auch an dem massiven Widersand des BDI gescheitert, der seine Vorstellungen in der CDU/CSU-Fraktion erfolgreich durchsetzen konnte. Die großen Konzerne, die Stabsabteilungen voller Juristen haben, haben sich durchgesetzt. Ihnen bereitet es keine Probleme, komplizierte Verfahren zu bewältigen. Ich sage es ganz deutlich: Die Damen und Herren waren zu faul, sich auf ein neues Recht umzustellen. Um nichts anderes ging es doch.
Die Mittelständler leiden darunter. Sie müssen nämlich mit einem komplizierten Recht weiterleben. Der BDI mit seinem Jurassic Park an Funktionären hat sich durchgesetzt. Das - und nichts anderes - ist passiert.
Trotzdem versuchen wir jetzt, einen großen Schritt nach vorne zu gehen, indem wir die Zersplitterung des Umweltrechtes in Deutschland verhindern. Wenn wir nicht handeln würden, wäre das nämlich der Fall. Denn das Moratorium läuft nach Art. 125 b des Grundgesetzes Ende dieses Jahres aus. Dann hätten wir 16 verschiedene Naturschutzrechte und 16 verschiedene Wasserschutzrechte in den Ländern gehabt, was die Bürokratie noch potenziert hätte. Das verhindern wir nun. Wir haben auch in verschiedenen Bereichen ganz entscheidende Fortschritte erzielt. Ich glaube, darauf sollte man hinweisen.
Nachdem wir nun Jahre miteinander verhandelt hatten und die Länder an Bord waren, war es ein bisschen überraschend, dass die Länder im Bundesratsverfahren mehr als 150 Änderungsanträge gestellt haben. Es ist ein Hinweis darauf, was solche Verabredungen am Ende wert sind. Aber ich sage auch ganz deutlich: Es ist dem Engagement von Länderumweltministern zu verdanken, dass wir es am Ende geschafft haben. Ich sage das deshalb, weil immer der Eindruck entsteht, dass die Natur in Gefahr ist, wenn ein Land vom Bundesgesetz abweicht. Herr Heilmann erzählt solche Geschichten gern. Die Nationalparks müssen von den Ländern eingerichtet werden; dies macht nicht der Bund. Sie gibt es nur, weil die Länder entsprechend gehandelt haben.
Es waren also, wie gesagt, Länderumweltminister, die am Ende ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir hier zu einem Ergebnis gekommen sind. Ich nenne nur die Kolleginnen Margit Conrad aus Rheinland-Pfalz und Tanja Gönner aus Baden-Württemberg. Sie haben sich tapfer für einen wirklichen Fortschritt im Umweltrecht engagiert.
- Auch Christian von Boetticher. Ich will zwar niemanden vergessen. Aber mir geht es schon um die beiden eben zuerst Genannten, die sehr engagiert an diesen Themen mit gearbeitet haben.
Es gab einige Vorschläge der Länder, die wir nicht umsetzen. Man darf nicht alles machen, was die Länder wollen. Zum Beispiel hat der Kollege Sander aus Niedersachsen erklärt, er wolle gerne die Gleichstellung von Geldzahlungen und Ersatz- oder Ausgleichsmaßnahmen im Naturschutz, wenn es um Eingriffe in die Natur und Landschaft geht. Für Nichtexperten - ich möchte bei dieser Gelegenheit Frau Kollegin Kurth korrigieren, die den Gesetzentwurf etwas frei interpretiert hat -: Erstens. Es bleibt dabei, dass erst einmal geprüft werden muss, ob ein Eingriff in Natur und Landschaft vermieden werden kann. Erst dann kommt es zu einer Gleichstellung von Ausgleich oder Ersatz. Früher hatte der Ausgleich Vorrang vor dem Ersatz, und wir wissen alle, wozu das geführt hat.
Es hat dazu geführt, dass unmittelbar in der Nähe von Eingriffen Ausgleichsmaßnahmen stattgefunden haben, auch wenn sie hochgradig fragwürdig gewesen sind. Es geht um die Frage, ob man die besten Böden zum Naturschutzgebiet macht oder Bäume pflanzt, nur weil nebenan gebaut wurde, anstatt zu überlegen, ob es im weiteren Umkreis ein Gebiet gibt, das sich besser eignet, damit wir die Böden, die wir entweder für Nahrungsmittel oder für Energiepflanzen brauchen, nicht zerstören. Frau Kurth, das ist doch eine vernünftige Sache.
Sie tun so, als ob man machen könnte, was man wollte. Als ortsnah gilt eine Fläche in der Größenordnung von drei Landkreisen. Ich kann Ihnen nach der neuen Regelung Landkreise aus Niedersachsen nennen, in denen so viele Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durchgeführt wurden, dass sie gar nicht wissen, wo sie mit weiteren hingehen sollen. Darum geht es doch und nicht darum, Geld zu zahlen. Das wollte der Kollege Sander. Die FDP wollte, dass wir uns vom Naturschutz freikaufen können.
Das war der Vorschlag des Kollegen von der FDP, den wir abgewehrt haben; das ist auch gut so. Dazu kommt es also nicht.
Zweitens. Bei der Öffentlichkeitsbeteiligung bei komplexen Großvorhaben, bei denen aufgrund ihrer Umweltrelevanz eine UVP, eine Umweltverträglichkeitsprüfung, durchzuführen ist, muss es beim obligatorischen Erörterungstermin bleiben. Er sollte zwar gestrichen werden, aber das haben wir abwehren können.
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was hier gesagt wurde. Zu Ihnen, Herr Heilmann: Wissen Sie, wie ich die Linke kennenlerne? Im Bundestag fordert die Linke die Reduzierung von CO2 in der Autoindustrie; bei diesem Thema sind Sie immer vorne mit dabei. Bei Ford, wo Sie zu meinem großen Bedauern gelegentlich Betriebsräte stellen, machen Sie das genaue Gegenteil.
