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Taktik, Themen, Timing

Was bisher Bundestagwahlen entschied: 1972-2005

Bundestagswahlkampf 2009
© dpa
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Wahlkämpfe entwickeln ihre eigene Dynamik. Gewinner wird, wer darauf zu reagieren versteht: Mit Taktik, Timing – und dem Gefühl für das richtige Thema. Denn nicht notwendigerweise ist das, was eine Partei als Wahlkampfthema ausgibt - oder die Person, die sie ins Zentrum der Kampagne rückt - entscheidend.

Kürzlich hat Dr. Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerkandidat der SPD, seinen „Deutschlandplan“ veröffentlicht und damit klar gemacht, welches Thema er in den Mittelpunkt des laufenden Bundeswahlkampfes stellen will: die Schaffung von vier Millionen Arbeitsplätzen. Die CDU/CSU setzt dagegen auf ihre Spitzenkandidatin, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Sie steht im Zentrum der Unions-Kampagne. Doch wer letztlich mit seiner Strategie den Wahlkampf bestimmen kann, muss sich erst noch zeigen. Ein Blick zurück auf einige der spannendsten Bundestagswahlkämpfe in der bundesdeutschen Geschichte: Was gab den Ausschlag für Sieg oder Niederlage?

So sehr die Personalisierung des Wahlkampfes 1972 die SPD zum Erfolg geführt hatte, so sehr wirkte sich die Konzentration auf Personen im Wahlkampf 1980 für CDU/CSU nachteilig aus: Die Union war in den Wahlkampf zur Bundestagswahl am 5. Oktober zum ersten Mal mit einem Kandidaten aus den Reihen der CSU gestartet: Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß sollte den amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) herausfordern.

Aber die innerparteiliche Wahl war auf einen Politiker gefallen, der die Bevölkerung stark polarisierte: Bei einem Viertel der Westdeutschen stieß Strauß laut Umfragen auf heftige Ablehnung. Die Union trat also bewusst mit einem Kandidaten an, der seit der „Spiegel-Affäre“ 1961 für breite Kreise der Bevölkerung zu den unpopulärsten Politikern des Landes gehörte.

Polarisierung entscheidet die Wahl

Der Wahlkampf spitzte sich schnell zu einem Duell zwischen Strauß und Schmidt zu. SPD und FDP richteten ganz gezielt ihren Wahlkampf auf das „Feindbild Strauß“ aus. Mit Erfolg: Sachthemen gerieten in den Hintergrund. Aber auch die Chancen, die Demoskopen noch zu Beginn des Wahlkampfes für einen Regierungswechsel gesehen hatten, wurden durch die Polarisierung, die die Person Strauß auslöste, komplett überlagert.

Am Wahltag sammelte die SPD schließlich die Stimmen derer, die einfach nur Strauß als Bundeskanzler verhindern wollten. Im Vergleich zur Vorwahl verlor die Union an Zustimmung, errang aber dennoch 44,5 Prozent der Stimmen. Die SPD kam auf 42,9 Prozent und konnte zusammen mit der FDP, die 10,6 Prozent erhalten hatte, die sozialliberale Koalition fortsetzen.

Das Phänomen Kohl

Drei Jahre später jedoch hatte sich das politische Klima deutlich zugunsten von CDU/CSU verändert – und die Schwesterparteien hatten mit Dr. Helmut Kohl (CDU), der im Oktober 1982 Schmidt mit einem Misstrauensvotum gestürzt und als Bundeskanzler abgelöst hatte, zudem einen Politiker, der über das eigene Lager hinweg konsensfähig war.

Die von Kohl nach der Bildung einer schwarz-gelben Regierung angestrebten Neuwahlen am 6. März 1983 gewann er – trotz überwiegend negativen Medientenors - souverän mit 48,8 Prozent. Ein Phänomen, das sich übrigens bei fast allen Bundestagswahlen, bei denen Kohl in den achtziger und neunziger Jahren antrat, zeigte: Stets befanden sich seine Umfragewerte zu Beginn des Wahlkampfs auf dem Tiefpunkt, doch verbesserten sie sich währenddessen rasch, und der Anteil der Unionswähler nahm zu.