Oder: Im Bundesrat sprechen Sie sich gegen jegliche Ausnahmen für die energieintensive Industrie aus, aber dort, wo Mitglieder Ihrer Partei Arbeitnehmervertreter oder Mitglieder bei der IG Metall sind, verlangen Sie von uns, dass wir der Stahlindustrie möglichst gar keine Auflagen machen. Und: Im Bundestag sprechen Sie sich für einen Ausstieg aus der Braunkohle aus. Vor Ort kommen Ihre Abgeordneten jedoch zu mir und bitten mich um eine Genehmigung für ein Braunkohlekraftwerk. Das ist die Politik der Linken. Sie blinken links und biegen rechts ab. So machen Sie das!
Mich wundert, dass Sie den alten Spruch ?Atomkraft und Erfolgskontrolle strahlen noch lange nicht so dolle? noch nicht gebracht haben. Das war doch Ihr früheres Motto. In Morsleben müssen wir uns doch um Ihre Altlasten kümmern. Ich finde, Sie sollten etwas weniger heldenhaft auftreten.
Auf das Thema Eingriffsregelung bin ich bereits eingegangen. Jetzt komme ich zum Thema Privilegierung der Landwirtschaft, Frau Kollegin Kurth. Es geht um den Fall, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb kurzfristig nicht fortgeführt wurde und es dann aber zur Wiederaufnahme des landwirtschaftlichen Betriebes kommt. Sie haben so getan, als würden wir die Landwirtschaft prinzipiell privilegieren. Jemand, der sich mit dem Thema nicht auskennt, hätte Ihre Rede so verstehen können, auch wenn sie nicht so gemeint war. Ich will darauf hinweisen, dass es um jenen Fall geht, bei dem ein Landwirt seine landwirtschaftliche Produktion kurzfristig nicht fortgeführt hat.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zum Bericht zur Lage der Natur machen, weil das in der letzten Debatte untergegangen ist. Ich finde, dass sich das, was die Große Koalition erreicht hat, sehen lassen kann.
Erstens. Seit Jahren wird in Deutschland über die Unterschutzstellung des nationalen Naturerbes diskutiert. 125 000 Hektar nationales Naturerbe - darunter auch das Grüne Band - haben wir vor Veräußerung und Zerstörung bewahrt. 80 000 Hektar davon sind bereits gesichert.
Der Rest kommt sicherlich noch hinzu.
Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland hat ein Drittel der Außenwirtschaftszone an den deutschen Küsten als Schutzgebiete zum Meeresnaturschutz an Brüssel gemeldet. Inzwischen wurde es unter Schutz gestellt. Kein Land Europas hat für den Meeresnaturschutz so viel getan wie Deutschland.
Drittens. Letztes Jahr haben wir von der Naturschutzorganisation WWF den Baltic Sea Award für unsere gute Politik für die Ostsee erhalten. Ich will dazu kurz etwas anmerken - das geht manchmal in den Bundestagdebatten verloren; es sieht dann so aus, als sei in diesem Bereich nichts passiert -: Das naturschutzrechtliche Instrumentarium wird mit der Verabschiedung des heutigen Gesetzes auf die AWZ und auf den Meeresnaturschutz übertragen. Ich kenne einige, die sich in der Vergangenheit noch nicht einmal getraut haben, das zu fordern, geschweige denn, ihre Gesetzesnovellen entsprechend zu formulieren. Wir machen das heute.
Viertens. Wir haben die Natura-2000-Gebietskulisse abgeschlossen. Es gibt keine streitigen Rechtsverfahren mehr. Wir sind das Land, das 500 Millionen Euro zusätzlich in den Regenwaldschutz steckt - ab 2013 sind es 500 Millionen Euro jährlich. Suchen Sie bitte ein Land auf der Welt, das zu so viel Engagement für Naturschutz und Regenwaldschutz in anderen Ländern der Welt bereit ist. Sie werden kaum eines finden.
Meine Damen und Herren, auf eines will ich noch hinweisen: Wir mussten eine kleine Novelle vorziehen. Das lag daran, dass das alte Bundesnaturschutzgesetz vom EuGH für europarechtswidrig erklärt wurde. Das ist der Grund, warum wir damals die kleine Novelle eingebracht haben.
- Frau Höhn, ich würde antworten, aber vielleicht wurde Ihre Meldung noch nicht gesehen.
Ich glaube, dass der Naturschutz der Gewinner dieser Gesetzesdebatte ist. Wir haben die Gleichstellung von national bedrohten Arten mit EU-weit bedrohten Arten ermöglicht. Und - anders, als das eben behauptet wurde - wir haben die Öffnung zum Ersatzgeld abgewehrt und eine vernünftige Regelung gefunden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Minister, ich möchte Sie jetzt fragen, ob die Kollegin Höhn eine Zwischenfrage stellen darf.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Selbstverständlich, Frau Präsidentin.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herzlichen Dank, Herr Minister, für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.
Sie haben eben noch einmal deutlich gemacht, dass Sie viel für den Schutz des Regenwaldes tun, und haben auf das Versprechen der Kanzlerin und von Ihnen im Rahmen der COP 9 letztes Jahr in Bonn hingewiesen, dass Sie 500 Millionen Euro für den Regenwald in den Haushalt einstellen wollen. Können Sie uns sagen, was Sie in diesem einen vergangenen Jahr getan haben, um dieses Versprechen konkret einzulösen, und wie viele Mittel von diesen 500 Millionen Euro schon ausgegeben worden sind?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Das kann ich machen. Seit der letzten Biodiversitätskonferenz sind im Rahmen der Life-Web-Initiative 41 Millionen Euro zum Schutz tropischer Regenwälder abgeflossen. Diese Mittel sind bis jetzt im Rahmen der Initiative zwischen Deutschland und anderen Ländern abgeflossen.
- Frau Kollegin Höhn, Sie müssen bedenken, dass das on top zu dem kommt, was wir ohnehin tun. Das sind 500 Millionen Euro zusätzlich für den Zeitraum von 2009 bis 2012.
Ab 2013 fließen jährlich zusätzlich 500 Millionen Euro. 41 Millionen Euro fließen in konkrete Projekte, und zwar sind diese Mittelabflüsse so gestaltet, Frau Kollegin Höhn, dass wir sicher sind, dass die Mittel nicht in den Staatshaushalten dieser Länder verschwinden, sondern wirklich dem Schutz des tropischen Regenwaldes zugute kommen. Dafür sind 41 Millionen Euro eine Menge.
Es nützt doch nichts, nur Geld zu überweisen, sondern man muss sicher sein - zum Beispiel in bestimmten Gebieten in Afrika -, dass das Geld beim Naturschutz bzw. beim Regenwaldschutz ankommt. Deswegen arbeiten wir zum Beispiel mit Kooperationspartnern aus dort beheimateten Umweltverbänden oder internationalen Umweltorganisationen zusammen. Man darf es nicht nur beim Geldüberweisen belassen, sondern man muss auch sicherstellen, dass die Qualität stimmt.
- Ich kann mir vorstellen, dass Sie das einem deutschen Sozialdemokraten nicht zutrauen. Aber wie so häufig: Sie irren sich.
Aber es hindert Sie ja niemand daran, dazuzulernen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben in dieser Legislaturperiode insgesamt und auch mit den jetzt vorliegenden Gesetzentwürfen große Fortschritte gemacht. Das Haushaltsvolumen des Bundesumweltministeriums belief sich früher übrigens auf 750 Millionen Euro. Jetzt sind es mehr als 1,5 Milliarden Euro. Wenn man der Auffassung ist, dass Haushalte in Zahlen gegossene Politik sind, dann kann man am Haushalt des Bundesumweltministeriums, wie ich finde, feststellen, welche Bedeutung die Umweltpolitik in dieser Legislaturperiode hatte.
Weil Sie so gerne über Klimaschutz reden - abgesehen davon, dass die Ziele und Grundsätze des Klimaschutzes und der erneuerbaren Energien natürlich in den Gesetzen erwähnt werden; der Hinweis darauf, das sei nicht der Fall, ist schlicht falsch -: In früheren Bundeshaushalten - in 2005 - waren 875 Millionen Euro für den Klimaschutz eingestellt. Im heutigen Bundeshaushalt sind es über 3,4 Milliarden Euro. Auch daran sehen Sie, was sich in den letzten Jahren getan hat. Ich glaube, das ist den Schweiß der Edlen wert gewesen.
Ich danke ausdrücklich denen, die sich nicht haben entmutigen lassen. Dafür gab es zwischendurch gelegentlich Anlass. Diesen Dank richte ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses, die die Nachtschichten gemacht haben, sowie an Matthias Miersch, Josef Göppel und Andreas Jung, die mitgeholfen haben, das Ganze durchzusetzen. Die Länder habe ich schon erwähnt. Das war ein gutes Stück Arbeit.
Egal wer die kommende Bundestagswahl gewinnt, das Umweltgesetzbuch I mit der integrierten Vorhabensgenehmigung dürfte eines der ersten Gesetzgebungsverfahren sein, das den nächsten Deutschen Bundestag mit Erfolg durchläuft.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Für die FDP-Fraktion gebe ich dem Kollegen Michael Kauch das Wort.
Michael Kauch (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es bleibt festzustellen: Das Umweltgesetzbuch hat diese Koalition aus CDU/CSU und SPD nicht auf die Reihe bekommen. An dieser Stelle sind alle Beschönigungsversuche der Koalition völlig vergeblich.
Sie können auch nicht behaupten, das Land Bayern sei schuld gewesen. Wie man der Verfassung entnehmen kann, hat das Land Bayern nicht so viele Stimmen, dass es dieses Gesetz hätte verhindern können. Sagen wir doch einmal, wer es war! Es war die CSU in der Bundestagsfraktion der Union, die dieses Gesetzgebungsvorhaben blockiert hat. Es waren die Abgeordneten der CSU hier im Deutschen Bundestag und nicht irgendjemand in München.
Deshalb bleibt für die nächste Wahlperiode die Aufgabe bestehen, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen. Für die FDP ist dabei klar: Es darf keine Standardveränderungen geben, nicht nach oben, aber ausdrücklich auch nicht nach unten. Ansonsten ist ein solches Gesetzgebungsvorhaben von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Deshalb finde ich die Verbesserungsgenehmigung beim Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt ausgesprochen fragwürdig. Das zeigt, dass die FDP anders als Sie nicht jedem Vorschlag des BDI hinterherläuft. Diese Verbesserungsgenehmigung ist ein Beispiel für eine Standardabsenkung. Hier werden Genehmigungen für Projekte erteilt, die nicht dem Stand der Technik entsprechen. So etwas ist aus meiner Sicht kein ambitionierter Umweltschutz.
Vor allen Dingen hat es auch nichts mit Rechtsbereinigung zu tun. Das ist ein Etikettenschwindel.
Im Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt gibt es aber durchaus noch Rechtsbereinigungsmöglichkeiten. Mir leuchtet beispielsweise nicht ein, warum ein Unternehmen, das nach dem europäischen Umweltmanagementsystem zertifiziert ist, bestimmte Unterlagen nicht mehr einreichen muss, während das gleiche Unternehmen das tun muss, wenn es nach dem internationalen ISO-System zertifiziert ist. Hier hätte man eine Gleichstellung schaffen können und dadurch Bürokratie abbauen können.
Schauen wir uns jetzt einmal den ebenfalls auf der heutigen Tagesordnung stehenden Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung an. Die FDP-Bundestagsfraktion trägt das Mindestalter von 18 Jahren für den Besuch von Sonnenbänken ausdrücklich mit. Wir hätten uns gewünscht, dass die Dienstleister ihre freiwillige Selbstverpflichtung umgesetzt hätten. Klar muss aber sein: Wenn wir auf eine freiwillige Selbstverpflichtung setzen - und das tun wir als FDP nachdrücklich -, muss sie auch geliefert werden. Wenn das nicht geschieht, muss der Gesetzgeber handeln.