Medien und die Dynamik von Wahlkämpfen

Die Ursache für diese rätselhafte Dynamik sehen Wahlforscher in der zumeist sehr negativen Darstellung des Kanzlers („Provinzler“) durch die Medien: „Nur weil Kohls Ruf in Zeiten abseits des Wahlkampfes so gründlich beschädigt wurde“, erklärt Dr. Thomas Petersen, der sich in einer Studie mit Kohls Wahlkämpfen beschäftigt hat, „konnte er im Vorfeld von Wahlen unter veränderten Bedingungen in den Medien jene Dynamik entfalten, die, auch weil sie so überraschend schien, die Wahlchancen seiner Partei verbesserte“.

Der Sieg 1983 war jedenfalls für die Union eine deutliche Bestätigung des schwarz-gelben Wechsels und der von Kohl ausgegebenen Losung der „geistig-moralischen Wende“.

Eine Frage des richtigen Termins

Wie sehr Wahlergebnisse auch vom Wahltermin beeinflusst werden können, zeigen die Bundestagwahlen 1983 bis 1990: Nach den vorgezogenen Neuwahlen, die im März stattfanden, wurde auch bei den darauffolgenden Wahlen vom traditionellen Herbsttermin abgewichen und ein Frühjahrstermin gewählt. Der Wahlkampf fiel damit aber in die Weihnachtszeit – und das hatte Folgen: Nicht selten veränderte sich das politische Klima in dieser Zeit - und insbesondere während der zweiwöchigen Pause um den Jahreswechsel – erheblich.

Besonders auffällig war das im Wahlkampf des Jahres 1987: Vor Weihnachten sprachen sich in Umfragen rund 49 Prozent der Bevölkerung für eine Wiederwahl der Regierung Kohl aus, Anfang Januar war es nur noch 45 Prozent. Die SPD konnte dagegen von der Weihnachtspause profitieren. Warum? Der Grund liegt laut Petersen darin, dass in der Weihnachtszeit das traditionell für die Sozialdemokraten günstige Thema soziale Gerechtigkeit vermehrt in den Blick der Öffentlichkeit rückt. Dennoch schaffte es die Union in diesen Jahren dank ihres äußerst erfolgreichen Wahlkämpfers Kohl die Oberhand zu behalten: Insbesondere bei der Bundestagswahl 1990, die thematisch dominiert war von der Wiedervereinigung, als deren Wegbereiter der „Kanzler der Einheit“ gesehen wurde.

Schröders Gespür für Timing

Arbeitslosigkeit und Wirtschaftspolitik bestimmten dagegen die Wahlkämpfe nach der Wiedervereinigung. So auch den Wahlkampf zu den Bundestagswahlen am 22. September 2002. Doch den entscheidenden Ausschlag für einen erneuten Sieg der rot-grünen Regierung, die 1998 die Regierung Kohl abgelöst hatte, gaben zwei andere Faktoren: Der Irak-Krieg und die Elbe-Flut.

Dr. Edmund Stoiber (CSU), Spitzenkandidat der Union, wollte zwar mit wirtschaftpolitischen Themen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) angreifen, doch diese gerieten in den Hintergrund: Schröder hatte die Gunst der Stunde genutzt und war durch seine PR-wirksamen Auftritte in Gummistiefeln während der Flut-Katastrophe mit großem Vorsprung in die heiße Phase des Wahlkampfs gestartet.

Der Faktor Irak-Krieg

Dann dominierte er mit seinem „Nein“ zum Irak-Krieg die Schlagzeilen. Die SPD habe bewusst versucht, die Irak-Frage als Wahlkampfstrategie zu instrumentalisieren, stellt die Journalistin Birgit Laube fest, die den Wahlkampf 2002 untersucht hat. Ihr war klar, dass sie damit die CDU/CSU in ein Dilemma bringen würde. „Union und Stoiber selber wollten einerseits treu an amerikanischer Seite stehen, andererseits spürte auch der Kanzlerkandidat die Stimmungslagen in der Bevölkerung gegen den Irak-Krieg“, so Laube.