Handeln muss der Gesetzgeber aber nicht bei den Medizinprodukten. Ich habe das Glück, dass ich als Mitglied des Gesundheitsausschusses weiß, dass es ein Medizinproduktegesetz gibt, das gerade novelliert wurde. Man fragt sich schon, warum beispielsweise zahnmedizinische Härtungsinstrumente in beiden Gesetzen reguliert werden müssen, sowohl im Medizinproduktegesetz als auch im Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung. Auf diese Doppelregulierung hätte man verzichten können. Deshalb werden wir den vorliegenden Entwurf ablehnen.
Gestatten Sie mir noch einige Worte zum Thema Ersatzgeld, das Sie hier sehr schön als ?Freikaufen? bezeichnet haben, Herr Minister. Zwei Sätze vorher haben Sie allerdings gesagt, viele Landkreise in Niedersachsen wüssten gar nicht mehr, wohin mit den Ersatzflächen. Das ist doch ein Widerspruch. Wenn Sie sich gegen einen Flickenteppich aussprechen, müssen Sie auch sagen: Wir brauchen große ökologische Projekte, in denen Naturschutz ambitioniert durchgeführt und finanziert wird. - Wenn das Ersatzgeld dazu beitragen kann, dann wird damit genauso viel Umweltschutz erreicht, als wenn ortsnah solche Flickenteppiche entstehen.
Wir haben nicht beantragt, dass immer Ersatzgeld gezahlt werden soll. Wir haben nicht einmal Gleichstellung im Bundesgesetz beantragt. Wir haben lediglich beantragt, festzulegen, dass die Länder das nach ihren örtlichen Gegebenheiten entscheiden können.
Sie von der Großen Koalition haben im Rahmen der Föderalismusreform weite Teile des Naturschutzrechts in das Belieben der Länder gestellt. Jetzt rudern Sie zurück. Es ist nicht redlich, wie Sie an dieser Stelle argumentieren.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU-Fraktion.
Ulrich Petzold (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mit Kritik leben, aber was Sie, Herr Heilmann, als ehemaliger Mitarbeiter eines Staatsapparats, der für die Industriewüste Bitterfeld zuständig war, geboten haben, ging etwas unter die Gürtellinie.
Wir werden von Ihnen nachher sicherlich noch etwas zum Wasserrecht hören. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Gras, das an der Muldeaue wächst, müssen wir noch heute als Sondermüll entsorgen. Angesichts dessen sollten Sie uns nicht erzählen, was Sie alles besser machen würden.
Ein bisschen mehr Realitätsbezug sollte man haben.
Es wird immer wieder behauptet, wir hätten für die Erarbeitung dieses Gesetzespakets zu wenig Zeit gehabt. Herr Miersch, wir haben schon vor Jahren in Veranstaltungen zusammengesessen und über den Entwurf eines UGB II debattiert. Wenn Sie sich das jetzt genau anschauen, werden Sie feststellen, dass das UGB II fast wörtlich in das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes übernommen wird. Die Diskussionen damals waren also nicht vergebens.
Ich möchte mich bei allen, insbesondere natürlich bei unseren beiden Hauptberichterstattern Andreas Jung und Dr. Miersch sowie den Mitarbeitern der Abteilung WA des Umweltministeriums, ganz herzlich für die Zusammenarbeit bedanken, die wir gerade in den letzten Jahren erfahren haben. Herzlichen Dank!
Nachdem gerade die Bundesländer intensiv in die Erarbeitung des UGB eingebunden waren, waren wir selbstverständlich nicht davon erbaut, dass zur Vorlage der Bundesregierung zum Wasserrecht vom Bundesrat 89 Anträge gestellt wurden. Es hat sich aber gelohnt, noch einmal eine eingehende Diskussion über den vorliegenden Gesetzestext zu führen.
Von den Bundesratsanträgen wurden 23 unmittelbar übernommen und weitere 13 einer Prüfung unterzogen. In unserem weiteren Verfahren haben wir im WHG-Entwurf mit Änderung des § 38 zu den Gewässerrandstreifen, des § 41 zur Gewässerunterhaltung, des § 49 zu Erdaufschlüssen und des § 60 zur Errichtung von Abwasseranlagen Landesrecht gestärkt.
Wie am Beispiel des § 38 - Gewässerrandstreifen - zu erkennen ist - Dr. Miersch hat es schon erwähnt -, haben wir als Bundesgesetzgeber nicht einfach das Feld geräumt, sondern sind klar bei unseren Festlegungen zu den Gewässerrandstreifen geblieben. Um jedoch landesspezifischen Festlegungen Raum zu geben, verschaffen wir mit den von uns beschlossenen Änderungen den Ländern die Möglichkeit, die Anforderungen in Bezug auf Gewässerrandstreifen auszuweiten. Das wäre eine positive Abweichung. Die Bundeseinheitlichkeit bei den Gewässerrandstreifen - aber nicht nur dort - bleibt damit gewahrt.
Wir sind den Ländern so entgegengekommen, dass unsere Gesprächspartner in den Ländern in den letzten Verhandlungen Zustimmung im Bundesratsverfahren signalisiert haben. Ich hoffe, dass das dann auch so eintritt.
An weiteren Stellen haben wir Klarstellungen und kleine Veränderungen vorgenommen. So wurde zu § 32 WHG-Entwurf im Ausschuss festgehalten, dass der verwendete Begriff ?Sediment? in der Gesetzesbegründung dahin gehend erläutert wird, dass sowohl die schlammigen als auch die festen Bestandteile und damit die organischen und die anorganischen Bestandteile umfasst sind.
Ebenfalls wurden im Wasserhaushaltsgesetz in § 54 bei der Regelung der Verwendung des Schlamms aus Kleinkläranlagen, in den §§ 76 und 78 bei den Festlegungen zu Überschwemmungsgebieten, in § 82 bei der Sonderbestimmung für Einleitungen im Bergbau oder auch in den §§ 101 und 103 bei den Bußgeldbestimmungen Korrekturen vorgenommen, wodurch in Zukunft auf der einen Seite die Handhabbarkeit des Gesetzes verbessert wird und auf der anderen Seite die europäischen Regelungen sicher umgesetzt werden können.
Hauptdiskussionspunkt der letzten Wochen waren jedoch die §§ 33 bis 35 - Mindestwasserführung, Durchgängigkeit und Wasserkraftnutzung -, aber auch § 48, Grundwasserreinhaltung. Bei der Frage der Nutzung der Wasserkraft geht durch die Umweltpolitiker ein großer Riss. Auf der einen Seite sind wir dem Naturschutz verpflichtet und wissen, was jede Turbine und jeder Querverbau in Gewässern anrichten können. Auf der anderen Seite ist uns die nachhaltige Energieerzeugung durch Wasserkraft ein Anliegen. Hier musste ein Kompromiss gefunden werden, der nach unserer Auffassung jetzt gelungen ist. Wasserkraft ist möglich, ja wird sogar gefordert; aber der Schutz der gefährdeten Fischpopulation und die Durchgängigkeit bleiben gewährleistet, sodass ich der Meinung bin: Wir können damit leben.
Wenn ich in meinen Ausführungen mit § 48 das Thema der Reinhaltung des Grundwassers ausdrücklich anspreche, ist das dem Umstand geschuldet, dass die Brisanz dieses Themas erst in den letzten Monaten von uns allen erkannt wurde. In Verbindung mit § 9 - Einbringen in das Grundwasser - bekam § 48 - Reinhaltung des Grundwassers - durch die Einführung des Geringfügigkeitsschwellenwertkonzeptes eine besondere Bedeutung. Die ursprüngliche Formulierung, dass ?die Schwellen der Geringfügigkeit vor Eintritt in das Grundwasser nicht überschritten? werden dürfen, brachte drei bedenkliche Festlegungen mit sich:
Erstens. Das international noch immer umstrittene Geringfügigkeitsschwellenwertkonzept würde so in das deutsche Recht eingeführt.
Zweitens. Es gab die Geringfügigkeitsschwellenwerte als Schutzziel vor, ohne auf Bewirtschaftungsziele einzugehen.
Drittens legte es den Ort der Beurteilung entgegen der europäischen Rechtsauffassung auf einen Punkt außerhalb des Grundwasserkörpers fest.
Schon am letzten Punkt ist ersichtlich, wie problematisch diese Formulierung des BMU damals war. Der Grundwasserkörper ist kein statisches Gebilde. Er ist in ständiger Bewegung, und das Wasser kann fast jeden Punkt im Boden erreichen. Deswegen wäre der Beurteilungspunkt immer streitbefangen gewesen.
Zu Recht titelte ein großes deutsches Nachrichtenmagazin ?Sondermüll Waldboden? und wies darauf hin, dass der reinste Waldboden die Geringfügigkeitsschwellenwerte nicht einhält und damit, sollte er einmal aufgenommen werden, nach der Gesetzesfassung, die wir damals hatten, nicht wieder hätte eingebracht werden dürfen. Ersatzbaustoffe und Fundamente hätten immer einer wasserrechtlichen Genehmigung bedurft.
In sachlichen und fairen Gesprächen, für die ich mich wirklich bedanke, konnten diese Probleme ausgeräumt werden. Überzogene Wünsche und Vorstellungen wurden korrigiert, sodass jetzt die begründete Hoffnung besteht, dass der Gesetzentwurf die legislativen Hürden im Bundesrat ohne Vermittlungsverfahren übersteht. Uns ist sehr wohl bewusst, dass die Ziele mit der Anforderung, ein Gesetz ohne Standardverschärfungen, aber auch ohne Standardabsenkungen zu schaffen, durchaus erreicht worden sind. 16 verschiedene Landeswassergesetzgebungen mit 16 verschiedenen Eigenheiten unter einen bundeseinheitlichen Hut zu bringen, war nicht einfach. Wir haben es, glaube ich, geschafft.
Herzlichen Dank noch einmal an alle.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich habe genau gehört, was Sie hier gesagt haben: Der BDI habe Druck ausgeübt. Sie haben vergessen, zu sagen, dass der BDI-Chef, der frühere Umweltminister Schnappauf aus Bayern, Mitglied der CSU ist; das ist doch auch einmal interessant.
Ich sage: Druck erzeugt Gegendruck. Diesen Gegendruck vermisse ich bei Ihnen.
Ich habe Ihre Aussagen zur Linken gehört. Das ist ja nicht das erste Mal, dass wir hier denunziert werden. Dazu möchte ich erstens sagen - Stichwort ?Klimawandel? -: In Berlin wurde unter Rot-Rot ein Kohlekraftwerk verhindert.
Ich denke, die anderen Länder sollten sich das einmal anschauen.
Der zweite Punkt - Autoindustrie und Klimawandel -: Ich halte es für legitim, dass die Kolleginnen und Kollegen um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Das tun wir alle gemeinsam. Ich möchte aber eine Ökologisierung der Autoindustrie, und da muss noch vieles getan werden. Im Übrigen denke ich, dass die Mehrheit der Betriebsräte nicht meiner Partei, sondern Ihrer Partei angehört. Deswegen sollten Sie mit denen einmal reden.
Zum Thema AKWs: Wir sind ganz klar für den Atomausstieg. Natürlich sollten wir einmal über Bittefeld reden - dazu gab es schon eine Enquete-Kommission, als Sie noch gar nicht im Bundestag waren; ich kann mich gut erinnern, was dort alles dazu gesagt wurde -, wir sollten aber auch über die anderen Standorte und die Zwischenlager reden, und die sind im Westen. Ich würde nicht immer nur auf die neuen Bundesländer schauen. Schauen Sie einmal zu uns, schauen Sie auf Bayern, auf das Land, aus dem ich komme, und sehen Sie, was dort alles passiert ist.