Für die SPD ein strategischer Erfolg: CDU/CSU hatten es schwer, sich wahltaktisch auf die in den Vordergrund geschobenen außenpolitischen Fragen einzustellen. Am Ende des Wahltags lagen SPD und Union mit 38,5 Prozent gleichauf. Doch weil die Grünen 8,6 Prozent (FDP dagegen 7,4 Prozent) der Stimmen errungen hatten, blieb die rot-grüne Regierung unter Schröder im Amt.

Das Kalkül des Kanzlers

2005 klappte das nicht: Nach einem scharf geführten Wahlkampf zu den vorgezogenen Bundestagswahlen am 18. September, in dem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Fragen dominierten, unterlag Schröder knapp mit 34,2 Prozent der Stimmen seiner Kontrahentin Dr. Angela Merkel (CDU). Damit war sein Kalkül nicht aufgegangen, nach dem er die Neuwahlen zur Volksabstimmung über sich und seine heftig umstrittenen Arbeitsmarkreformen der „Agenda 2010“ umfunktionalisieren wollte.

Doch auch für die CDU/CSU war die Bundestagswahl im Grunde eine Niederlage: Mit 35,2 Prozent war sie zwar stärkste Partei geworden, blieb aber hinter ihren Erwartungen zurück - und lag erneut auf dem historischen Tiefstand von 1998. Dabei war die Union als klare Favoritin in den Wahlkampf gestartet. Noch nie hatte eine Partei ihren Vorsprung so schnell verloren. Was war passiert?

Oppositionswahlkampf einer Regierungspartei

Tatsächlich sehen Wahlforscher in dem Umstand, dass CDU/CSU in einen Bundestagswahlkampf gingen, in dem sie von Beginn an - mit Blick auf die Meinungsumfragen – als Sieger feststanden, den Kern des Problems. Die Union wurde bereits in der Öffentlichkeit als Regierung wahrgenommen. Das war ironischerweise für die SPD ein Vorteil: Sie konnte den Spieß umzudrehen und einen Oppositionswahlkampf gegen eine „fiktive unionsgeführte Regierung führen“, wie Dr. Thomas Bippes in einem Beitrag über die Bundestagswahl 2005 feststellt. Dass der Union - die in ihrem Wahlkampf auf Ehrlichkeit und Vertrauen setzen und den Menschen genau sagen wollte, was sie nach der Wahl umsetzen werde – handwerkliche Fehler passierten, kam der SPD zudem entgegen.

Negativ-Kampagne gegen den „Professor aus Heidelberg“

Merkels „Brutto-Netto-Verwechsler“, Stoibers Aussage, „frustrierte Ostdeutsche“ dürften nicht die Wahl entscheiden, und besonders das Steuerkonzept des Ex-Verfassungsrichters Prof. Dr. Paul Kirchhof, das im Widerspruch zu programmatischen Aussagen der Union stand, waren Steilvorlagen, die die SPD geschickt zum taktischen Kontern nutzte.

Die von Schröder aggressiv geführte Negativ-Kampagne gegen den als Finanzexperten ins Unions-Kompetenzteam berufenen Kirchhof trug Früchte: Die SPD kämpfte sich am Wahltag bis auf ein Prozent Differenz an die führende Union heran. Bundeskanzler Schröder nützte dies jedoch nichts. Es war letztlich Merkel, nicht er, die Chefin der Großen Koalition wurde.


Weitere Informationen




Ausdruck aus dem Internet-Angebot des Deutschen Bundestages

www.bundestag.de/btg_wahl/wahlgeschichte/entscheidung2/index.jsp

Stand: 07.09.2009