Jetzt reden wir über das Wasserrecht. Der vorliegende Entwurf bringt leider nur wenige Fortschritte im Bereich des Gewässerschutzes. Darüber bin ich ein bisschen traurig. Der Entwurf des Umweltgesetzbuchs war - das haben Sie im Umweltausschuss selbst zugegeben - besser. Einige Dinge sind jetzt schlechter geregelt. Leider ist der Gesetzentwurf bei den Beratungen im Ausschuss nicht besser geworden. Schade.
Ich spreche die Gewässerrandstreifen noch einmal an. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Größe wurde von den ursprünglich angedachten zehn Metern auf fünf Meter verringert. Im Entwurf des Umweltgesetzbuchs war der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Pestiziden in Schutzstreifen noch verboten. Im neuen Wassergesetz soll er wieder erlaubt sein. Schade.
Nehmen wir die für Wanderfische wichtige Durchlässigkeit der Gewässer. Nach dem neuen Wasserrecht sollen Stauanlagen durchgängig sein. Das ist richtig. Nach dem Entwurf des Umweltgesetzbuchs war diese Durchgängigkeit erst dann gegeben, wenn erstens Gewässerorganismen schadlos stromauf oder stromab passieren können und zweitens der Transport von Geschiebe im Gewässer gewährleistet ist. Das Ganze fehlt im vorliegenden Gesetzentwurf.
Wir glauben weiterhin allein an Fischtreppen. Doch diese nutzen den Schuppentieren nur beim Aufstieg. Beim Abstieg haben Lachs oder Aal große Probleme. Da muss wesentlich mehr passieren.
Im Ausschuss wurde zudem der fortschrittliche Passus gestrichen, nach dem neue Wasserkraftanlagen lediglich an bestehenden Querverbauungen errichtet werden dürfen. Es wird also wahrscheinlich neue geben, was ein weiterer Schlag gegen die Durchlässigkeit unserer Flüsse und Bäche ist.
Ein Fortschritt könnte vielleicht sein, dass es nunmehr eine Mindestwasserführung geben soll. Wir halten es für positiv, dass auf diesem Gebiet etwas passiert ist. Allerdings ist der ursprünglich vorgesehene Verweis auf den Stand der Technik für die Nutzung von Wasserkraftanlagen gestrichen worden. Wie viel Fischschutz installiert wird, bleibt also dem Gusto des Investors überlassen.
Auch beim Grundwasser gibt es Alarmierendes. Bis heute haben wir hier den Besorgnisgrundsatz. Das heißt, nach menschlichem Ermessen darf überhaupt nichts ins Grundwasser eindringen. Dieser in Recht gegossene Vorsorgegedanke soll nun über den Verordnungsweg durch das sogenannte Geringfügigkeitsschwellenwertkonzept fallen. Ich bin gespannt, was die Verordnung bringt.
Wir werden diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Andreas Jung, CDU/CSU-Fraktion.
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst voranstellen, dass ich meine, dass die Gesetze, die wir heute beraten und nachher beschließen werden, in der Tat wichtige Schritte im Bereich der Umweltgesetzgebung in Deutschland und in der Tat wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einem einheitlichen Umweltgesetzbuch sind.
Auch ich will mich herzlich bedanken. Ich will mich beim Kollegen Matthias Miersch, dem Berichterstatter der SPD, bedanken, mit dem uns drei, die wir dieses Vorhaben aufseiten der Union begleitet haben - Josef Göppel, Uli Petzold und ich -, eine sehr gute, konstruktive und, wie sich heute zeigt, auch fruchtbare Zusammenarbeit verbunden hat.
Ich möchte mich außerdem bei den Mitarbeitern der Bundesministerien, aber auch bei den Mitarbeitern der Länderministerien bedanken. In den letzten Tagen, Wochen und sogar Monaten haben wir nicht nur versucht, zwischen den Koalitionsfraktionen hier in Berlin Einvernehmen über die vorliegenden Gesetzentwürfe zu erzielen, sondern wir haben auch versucht, möglichst viele der Vorschläge, die von Länderseite, namentlich vom Bundesrat, vorgetragen wurden, frühzeitig aufzugreifen, damit wir heute ein Ergebnis vorlegen können, das kein Vermittlungsverfahren mehr durchlaufen muss. Sonst hätte es möglicherweise zur Folge, dass der gefundene Kompromiss dann aufgrund des Zeitablaufes insgesamt infrage gestellt wird.
Wir glauben, dass wir heute ein Ergebnis vorlegen, mit dem die Länder leben können müssten. An dieser Stelle will ich unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es bei dieser gemeinsam mit allen Beteiligten gefundenen Lösung bleibt und kein Vermittlungsverfahren mehr notwendig ist.
Jetzt komme ich zu den Inhalten. Ich finde, dass die Gesetzentwürfe, die wir auf Grundlage dessen, was im Rahmen der Föderalismusreform im Umweltbereich vereinbart wurde, heute verabschieden, deutlich machen, dass die Föderalismusreform besser ist als ihr Ruf. Was den Umweltbereich betrifft, waren wir in der Föderalismuskommission einer Meinung. Wir hätten uns gewünscht, dass der Bund im Bereich von Umwelt, Naturschutz und Wasserrecht mehr Regelungskompetenzen erhält. Das war damals beim Kompromiss mit den Ländern nicht erreichbar.
Heute stellen wir fest, dass dieser Wunsch teilweise doch Realität wurde, und zwar aufgrund des Wegfalls der Rahmengesetzgebung bzw. dadurch, dass Naturschutz und Wasserrecht zum ersten Mal in die konkurrierende Gesetzgebung überführt wurden. Nun können auf Bundesebene Grundsätze für den Naturschutz formuliert und Vereinheitlichungen im Wasserrecht vorgenommen werden. Das ist ein Fortschritt im Interesse eines einheitlichen Naturschutz- und Wassergesetzes.
Ich bin sicher, dass dadurch auch die zweite Forderung, die wir immer erhoben haben, nämlich die Verbesserung der Europafähigkeit, vorankommt. Denn in Zukunft können die zahlreichen europäischen Vorhaben und Vorgaben, mit denen wir es in diesen Bereichen zu tun haben, effizienter und, wie ich denke, auch zeitnäher umgesetzt werden.
Wir haben es mit einem neuen Instrument zu tun: mit der Abweichungsgesetzgebung. Dieses neue Instrument wurde von vielen, auch in unseren Reihen, zunächst kritisch beäugt und wird dies teilweise noch immer. Uns hat das gemeinsame Ziel verbunden, solche Regelungen zu treffen, die nach Möglichkeit einvernehmlich und mit Zustimmung aller Länder postuliert werden können, damit es nicht zu der von manchen befürchteten Zersplitterung des Umweltrechts kommt.
Ich will nur ein Beispiel nennen, das schon angesprochen wurde und an dem man erkennen kann, dass uns dies gut gelungen ist: die Frage der Notwendigkeit einer standortbezogenen Vorprüfung bei der Grundwasserentnahme. Sieht man sich die Länderregelungen an, so stellt man fest: In dem einem Land gibt es überhaupt keinen Schwellenwert, sodass bei jeder Grundwasserentnahme eine solche Prüfung durchgeführt werden muss. In einer Vielzahl von Ländern gelten Schwellenwerte von 2 000, 3 000 oder 5 000 Kubikmetern. Es gibt aber auch den einen oder anderen Ausreißer, Schwellenwerte von 20 000 oder sogar 27 000 Kubikmetern. Man stellt insgesamt eine große Zersplitterung fest. Schon heute ist die gesamte Republik in dieser Hinsicht ein Flickenteppich.
Wir haben uns auf einen Schwellenwert von 5 000 Kubikmetern geeinigt. Das ist ein Kompromiss, den die Mehrheit der Länder auch im Bundesrat mitgetragen hat. Mit dieser Einigung verbinden wir die Hoffnung, dass es zu einer Befriedung und damit zu einer Vereinheitlichung kommt.
Ich finde, dass es uns in den Diskussionen der letzten Wochen gelungen ist, für einen guten Ausgleich zu sorgen: zwischen der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für Naturschutz und Gewässer - dieser Aspekt steht für uns alle im Mittelpunkt - und den anderen Interessen, die es in diesem Bereich gibt.
Ich will namentlich die Landwirtschaft nennen. Mehrere Redner haben die Eingriffsregelung angesprochen. Ich finde, wir haben hier einen guten Kompromiss gefunden zwischen denen, für die die jetzige Regelung sakrosankt war und die keinen Deut ändern wollten, und denen, die alles öffnen wollten und zum Beispiel finanzielle Kompensation mit Ausgleich und Ersatz auf eine Stufe stellen wollten. Wir haben uns für einen Mittelweg entschieden: Verzicht muss an erster Stelle stehen, an zweiter Stelle Ausgleich und Ersatz gleichberechtigt nebeneinander. Damit haben wir eine Regelung, die für die Landwirtschaft gut ist und bei der die Belange des Naturschutzes angemessen berücksichtigt werden. Das ist eine Regelung, hinter der sich alle versammeln könnten.
Ich will einen zweiten Bereich ansprechen: den sehr kontrovers diskutierten Bereich der Wasserkraft. Ich finde, die Union kann stolz darauf sein, dass wir eine Regelung gefunden haben, die ein Bekenntnis zur Wasserkraft darstellt. Wir haben hier nämlich einen Konflikt zwischen Naturschutz und Klimaschutz. Das ist nur ein einzelnes Beispiel; man könnte leicht mehrere aufführen. Das zeigt, Herr Minister Gabriel, dass man es sich, wenn es Kritikpunkte gibt, nicht so einfach machen kann, zu sagen: Das ist der BDI gewesen. Wir sehen bei der Landwirtschaft und bei der Wasserkraft, dass hier auch ganz andere Interessen zum Ausgleich gebracht werden müssen. Ich finde, das ist uns gut gelungen.
Ich will eine letzte Bemerkung machen, zum Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt, und hier zwei Punkte ansprechen. Die Frage der Beteiligung der Öffentlichkeit ist angesprochen worden. Selbstverständlich sind auch wir in der Union für eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit. Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle Erörterungstermine dazu dienen müssen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um Streitpunkte frühzeitig auszuräumen. Wir hätten uns an dieser Stelle allerdings mehr Flexibilität für die Behörden gewünscht, die diese Erörterungstermine in aller Regel machen. Es gibt, wenn auch wenige, so doch einige Fälle, in denen Erörterungstermine überflüssig sind. Wir hätten uns deshalb gewünscht, dass der Erörterungstermin fakultativ ist. Das war in dem Gesamtpaket aber nicht durchsetzbar.
In etlichen Punkten haben wir unsere Anliegen, gerade unser Anliegen, Verfahrenserleichterungen zu erreichen, durchsetzen können. Unter dem Strich können wir zufrieden sein. Dazu gehört im Übrigen auch die vom Kollegen Kauch angesprochene Verbesserungsgenehmigung. Sie bringt für die Umwelt einen Fortschritt und stellt nicht etwa eine Standardabsenkung dar.
Alles in allem können wir sagen: Das ist ein gutes Ergebnis. Wir wollen und werden in der nächsten Legislaturperiode auf diesem Grundstein mit den Verfahrensregelungen, die im UGB I vorgesehen waren, aufbauen. Wir wollen ein einheitliches Umweltgesetzbuch.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Nicole Maisch, Bündnis 90/Die Grünen.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben am Anfang der Rede des Kollegen Matthias Miersch gehört: Was lange währt, wird endlich gut. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, dass es eher heißen muss: Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet.
Sie loben sich hier gegenseitig und bedanken sich wechselseitig dafür, dass Sie in einer Hauruckaktion gewissermaßen fünf Minuten vor Schluss der Legislaturperiode eine weitere Zersplitterung des Umweltrechtes verhindern wollen. Diese Zersplitterung haben Sie durch die Föderalismusreform I selbst herbeigeführt. Deshalb ist die Föderalismusreform I von den profiliertesten Naturschutzpolitikern in der Koalitionsfraktion abgelehnt worden. Sie haben sich den Schlamassel selbst eingebrockt. Und jetzt hätten Sie gerne Dank und Lob von der Opposition dafür, dass Sie die schlimmsten Auswirkungen im letzten Moment verhindern wollen.
Sie scheitern an dem, was Sie im Koalitionsvertrag festgehalten und damit den Menschen in diesem Land versprochen haben, nämlich das Umweltrecht in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zusammenzufassen. Dazu ist es nicht gekommen.
Sie haben versprochen, es gibt keine Standardabsenkung. Die Kollegin Undine Kurth hat Ihnen bei der Eingriffsregelung - bei den Regelungen zu wassergefährdenden Stoffen ist es ähnlich - nachgewiesen, dass es durchaus so ist, dass materielle Standards abgesenkt werden.
Wir finden, dass der, der verspricht, dass an den materiellen Standards nichts gedreht wird, das auch halten muss.
Sie haben versprochen, dass Bürokratie abgebaut wird. Durch die integrierte Vorhabengenehmigung hätte die Wirtschaft Bürokratiekosten in Millionenhöhe sparen können. Wir finden es sehr verwunderlich, dass jemand, der heute in der Bundesregierung Verantwortung für die Wirtschaftspolitik trägt, als bayerischer CSU-Generalsekretär diese integrierte Vorhabengenehmigung bekämpft hat. Ich finde, das ist für die Wirtschaftskompetenz der CSU kein gutes Zeugnis.
Ich möchte noch einige kurze Sätze zum Verfahren sagen, weil meine Redezeit begrenzt ist. Wir als Opposition haben in den letzten Tagen unglaublich viele Änderungsanträge noch sehr spät in der Nacht bearbeiten müssen. Wir wissen, dass Sie sich untereinander seit vielen Monaten mit diesem Thema beschäftigen - wir auch -, aber Podiumsdiskussionen bei Verbänden, beim BDI und beim BUND - wie immer sie auch heißen -, ersetzen kein geordnetes parlamentarisches Verfahren.
Die Hauruckaktion, mit der Sie diesen Gesetzentwurf jetzt durchpeitschen wollen, zeigt, dass die Umweltpolitik in Ihrer Koalition einen geringen Stellenwert genießt.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur Neuregelung des Wasserrechts sagen. Wir kritisieren sehr scharf, dass Sie den Schutz der Gewässerrandstreifen nicht in der Form, wie wir es vorgeschlagen haben, verbessern wollen. Der Umgang mit Düngemitteln und Pestiziden ist nicht so geregelt, wie es nach den Anforderungen an einen modernen Biodiversitätsschutz erforderlich ist. Wir sind davon überzeugt, dass Sie nicht europakonform gehandelt haben. Durch die Wasserrahmenrichtlinie wird von uns mehr Schutz der Gewässer gefordert, als Sie hier vorschlagen.
Was der Kollege Göppel zur Bewahrung der Schöpfung gesagt hat, hat mir sehr gut gefallen.
Das meiste davon kann man inhaltlich unterschreiben.
Wenn man in den Gesetzentwurf schaut, sieht man aber, dass bei den Regelungen zur Wasserkraft leider gerade das Gegenteil getan wird. Wir haben die Verantwortung, die Natur für unsere Kinder zu erhalten. Das gilt natürlich auch für die Gewässer, die Flüsse und die Bäche in unserem Land. Dem wird leider nicht Rechnung getragen. Hinsichtlich der Wasserkraft kann man wirklich sagen: Der Naturschutz ist den wirtschaftlichen Interessen geopfert worden. - Das finde ich ziemlich traurig.
Wir lehnen die Gesetzentwürfe zum Wasser- und Naturschutzrecht ab. Wir hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode jemand Umweltministerin oder Umweltminister sein wird, die oder der härter dafür kämpft, dass es mehr und nicht weniger Naturschutz in diesem Land gibt.
Danke.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 54 a. Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung und von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Hierzu liegen einige Erklärungen von Kolleginnen und Kollegen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.*
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13430, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12785, 16/13298 und 16/12274 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13489? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Dafür haben gestimmt die einbringende Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, und Die Linke; alle anderen Fraktionen waren dagegen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13490? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt mit demselben Stimmenverhältnis wie bei der vorherigen Abstimmung.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der CDU/CSU und der SPD angenommen. Dagegen haben gestimmt Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke; die Fraktion der FDP hat sich enthalten.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13485? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die FDP-Fraktion, alle übrigen Fraktionen waren dagegen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/13484? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die einbringende Fraktion, Die Linke. CDU/CSU, SPD und FDP waren dagegen.
Tagesordnungspunkt 54 b. Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13426, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12786, 16/13306 und 16/12275 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/13491? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dafür haben gestimmt Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die übrigen Fraktionen waren dagegen.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die FDP hat sich enthalten.
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit demselben Stimmverhältnis wie vorher angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13486. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Bei Zustimmung durch die FDP-Fraktion haben sich die übrigen Fraktionen dagegen verhalten.
Tagesordnungspunkt 54 c. Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13431, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12787, 16/13299 und 16/12276 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Die FDP hat dagegen gestimmt.
und Schlussabstimmung. Wer dafür stimmt, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit demselben Stimmverhältnis wie vorher.
Tagesordnungspunkt 54 d. Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13443, die genannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/12788, 16/13301 und 16/12277 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben sich enthalten.
und Schlussabstimmung. Bitte stehen Sie auf, wenn Sie zustimmen mögen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit demselben Stimmenverhältnis wie vorher.
Jetzt wird noch interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12032 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 228. Sitzung - wird am
Montag, den 22. Juni 2009,
auf der Website des Bundestages unter ?Aktuelles?, ?Plenarprotokolle?, ?Endgültige Fassungen? veröffentlicht.]